[ Startseite ]  -   [ Bücher/Artikel ]  -   [ Passian: Inhalt ]  -   [ Zurück ]  -   [ Weiter ]  -   Download -  Kontakt -  © Wegbegleiter
Knaur Esoterik - Herausgeber Gerhard Riemann
Alle Rechte vorbehalten Copyright by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. München 1991

Rudolf Passian - Licht und Schatten der Esoterik : Eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung esoterischer Lehren

Zur Wesensstruktur des Menschen

Hier muss sogleich betont werden, dass man einheitliche Ansichten über die Wesensbeschaffenheit des Menschen in der Esoterik vergeblich suchen wird. Es gab aber schon immer weise Menschen, nicht bloss in Indien, die fähig waren, Naturgeheimnisse zu ergründen, die unserer Wissenschaft noch verborgen sind. Aber nicht etwa infolge philosophischer Grübeleien und Spekulationen, sondern aufgrund ihrer durch meditative Versenkung erworbenen Innenschau oder sonstiger Fähigkeiten aussergewöhnlicher Art. Mensch und Weltall enthüllten sich ihnen in siebenfacher Gliederung (die Sieben spielt ja, ebenso wie die Drei, im Naturgeschehen eine wesentliche Rolle).
Solche, auf welche Art auch immer erworbenen Anschauungen wurden im Abendland zumeist nur im geheimen gelehrt und weitergegeben und gehören heute zum Weltanschauungsgut esoterischer Richtungen unterschiedlichster Art. Die einzelnen Bezeichnungen wie auch die Einteilung differieren teilweise erheblich. Rudolf Steiner z. B. erweiterte sein System auf neun Prinzipien, andere auf zwölf.
Zur Veranschaulichung wähle ich hier das von Surya vereinheitlichte System. Demnach besteht der Mensch aus einem sterblichen und einem unsterblichen Wesensteil. Der sterbliche Teil setzt sich aus vier Prinzipien zusammen, der unvergängliche aus drei:

1. Der materielle, grobstoffliche Körper, im SanskritSthula-Bhuta genannt, ist während unseres Erdendaseins der Träger aller anderen Prinzipien.
2. Linga-Sharira, der Ätherleib oder Vitalkörper, ist der Träger der Lebens- und Regenerationskraft und löst sich bald nach dem Tode auf.
3. Kama-Rupa, das ist der Astralkörper (von Paracelsus auch siderischer Leib genannt), der Empfindungs- und Begierdenkörper. Wie wir von der parapsychologischen Forschung her wissen, ist der Astralleib auch Träger der telepathischen Funktionen. Er reagiert auf Töne, Farben, Licht und auf Kraftfelder.
4. Der Mentalkörper, im Sanskrit Kama-Manas genannt, soll mit unserem Verstandesdenken zusammenhängen und wird deshalb noch zu den vergänglichen Bestandteilen des Menschen gerechnet. Unser Mentalleib stellt anscheinend ein feinstoffliches System dar, das sich durch unser Denken und die Art unseres Denkens ausbildet. Manas soll soviel wie Intellekt bedeuten und stellt das Verbindungsglied dar zur ersten Stufe unseres unvergänglichen Wesens. Damit kommen wir zu den drei höheren Prinzipien des Menschen.
5. Der Kausalkörper oder Buddhi-Manas, den man auch »Ursachenkörper« nennt, steht angeblich mit unserer Vernunft im Zusammenhang, die auszubilden zu unseren wichtigsten Lebensaufgaben gehört. Der Kausalkörper gilt als Träger unseres Höheren Selbst und damit unseres eigentlichen Ichbewusstseins. Astrologischen Einflüssen soll er nicht unterworfen sein.
6. Buddhi ist die himmlische oder Geist-Seele, und das
7. höchste Prinzip ist Atma, das Selbst, der göttliche Geist in uns. (Fussnote 1)

Der Wiener Forscher Dr. med. Heinrich Huber trifft folgende Einteilung:

