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Spirit(ual)ismus

Essay von WB-Leser A. Studer (CH-Gockhausen), erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 2/2006, S. 18-21.
Anmerkungen des Erfassers stehen in []-Klammern.

Zur Diskussion: "Das Gute und das Böse"

Essay von WB-Leser A. Studer, CH-Gockhausen,
als Reaktion auf genannten Artikel von M. Fauss in WB 1/2006, S. 31 ff

(Red.: Herr Studer richtet im folgenden Brief seine Rede an Herrn Fauss, den Verfasser des betreffenden Beitrags. – T.F.)

Eben habe ich Ihren Artikel im WB über "das Gute und das Böse - gibt es den Teufel wirklich?" gelesen, ein Thema, das auch mich als Grundproblem der menschlichen Existenz seit jeher bewegt.
Sie fühlen sich beim Vergleich der Aussagen von Allan Kardec, Johannes Greber, Adelma Vay, Bernhard Forsboom - wir können auch Beatrice Brunner nennen - irritiert. Meinerseits betrachte ich diese Aussagen weniger als Gegensätze, eher durch die Art der jeweiligen Aufklärungsabsicht in ihrer Unterschiedlichkeit bedingt. Im 'Buch der Geister' von AK geht es in erster Linie um die reale Beziehung des Diesseits zum Jenseits, von Menschen zu Geistwesen, Inkarnierten zu Nicht-Inkarnierten.

Als Menschen denken wir ichhaft, persönlich, aus unserer materiellen Dreidimensionalität. Wir fragen nach dem Warum von Leid und Tod und Bosheit. Treffen wir ein Medium, das Verbindung zum Jenseits hat, bringen wir ihm diese Thematik vor. Wir möchten wissen. Jedes Medium hat seiner geistigen Evolution, seiner Seinsgeschichte entsprechend ein bestimmtes Weltbild gewonnen und antwortet seinem Verständnis und seiner Aufklärungs-Absicht entsprechend. Bosheit muss einen Ursprung haben. In Luzifer ist er zu finden. In unserem Selbstverständnis denken wir ihn personal irgendwie menschenähnlich und sind froh, dass wir einen Schuldigen haben, auf den wir alles Ungute in uns selbst zurückführen können. Er wird zum Bildträger unseres eigenen dualistischen Wesens. Er wird zum Vater der Lüge, zum grossen Versucher, der sich nicht scheut, auch Jesus, den Inbegriff des Guten, zu versuchen. Ist dies die einzige Möglichkeit, sich ein unkörperliches, geistiges Wesen vorzustellen? Ist Luzifer nicht der Teufel = der Entzweier, der Satan, weil wir ihn auch so haben wollen? Wir hauchen ihm unsere unguten Gedanken als Lebenskraft ein und erhalten ihn, solange wir unserer Bosheit immer wieder im Kleinen wie im Grossen freien Lauf lassen, 'am Leben', machen uns zu seinen Kindern ... Wäre Hitler gewesen, der er wurde, wenn er nicht ein willkommenes Projektionsschild von Tausenden hässlicher Gedanken und Emotionen gewesen wäre? So verstehe ich auch die beinahe beiläufige Antwort auf die Frage 122 im "Buch der Geister" von AK, Satan sei offenbar eine "allegorische Personifikation des Bösen". Allegorisch heisst "sinnbildhaft". Ist er denn nicht für uns das Sinnbild des Bösen schlechthin? Ich spüre jedoch in der Formulierung auch die Absicht, uns den billigen Ausweg über eine falsch verstandene, unverdiente Erbsünde und damit einer Schuldzuweisung für unser leides Schicksal zu blockieren.

Der Teufel wie der potentielle Engel sitzen beide in jedem Einzelnen von uns. Wen wir dominieren lassen, ist rein unsere eigene Sache. Die Wahlfreiheit, ein göttliches Geschenk, ist uns gegeben, damit auch die Verantwortung für unser Tun. Luzifer ist, wie der schlafende Christus, in uns, Teil unserer menschlichen Natur, weil wir es so haben wollten. Als Lichtträger war er von Gott gedacht, als Er ihn ins Sein entliess, als Träger von Wissen und Weisheit. Dass Wissen Macht bedeutet, ward ihm, und Vielen von uns, zur Versuchung, der er erlag. Das All ist von Milliarden von inkarnierten und nicht inkarnierten Wesen bevölkert, gute und böse, und wir stehen ebenso unter ihrem Einfluss, wie sie unter unserem. Unsere Gedanken und Taten ziehen die entsprechenden Energien an.

