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Geisteswissenschaften - Philosophie - Denken

Edward de Bono - Die 4 richtigen und die 5 falschen Denkmethoden

Copyright Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 1972

Inhalt

Einführung
  1. Wissen, was man tun muss
  2. Das Experiment mit dem schwarzen Zylinder
  3. Die fünf "Bundesstrassen" zum Verstehen
  4. Der Zweck des Verstehens
  5. Die grundlegenden Denkprozesse
  6. Die fünf falschen Denkmethoden
  7. Die vier richtigen Denkmethoden
  8. Das JA/NEIN-System
  9. Humor, Intuition und PO
  10. Phantasie
  11. Kreativität
  12. Aufmerksamkeit und Anhaltspunkte
  13. Denken 2

  14. Schlussbetrachtung
  15. Übersicht

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Einführung

Wie kommt es, dass bei einem Streit immer beide Seiten recht haben? Wie kommt es, dass niemand absichtlich einen Fehler macht, dass Fehler aber doch immerzu gemacht werden?
Gewöhnliches Denken ist das, was die Zeit ausfüllt, wenn Sie weder schlafen noch tot sind. Ebenso, wie Sie auf den Motor Ihres Wagens nur achten, wenn er nicht stetig läuft, werden Sie sich des gewöhnlichen Denkens nur bewusst, wenn es nicht reibungslos vonstatten geht. Gewöhnliches Denken ist bei allem beteiligt: bei Familienzwistigkeiten; wenn Sie Mayonnaise machen; bei der Urlaubsplanung; bei der Frage:, Wohin mit dem Hund? ', wenn man übers Wochenende verreisen will; wenn man sich eine Ausrede ausdenkt, warum man zu spät zur Arbeit gekommen ist; wenn man sich eine Methode überlegt, wie man seine Arbeit bequem schaffen kann; wie man seine Kinder erzieht; wie man eine Weinflasche aufmacht, wenn man den Korkenzieher verlegt hat; wie man bei einer politischen Diskussion seinen Mann steht; und wenn man versucht, die Welt nach Möglichkeit zu verbessern.
Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, man müsse selbst denken oder sich eine eigene Meinung bilden. In wichtigen Fragen ist es gewöhnlich einfacher, die Ansichten anderer Leute fix und fertig zu übernehmen. Das erspart einem die Mühe, selbst zu denken - obwohl man es bei belangloseren Dingen immer noch tun muss. Oft bleibt einem keine andere Wahl, als die Ansichten anderer Leute zu übernehmen, weil es so schwierig sein mag, sich die Dinge selbst zu überlegen. Die Erziehung gewährt leider wenig Hilfe bei dieser Sache. Wahrscheinlich können Sie sich an Dinge erinnern, die Ihnen in der Schule in den Erdkundestunden beigebracht wurden (Täler, Flussdeltas, reisanbauende Länder usw.) oder im Geschichtsunterricht (Daten von Schlachten, Namen von Königen usw.). Aber können Sie sich an das erinnern, was Ihnen über das Denken beigebracht wurde? Oder ist Denken etwas, das man sowieso kann - wie Gehen oder Atmen?
In Wirklichkeit ist Denken eine zu wichtige Angelegenheit, um überhaupt etwas dafür zu tun. Deshalb haben wir es den Philosophen überlassen, die sich jahrhundertelang die Zeit mit den kniffligsten Analysen vertrieben haben, die für das alltägliche Leben kaum von Belang sind. Vor einiger Zeit starb ein Mann, der als einer der einflussreichsten Philosophen des Jahrhunderts galt. Von grossem Einfluss auf seine philosophischen Kollegen, aber sonst auf fast niemanden. Wieviel Einfluss übt logischer Positivismus wohl auf das gewöhnliche Denken aus?