1. Als erstes nennt er den physischen oder Ernährungskörper. Diesem eng verbunden ist
2. der Lebens- oder Energiekörper, auch Ätherleib, Vital- oder Pranakörper genannt. Er gehört noch zum physischen Bereich.
3. Der Astralkörper beherbergt das Gefühlsleben, Gemütsbewegungen und Begierden. Es folgen
4. der Denk- oder Mentalkörper,
5. das Ego oder die Seele,
6. die geistige Monade und
7. das universelle Selbst. (Fussnote 2)

Am Energie- bzw. Vitalkörper, manche sagen am Astralkörper, auf jeden Fall aber im Bereich der feinstofflichen Strukturen des Menschen, befinden sich Energiezentren, die man Chakras nennt. In der meditativen Innenschau erscheinen sie als sich wirbelartig drehende »Räder« (Dr. Huber spricht von einer Art vierdimensionalem Wirbel); sie entsprechen im physischen Organismus gewissen Nervenkomplexen und den mit ihnen verbundenen Drüsen. Die Chakras gelten als Einströmventile und Transformatoren kosmischer Energien, die bewusst beeinflusst und entwickelt werden können. In Asien vergleicht man sie gern mit vielblättrigen Lotusblüten. Die sieben wichtigsten sind:

1. der vierblättrige Wurzellotos, das in der Steissbeinregion befindliche Wurzel- oder Basis-Chakra, auch Sakral-Chakra genannt,
2. das sechsblättrige (Sexus!) Geschlechts-Chakra, anderen Quellen zufolge das Milz-Chakra,
3. das Nabel- oder Sonnengeflechts-Chakra, zehnblättrig,
4. das zwölfblättrige Herz-Chakra,
5. das sechzehnblättrige Hals- oder Kehlkopf-Chakra, gefolgt vom
6. Stirn-Chakra und schliesslich dem
7. »tausendblättrigen« Scheitel-Chakra.

