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Renatus-Verlag in Lorch (Württemberg) Alle Rechte vorbehalten Copyright by Renatus-Verlag, Lorch (Württ.) 1929

Friedrich Funcke : Christentum als Weltanschauung und Lebenskunst

4. Kapitel

Der Geisterfall - Eine neue Schöpfungsgeschichte

"Pure Theorie hört sich schön an, lieber Freund, aber da wir in solchem Denken wenig geübt sind, würden wir sie besser verstehen, wenn ihr sie mehr im Einzelnen und an greifbaren Beispielen erklären würdet. Lasst euch also nicht verdriessen, unserem schwachen Verständnis nachzuhelfen."
"Und ich", sagte Mechthildis, "ich möchte gern wissen, wie ihr nun das apostolische Glaubensbekenntnis erklärt; was davon Wahrheit, was Irrtum ist. Ich verstehe gut, dass ihr an dieser Klippe gescheitert seid, denn auch mir erscheint manches so unklar und unglaubhaft, dass ich, wenn ich heute darauf konfirmiert werden sollte, dies verweigern müsste."
"Mir liegen einige theoretische Fragen am Herzen", sagte Hallerstede, den Wunschzettel der Frauen abschliessend, "Fragen, die ich vor andern gern beantwortet hätte, da sie, wie mir scheint, zu den Grundlagen des Gebäudes gehören. Wenn Gott nicht Menschen schuf, sondern Geister: wie und warum kamen sie in die Materie, will sagen: warum wurden sie Menschen? Wenn sie als Geister Gottes Gebot übertraten, also sündigten: warum sühnen sie nicht als Geister? Das sollte doch auch möglich sein. Und dann: woher kam die Materie? War sie von Ewigkeit her neben Gott vorhanden, unerschaffen wie er, oder ist sie geschaffen worden?"
"Ich bezweifle, dass ich die Frage nach der Entstehung der Materie zu deiner Zufriedenheit beantworten kann; sie gehört zu den schwierigsten Fragen der Philosophie, die grössten Denker haben ihren Scharfsinn daran versucht und nicht mehr erreicht als einige mehr oder minder brauchbar scheinende Hypothesen, und ich kann dir gewiss nicht mehr und besseres geben. Ich kann nur die allgemeine und gar nicht neue Theorie wiederholen, dass Materie verdichteter Äther zu sein scheint (Fussnote 4), etwa so, wie Eis verdichteter Wasserdampf ist. Anders kann ich das Verhältnis von Geist und Materie nicht verständlich machen, ich meine aber, dass dies Gleichnis zum Verständnis notdürftig genügen wird. Ich weiss wohl, dass Geist, Kraft, Stoff, Äther nur Worte sind für Dinge, deren wahres Wesen uns immer noch dunkel ist, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft. Aber wir bedürfen der Worte, um die Dinge zu bezeichnen."
"Ich lasse diese Erklärung vorläufig gelten in Ermangelung einer bessern, aber dann erscheint die Frage: woher kommt all der Geist?"
"Auch eine interessante Frage, aber wenn wir uns darin vertiefen, so kommen wir nicht weiter als zu der Einsicht, dass unserem Erkennen gewisse Schranken gesetzt sind, die wir mit unseren derzeitigen Erkenntnismitteln nicht zu überschreiten vermögen. Übrigens sind diese Fragen nicht so wichtig wie die Frage, warum der Geist in die Materie gekommen [ist]. Darauf glaube ich bessere Antwort geben zu können. Der Geist, der die göttliche Ordnung verlässt und eigene Wege der Torheit und Sünde geht, vergröbert seine fluidische Hülle, welche dadurch materieller und schwerer wird als sie ist im Zustande ungetrübter Reinheit vor dem Falle. Durch diese Vergröberung wird sie ähnlicher den Fluiden der Materie, fühlt sich zu ihr hingezogen kraft der Anziehung des Gleichen oder Ähnlichen. Diese Anziehung begünstigt die Verbindung des Geistes mit der Materie und ist sozusagen ihre äussere, materielle Seite. Die innere, geistige Seite beruht auf der Gnade oder Liebe Gottes. Gott lässt den Geist, der in Irrtum und Sünde fiel, nicht verloren gehen, sondern gibt ihm Mittel und Wege, seinen Irrtum wieder gut zu machen, und dieses Mittel ist eben die Einverleibung in einen Menschenkörper. Da der Geist den kürzeren, leichteren und leibfreien Weg des Gesetzes verfehlte, indem er seine Intelligenz und seinen Willen nicht richtig gebrauchte, muss er nun den schwereren und längeren Weg durch die Materie, also durch die Menschwerdung gehen. Die Materie ist träge, bietet dem Geist Hindernisse und Fesseln mancherlei Art, und um sie zu überwinden und die Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen, muss der Geist, nun als Mensch, seine Intelligenz und seinen Willen anstrengen. Das Menschsein mit seinen Leiden schärft die Intelligenz des Geistes mehr und mehr, bis er endlich, den richtigen Weg erkennend und freiwillig das Rechte tuend, dieser harten, schweren Schule nicht mehr bedarf und als freier Geist, ohne Einverleibung, sich weiterbilden kann in den verschiedenen Welten des Alls. Das ist, kurz gesagt, die Ursache, dass der Geist sich mit der Materie verbindet."
"Dann sind wir also alle gefallene Geister?"
"Ja, wir alle haben den rechten Weg verfehlt."
"Gibt es auch Geister, welche nicht fallen, und wenn es welche gibt, warum fallen sie nicht, da Gott sie doch, wie ich annehme, alle gleich geschaffen hat? Er muss sie gleich geschaffen haben und ihnen gleiche Möglichkeiten gegeben haben, da es mit seiner Gerechtigkeit unvereinbar wäre, wenn er dem einen mehr gäbe als dem andern."
"Es gibt auch Geister, die im Gesetz bleiben, die nicht fallen und sich als freie Geister fortbilden, ohne sich in einen materiellen Körper einzuverleiben. Zwischen der Erschaffung und dem Fall liegt eine lange Zeit, in welcher die jungen Geister langsam heranreifen und ihre Intelligenz und Individualität ausbilden unter Leitung und Belehrung durch höhere Geister. Allvater schickt seine Kinder nicht unvorbereitet in die Welt, wie so viele Menscheneltern tun. Erst wenn die jungen Geister eine gewisse Stufe oder Reife erlangt haben, so dass sie verantwortlich sein können für die Folgen ihres Tuns, treten Versuchungen an sie heran, und je nach der Art und Stufe ihrer Intelligenz und Individualität widerstehen oder erliegen sie der Versuchung. Gott gibt die Intelligenz und die Individualität und die Mittel zu ihrer Ausbildung, der rechte Gebrauch dieser Gaben und Mittel ist eigenes Werk des Geistes, und folglich ist auch sein Fallen oder Nichtfallen sein eigenes Werk, ist in ihm selbst begründet. Obgleich wir die besonderen Umstände unseres Falles nicht kennen, dürfen wir, in Anbetracht der Weisheit und Gerechtigkeit Gottes, überzeugt sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht und dass die Prinzipien von Gottes Schaffen: Liebe, Weisheit und Gerechtigkeit, vom Schöpfer selbst nicht verletzt werden."