Beim gewöhnlichen Denken haben in einer Auseinandersetzung immer beide Seiten recht. Das liegt daran, dass recht zu haben das Gefühl ist, recht zu haben. Das ist es, was Ihr Handeln leitet, nicht die abstrakte philosophische Richtigkeit Ihrer Vorstellungen. In diesemBuch werden die vier praktischen Möglichkeiten, recht zu haben, erforscht: Rosinenkuchen (emotionale Richtigkeit), Puzzle (logische Richtigkeit), Dorfschönheit (Richtigkeit wegen Einzigartigkeit) und Masern (Richtigkeit des Erkennens). In diesem Buch werden ausser den vier richtigen Denkmethoden auch die fünf "Bundesstrassen" zum Verstehen sowie die fünf falschen Denkmethoden herausgestellt 'und benannt.
Das Unterscheiden und Benennen dieser Denkmuster hat den Zweck, sie erkennbar zu machen. Dann wird es möglich, dass Sie sie in Ihrem Denken und im Denken anderer erkennen. Sie können auch auf so präzise Weise über sie reden, wie Sie über ein Auto oder ein Spiegelei reden würden. Ohne derartige benannte Muster ist das Denken verschwommen und unklar, und dann lässt sich sehr schwer darüber reden.
Sobald man über das Denken reden kann, ist man auf dem besten Wege, es als eine Fertigkeit wie Tennisspielen oder Kochen anzusehen. Fast alle Menschen halten leider das Denken für eine Frage der angeborenen Intelligenz - und das ist es nicht! Bei meinen Forschungen und Experimenten bin ich immer wieder auf höchst intelligente Leute gestossen, die sich als sehr dürftige Denker erwiesen. Ich habe auch festgestellt, dass die Denkfähigkeit nicht viel mit Bildung zu tun haben kann, denn einige der gebildetsten Menschen (Doktoren der Philosophie, Universitätsdozenten und -professoren, Führungskräfte der Wirtschaft usw.) haben sich auch als dürftige Denker herausgestellt. Denken als eine Fertigkeit anzusehen und nicht so sehr als eine Begabung ist der erste Schritt, um etwas für die Weiterentwicklung dieser Fertigkeit zu tun.
Das Buch befasst sich mit dem gewöhnlichen praktischen Denken, das uns erlaubt, etwas nutzbringend anzuwenden, ohne alle Einzelheiten zu verstehen - zum Beispiel ein Fernsehgerät. Zu den weiterhin untersuchten Aspekten des Denkens gehören Phantasie, Kreativität, das JA/NEIN-System, die tödliche Gefahr der Arroganz und die ungeheure Bedeutung des Humors für das Denken.
Es mag den Anschein haben, als sei Denken ein zu komplizierter Prozess, um ihn zu verstehen, aber die beiden grundlegenden Schritte sind ganz einfach. In dem Buch wird auch das merkwürdige Paradox aufgeklärt, dass der Mensch nur darum so viel besser zu denken vermag als Tiere, weil er dümmer ist.
Wenn man über das Denken schreibt, geschieht es leicht, dass man sich in verbalen Schleiertänzen ergeht, bei denen ein wahres Gewitter von Geistesblitzen niedergeht. Um diesen Wirrwarr zu vermeiden, liegt diesem Buch ein konkretes Denkexperiment zugrunde, keine ausgeklügelte Spekulation. Dieses einfache Experiment ist der rote Faden, der sich durch das Buch zieht und verhindert, dass es sich in metaphysische Dunstschwaden auflöst.
Ich glaube tatsächlich, die hoffnungsvollste Eigenschaft des Menschen ist seine relative Dummheit. Es bestünde wenig Anlass zu Optimismus, wenn die Menschen wirklich so gescheit wären, wie sie zu sein glauben, und trotzdem immer so in Schwierigkeiten geraten.
Wenn wir damit anfingen, dem gewöhnlichen Denken unmittelbar Aufmerksamkeit zu schenken, dann wäre das, glaube ich, nützlicher als zum Mond zu fliegen. Zur Zeit befassen sich übrigens mehr Professoren mit Sanskrit als mit dem Denken als einer Fertigkeit.