Einheitliche Angaben fehlen auch zu diesem wichtigen Sektor esoterischen Wissens. Die Lage der Haupt-Chakras soll in etwa mit dem Sitz der erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts näher bekannt gewordenen innersekretorischen Drüsen übereinstimmen, während 49 kleinere Zentren mit bestimmten Stellen der Akupunkturmeridiane zusammenhängen. Letztere stellen Energiebahnen dar, die Chakras hingegen Energiezentren. Hinzu kommen als drittes die Energiefelder, aus denen sich die persönliche Aura zusammensetzt.
Die genannten Haupt-Chakras als Instrumente physiologischer Funktionen scheinen darüber hinaus mit unserer Bewusstseinsentwicklung in Wechselbeziehung zu stehen, besonders was die sogenannte Kundalinikraft anbelangt. Wohl kaum zu Unrecht sieht Dr. Huber einen Missbrauch dieser schöpferischen Energie in der »sexuellen Inflation« unserer Zeit. Nicht nur er meint, man könne das Wesen dieser Schlangen- oder Kundalinikraft in Teilaspekten erleben oder in ihrer ganzen Stärke. Es käme, wenn sie von unten nach aufwärts steigt, zu einem Erleuchtungszustand, der im Yoga als Samadhi bezeichnet oder kosmisches Bewusstsein genannt wird. Im Kapitel über Yoga wird davon noch die Rede sein. Mit der Aura ist jenes biologische Kraftfeld gemeint, das unseren Körper durchflutet, einhüllt und zum Teil über ihn hinausstrahlt. An sich besitzt alles eine Aura, ob Stein, Blume, Tier oder Mensch. Je höher die Entwicklungsstufe, desto komplizierter ist die Aura. Es besteht Grund zu der Annahme, dass jeder der uns innewohnenden feinstofflichen Körper sein eigenes Kraftfeld besitzt und sich die Aura aus eben diesen Energiefeldern zusammensetzt.
Es gibt über die Auraforschung gute Literatur, weshalb ich hier nicht näher darauf eingehen will. Einige der wesentlichsten Aspekte enthält auch mein Buch »Neues Licht auf alte Wunder« (S. 91 ff.). Hier zur Ergänzung nur soviel: Beim Kleinkind ist die Aura einfacher, mit zunehmendem Alter wird sie differenzierter. Bei einer Schwangeren soll die Aura des Ungeborenen schon sechs Monate vor der Niederkunft in der mütterlichen Aura erkennbar sein. Tiere haben eine ähnliche Aura wie Menschen, aber unkomplizierter. Bei Herdentieren fliessen die Kraftfelder zu einem grossen Komplex zusammen, so dass von einer Gruppenaura gesprochen werden kann, welche möglicherweise den Träger des Kollektivbewusstseins darstellt. Die Aura höherentwickelter Tiere zeigt sich differenzierter, besonders bei unseren Haustieren, die sich ja infolge ihrer Gewöhnung an uns Menschen mehr oder weniger individualisieren können. Ein geübter Hellseher wie Gordon Turner vermag den Intelligenzgrad des einzelnen Tieres an seiner Aura zu erkennen. Der seelische Entwicklungsstand eines Tieres wäre somit gleichermassen an der Aura ablesbar wie des Menschen geistig-seelische Stufe und Verfassung an der seinigen. Bei beiden ist ja auch der Sterbevorgang der gleiche: Nur jener Teil der Aura, der vom physischen Organismus ausgeht, erlischt mit der allmählichen Verwesung desselben; das übrige aurische Feld verbleibt beim Astral- bzw. Fluidalkörper. Während Tiere nur den Astral- und Vital- bzw. Ätherleib besitzen, ergab die Auraforschung beim Menschen eine Überlagerung mehrerer Prinzipien feinstofflicher Art, die auf das Vorhandensein unterschiedlicher Strukturen schliessen lassen.
Nach dem sogenannten Tode nun werden wir lediglich auf den physischen Leib und das materiebezogene Leben verzichten müssen, alles andere bleibt erhalten. Dann wird unser Astralkörper das sein, was er gegenwärtig nur in Ausnahmefällen oder im Traumleben sein kann, nämlich Träger unserer Persönlichkeit. Mit jenen Ausnahmefällen ist das vielfach berichtete und auch experimentell vollzogene »Doppelgängerphänomen« gemeint, wenn wir mit dem inneren Leib den äusseren zeitweise verlassen. Das ist bewusst oder unbewusst möglich, sofern bestimmte physiologische Voraussetzungen gegeben sind.
Auch hier haben wir es mit einem komplexen Vorgang zu tun, über den es viele Bücher und Abhandlungen gibt. Im Doppelgängerphänomen, diesem buchstäblichen »Aussersichsein«, liegt nämlich die Lösung des Todesrätsels: Was bei einer ausserkörperlichen Erfahrung, wenn man den physischen Leib wie tot daliegend bewusst wahrnimmt, bloss eine kurzfristige und zugegebenermassen ungewöhnliche Erscheinung ist, bleibt nach dem Sterbevorgang ein Zustand auf Dauer! In beiden Fällen aber ist der uns schon jetzt innewohnende fluidische Körper, der dem fleischlichen vollkommen gleicht, Träger unserer Gesamtpersönlichkeit. Paracelsus und christliche Mystiker wussten ebenfalls um die hier skizzierte Beschaffenheit des Menschen, wir brauchen also nicht unbedingt bei den Indern nachzufragen. In der christlichen Mystik entspricht die unsterbliche Triade des Menschen (die obere Dreiheit Atma, Buddhi, Manas) der »Heiligen Dreifaltigkeit« im Menschen. Paracelsus nannte sie »den Engel in uns«. Die sterbliche Quaternität, die untere Vierheit, hingegen nannte er ein wenig derb, aber gar nicht so falsch »das Tier in uns«.
Der genannten siebenfachen Konstitution des Menschen entspricht im allgemeinen auch die esoterische Einteilung der kosmischen Grundkräfte oder Weltprinzipien bzw. der Seins- und Energieebenen. »Wie oben, so unten«, lautet bekanntlich der hermetische Grundsatz. Demnach kommen im kosmischen Massstab dieselben Natur- und Entwicklungsgesetze, Vorgänge und Zustände zur Geltung wie im individuellen, nur sind die Grade und Massstäbe entsprechend umfangreicher. Das bedeutet: Jedem menschlichen Seinsaspekt entspricht eine kosmische Bewusstseins- und Daseinsebene. Die am einfachsten verständliche Einteilung fand ich in den Rosenkreuzerlehren von Max Heindel: Nach der