"Ganz klar ist mir die Sache nicht", sagte Hallerstede, "die Worte sind klar, und doch ist mir der Sinn verborgen, denn ich verstehe nicht, wie ich trotz der Belehrung durch höhere Geister so töricht sein konnte, den unrichtigen Weg zu gehen. Hier liegt der dunkle Punkt meines Daseins, den ich ergründen möchte."
"Solange der Geist das Erdenkleid trägt, ist es vergebliche Mühe, die besonderen Umstände unseres Falles genau zu erforschen zu wollen, da alle Verbindungen dazu fehlen und wir ausserdem eine zutreffende Erklärung gar nicht verstehen würden, denn es gibt im Jenseits Zustände, die wir uns nicht vorzustellen vermögen, ja sie können uns nicht einmal getreu beschrieben werden, da unserer Sprache die Worte, unserem Denken die Begriffe und Vorstellungen dafür fehlen. Es muss uns genügen, zu wissen, dass wir gefallen sind. Aber auch dieses Wissen ist wertvoll. Einen Irrtum erkennen ist der erste Schritt, ihn wieder gut zu machen; der Weg aber, der uns aus Sünde, Leid und Not herausführt, ist die Erkenntnis und Befolgung der göttlichen oder moralischen Weltordnung, d.h. zu wissen, nach welchen Grundsätzen Gott die Welt ordnet und leitet. Ich nannte vorhin diese Grundsätze, und da ihr nicht widersprochen habt, so nehme ich an, dass auch ihr sie billigt. Kein vernünftiges Wesen möchte auf einen dieser Grundsätze verzichten, schätzt sie im Gegenteil als höchst wertvoll und unerlässlich. Sogar die Menschen, welche nicht geneigt sind, andere Menschen gütig, gerecht und weise zu behandeln, möchten selbst doch gütig, weise und gerecht behandelt werden. Es kann also keinen Zweifel darüber geben, dass alle Menschen diese Grundsätze als Grundlagen der moralischen Weltordnung anerkennen, und so wäre eine allgemeingültige Unterlage gefunden, auf welcher wir weiter forschen und verhandeln können, ohne befürchten zu müssen, dass wir aneinander vorbeireden."
"Gegen diese Grundsätze lässt sich vernünftigerweise nichts einwenden, aber gespannt bin ich doch, wie du sie in der Weltordnung aufzeigen willst."
"Ich gebe zu, dass es bisher sehr schwer, sozusagen unmöglich war, das Walten dieser Grundsätze und ihre gegenseitige Verknüpfung klar zu erkennen, weil die Menschen von der Materie ausgingen anstatt vom Geiste, und weil sie der winzigen Erde und dem winzigen Menschenleben auf ihr eine masslos übertriebene und zudem unrichtige Bedeutung beilegten, aber das Problem ist lösbar, wenn man es richtig stellt. Gott ist die Ur-Sache, das Ur-Wesen, die Geister sind Wirkung; die Menschen sind Folge des Geisterfalles, das Leid aber und das Böse sind das Werk der unvollkommenen Geister und Menschen. Gott hat das Leid und das Böse nicht geschaffen, aber er vernichtet es nicht, weil sie das Mittel sind, durch welches der gefallene Geist seinen Fall wieder gut machen kann, indem er an ihnen seinen Irrtum erkannt und infolgedessen umkehren kann. So dient auch das Leid und das Böse den Absichten Gottes, und darin offenbart sich die hohe Weisheit des Schöpfers. Ob Gott unter den möglichen Welten die beste oder eine minder gute ausgewählt hat, worüber einige Philosophen gegrübelt haben, ist eine müssige Frage, da wir mit allem Spekulieren hierüber nichts ausmachen können; nicht müssig aber ist die Frage, ob die Weltordnung auf unangreifbaren und als allgemeingültig anerkannten Grundlagen ruht. Die Weltordnung muss den höchsten Anforderungen der Vernunft genügen, und ferner muss auch das Leid und das Böse aus ihr vernünftig zu erklären sein, denn diese Frage geht uns alle an, da jeder mit dem Leid und dem Bösen irgendwie zu tun hat. Eine Weltanschauung, die das Leid und das Böse nicht vernünftig erklären kann, verfehlt ihren Zweck. Sie mag glänzend und tiefsinnig scheinen und oberflächlichen Menschen gefallen - wir haben Beispiele dafür - , aber sie zerschellt am Felsen des Leides und des Bösen."
"Machen wir die Probe", sagte Hallerstede. "Ich kann es mit der Liebe Gottes nicht vereinbaren, dass er Menschen, die ihn um Hilfe anrufen, elend umkommen lässt, wie bei jenem Ausbruch des Vesuv, und auch von der Gerechtigkeit sehe ich nichts. Deine Theorie ist gut, aber ich vermisse ihre Bewährung in der Praxis."