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1. Wissen, was man tun muss

Instinkt - Lernen - Verstehen

Denken ist jenes Intervall zwischen dem Moment, in dem wir etwas wahrgenommen haben, und dem Moment, in dem wir wissen, was wir nun damit anfangen sollen. In diesem Intervall kommen uns Gedanken, die vom einen zum anderen führen, während wir versuchen, die unvertraute Situation zu klassifizieren und in eine vertraute zu verwandeln, von der wir wissen, wie man mit ihr fertig wird. Später lernt der Mensch dann, sich die Zeit damit zu vertreiben, dass er an Gedanken um ihrer selbst willen herumtüftelt. Aber der biologische Zweck des Denkens ist, einem Lebewesen dadurch das überleben zu ermöglichen, dass es die Dinge bekommt, die es braucht, und sich von den Dingen fernhält, die gefährlich sind. Es muss wissen, was es in einer bestimmten Situation tun soll: sich voll Gier darauf stürzen oder voll Angst wegrennen?

Drei grundlegende Prozesse, Wissen zu erlangen
Es gibt drei grundlegende Prozesse, durch die Lebewesen genug über die Dinge erfahren, um richtig auf sie zu reagieren.

I. Instinkt

Im Organismus ist eine fixierte Reaktion angelegt, so dass er automatisch auf eine bestimmte Situation in einer bestimmten Weise reagiert. Die Reaktion ist vorinstalliert. Sie ist ebenso unmittelbar, automatisch und unveränderlich wie die Beleuchtung eines Raums, wenn Sie die Lampe anknipsen. Die Reaktion ist im Lebewesen so eingebaut, wie elektrische Leitungen in einem Haus eingebaut sind. Sie braucht nicht erlernt zu werden. Tiere reagieren instinktiv auf Situationen, die sie unmöglich schon früher erlebt haben können. Eine bestimmte schwarze Silhouette, die über noch gänzlich unerfahrenen Jungvögeln bewegt wird, lässt sie sich angstvoll ducken, denn sie täuscht das Flugbild eines Falken vor, der am Himmel kreist. Wird genau derselbe Umriss rückwärts bewegt, so bleibt er wirkungslos, denn er sieht wie ein harmloser Schwan aus. Instinkte sind eindeutige Reaktionen, die durch eindeutige Situationen ausgelöst werden. Junge Möwen sperren den Schnabel nach Futter auf, wenn über ihnen ein schnabelförmiger Gegenstand mit einem roten Fleck darauf auftaucht, denn so sieht die Möwenmutter aus. Ein Stück Holz mit einem roten Fleck ruft die gleiche Reaktion hervor. Die unmittelbare Reaktion dieser Art hat der Oxforder Verhaltensforscher Prof. N. Tinbergen in klassischer Klarheit beschrieben.

Vorteile

  1. Eine instinktive Reaktion ist unmittelbar und vollständig; sie wird nicht erlernt.
  2. Eine instinktive Reaktion ist voraussagbar, und ihre Bedeutung ändert sich nicht. Das macht sie für die Kommunikation mit anderen Tieren nützlich.
Nachteile
  1. Die instinktive Reaktion ist fixiert und kann der Situation nicht angepasst werden. Auch kann man sie nicht abstellen, wenn sie unangebracht ist.
  2. Die Zahl der fixierten, angeborenen Reaktionen ist begrenzt, so dass keine Möglichkeit besteht, mit neuen Situationen fertig zu werden, für die es keine ausgebildete Reaktion gibt.