1. physischen Ebene, unserer materiellen Welt, kommt die
2. Astral- oder Begierdewelt, indisch Kama-Loka. Dann
3. die Mentalebene oder Gedankenwelt (in der Theosophie soll das die Devachan-Ebene sein),
4. die Welt des Lebensgeistes (nach Heindel, worunter man sich wohl nur wenig vorstellen kann), theosophisch die »Maya-Ebene«,
5. die Welt des göttlichen Geistes, die Nirwana- oder Kumara-Ebene,
6. die Buddhi-Ebene, die Welt der sogenannten Urgeister (vermutlich der nicht gefallenen Erstlingsgeister), bei Alice A. Bailey die »Monadische Ebene«, und schliesslich
7. die Welt Gottes, die eigentliche Welt des atmanischen Prinzips des Urlichtes. Sie entspricht dem Zustand höchster Vollkommenheit und des höchsterreichbaren kosmischen All-Einheitsbewusstseins göttlicher All-Liebe.

Nach allgemeiner esoterischer Ansicht sind diese sieben Weltprinzipien in der siebenfältigen Konstitution des Menschen wirksam und stehen - jeweils vom Höheren zum Niederen oder umgekehrt - miteinander in Wechselwirkung wie die ineinanderfliessenden Farben eines Regenbogens. Dabei werden die einzelnen Ebenen allgemein nicht als räumliches Nebeneinander oder Übereinander gedacht, sondern alle sind gleichzeitig vorhanden und unterscheiden sich nur frequenzmässig. Räumlich betrachtet müssen sie aber umfangreicher sein, zumal wenn sie, wie auch »von drüben« gesagt wird, den Erdball kugelschalenförmig umschliessen, einer Zwiebel vergleichbar. Überhaupt wird das Ganze verständlicher oder zumindest vorstellbarer, wenn wir die verschiedene Seinsstufen, Prinzipien und Aggregatzustände als Manifestationen von Kraftfeldern unterschiedlicher Frequenz und Stärke auffassen. Leben und Lebensbedingungen müssten demzufolge der jeweiligen Frequenz angepasst sein und umgekehrt.
Während dies vorstellungsmässig erfasst werden kann, wird es bei der esoterischen Unterscheidung von Ich undSelbst schwieriger: Das in dieser Inkarnation gegenwärtig empfundene Ich wird als vergängliche Persönlichkeit betrachtet, während unser eigentliches »Höheres Selbst« die Summe aller unserer Inkarnationen speichert und unsere ureigentliche Individualität von Ewigkeit her darstellt. Kurz: Das Ich ist vergängliche Persönlichkeit, das Selbst ist unvergängliche Individualität.
In diesem Zusammenhang findet man in der Esoterik die buddhistisch-indische Anschauung, dass sich im Erdenleben jeweils nur ein »Teil-Ich« verkörpert, ein sogenannter Manas-Strahl des göttlichen Selbst. Dieses verbleibt währenddessen in lichten, höheren Seinsbereichen, und im Schlaf, wenn unser Teil-Ich den Körper vorübergehend verlässt, kann es angeblich zu Begegnungen mit dem Höheren Selbst kommen. Das würde freilich bedeuten, dass der uralte Schutzengelglauben auf einer falschen Annahme beruht: Der vermeintliche Schutzengel wäre in Wirklichkeit unser Höheres Selbst. »Gott ist unser Höheres Selbst«, heisst es in der »Geheimlehre« (Band I, S. 479) von Helena Petrowna Blavatsky. Von daher kommt der unter Esoterikern oft zu beobachtende Hang zur Selbstvergottung. Auf die Frage, was er vom Beten halte, antwortete der Leiter einer theosophischen Loge: »Beten? An wen können Sie denn Ihr Gebet richten? Sie werden doch nicht zu Ihrem eigenen Höheren Ich beten wollen? « (Fussnote 3)
Aus meiner Erfahrung heraus, soweit ich mir ein Urteil über solch komplexe Dinge erlauben darf, möchte ich die Unterscheidung zwischen Ich und Selbst nicht ungeprüft ablehnen, denn grosse Geister wie Plotin oder Friedrich Schiller neigten auch zu dieser Auffassung.
Der alexandrinischen Schule der Neuplatoniker zufolge besitzt der Mensch ein doppeltes Ich: das höhere, welches rein im Übersinnlichen lebt, und das niedere, das mit dem physischen Leib und seinen Funktionen verbunden ist. Dies scheinen gewisse »helle Augenblicke« zu bestätigen, die sich manchmal, zumeist zwischen Schlaf und Wachwerden, einstellen können. Das sind Momente, wo einem alles völlig klar ist, wo man von einem umfassenden Wissen in überwältigender Klarheit durchflutet wird - und im Bruchteil einer Sekunde ist alles wieder vorbei! Wer solches schon mal erlebte, der wird Schiller zuzustimmen geneigt sein:

Nur der Körper eignet jenen Mächten,
die das ew'ge Schicksal flechten -
Aber fern von jeder Zeitgewalt,
die Gespielin seliger Naturen,
wandelt oben in des Lichtes Fluren,
göttlich unter Göttern die Gestalt.

Nach Surya gibt es im wesentlichen drei grosse Abstufungen des Daseins:

1. das Sein an sich, und zwar unbewusst, z.B. im Stein,
2. das Bewusstsein, wie Tiere es haben, und
3. das Selbstbewusstsein, das erst im Menschen auftritt. Nach erfolgter Selbstverwirklichung schliesst sich
4. das Bewusstsein des Allverbundenseins bis hin zum kosmischen Bewusstsein an, was eine gewaltige Bewusstseinserweiterung darstellt.
Dass es ohne Selbsterkenntnis keine geistige Weiter- und Höherentwicklung geben kann, leuchtet ein. Deshalb ist das »Erkenne dich selbst« eine Grundforderung an denkende Menschen, eine zu erfüllende Grundvoraussetzung, um überhaupt Mensch zu werden.
Die erwähnten »hellen Augenblicke« allein sind es nicht, die auf ein höheres Bewusstsein in uns hindeuten. In der Parapsychologie kennen wir einen eigenartigen, aussergewöhnlichen psychischen Zustand, der den Namen »Somnambulismus« erhielt, was soviel wie »Schlaf«oder »Traumwandeln« heisst. In diesem Zustand, der weder Hypnose noch Trance ist, kann der Mensch Einblicke in die jenseitige Welt gewinnen (in mediumistischer Trance ist es umgekehrt, da ragt die jenseitige Welt mittels des Mediums in die unsrige herein). Darüber hinaus kann ein Somnambuler genaue gesundheitliche Diagnosen für sich selbst oder andere stellen und therapeutische Empfehlungen geben, die, wenn man sie genau befolgt, immer zum Erfolg führen. Solche und andere Phänomene, die in der Parapsychologie bekannt sind, beweisen eine gewisse Unabhängigkeit des Ichs, des ichbewussten Geistes, vom Körper. Zugleich aber auch das Vorhandensein offenbar natürlicher Fähigkeiten, die in aussergewöhnlichen psychischen Zuständen zum Vorschein kommen.
Die Eigenständigkeit des Ichs zeigt sich auch bei einem sehr merkwürdigen Phänomen, welches der Parapsychologie schon lange vor Beginn der modernen Sterbeforschung bekannt war: dem Ablaufen des sogenannten »Lebensfilmes« in Situationen der plötzlichen Todesnähe oder beim Sterben. Überrascht sieht man sich einer Lebensbilanz gegenübergestellt, bei der man jede noch so kleine Handlung, ja sogar gedankliche Überlegung, glasklar in ihren Zusammenhängen und Folgen erkennt und deren ethischen Wert ermisst. Tausende, die solches erlebten, sagen das gleiche, nämlich dass die ethische Beurteilung einzelner Begebenheiten, wie auch ihres Lebens als Ganzes durch sieselbst erfolgte. Herkunft, Alter, Geschlecht, Rasse oder Weltanschauung spielen hierbei überhaupt keine Rolle. In jedem Falle aber beruhte die Beurteilung auf einer Ethik, die zwar konfessionell unabhängig ist, aber dem entspricht, was jede wahre Religion seit jeher lehrt. So muss denn auch von dieser Seite auf ein höheres Bewusstsein in uns geschlossen werden, als es jenes ist, das im Alltag zur Geltung kommt. Vielleicht ist es richtiger, von einem erweiterten Bewusstsein zu reden als von einem höheren, das für sich gesondert existiert.
Übrigens gibt es auch hier eine Parallele: die moralische Selbstbeurteilung im Somnambulismus, die nämlich eine wesentlich andere ist als die während des normalen Wachbewusstseins. Eine Dirne z. B., in den entsprechenden Grad des Somnambulismus versetzt, wird ihre Lebensweise wohl zutiefst bedauern und darüber schockiert sein; aber nicht, weil ihr gewisse religionsgeprägte Moralauffassungen anerzogen worden wären, sondern weil jetzt das erweiterte, von Körperfunktionen unbeeinflusste Bewusstsein in ihr urteilt.