"Es ist wahr, dass jemand, der das X der Lebensgleichung nicht kennt, deine unbequeme Frage nicht befriedigend beantworten kann. Ich sagte, dass der Geist früher existiere als der Körper und dass der Mensch ein einverleibter Geist sei. Kann nun aber der Geist vor der Geburt des Menschen ohne Körper existieren, so kann er es auch nach dem Tode des Körpers, und kann er sich einmal einverleiben, so kann er es auch mehrmals tun, denn die wiederholte Einverleibung ist nicht wunderbarer als die einmalige. Ich sagte ferner, dass die Verbindung des Geistes mit dem Körper ihm ein Mittel sei, seinen Irrtum wieder gut zu machen. Wenn du nun bedenkst, dass zahllose Menschen in einem Erdenleben dies Ziel nicht erreichen und meist nur geringe moralische Fortschritte machen oder, was auch vorkommt, gar keinen - ich brauche dies wohl nicht besonders zu beweisen, - so verstehst du leicht, dass der Geist vieler Einverleibungen bedarf und dass also jede Einverleibung, mit Ausnahme der ersten, nur eine Folge, eine Auswirkung der vorhergehenden ist, in dem Sinne, dass die guten und unguten Taten des Menschen ihre entsprechenden Folgen im nächsten Erdenleben finden. Nun ist eine unbestreitbare Tatsache, dass viele Menschen schweres Unrecht in dem jeweiligen Erdenleben nicht sühnen, aber da die Gerechtigkeit Sühne verlangt, so geschieht diese Sühne in einem folgenden Erdenleben. Wohlverstanden: es ist der Geist, welcher sündigt und sühnt durch den Körper, der nur Werkzeug, nur Mittel zum Zweck ist. Immer muss der Geist die Sühne leiten, ob in diesem oder in einem folgenden Erdenleben, ändert nichts an der Gerechtigkeit. Die Sühne soll also der Gerechtigkeit Genüge tun und auch den Fortschritt des Geistes fördern. Es gibt Einverleibungen, die nur Sühne sind, es gibt andere, die nur Aufgabe sind, und viele sind beides zugleich. Der Geist bekommt die Einverleibung, die seiner Sühne oder Aufgabe gemäss ist. Wenn nun jene Menschen in der Kirche eines grausigen Todes starben, so darfst du versichert sein, dass sie eine schwere Schuld aus früherem Erdenleben zu sühnen hatten, denn ohne solche Schuld wären sie nicht in diese furchtbare Lage gekommen. Die Gerechtigkeit der moralischen Weltordnung, die keinen, aber auch keinen Übeltäter entschlüpfen lässt, sie verhindert auch, dass ein Unschuldiger ungerecht leidet, es sei denn, dass er das Leiden, eine Einverleibung zu einem besonderen Zweck freiwillig übernommen habe. In diesem Falle leidet er zwar ohne Schuld, aber nicht ungerecht, da ja das Leiden seine freie Wahl ist."
"Ein erfreulicher Gedanke, dass kein Übeltäter der Gerechtigkeit entschlüpft; besonders erfreulich im Hinblick auf die Anstifter des Weltkrieges. Aber wie geht das zu? Gibt es da ein Straf- und Sündenregister wie in unserer Justiz? Und wer führt es?"
"Der Geist, ob einverleibt oder nicht, entgeht den Folgen seiner Tat darum nicht, weil all sein Denken und Tun, ob gut oder ungut, seine fluidische Hülle entweder verfeinert oder vergröbert, sich gleichsam in das Wesen des Geistes eingräbt, als gesetzliche Folge nach göttlicher Ordnung; es formt seinen Charakter. In dem Worte Charakter liegt ein tiefer Sinn: es bedeutet nämlich das "Eingegrabene", also das, was der Mensch in sein innerstes Wesen eingegraben hat, das, was er aus sich gemacht hat. So führt der Geist sein Sündenregister, sein Soll und Haben immer bei sich; er ist sein eigener Buchhalter, und zwar ein solcher, der niemals, auch nicht beim abgefeimtesten Betrüger, eine falsche, betrügerische Eintragung macht, da immer seine Absicht, seine Gesinnung die Art der Eintragung bestimmt. Die fluidische Hülle des Geistes - seine Seele - gleicht der Phonographenplatte; wie hier die Tonwellen, so graben dort Denken und Tun ihre Spuren getreu ein; hat der Geist hässliche Gedanken und Taten in seine Seelenplatte eingegraben, so tönen sie ihm später unangenehm zurück. Will er Leid vermeiden, wünscht er eine angenehme Ernte, so muss er Gutes denken und tun. Der Geist ist selbst seines Glückes oder Unglückes Schmied im wahren Sinne des Wortes. Darin liegt Freiheit und Gerechtigkeit; denn er kann wählen, was er will, und er bekommt, was er verdient. Dass aber auch die Torheiten des Geistes ihm schliesslich zum Glück dienen und jeder Geist ohne Ausnahme die Vollkommenheit und Seligkeit erreichen kann, darin liegt Weisheit und Liebe."
"Wenn man aber die Erde", fuhr Friedmar fort, "die Erde, dies winzige Teilchen für das Ganze nimmt, wenn man das Dasein als mit der Geburt beginnend und mit dem Tode endigend vermeint, dann allerdings scheint das Erdenleben ein grausamer Unsinn zu sein, voll empörender Ungerechtigkeit und wahrlich nicht wert, gelebt zu werden. Aber wir brauchen dieser trostlosen Ansicht nicht zuzustimmen. Ich nannte vorhin die Wiedereinverleibung des Geistes das X der Lebensgleichung, und das ist sie in der Tat; wenn man dieses X in die Rechnung einsetzt, geht sie auf und es lösen sich zahllose Rätsel und Probleme, die sonst ungelöst blieben. Weder der Materialist noch der Kirchengläubige vermag den grausigen Tod jener Menschen in der Kirche befriedigend zu begründen. Der "unerforschliche Ratschluss Gottes", den die Kirchengläubigen anführen könnten, mag in anderen Fällen gelegentlich als Erklärung brauchbar sein, wenn man sich damit begnügt, eine Dunkelheit durch eine andere zu erklären; in jenem Falle darf man diese Phrase nicht anwenden, denn sie wäre Spott und Hohn. Der Materialist aber, wenn er überhaupt etwas sagen wollte, könnte nur von Torheit und Unwissenheit reden, die beseitigt werden müsste. Gewiss, das müssten sie, aber eine Erklärung ist das doch nicht."
"Theoretisch scheint diese Erklärung einleuchtend zu sein, aber ist sie auch beweisbar?"
"Beweisbar im strengen Sinne, also durch das Experiment, ist sie nicht, ich will sagen: jetzt noch nicht, so wenig wie das Dasein Gottes; man kann sie nur logisch begründen, dies aber in einer Weise, dass die Wahrscheinlichkeit an Gewissheit grenzt. Durch besondere Gunst der Umstände habe ich erfahren, wer ich in meinem vorigen Erdenleben war; aber wenn ich selbst dies Wissen auch für Wahrheit halte aus guten Gründen, auf die ich hier nicht eingehen möchte, so ist meine persönliche Überzeugung noch kein Beweis für dich. Die Lehre von der Wiedereinverleibung ist eine, ich möchte sagen, subjektive Wahrheit, von der man wohl selbst überzeugt sein kann, die man aber einem andern nicht zu beweisen vermag. Man muss hier nach allgemeinen Gründen urteilen. Der Wert einer Hypothese steigt mit der Anzahl der Fragen, die sie restlos zu beantworten vermag, und hier ist diese Anzahl gross, sehr gross, und es sind gerade die schwierigsten Fragen, die durch diese Hypothese ihre Lösung finden, wie das Beispiel zeigt. Ich kann die Frage der Wiedereinverleibung des Geistes hier nicht erschöpfend behandeln, dazu würde ich ein grosses Buch reden müssen; ich schlage dir vor, sie als Hypothese zu nehmen und zu sehen, was sie zu leisten vermag. Du müsstest einen schwachen Verstand haben und wenig Verständnis für den Zusammenhang der Dinge, wenn sie dir nicht schliesslich zu steter Überzeugung würde. Ich will deinem Wunsche nach weiterer Begründung nicht ausweichen und bin bereit, einige Probleme des Lebens im Lichte dieser Theorie zu erörtern, aber diese Frage in ihrem ganzen Umfange aufzurollen geht jetzt nicht an. Auch bemerke ich Zeichen der Ungeduld bei deiner Tochter, sie wird wohl auch etwas zur Sache sagen wollen."