II. Lernen

Lernen aus erster Hand
Das ist ein langsamer Prozess, bei dem ein Lebewesen durch Erfahrung aus Fehlern und Erfolgen herausfindet, wie es auf eine Situation angemessen reagieren soll. Eine Sekretärin findet heraus, wie ihr Chef seine Briefe getippt haben möchte. Ein Zirkuspferd lernt, auf den Hinterbeinen zu stehen. Eine Katze lernt, den Weg nach Hause zu finden. Ein Tennisspieler lernt, wie man den Ball aufschlägt. Zum Lernen gehört, in bezug auf eine Situation etwas zu tun und dann zu sehen, was geschieht. Das Ergebnis mag gut, schlecht oder leidlich sein. Wenn Sie rote Beeren essen, schmecken sie vielleicht scheusslich. Wenn das Zirkuspferd auf den Hinterbeinen steht, wird es mit einem Apfel belohnt. Allmählich lernt man, die Reaktion so zu steuern, dass sie nur Freude und keinen Schmerz mit sich bringt. Sobald sie einmal so geformt worden ist, wird sie genau wie eine instinktive Reaktion von bestimmten Situationen ausgelöst.

Vorteile

  1. Der Vorteil des Lernens gegenüber dem Instinkt ist, dass man Reaktionen auf neue Situationen entwickeln kann.
  2. Reaktionen können einer Situation genau angepasst werden. Schlechte Reaktionen können verbessert oder abgestellt werden.
Nachteile
  1. Das Lernen geht sehr langsam vonstatten, denn man muss immer wieder herumprobieren. Das gilt insbesondere für das auf Dauer angelegte Lernen, bei dem sich der Erfolg nicht sofort einstellt, sondern erst nach einer langen Folge von Reaktionen (so dass man nicht gleich weiss, ob man auf dem richtigen Weg ist oder nicht).
  2. Direktes Lernen kann gefährlich sein. Es wäre sehr gefährlich, wenn jeder selbst mit dem Finger herausfinden müsste, was es mit einer Steckdose auf sich hat.


Lernen aus zweiter Hand
Das ist eine Art künstlicher Instinkt. Es bedeutet, dass man auf Situationen unmittelbar zu reagieren lernt, ohne den langwierigen Prozess des Herumprobierens selbst durchmachen zu müssen. Das Lernen aus zweiter Hand ist eine Weitergabe von Wissen. Dieses wird vermittelt durch Bücher, Fernsehen, Schule, Eltern, andere Menschen usw. Ein Kind lernt, dass ein Auto gefährlich ist, ohne es am eigenen Leibe erfahren zu müssen. Ein Student lernt, dass Vitamin B12 eine bestimmte Form der Anämie heilen kann, weil dies in seinem Lehrbuch steht. Ein Mann lernt, dass eine gewisse Investition riskant ist, weil sein Börsenmakler es ihm sagt.

Vorteile

  1. Lernen aus zweiter Hand geht viel schneller und ist gefahrloser als Lernen aus erster Hand.
  2. Wissen aus zweiter Hand lässt sich schon im voraus auf Situationen anwenden, die man noch nicht selbst erlebt hat.
  3. Wissen aus zweiter Hand lässt sich auf Situationen anwenden, in die man vielleicht niemals gerät (Beispiel: Erdkundeunterricht über ferne Länder).
  4. Wissen aus zweiter Hand kann aufgespeichert und weitergegeben werden (Bücher usw.), so dass der gesamte Wissensschatz immer mehr anwächst.
  5. Eine grosse Zahl von Menschen (von denen manche klügere Köpfe haben als man selbst) kann sich mit einer Situation befassen und eine bessere Reaktion erarbeiten, als ein einzelner durch direktes Lernen aus erster Hand herausfinden könnte.
Nachteile
  1. Man ist ganz und gar angewiesen auf die Vertrauenswürdigkeit der Quelle, die das Wissen weitergibt. Da man die Situation nicht selbst erlebt, lernt man sie nur durch die möglicherweise getrübte Brille desjenigen sehen, der das Wissen übermittelt.
  2. Die Reaktion aus zweiter Hand ist eine Art Durchschnittsreaktion, die für jedermann geeignet und auf individuelle Erfordernisse nicht so fein abgestimmt ist wie eine Reaktion, die aus erster Hand gelernt wurde.
  3. Es kann leicht vorkommen, dass einander widersprechende Reaktionen von den verschiedenen Quellen des Wissens aus zweiter Hand (z. B. Eltern, Lehrer, Freunde) übermittelt werden. Das kann verwirrend sein.
  4. Da Belohnung und Bestrafung hier nicht so direkt erfolgen wie beim Lernen aus erster Hand, ist die Lernbegierde geringer.