Wir sollten eben nie vergessen - und darauf deuten derlei Begebenheiten hin -, dass wir unserer eigentlichen Natur nach Geister sind, zur Zeit in der Materie befindlich, um hier zu lernen, uns zu bewähren, über den Sinn unseres Daseins nachzudenken. Wir sollen uns hier seelisch entwickeln und geistig entfalten, damit wir, wenn wir dereinst den Erdenkörper abgelegt haben, in eine höhere Seinsstufe eingehen können, als es jene war, aus der wir auf diese Erde kamen.
Was die Konstitution des Menschen anbelangt, so genügt an sich für uns Abendländer die herkömmliche Dreiteilung in Leib, Seele und Geist, die sogenannte Trichotomie, wie sie im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher (1. Thess. 5, 23) in Form eines Segenswunsches ausgesprochen ist. Von den Kirchen erfährt man leider nichts Genaueres, was es mit dieser Unterscheidung auf sich hat. Allenthalben stösst man auf mehr oder weniger verschwommene Vorstellungen, wobei Seele und Geist oft miteinander vermengt und nicht mehr klar unterschieden werden.
Das beginnt schon mit der Bibel und gewissen Übersetzungsschwierigkeiten. Im ersten Buch Mose finden sich zwei Schöpfungsgeschichten. 1. Mose 1,2 lautet, richtig übersetzt: »Finsternis lag über der Urflut, und der im Winde wehende Geist der Elohim schwebte brütend über den Wassern.« Also nicht »Gott«, sondern dieElohim waren es; doch wurde dies in den christlichen Bibeln bis heutigentags nicht berichtigt!
In der zweiten Schöpfungserzählung (1. Mose 2,7) heisst es dann: »Jahwe-Elohim (Elohim ist die Mehrzahl von El, Gott, also der El Jahwe) bildeten den Menschen aus Erde vom Ackerboden(haphar min ha adamah) und blies ihm den Lebensodem (neschama) in die Nase; so wurde der Mensch zu einem lebenden Seelenwesen (nephisch).« Luther übersetzte: »So wurde der Mensch zu einer lebendigen Seele.« - Auf Jahwe kommen wir später noch zurück.
Nun ist aber an vielen anderen Bibelstellen, speziell im Neuen Testament, auch vom Geist die Rede und von Geistern. Psalm 3,6 z. B. lautet: »In deine Hände befehle ich meinen Geist.« Luk. 8,55: »Und ihr Geist kam wieder, und sie stand alsobald auf.« Im Katholizismus spricht man zwar von »armen Seelen«, meint an sich aber die Geister jener Verstorbenen, die sich im Erdenleben belastet haben und deshalb »erdverhaftet« blieben, d. h. nicht loskommen vom seelischen Anziehungsbereich des Irdischen.
Im Jahre 869 geschah etwas, dessen Folgen im abendländichen Denken noch heute nachwirken: Beim VIII. Ökumenischen Konzil zu Konstantinopel wurde die alte Dreigliederung von Leib, Seele und Geist verworfen und der Geist als Wesensbestandteil des Menschen quasi »abgeschafft«. Der Mensch bestand nunmehr bloss noch aus dem Körper und einer sündigen Seele, und wollte er letztere für die Ewigkeit retten, so war er auf die kirchlich verwalteten Gnadenmittel angewiesen.
Dieser verhängnisvolle Konzilsbeschluss hatte schliesslich auch die Trennung der Ostkirche von der Westkirche zur Folge.
Bei der wirklichkeitsfremden Zweigliederung des Menschen blieb es in der christlichen Theologie bis in die Gegenwart, und nur auf diesem Boden konnte die aller Erfahrung hohnsprechende materialistische »Ganztodtheorie« entstehen. In der Meinung, Körper und Seele seien eine untrennbare Einheit, besagt diese Theorie, dass der Mensch beim Tode total stirbt, samt Leib und Seele, und erst irgendwann einmal, am »Jüngsten Tage«, auferweckt wird, um gerichtet zu werden. Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass die Seele anatomisch noch nie nachgewiesen werden konnte. Deshalb wird sie von der Wissenschaft bestenfalls als Hypothese akzeptiert; aber auch nur im Sinne materialistischen Denkens, nämlich solange der Körper biologisch lebt.