"Aber eine Frage hätte ich jetzt noch gern beantwortet, nämlich: warum wissen wir nichts von unserem früheren Erdenleben? Dieses Erinnern würde das Problem sehr vereinfachen, scheint mir."
"Es scheint nur so, denn diese Kenntnis der Vergangenheit hätte auch Nachteile, und diese wären grösser als der Nutzen. Das hat schon Lessing intuitiv erkannt, als er sagte: "Wohl mir, dass ich es vergessen habe. Die Erinnerung an die Vergangenheit würde mir nur einen schlechten Gebrauch von der Gegenwart zu machen erlauben. Und was ich jetzt vergessen habe: habe ich das auf ewig vergessen?" Ich füge hinzu, dass wir schon den grössten Teil des jetzigen Erdenlebens vergessen, besonders die frühe Kindheit, sodass es nicht erstaunlich ist, dass wir uns auch einer viel, viel weiter entfernten Vergangenheit nicht mehr erinnern. Es gibt noch einen anderen Grund, der das Vergessen der Vergangenheit als eine Wohltat erscheinen lässt. Denke dir, du wärst im früheren Erdenleben ein harter, böser Mensch gewesen und hättest in diesem Leben dafür zu sühnen in der Art, dass du im mittleren oder späteren Alter ein Krüppel werden müsstest: wäre es dir angenehm, diese Vergangenheit zu kennen und zu wissen, dass dir noch eine harte Sühne bevorstehe? Ich brauche nichts weiter zu sagen, du verstehst mich, und du verstehst auch, dass Gott auch diese Sache weise geordnet hat. Ausserdem betrifft dies Vergessen nur den Menschen; der Geist, nach dem Leibestode, bekommt die Erinnerung an seine Vergangenheit, wenn dieses Wissen zu seinem Fortschritt nötig ist."
"Mir fällt es nicht schwer, die Lehre von der Wiedereinverleibung des Geistes für wahr zu halten", sagte Mechthildis. "In Asien bekennen sich viele Millionen Menschen zu ihr, und ich sehe nicht ein, warum sie nicht ebenso wahr sein könnte wie unsere Ansicht, dass wir nur einmal auf der Erde leben. Der Gedanke, dass auf ein kurzes Erdenleben die ewige Hölle folgen solle, war mir schon seit der Schulzeit unangenehm infolge eines Erlebnisses, das einen tiefen Eindruck bei mir hinterliess. Eine Mitschülerin war jung gestorben, und nun hörte ich von den Kindern einiger frommer Leute, dass sie in der Hölle sei, weil sie als Kind freireligiöser Eltern weder getauft noch konfirmiert war. Mir wollte es nicht einleuchten, dass ein lieber, guter Mensch, der sicher nichts Böses getan hatte, ewig verdammt sein sollte, und ich befragte den Pfarrer, der uns in der Christenlehre unterrichtete. Dem war die Frage unangenehm, er gab eine ausweichende Antwort, die ich nicht klar verstand, und verwies mir solche vorwitzigen Fragen. Heute weiss ich, warum. Was ich damals nur ahnte, erkenne ich heute deutlich. Kann denn ein Mensch so gut oder so böse sein, dass er mit einem Erdenleben einen ewigen Himmel oder eine ewige Hölle verdient? Ich finde weder Liebe, noch Weisheit, noch Gerechtigkeit darin und wundere mich, wie die Theologen die Lehre von der ewigen Hölle mit der Liebe Gottes in Einklang bringen können. Einige sind ganz versessen auf die Hölle, wenn sie für andere in Betracht kommt. Mit dem ewigen Himmel kann man ja wohl zufrieden sein, aber ewig in einer Gegend mit einem ungesunden und unangenehm heissen Klima leben zu müssen, das ist doch ein garstiger Gedanke. Im Mittelalter konnte eine solche Lehre geglaubt werden, heute ist sie veraltet und wird wahrscheinlich auch von den meisten Theologen nicht mehr geglaubt. Ich möchte den gelehrten Herren solche Beschränktheit nicht zutrauen. Aber nun zu etwas anderem. Ihr wisst schon, Friedmar, was ich von euch hören möchte, nämlich, wie ihr zum kirchlichen Glaubensbekenntnis steht."
"Diese Frage lässt sich nicht mit wenigen Worten erledigen. Es wird nötig sein, das Glaubensbekenntnis wörtlich durchzunehmen und die Sätze einzeln zu besprechen. Wisst ihr sie noch auswendig?"
"Ich glaube es noch zu wissen, und wo ich vergessen habe, da helft ihr nach.
"Ich glaube an Gott den Vater, allmächtiger Schöpfer von Himmel und Erde."
"Gegen den Satz ist nichts einzuwenden, wenn man ihn so versteht, dass Gott das schaffende Urwesen, der Weltenbaumeister ist, im Sinne eines bekannten Beispiels zu sprechen. Ob er nun die Welten selber geschaffen hat, oder ob geringere Geister sie unter seiner Leitung geschaffen haben, ist nicht wichtig und bleibe hier unerörtert."
"Und an Jesum Christum, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria."
"Da haben wir die Lehre von der Dreieinigkeit mit ihrer unmöglichen Logik und andern unglaubhaften Behauptungen. Wer ist eigentlich Christus? Ist er der dritte Teil Gottes, eine Person für sich und trotzdem eine Person mit dem Vater und dem heiligen Geiste? Ich habe das nie begreifen können!"
"Die Theologen sagen, dass die Dreieinigkeit zu den Unbegreiflichkeiten Gottes gehöre, womit sie eingestehen, dass sie selber diese Lehre auch nicht begreifen, was sie aber nicht hindert, andern Menschen diese Lehre mit mehr oder minder sanftem Zwang aufzunötigen. Christus hat diese Dreieinigkeit nicht gelehrt, und im Neuen Testamente ist diese Lehre in dieser Form nicht zu finden. Trotzdem liegt ihr ein wahrer Kern zugrunde, der aber sehr missverstanden worden ist. Um diesen Kern zu zeigen, muss ich weiter ausholen."
Friedmar zog ein Heft aus der Tasche und fragte: "Könnt ihr schnell schreiben oder stenographieren? Es scheint mir ratsam, das, was ich nun vorlesen will, aufzuzeichnen."
"Mechthildis ist mein[e] Privatsekretär[in]", sagte Hallerstede, "kann stenographieren und maschinenschreiben."