Luzifer als geistige Wesenheit wird von Kardec nicht explizit verneint, eher mit einem andern Gewicht bedacht, als wir ihm geben möchten. Wie oft hörte man Lene (in der GL [Geistige Loge, Zürich]) zögern, wenn sie seinen Namen aussprechen sollte. Ein Name konkretisiert zuweilen etwas nicht Konkretisierbares, Geistiges, das sich nicht personifizieren lässt... (Vielleicht sollten auch wir zögern, wenn wir den unbegreifbaren Begriff Gott gebrauchen). Jesu Wort, wonach er den Satan wie einen Blitz niederfahren sah, ein Geschehnis, das sich in der Vorzeit, vor der Existenz materieller Welten ereignete, gab uns ein Bild für unsere sinnliche Vorstellung, ein Bild der Scheidung von Oben und Unten im geistigen Sinn oder wie wir es verstehen, von Gut und Böse.

Können wir ein geistiges Geschehen anders als "mythisch-allegorisch" in Worte fassen, um es zu verstehen? Überlassen wir doch Jedem die Wahl der bildlichen personifizierenden Vorstellung eines infolge Hochmuts ins Dunkel abdriftenden geistigen Lichtwesens, und Jesu als eines Erlösers, der kam, uns aus der Gefangenschaft im Reich des Todes = der Gottferne, zu befreien. Unsere Welt, die wir real erleben, bleibt eine Scheinwelt. Wir erschaffen und vernichten sie andauernd selbst. Jesu Reich, nach dem wir uns sehnen, ist, wie er selbst sagt, nicht von dieser Welt. Gott sollen wir im Geiste verehren, nicht als ein Überich. Sind wir Seine Kinder, so sind wir es Seinem Geiste nach. Es liesse sich noch Vieles sagen ...

Lieber Herr Fauss, Ihre Suche nach der Bedeutung "Luzifers" führt Sie noch zur Frage nach der Erschaffung der Geister. Sie finden auch da Widersprüche in den Äusserungen Kardecs zu jenen anderer Überlieferungen. Kardecs Äusserungen beruhen auf seiner Sichtung der auf seine Fragen erhaltenen medialen Antworten, die ihm ob ihrer Übereinstimmung plausibel erschienen. Meinerseits erkenne ich auch hier verschiedene Aspekte eines, da in der Geistwelt geschehend, uns unzugänglichen und unbegreiflichen Dauerereig-nisses. Scheinbare Widersprüche finden wir schon in der Bibel, so z.B. in den zwei Versionen der Erschaffung des Menschen... Auch stört sie, dass Gott die Geister "unwissend, gleich und weder gut noch böse" erschuf. Warum? "Unwissend", wie konnten sie ohne Erfahrung zu Wissen gelangen? "Gleich", heisst nicht, dass ihnen nicht unterschiedliche Ziele und zu entfaltende Potentiale zugedacht waren, sondern dass sie alle als Seine Kinder gleich geliebt sind ... nicht anders als wie wir es mit unseren Kinder erleben. "Weder gut noch böse": Erinnern wir uns des Wortes in der Bibel - ein Versuch uns dies begreiflich zu machen -, als Gott unseren "Ureltern", verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu naschen. Er wusste wohl um die möglichen Folgen. Die Erkenntnis, dass die Übertretung eines Ver- oder Gebotes nicht gut war, konnte erst mit der Tat erfolgen. Vorher waren sie noch un - schuldig, wie Tiere, die nach ihrer funktionellen Natur als Herbi- oder Karnivoren [der Herbivore = Pflanzenfresser; der Karnivore = Fleischfresser] leben. Der Sinn für Gerechtigkeit konnte erst nach dieser Erkenntnis erwachen. Gott ist jenseits von Gut und Böse, kennt deshalb auch keine Gerechtigkeit in unserem Sinne. Er schuf Gesetze, die Sein und Leben garantieren. Wer sich nicht an sie hält, erleidet die Konsequenzen. Gott ist auch jenseits eines Begriffs von Freiheit, die uns so viel bedeutet. Wovon und wozu sollte Er frei sein? Das einzige, was wir, ohne Zögern aus unserem tiefsten inneren Erleben und Wissen und ohne Abstrich sagen können, ist: Gott ist die Liebe. Auch in Seiner Liebe, der alle Dimensionen verbindenden Macht, macht er keinen Unterschied zwischen Guten und Bösen. Er lässt Seine Sonne scheinen über beide. Liebe ist Sein Seinsverständnis, und für uns in ihrer Weite und Grösse nicht nachvollziehbar...