Die alten Griechen sprachen von einem Soma physikon (Fleischkörper), vom Soma psychikon (Seelenkörper) und dem Soma pneumatikon (Geistkörper). Demgemäss unterscheiden sie drei menschliche Grundtypen: Pneumatiker (Geistmenschen), Psychiker (Seelenmenschen) und Sarkiker (Körpermenschen). Pneumatiker sind solche, deren Denken im Geistigen wurzelt. Bei Psychikern spielt sich das Wesentliche ihres Menschseins im Seelischen ab; sie sind weitgehend gefühlsbetont und vom Gefühlsleben abhängig, nicht wissend »dass nur die leidenschaftslos gewordene Seele dem Geistigen voll geöffnet ist.« (Fussnote 4). Die Sarkiker schliesslich sind Leute, die sich zumeist für Realisten halten und versichern, nur das zu glauben, was sie sehen. Wenn sie einsehen würden, dass nur derjenige als wahrer Realist gelten kann, der auch den sinnlich nicht wahrnehmbaren Teil der Schöpfung mit in sein Weltbild einbezieht, würde ihnen ein »Licht« aufgehen.
Die Seele definieren zu wollen ist schwierig. Wenn wir bei der vereinfachenden Dreiteilung bleiben wollen, so ist unsere Seele vor allem als Bindeglied zu betrachten zwischen Geist und Körper. Dem recht aufschlussreichen »Buch Emanuel« (Fussnote 5) zufolge ist die Seele als Bindeglied zu verstehen, das es ermöglicht, dass der Geist sich mit der Materie zu einer Einheit, Mensch genannt, verbindet. »Ohne ein solches Bindeglied wäre die vollkommene Vereinigung von Geist und Materie ausgeschlossen.«
Unsere Seele dürfen wir ferner kennzeichnen als Summe der feinstofflichen Körper und Prinzipien, die wir in uns tragen und die Wesensbestandteile von uns sind. Dass der Seele darüber hinaus organisierende Fähigkeiten zukommen, wussten schon griechische Denker. Prof. Harold Burr stellte 1935 fest, dass alle lebende Materie, von der Keimzelle angefangen bis zum ganzen Menschen, von elektrodynamischen Feldern umgeben ist und durch sie kontrolliert wird. Diese Energiehülle ist eine Art elektronische Gussform. Während sich der Körper erneuert, sorgt dieses Krahfeld dafür, dass die neuen Gewebe die geeignete Form annehmen. Unser Ich (Geist) kann das Kraftfeld um den Körper beeinflussen. (Fussnote 6) Damit fand sich bestätigt, was schon die Stoiker, die Epikureer, Homer, Origenes und viele andere als richtig empfanden, nämlich dass die Seele das organisierende Prinzip in jedem Lebewesen darstellt und von halb- bzw. feinmaterieller Beschaffenheit ist. Wissenschaftlich formuliert, wäre die Seele »ein persönlicher Komplex psychischer Energie mit selbsttätigem Informationsverarbeitungssystem«. So gewunden musste man sich auch im Ostblock ausdrücken, wenn man die Seele, die es laut offizieller Lehre nicht gibt, umschreiben wollte: Sie ist ein »individueller energetischer Informationskomplex«.
Der russische Forscher Alexander Aksakow fasste die Seele nicht als blosse Funktion des physischen Organismus auf, sondern als selbständig vom Körper unterschiedene, über die Peripherie desselben hinauswirkende Substanz, die nicht Produkt, sondern Produzent des Körpers ist und der demzufolge Präexistenz und Postexistenz zugesprochen werden muss. Carl du Prel sagte: »Die Seele ist nicht identisch mit unserem Bewusstsein, sondern liegt ausserhalb desselben; sie ist auch nicht bloss ein psychisches Element, sondern ein Kraftzentrum, welches sowohl denkt als auch organisiert.« (Fussnote 7) In einer Stellungnahme »von drüben« heisst es: »Wir verstehen unter Seele die Gesamtheit der bewegenden Kräfte; unter Geist die Intelligenz. Dieser tritt im Schlaf, wie in jedem bewusstlosen Zustande, aus dem Körper heraus, während die Seele die Weiterführung der Körperfunktionen besorgt.« (Fussnote 8)