"Vortrefflich!" Nun hört:

[Anm.d.Erf.: Hier beginnt die Zusammenfassung der Schöpfungsgeschichte des Buches: "Geist-Kraft-Stoff"]

"Die Zeit ist gekommen, wo euch Klarheit gegeben werden muss, wo die verschiedenen Stücke der Wahrheit zu verschiedenen Zeiten euch gegeben, von euch gesammelt, nun von uns zusammengefügt und euch in ihrem Zusammenhang gezeigt werden müssen. Was wahr ist, muss sich verbinden, und so Stein an Stein gelegt, muss der Bau sich erheben, der von der Erde bis zum Himmel reicht, Schöpfer und Schöpfung verbindend. Von diesem Schöpfer wollen wir zeugen, und wir reden hier in erster Linie zu euch Menschenbrüder, die ihr wisst, dass euer Gott lebt; euch wollen wir ihn zeigen, wie wir ihn sehen. Euch Menschenbrüder aber, die ihr euch weigert, an eine erste Ursache - Gott - zu glauben, die ihr die Wirkungen für die Ursachen haltet, ihr müsst eben warten, bis diese erste Erkenntnis euch geworden ist, bevor wir euch weiteres geben können. Ihr sucht nur in der Materie, aber auch in der Materie ist Geist, und dieser Geist wird sich erheben und wird mit leuchtendem Finger hinweisen zum Urgeist - Gott - von dem er ausgegangen. Und Gott kann warten, bis diese Zeit kommt, denn er ist ewig.
Euch aber, ihr lieben Menschen alle, die ihr einen Gott anerkennt, ob ihr nun den Vater gefunden, oder ob ihr nur den Schöpfer seht in der Schöpfung, den Geist seht in der Materie: euch möchten wir ihn zeigen, so wahr, als ihr ihn zu erkennen vermöget. Und erkennen könnt ihr ihn nur in seinen Werken, das Zeugnis der Werke müsst ihr nehmen, die Verbindung der Schöpfung mit dem Schöpfer muss euch zeigen, was er ist. Wenn jemand fern ist von euch und ihr ihn nicht sehen könnt, ihn aber gerne kennen möchtet, so müsst ihr seine Werke und Taten betrachten, um aus ihnen seine Gedanken zu erkennen. Habt ihr das getan, so könnt ihr einen solchen Menschen nicht mehr fremd nennen; ihr kennt ihn und ihr könnt ihn lieb gewinnen. So, liebe Menschen, müsst ihr euren Gott zu erkennen suchen.
Alles ist so klar, so logisch; ein Aufbau ohne Fehler, ein Kristallpalast, durchsichtig, ohne dunkle, verborgene Ecken. Gott ist! Nichts kann ohne Ursache sein, also muss auch euer Leben eine Ursache haben, einen Quell, dem es entsprang. Diese Ursache ist Gott, ihr mögt sie nun nennen, wie ihr wollt: Vater, Gottheit, Naturkraft, Lebenszentrum - Namen ändern keine Tatsache, und alle diese Namen gehören Ihm. Ihr nehmt nur ein Stück aus seiner Vollkommenheit, mit der Zeit wächst eure Erkenntnis und ihr fügt die Stücke wieder zusammen. Gott aber ist derselbe, der er war und sein wird. O, wenn wir euch zeigen könnten, wie Gott liebt! Aber wir müssen bei der Schöpfung bleiben, um euch den Schöpfer zu zeigen, und wenn ihr seine Werke versteht, so müsst ihr sehen und fühlen, wie er euch immer liebt.
Da sagen die einen, er ist eine Kraft, von der alles ausgeht; diese Kraft hat ewige Gesetze aufgestellt, und nach diesen Gesetzen geht die Weltenuhr, und keine Liebe, keine Gnade kann hindernd in diese Räder eingreifen. Und andere wähnen ihn erzürnt und sehen den rächenden Gott in ihm und fühlen Furcht statt Liebe. Und wieder andere fühlen, dass er ein Vater sein muss, und sind zufrieden, unverstanden beiseite zu legen, was sich damit nicht in Einklang bringen lässt, und wie die Athener in alten Zeiten bauen sie Altäre "dem unbekannten Gott", empfunden, aber nicht erkannt.
Wir aber sagen euch, er ist Urlicht, Urleben, Urkraft, vor allem aber: er ist Liebe. Und das Licht, das ausgeht von diesem Urlicht, das Leben, das ausgeht von diesem Urleben, die Schöpfung, die entsteht aus dieser Urkraft: sie alle werden geleitet, gehalten, geführt von dieser Liebe. Und nun sucht, liebe Menschenbrüder, ob ihr in meinen weiteren Worten nicht den klaren, logischen, Stufe für Stufe sich aufbauenden Beweis dieser Liebe findet. Eines Suchens ist es doch wert, nicht wahr?
Gott war, und seine Folge war die Schöpfung. Aus der Hand des Vollkommenen konnte nur Schönes hervorgehen, also waren die Geister-Erstlinge rein, unschuldig, schön. Der Keim alles Guten lag in dem gottgeschaffenen Geiste, also auch der Keim der Liebe. Und Gott wusste, dass, wenn diese Liebe stark geworden, sie sich sehnen werde, etwas zu haben, das kostbar sei und zugleich ihr freies Eigentum, damit sie es geben könne dem, der ihr alles gegeben. Da aber ein Sehnen ohne Befriedigung undenkbar ist in der Vollkommenheit, die Gott von Anfang an seiner Schöpfung bestimmte, so gab er jedem Geiste den freien Willen als höchstes Gut. Die Liebe ist das Göttlichste im Geiste, da sie Gottes Ureigenschaft ist, aber der Wille ist sein kostbares, sein freies Eigentum; sie ist jener Schatz, von dem es die Seligkeit der vollkommenen Liebe ausmacht, ihn zu geben dem Einen, von dem alles ausgegangen, dem Gott, dem Vater, dem Erlöser. Jubelnd spricht der vollkommene Geist: "Vater, Allvater, dein bin ich, dein ist alles, was ich habe, dein ist jedes Atom meines Empfindens, dein die ganze Kraft jener Liebe, die durch die Erkenntnis deiner Grösse in mir wach geworden. Dein ist alles, weil ich erkannt habe, was du bist. Das alles muss dein sein; diese Erkenntnis ist es, die mich und alles, was ich habe, niederwirft zu deinen Füssen. Es muss dein sein, was von dir gekommen, darum Dank, Dank, mein Vater, für das einzige Gut, das ganz mein eigen ist: Dank für die Freiheit meines Willens. Mein einziges Eigentum, das ich nun ganz und rückhaltlos dir geben darf; das kostbarste, weil ich es dir geben darf, nicht muss. Vater, nimm es, mach es, von deinem Licht durchglüht, deiner würdig. So erst ist meine Freiheit vollkommen, wenn sie im Versenken in deine Vollkommenheit sich sättigt in ihr!" Und nun braust ein Jubelchor durch die Lüfte, im Weltenall erklingt die Melodie, im Lichte Gottes, in jubelndem Dank, in befriedigter Vollkommenheit sich steigernd und wiederholend, ewig neu und ewig alt - die vollkommenen Chöre der vollkommenen Söhne Gottes.