Gott ist weder absolut gut, noch absolut gerecht, noch absolut frei; Er ist in Seiner Liebe zu allem, was aus Ihm geworden, nicht absolut... Was bedeutet "absolut"? Vom Lat. absolvere = loslösen, befreien, hiesse dies, Er sei von allem losgelöst. Seine Schöpfung sei, wie das Bild eines Malers, nach Fertigstellung etwas Selbständiges vom Schöpfer Losgelöstes, (so die Meinung eines Besitzers ... oder Händlers). Ich meine, das ist Gott eben nicht. Das All ist und lebt aus Seinem Geiste. Er gab ihm Eigenleben aus Seinem Leben. Er ist interessiert, was aus ihm, Seinem Kinde wird, wie es sich entwickelt, wie es denkt, fühlt, handelt. Er ist mit ihm geistig verbunden. Doch weil Er liebt, lässt Er ihm seinen Willen, belässt ihm Wahl- und Handlungsfreiheit.
Darin liegt auch die Antwort auf die immer wiederkehrende Frage: „Warum lässt Gott all das Übel zu, worunter wir zu leiden haben?“ Zum einen ist Er uns nicht Rechenschaft schuldig. Zum andern aber würde Er Seine All-Liebe einschränken, wenn Er eingriffe. Er würde uns die Erfahrung der Folgen unserer Taten und Missetaten stehlen, die wir machen wollten, uns bevormunden. In Gottes bedingungsloser Liebe begründet liegt es, dass Er sich total veräussern will, um in dem aus Ihm erstandenen geistigen Kosmos einem liebeswürdigen und -fähigen grossen DU liebend begegnen zu können. Seine Liebe ging das unvermeidliche Risiko ein, dass einige Seiner Kinder rebellieren könnten ... Was bleibt uns, als Ihn ob Seiner unvorstellbaren Grosszügigkeit zu bewundern, zu verehren und Ihm zu danken, dass wir dafür sein dürfen?

Ich muss schliessen mit der Bitte um Entschuldigung für diesen "Erguss". Zuweilen stelle ich mir vor, der Mensch ist nur schon in seiner physischen Konstruktion mit seinen zahllosen Organen, Zellen, Molekülen, Atomen ein Mesokosmos [meso = in der Mitte zwischen..., mittlere] und ein perfektes Gleichnis für Gottes Makrokosmos [Weltall, hier: umfassende Schöpfung]. Sein Ich ist dessen "personaler Gott", sein Geist die diesen belebende "unpersonale Gottheit" gleichsam.
Persönlich schätze ich Kardecs Schriften ob ihrer nüchternen Klarheit sehr. Ich nehme in Kauf, dass die in seinen Büchern zu findenden Antworten fragebedingt sind. Wir würden heute, 150 Jahre später, noch eine Reihe weitere Fragen stellen... ich tue es auch seit 30 Jahren und erhalte mehr Antworten, als ich Fragen stelle. Es braucht Zeit, sie zu verarbeiten...

(Red.: Herrn Studer verbindet eine langjährige Freundschaft mit Herrn Divaldo Pereira Franco, einem bekannten Spiriten aus Brasilien. Siehe dazu auch das Programm der G-19 in diesem Heft. In einem persönlichen Telefongespräch mit Herrn S. erfuhr ich Interessantes über die (mediale und soziale) Arbeit der Spiriten [Spiritualisten] in Brasilien. – T.F.)


[Anm.d.Erf.: Siehe auch Artikel von WB-Leser C. L., D-München: - Was ist der Charakter des Spiritismus? - Grundsätzliches zur Geisterlehre - Klassifikationsmodell für Religionen. ]


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"