III. Verstehen

Ein Instinkt ist eine für eine bestimmte Situation passende Reaktion. Der Geruch des Mottenweibchens lockt das Mottenmännchen aus grosser Entfernung an. Auch beim Lernen aus erster oder zweiter Hand sind die Reaktionen auf bestimmte Situationen zugeschnitten. Diese werden zu "vertrauten" Situationen, da man weiss, wie man sich zu verhalten hat. Aber wie steht es mit neuen Situationen? Wie steht es mit unvertrauten Situationen, für die es keine bereits ausgebildeten Reaktionen gibt? Eine fremde Frau läutet an der Haustür. Sofort versuchen wir, die Situation in eine vertraute Kategorie einzuordnen, bei der wir die Reaktion kennen. Führt die Frau eine Meinungsbefragung durch? Sammelt sie für einen Wohltätigkeitsverein? Hat sie eine Autopanne gehabt? Will sie bloss nach dem Weg fragen? Ist sie eine alte Bekannte, die wir nicht wiedererkennen?
Verstehen ist der Prozess, durch den ein unvertrauter Vorgang in einen vertrauten verwandelt wird, so dass man weiss, wie man sich verhalten muss. Diese Verwandlung findet im Verstand statt, wenn man von einer Vorstellung zur nächsten übergeht; bis man erkennt, dass die unvertraute Situation vertrauten Situationen ähnelt oder sich von ihnen herleitet. Dieser Übergang von einer Vorstellung zur anderen ist Denken. Verstehen ist Denken.
Wenn man ein weisses Laken in der Nacht flattern sieht, erschrickt man, denn es ist eine unvertraute Situation. Aber sobald man sieht, dass das Laken an einer Wäscheleine hängt, weiss man, was man tun muss - nichts. In einem ausländischen Restaurant versucht man, die fremden Wörter auf der Speisekarte in Verbindung zu bringen mit Wörtern, die man kennt, um zu verstehen, was für Gerichte es gibt. Zu guter Letzt stellt man dann fest, dass einige der exotischsten Namen ganz vertraute Gerichte bezeichnen.
Verstehen ist ein entscheidend wichtiger Prozess, denn es ist das Mittel, durch das der Mensch sein Wissen vermehrt. Er kann nur die Reaktionen auf ein paar bestimmte Situationen lernen, doch durch das Verstehen verwandelt er beliebig viele neue Situationen in bereits vertraute Situationen und weiss daher sofort, wie er sich verhalten soll (ohne durch Lernen aus erster Hand eine Reaktion erst selbst entwickeln oder sie vom Lernen aus zweiter Hand übernehmen zu müssen).

Vorteile

  1. Das Verstehen ermöglicht uns, unser Wissen dadurch zu vermehren, dass wir alte Reaktionen auf neue Situationen anwenden.
  2. Wenn Sie neue Situationen verstehen, können Sie sie anderen Leuten erklären, die dann ihre Reaktionen selbst auswählen können, statt blindlings Reaktionen aus zweiter Hand zu übernehmen.
Nachteile
  1. Das Verstehen ist begrenzt durch die vorhandenen alten Reaktionen (oder Vorstellungen), mit denen sich die neuen Situationen erklären lassen.
  2. Bei dem Versuch, eine neue unvertraute Situation mit Hilfe alter Vorstellungen zu verstehen, kann es sein, dass man eine ganze Menge übersieht oder die vorliegende Situation verzerrt, um sie für die vorhandenen Vorstellungen passend zu machen
  3. Gewöhnlich kann man eine unvertraute Situation auf mehreren Wegen wahlweise angehen, doch ist man geneigt, sich auf den ersten zu konzentrieren und ihn für den einzig gangbaren zu halten.
  4. Verschiedene Menschen können dieselbe Situation auf ganz verschiedene Weise verstehen und dementsprechend handeln.