So die Vollkommenheit! Und nun zurück zum Anfang, in dem der Keim zu ihr lag. Gross waren die Söhne Gottes - wie konnten sie auch anders sein in ihrer Unschuld, in der Freiheit ihres Willens, in ihrer Eigenschaft als Gottes Kinder! Sie fühlten sich als Licht von Gottes Licht, sie fühlten ihre Grösse. Da vergassen sie, dass sie allein [nur] gross sein konnten, wenn sie umgeben waren von Gottes Grösse und geborgen in Gottes Grösse. In der Wirkung, im Gefühl ihrer jugendlichen Kraft vergassen sie die Ursache, die Kraft, aus der sie hervorgegangen. Sie wollten ihre Grösse zeigen durch eigene Schaffung, sie wollten auch Schöpfer sein aus eigener Kraft; nicht zufrieden, Gottes Söhne zu sein, wollten sie Gott sein wie Er. Selbstüberschätzung, Selbstüberhebung waren es, die sie erfüllten und verblendeten, sodass in ihnen kein Raum mehr war für die Erkenntnis, dass Gott unerreichbar, unwandelbar, ewig sei - sie wandelbar, schwankend im Willen, relativ ewig (weil Gott sie geschaffen), rein, aber nicht vollkommen - die Vollkommenheit das Ziel, das sie erreichen sollten. Diese Erkenntnis des Unterschiedes zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung war ihnen verloren gegangen in ihrem Hochmut. Statt zufrieden zu sein, um Gott sich zu bewegen wie die Planeten um die Sonne, schufen sie prahlerisch in eigener Kraft. Aber Gottes Gesetz stand unwandelbar wie er, der es gegeben; gegen das Gesetz konnte nichts sich weiterbilden, und so entstand Verwirrung und Chaos aus dieser gegensätzlichen Schaffung. Wir haben euch im Buch "Geist, Kraft, Stoff" die Grundzüge der Schaffung und des Falles gegeben; hier sei nur wieder darauf hingewiesen, um euch die Gerechtigkeit und die Grösse Gottes zu zeigen, denn in der Geschichte der materiellen Schöpfung und in der Geschichte des Geistes müsst ihr sie finden.
Aber nur ein Teil der Söhne Gottes erlag der Versuchung, der grössere Teil blieb standhaft, erkannte die Grösse Gottes und begann die Liebe Gottes zu erkennen. Es war die erste Versuchung, die an sie herantrat; sie wiesen sie ab und näherten sich dadurch der Vollkommenheit, denn Unschuld ist nicht Vollkommenheit und muss erst durch manche Prüfung gehen, um durch diese zu reifen; der junge, freie Wille muss alt und stark werden darin.
In den Evangelien lest ihr von den Versuchungen Christi. Was ihr da lest, ist ein Bild der Versuchung, die damals an alle Erstlinge Gottes herantrat, und welche die treuen Erstlinge abwiesen, indem sie aus freiem Willen das Gute wählten. Denn als Christus die Erlösungsmission auf der Erde vollbrachte, stand er viel zu hoch, als dass Ungehorsam, ein Auflehnen seines Willens gegen Gottes Willen noch möglich gewesen wäre. Seiner jungen Unschuld war es eine Versuchung, ganz frei, ganz in eigener Kraft zu sein; dem in der Erkenntnis von Gottes Liebe und Grösse reif gewordenen Messias konnte es keine Versuchung mehr sein.
So entstand ein Chaos in Gottes schöner Schöpfung. Die Geister, die es hervorgerufen, waren entsetzt über die Folgen ihrer Taten. Unfähig, weiter zu arbeiten in diesem Chaos, unfähig, zurückzutreten in das verlassene Gesetz, erlahmte ihre Kraft, ihr Leben. Dies ist der Fall der Engel, von dem euch berichtet wird; die Ketten, die (nach der Bibel) sie nach ihrem Sturz gefesselt hielten, sind ein Bild der Erschlaffung, in welche sie durch ihr dem Gesetz-entgegen-wirken verfallen waren. Alles musste euch in Bildern gezeigt werden, so lange ihr Kinder waret; nun aber der Tag der Erkenntnis gekommen, muss euch gesagt werden, dass es Bilder waren, Gleichnisse, in welchen die Wahrheit verhüllt lag. Darum werfet sie nicht weg, diese Gleichnisse eurer Kindheit, sucht lieber die Wahrheit in ihnen zu finden.
Gott überblickte dies Chaos, und es jammerten ihn seine armen, verirrten Kinder. Da er sie in Liebe geschaffen, musste der Unwandelbare sie lieben bis ans Ende. Da sprach er das erlösende Wort der Gnade aus. Sein waren die Geister, sein war das durch sie geschaffene Chaos; was ihm gehörte, sollte die Vollkommenheit erreichen. Ein neues Gesetz musste die neuen Bedürfnisse der gefallenen Kinder befriedigen, und so entstand das Gesetz der Sühne. Im Anfang hatten Gottes Kinder nur Liebe bedurft, jetzt bedurften sie auch seiner Gerechtigkeit, und so fasste das Gesetz der Sühne Wurzel sowohl in der Liebe als auch in der Gerechtigkeit Gottes. Und also sprach Gott: "Was ich in Liebe geschaffen, soll erhalten bleiben in Ewigkeit. Euer Werk war Chaos, das Werk eures freien Willens; wieder muss es euer freier Wille sein, der euch zurückbringt zu mir. Frei seid ihr, zu wählen, was ihr wollt, aber nur die Tat ist frei; jede Tat hat ihre Folge, und wer die Tat tut, an den heftet sich die Folge, und er kann sie nicht abschütteln, er muss tragen, was aufzuheben sein Wille war. Die Folge der Sünde ist Leiden, es ist die Ernte der Sündensaat. Aber die Hand meiner Gnade ist über das Feld des Leidens gegangen, und nun ist es zweifach in seinem Wirken: die Folge der Sünde ist zugleich die Sühne, die Frucht der Sündensaat ist zugleich das Gut, mit dem ihr eure Schuld bezahlen könnt. Eure eigene Arbeit war die Sünde, eure eigene Arbeit muss auch die Sühne sein; Schritt für Schritt habt ihr euch entfernt, Schritt für Schritt müsst ihr euch wieder nahen."
