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Naturwissenschaften - Religion

Die Wissenschaft entdeckt Gott

Auszug aus: DER SPIEGEL 52/1998   Seite 166

Wissenschaftler offenbaren ihre religiöse Haltung

Der erschöpfte Schöpfer

Die Astronomen entdecken Gott. Viele Himmelsforscher können sich die immer wundersamer erscheinende Entstehung des Universums nur durch einen Weltenlenker erklären. Der Papst verkündete schon die Versöhnung von Glauben und Wissen.

Ein halbes Jahrhundert war Allan Sandage, 72, dem Alter des Universums auf der Spur. Vor etwa 15 Milliarden Jahren, so hat der Forscher schliesslich aus dem Licht der Sterne errechnet, fing der ganze Schlamassel an. ,,Mister Cosmology" nennen die Astronomen den grossen Senior ihrer Zunft. Als Schwärmgeist ist der exakte Empiriker bisher nicht aufgefallen.

Nun legte der weisshaarige Gelehrte (,,Als junger Mann war ich praktizierender Atheist") ein überraschendes Glaubensbekenntnis ab. ,,Die Erforschung des Universums hat mir gezeigt", so verkündete Sandage, ,,dass die Existenz von Materie ein Wunder ist, das sich nur übernatürlich erklären lässt."

Der Kosmologe sprach auf einer Konferenz zum Thema ,,Wissenschaft und spirituelle Suche", zu der in diesem Sommer Koryphäen der Physik und Biologie ins kalifornische Berkeley pilgerten.

Wie Sandage offenbarten sich die meisten der über 300 angereisten Wissenschaftler als zutiefst gläubige Menschen - etwa Charles Townes, der 1964 für die Entwicklung des Lasers den Physik-Nobelpreis erhalten hatte: "Bei den Gesetzen des Universums ist ein intelligentes Wesen involviert."

Der mehrtägige Forscher-Gottesdienst, bezahlt von dem religiösen Milliardär und Missionar John Templeton, erregte in den US-Medien grosses Aufsehen. ,,Die Wissenschaft entdeckt Gott", titelte das Nachrichtenmagazin ,,Newsweek".
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Dass Forscher gar nicht so gottlose Gesellen sind, belegt auch eine überraschende Umfrage unter US-Gelehrten, die unlängst vom Wissenschaftsmagazin ,,Nature" veröffentlicht wurde. Rund 40 Prozent der interviewten Biologen, Physiker und Mathematiker glauben an einen ,,persönlichen Gott"; viele von ihnen beten sogar zu ihm und hoffen auf eine Antwort.....
Die Annäherung ist ausgerechnet auf jenem Forschungsgebiet bereits weit fortgeschritten, das Wissenschaft und Religion einst entzweite: bei der Himmelskunde. In jüngster Zeit haben die Astronomen immer mehr Indizien dafür gesammelt, dass das Universum tatsächlich vor 15 Milliarden Jahren mit einer gewaltigen Explosion aus dem Nichts geboren wurde - und dass sich das Weltall bis in alle Ewigkeit ausdehnen wird.

Für die Kirchenmänner ist das eine frohe Botschaft - denn von allen kosmologischen Modellen ist die lange umstrittene Urknall-Theorie am besten mit dem christlichen Glauben an einen Schöpfergott vereinbar. "Die Erkenntnis des Urknalls", so formuliert es der vatikanische Astronom und Jesuitenpater William Stoeger, "hat das Bild Gottes nur veredelt."
.....
Die entscheidende Bestätigung für den grossen Knall funkte erst vor wenigen Jahren der Nasa-Satellit ,,Cobe" aus dem All. Die Sonde hatte die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung vermessen, die als Glutrest der Anfangsexplosion gilt. Die Astrophysiker jubelten. Die Messwerte deckten sich mit den theoretischen Vorhersagen der Urknall-Modelle.

Als der Cobe-Projektleiter George Smoot die kosmische Temperaturkarte, gleichsam das Jugendfoto des Universums, in Händen hielt, bekreuzigte er sich. "Wenn du wie ich ein religiöser Mensch bist", entfuhr es  dem amerikanischen Astrophysiker, "hast du das Gefühl, du blickst auf Gott."

Andere, weniger gläubige Forscher tun sich hingegen noch immer schwer mit dem Urknall. "Die Theologen sind im allgemeinen sehr erfreut darüber, zu hören, dass das Universum einen Anfang hatte", schreibt der US-Astronom Robert Jastrow in seinem Buch "God and the Astronomers", "doch die Astronomen sind seltsamerweise darüber erbost."

Lieber sähen viele Sternenforscher das Universum - wie in all den Jahrhunderten zuvor - als ein gewaltiges Uhrwerk, dessen Räder sich in einem ewig unveränderlichen Rhythmus drehen. "Unendlich sollte das Universum sein, ohne Anfang und Ende der Zeit", meint der atheistisch eingestellte Urknall-Theoretiker Steven Weinberg - in einem solchen Weltenkreis würde er sich "wesentlich wohler fühlen". Denn in einem gleichbleibenden ("statischen") Weltall, das immer schon da war, wäre ein Schöpfer überflüssig.

So passt es umgekehrt ins Bild, dass der Vater der Urknall-Theorie, was kaum bekannt ist, ein Mann der Kirche war. Bereits im Jahre 1931 veröffentlichte der junge belgische Priester und Astronom Georges Lemaître in ,,Nature" seine Idee von einem vor Äonen explodierten ,,Uratom", aus dem Raum, Zeit und Materie hervorgegangen seien. ,,Die Entwicklung der Welt könnte man mit dem Ende eines Feuerwerks vergleichen", schrieb Lemaître. ,,Wir stehen auf einer gut gekühlten Schlacke und sehen das langsame Schwinden der Sonnen."

Auf seine Schöpfungs-Version war der Priester gekommen, als er Ende der zwanziger Jahre das Mount Wilson Observatorium in Kalifornien besuchte. Dort hatte der US-Astronom Edwin Hubble (ein ehemaliger Boxer und Rechtsanwalt) gerade entdeckt, dass sich alle beobachteten Galaxien mit enormer Geschwindigkeit von der Erde fortbewegen. Lemaître liess sich von Hubble berichten - und schloss messerscharf: Die Galaxien verhalten sich wie Granatsplitter nach einer Detonation.

Die Astronomen lehnten die Überlegungen ihres gottesfürchtigen Kollegen anfangs strikt ab, sie wollten so etwas wie einen Schöpfungsakt in ihren Modellen tunlichst vermeiden. Lemaître stieg später zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften auf.

Aber genaugenommen ist die Urknall-Idee sogar noch viel älter - ursprünglich stammt sie von einem mittelalterlichen Kirchenmann. Um das Jahr 1200, Jahrhunderte vor Erfindung des Fernrohrs, entwarf der englische Theologe Robert Grosseteste (1168 bis 1253), der erste Kanzler der Universität Oxford, eine bizarr klingende Kosmologie.

Das Universum sei entstanden, so lehrte Grosseteste, als Gott einen winzigen Lichtpunkt schuf. Der Lichtpunkt breitete sich sofort nach allen Richtungen aus und riss die gleichzeitig geschaffene Materie mit sich. So wuchs mit rasender Geschwindigkeit ein kugelförmiger Kosmos, und aus der Materie formten sich die Gestirne - ein für die damalige Zeit unerhörtes Gedankenspiel.

OLAF STAMPF
Der SPIEGEL


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"