Denken in der Praxis

In der Praxis macht der moderne Mensch vom Instinkt nicht viel Gebrauch. Auch hat er nicht viel Zeit für das Lernen aus erster Hand. Fast ständig ist er auf übermitteltes Wissen aus zweiter Hand und auf das Verstehen angewiesen. Seine Grundkenntnisse und Vorstellungen entstammen dem Wissen aus zweiter Hand, das ihm mit der Erziehung gezielt übermittelt wird, oder er hat sie sich aus Interesse oder Zufall selbst angeeignet. Dann wendet er sein Verständnis an, um neue unvertraute Situationen in vertraute Bestandteile aufzugliedern, damit er seine Grundkenntnisse anwenden kann.

Wozu die Mühe?
Warum soll man sich mit dem Versuch abmühen, die Dinge zu verstehen?

  1. Um richtig zu reagieren: vermeiden, übergehen, ändern, geniessen, verwenden, überprüfen usw
  2. Um Wirkungen zu erzielen: Krankheiten heilen, bessere Ernten erzielen, die Armut überwinden, schneller als der Schall fliegen, Verbrechen verhindern, Segelregatten gewinnen usw.
  3. Um zu erkennen, was später geschehen wird: mit einem fiebernden Kind; auf dem Aktienmarkt; wie das Wetter wird; mit der Umweltverschmutzung usw.
  4. Aus Neugier.


Der grundlegende Denkprozess
Der Obergang vom Unbekannten zum Bekannten ist Verstehen, und die Art und Weise, wie dieser Übergang zustande kommt, ist Denken. Entweder kann es sich darum handeln zu verstehen, was etwas ist, oder darum, wie irgendeine Wirkung herbeigeführt wird. Verstehen ist: herausfinden, was zu tun ist. Dieses Herausfinden ist Denken.

Verstehen ist Denken.


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Schlussbetrachtung

... Abgesehen davon, dass sich das Buch mit praktischen Aspekten des gewöhnlichen Denkens wie Rechthaben, Fehlermachen und Verstehen befasst, hat es auch Denkinstrumente wie Schwarze Kästen, Breiwörter, das JA/ NEIN-System, PO usw. beschrieben. Vieles wurde ausgelassen. Vieles wurde stärker vereinfacht, als vielleicht gut war. Der Zweck des Buches ist, einen gangbaren Weg für das gewöhnliche Denken aufzuzeigen. Das gewöhnliche Denken unterscheidet sich sehr stark von so idealisierten Systemen wie der mathematischen Logik, und es wäre vergebens, wenn man wünschte, das gewöhnliche Denken möge so präzise sein. Das ist es nicht und wird es wohl niemals sein. Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind. Und man darf nicht vergessen, dass einige Instrumente des gewöhnlichen Denkens (Schwarze Kästen, Breiwörter) äusserst nützlich sind, mögen sie dem reinen, abstrakten Logiker auch entsetzlich verschwommen und bedeutungslos erscheinen.
Einige der in diesem Buch beschriebenen Dinge liegen sehr klar auf der Hand. Ich habe es nie gefährlich gefunden, etwas zu unterstreichen, was offenkundig ist, denn sehr oft bedeutet gerade die Offenkundigkeit einer Sache, dass ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Dorfschönheitseffekt ist gewiss offenkundig, kann aber nicht oft genug betont werden. Andere Dinge sind nicht so augenfällig. Diese Gefahr besteht immer, wenn man versucht, die Dinge anders darzustellen. Andererseits wird der Leser vieles bemerken, was ich selbst nicht bemerkt habe.
Ich hoffe, dass nichts in dem Buch als ein Dogma hingestellt wurde, dem man zustimmen oder dem man sich unterwerfen muss. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es Betrachtungsweisen gibt, die nützlich sein können. Wer sie nicht nützlich findet, braucht sich ihrer nicht zu bedienen. Ein Gartenschuppen ist voller Geräte. Sie benutzen dasjenige, das Sie haben wollen, und lassen die anderen hängen. Aber es ist vernünftig, sich umzuschauen und zu sehen, was für Geräte da sind, ehe Sie sich entscheiden, welches Sie nehmen wollen.