Zum Bindeglied zwischen den hohen, reinen, in der Prüfung erstarkten Erstlingen und den gefallenen Söhnen, dem Gegensatz, schuf Gott neue Welten (Paradiese) und reine Kindergeister, die dort ihre Wohnstätte hatten. Den treuen Söhnen gab er die Leitung, die Führung dieser Welten und dieser Kinder, denn auch sie hatten dasselbe Ziel: Vollkommenheit. Ein Teil der gefallenen Erstlinge, in der Erkenntnis seiner Schwäche, in der Erkenntnis von Gottes Kraft, in der erwachenden Erkenntnis von Gottes Liebe, dankbar, wieder eingeschlossen zu sein im Gesetz; half diese Welten formen und bilden, und durch diese gesetzliche Arbeit, durch geduldiges Tragen der Folgen ihrer Tat erreichten sie wieder die Stufe der Reinheit, die sie verloren hatten. Aber ein Teil wollte sich nicht beugen vor Gott und suchte nun auch die neue Schaffung Gottes hinabzuziehen in das Chaos, suchte die Kindergeister zum Abfall zu verleiten. Im Gleichnis von Adam und Eva wird euch von diesem zweiten Fall gesagt. Durch Versprechungen und Versuchungen verleiteten sie auch einen Teil dieser Kindergeister zum Fall. Aber Welten und Weltenbewohner müssen sich ähnlich - adäquat - sein, Welten und Geister reifen miteinander der Vollkommenheit entgegen. Die reinen Paradiese konnten nicht mehr die Heimat unreiner Geister sein, und die Welten warfen von ihrer Materie ab, die, in ewigem Turnus jene umkreisend, sich auch zu Welten niederer Art formte und die Heimat der niederen, gefallenen Geister wurde. Die Paradieswelten waren schöner hervorgegangen, ein schöneres Heim für die durch diese Prüfung fortgeschrittenen Kindergeister. In der Schaffung, im Anfang nur rein und unschuldig, hatten sie nun den ersten Schritt zur erprobten, bewussten Vollkommenheit getan.
Ein Unterschied ist zwischen dieser ersten und zweiten Schaffung. Die Erstlinge, direkt aus Gott hervorgegangen, waren Licht von Gottes Licht, von keiner Versuchung umgeben, in Gott lebend, von Gott allein geleitet. Die Kindergeister erwachten zum Leben mit dem Bewusstsein, dass es eine Versuchung gebe; sie sahen hinauf zu den Erstlingen, hinunter zu dem Gegensatz, und wurden von den Erstlingen geleitet. Adam und Eva sprachen mit Gott und mit der Schlange; die Kindergeister verstanden sowohl die Erstlinge als auch die gefallenen Söhne, den Gegensatz. Als nun ein Teil der Kindergeister den Verlockungen des Gegensatzes erlag, da konnten sie, wie schon gesagt, dem Gesetz der Ähnlichkeit zufolge nicht mehr in den reinen Paradieswelten bleiben, sondern Materie und Geister wurden von diesen ausgeschieden, und neue Welten formten sich aus dieser Materie, kreisend um die Sonnen, von welchen sie ausgeschieden wurden, und zur Heimat werdend den gefallenen Kindergeistern. Die gefallenen Erstlinge aber wurden das, was ihr Menschen Dämone nennt; ihre Intelligenz war geschärft, und ihr ganzer Wille, ihr ganzes Sehnen war, gegen Gottes Gesetz zu arbeiten, wo sie konnten, und jubelnd über den ersten Fall der Kindergeister, richteten sie die ganze Kraft ihrer Intelligenz darauf, ihrer immer mehr zum Abfall zu verleiten. Und immer wieder war ein Teil der Kindergeister bereit, sie zu hören, zu schwach zum Widerstand; das Gesetz der Ähnlichkeit schied sie aus; die Welten, welche sie bewohnten, warfen von ihrer Materie ab, und abgeworfene Materie und Geister bildeten neue Welten, kreisend um ihre alte Heimat, die nun die Wohnung der reuigen Geister war. So bildeten sich sechs Sonnenkreise, von denen jeder Kreis Tausende von Sonnen zählt, und um jede Sonne kreist die abgeworfene Materie (oder Feuerreifen) in Gestalt von Welten und Planeten.
So ist das Weltall entstanden: Geist aus Gottes Geist; die Welten den Geistern, den verschiedenen Stufen ihres Falles angepasst. Gott hat Gesetze gegeben, und nach diesen Gesetzen wird Geist und Materie geleitet, aber Gott ist es, der die Gesetze gab, also ist Gott es, der Geist und Materie führt und leitet: unmittelbar zuerst die Erstlinge, mittelbar durch die Gesetze den Gegensatz. Er gibt jedem, was er bedarf: Liebe dem Hohen und Reinen, Gnade des neuen Lebens und Gerechtigkeit dem gefallenen Kinde. Keine Beeinträchtigung des einmal gegebenen freien Willens; jedes der Kinder darf zu jeder Zeit zurückkehren zum Vater. Der zur Tat gewordene Wille führt jedes Kind heim. Da gibt es kein zu-spät, und wenn der Geist Gelegenheit nach Gelegenheit wegwirft, wenn sein ganzes Wollen darnach strebt, gegen das Gute zu arbeiten: einmal kommt das Licht der Erkenntnis über ihn, muss über ihn kommen, da Gott grösser ist als seine ganze geschaffene Geisterwelt.
Worin liegt die Grösse Gottes? Nicht darin, dass er ein Weltall geschaffen, nicht darin, dass er alles erhalten hat - dies beweist nur einzelne Teile seiner Vollkommenheit. Darin aber, dass er jeden einzelnen seiner Geister in Liebe erhält; darin, dass er sie alle kennt und sie alle gerufen hat mit Namen; darin, dass er jedem einzelnen das Licht der Erkenntnis gibt; darin, dass eine Zeit kommen wird, wo alles gesühnt, alle Schuld bezahlt, alle Finsternis vom Lichte aufgezehrt ist, wo jeder sein gottbestimmtes Ziel erreicht hat, wo jeder Geist die volle Freiheit seines Willens hat, bedingt durch die Vollkommenheit des Geistes und von dieser Vollkommenheit geleitet, einzig pulsierend in der Liebe zu Gott: darin, Kinder, liegt Gottes strahlende Vollkommenheit. In seiner Vaterschaft liegt seine Grösse. Macht ihr euren Gott grösser, Kinder, indem ihr diese Vaterschaft, diese Vaterliebe leugnet? Ihr sagt, er sei zu gross, um individuell zu führen. Aber bedingt es nicht vollkommenere Grösse, im ganzen und im einzelnen, Welten und die einzelne, nach Licht ringende Seele zu führen, als nur Gesetze zu geben und dann diese allein wirken zu lassen? Bedenket, dass die Gesetze hervorgegangen sind aus Gottes Geist; dieser Geist ist es, der dem Gesetz Leben, Kraft, Unwandelbarkeit gibt, und dieser Geist ist es auch, der das Gesetz nicht nur der Führung der Welten, sondern auch der Führung des einzelnen Geistes anpasst. Und wie das Gesetz durch die ihm innewohnende Kraft Gottes das All erhält, so schmiegt es sich durch den ihm innewohnenden Geist Gottes den Bedürfnissen des einzelnen Kindergeistes an. Denn alles, was Gott schafft, ist ihm relativ; von seinem Geist durchdrungen, weht sein Geist daraus hervor.