Anmerkungen »Zur Wesensstruktur des Menschen«
Fussnote 1: Surya bemerkt hierzu, man könne diese sieben Prinzipien auch als sieben Oktaven eines Musikinstruments denken: Die ewige Melodie des unsterblichen Lebens klingt in den höheren Oktaven ungehindert weiter, wenn auch die unteren vier Oktaven zeitweise wegfallen. Dieses Gleichnis mit den Oktaven ist auch deshalb passend, weil jede Ebene des Universums - den Geheimlehren zufolge - wieder aus sieben Unterabteilungen besteht. Jedem Prinzip im Menschen (Mikrokosmos) entspricht ein gleiches im Makrokosmos. Mithin hat auch der Kosmos sieben Ebenen. (Surya, »Der Mensch im Spiegel der Schulweisheit und im Lichte der Geheimwissenschaft«, Lorch 1935, S. 75.)
Fussnote 2: IMAGO MUNDI, Band 6, »Paranormale Heilung«, Innsbruck 1977, S. 313.
Fussnote 3: Zitiert nach der »Zeitschrift für Spiritismus«, Jg. 1900, 8.
Fussnote 4: Arthur Schult, »Vom übersinnlichen Wesen des Menschen«, Bietigheim 1966, S. 70.
Fussnote 5: Bernhard Forsboom, »Das Buch Emanuel«, München o.J., S. 110.
Fussnote 6: Ostrander/Schroeder, »PSI«, München 1971, S. 78.
Fussnote 7: Carl du Prel, »Der Spiritismus«, Reclam-Universal-Bibliothek Nr. 3116, S. 36.
Fussnote 8: Robert Friese, »Stimmen aus dem Reich der Geister«, Leipzig, 2. Aufl. 1880, S. 26.



[ Startseite ]  -   [ Bücher/Artikel ]  -   [ Passian: Inhalt ]  -   [ Home ]  -   [ Zurück ]  -   [ Weiter ]  -   Download -  Kontakt -  © Wegbegleiter

"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"