Daran erkennt ihr, ob eine Sache göttlich ist: wenn der Geist Gottes daraus hervorweht. Wer den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein, und was Gottes Geist nicht in sich trägt, das ist vergänglich. Was aber Gottes Geist enthält, das ist ewig, das ist lebendig, das wirkt wie Gott es will, und in der Erfüllung von Gottes Willen bringt es euch, bringt es das Weltall zurück zum Vater, zur gottbestimmten Vollkommenheit. Wenn Gott spricht: Es werde Licht! dann kann es nimmer dunkel bleiben. Nicht in seiner Schöpferkraft spricht er nun: Es werde Licht! sondern in seiner Weisheit, welche die Reife der Zeit erkennt. Wie im Gleichnis Christi Weizen und Unkraut zusammen der Reife entgegenwuchsen und dann die Ernte folgte, so muss immer Böses und Gutes seine Reife erlangen und wird dann erst geschieden auf ewig. So hat jede Welt zur Zeit der Reife ihre Schlacken ausgeworfen, geistig und materiell, und ist selbst geklärt hervorgegangen. Aber, weil in Gottes Gesetz eingeschlossen, bildeten nun auch diese Schlacken eine Welt, denn alles, worin Gott einen Lebenskeim gelegt, enthält auch den Keim der Vollkommenheit. Darin eben liegt Gottes Grösse, die aus seiner Liebe geboren ist.
Aber missverstehet meine Worte nicht. Getrennt wird Böses vom Guten durch ein ewiges Gesetz, das Gleiches mit Gleichem verbindet. Das Böse kann nicht zum Guten, denn indem es seine Reinheit verliert, verliert es auch einen Teil seiner Freiheit, denn diese gehört zur Vollkommenheit und kann nicht gross bleiben, wenn die Reinheit getrübt ist. Im Guten aber ist ein stetes Wachsen der Freiheit, und die stark gewordene Liebe, welche auch durch zunehmende Vollkommenheit bedingt wird, ermöglicht es dem Guten, hinabzusteigen in die Tiefen, um Licht und Lehre, den Beweis der reinen Liebe, den armen Brüdern zu bringen. Denn Brüder sind wir alle, Lichtträger und Träger der Finsternis sind alle Kinder eines Vaters, und indem die ersteren ihr Licht in die Finsternis bringen, löst sich diese auf, mit leeren Händen stehen ihre Träger da, und dann ist die Zeit gekommen, wo wir das Licht in diese leeren Hände geben und alle zurückkehren zu Gott, unserem Schöpfer und Vater.
Menschen, liebe Brüder, ahnt und fühlt ihr die Wahrheit dieser Lehre? Wenn ihr sie aber ahnt und fühlt, dann glaubet ihr und lebet ihr." (Fussnote 5)


Anmerkungen des Erfasser:
1. das [nur] im Kapitel, das mit 'So die Vollkommenheit!' beginnt, stammt vom Erfasser, damit der Sinn ganz klar ist. Das so verwendete 'allein' ist heute nicht mehr gebräuchlich. Ein Missverständnis wäre aber fatal an dieser Stelle.
2. die Passage, aufgezeichnet von Mechthildis, beginnend mit 'Die Zeit ist gekommen, wo euch Klarheit gegeben werden muss,' wurde besonders sorgfältig abgeschrieben und überprüft. Es handelt sich um die Wiedergabe eines medialen Text, der als Erläuterung zu Geist-Kraft-Stoff von den selben geistigen Leitern gegeben wurde.


Fussnote 4:
Aus Geist entstand die Welt und gehet auf in Geist;
Geist ist der Grund, aus dem, in den zurück sie kreist.
Der Geist, ein Ätherduft, hat sich in sich gedichtet,
Und Sternennebel hat zu Sonnen sich gelichtet.
Der Nebel hat in Luft und Wasser sich zersetzt,
Und Schlamm ward Erd' und Stein und Pflanz' und Tier zuletzt
Und menschliche Gestalt, in der der Menschengeist
Durch Gottes Hauch erwacht und Ihn, den Ur-Geist, preist.
 Rückert

Fussnote 5: Bergbach: Geisterkundgebungen 41. - Der Bericht ist eine gedrängte Zusammenfassung der Schöpfungsgeschichte des Buches: "Geist-Kraft-Stoff" im Jahre 1869 medianim geschrieben im Geiste Maria durch die Baronin Adelma von Vay. Das Medium war damals eine junge Frau mit der Bildung, wie sie bei Frauen und Mädchen des Adels üblich war, und es ist ausgeschlossen, dass dies hochphilosophische Werk (Geist-Kraft-Stoff) ihrem Unterbewusstsein entstammt. Das Werk wurde in wenigen Wochen in sogenannter automatischer Schrift geschrieben, also derart, dass die Hand ohne Zutun des Mediums rasend schnell schrieb und das Medium selbst keine Kenntnis des Geschriebenen hatte und selbst sich wunderte, wie ein solches Werk durch seine [des Mediums] Hand entstehen konnte. Das Buch wurde bisher totgeschwiegen, nur einer der Gelehrten jener Zeit, der Professor der Philosophie Franz Hoffmann in Würzburg, hatte den Mut, sich mit ihm zu befassen und eine ausführliche Kritik darüber zu schreiben, worin er sich anerkennend äussert über die Grossartigkeit der in dem genannten Werk gegebenen Weltanschauung. - N. B. Der Schöpfungsbericht ist nicht vom Geiste Maria.
[Anmerkung des Erfasser: Mir ist unklar, ob das N. B. 'nebenbei' heisst und von wem die Bemerkung stammt, von F. Funcke oder von Bergbach?]
(Zusatz-Anmerkung des Erfassers vom 20.10.2005: Ein aufmerksamer Leser hat mich per eMail darauf hingewiesen, dass "N.B." die damals gebräuchliche Abkürzung für ein "Notabene" = wohlgemerkt!, man beachte! war. Besten Dank für den Hinweis!)



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