Wenn ich die wichtigsten Regeln für das gewöhnliche Denken kurz zusammenfassen müsste, würde ich zwei nennen:

I.  Jeder hat immer recht
II. Keiner hat jemals recht
Das ist kein Widerspruch. Niemand macht seiner Meinung nach absichtlich einen Fehler. Entsprechend seinem Wissen, seiner Erfahrung und seinen Emotionen und der Art und Weise, wie jemand die Dinge betrachtet, stellt er seine Gedanken möglichst gut dar. Man muss sich darüber klar sein, dass das der Fall ist, wenn man mit anderen Menschen zu tun hat. Das mag selbstverständlich sein, aber es wird leicht vergessen. Wenn Sie jemandem einen anderen Gesichtspunkt zeigen wollen, müssen Sie die Dinge so anordnen, dass sein Verstand intuitiv umschaltet und diesen Standpunkt plötzlich von selbst begreift. Intuition ist auch der Prozess, durch den man selber von einer Vorstellung, die angemessen ist, zu einer besseren übergeht.
Obwohl jeder in seinem eigenen Kontext immer recht hat, ist diese Richtigkeit nicht absolut, sondern auf eben diesen Kontext beschränkt. Das bedeutet, dass man nicht in die Arroganz und Rechthaberei derjenigen verfallen darf, die glauben, sie hätten die ewige Wahrheit gepachtet, so dass sie ihre Ideen anderen aufzwingen müssten. Diese Arroganz ist der schlimmste Fehler, denn er läuft dem natürlichen Verhalten des Verstandes bei der
Verbesserung seiner Vorstellungen zuwider. Wenn man es gelten lässt, dass im absoluten Sinne niemand jemals recht hat, dann ist man eher bereit, nach besseren Ideen Ausschau zu halten und den Ideen anderer Leute Beachtung zu schenken.


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Übersicht


Wissen, was man tun muss
  1. Instinkt
  2. Lernen (aus erster Hand / aus zweiter Hand)
  3. Verstehen

Die fünf "Bundesstrassen" zum Verstehen
Die vier richtigen Denkmethoden
Die fünf falschen Denkmethoden
Zwei grundlegende Denkprozesse
  1. "Weitermachen" (einen Gedankengang direkt fortsetzen)
  2. "Verbinden" (ein neuer Punkt wird als Problem oder Frage aufgeworfen, dann versucht man, die Verbindung zum Vorhergehenden herzustellen)

Das JA/NEIN-System
Mängel:
  1. Nicht geeignet, um über das Angemessene hinaus vorzustossen
  2. Daueretikettierung
  3. Scharfkantige Begriffe und scharfe Polarisierungen
  4. Arroganz der Selbstgerechtigkeit

Arten der Arroganz
  1. Keine Alternativen
  2. Keine Veränderung
  3. Kein Entrinnen

Zweifel
  1. Verzögernder Zweifel
  2. Antreibender Zweifel

Das kreative System
Anhaltspunkte Zwecke:
  1. Vorstellungen anregen
  2. Vorstellungen bestätigen
  3. Vorstellungen ausschliessen

De Bonos erstes Gesetz
"Ein Gedanke kann niemals den besten Gebrauch von der vorhandenen Information machen." (Da die Information im Lauf einer bestimmten Zeit langsam in den Verstand eindringt, können die aufgestellten Gedankenmuster nicht so gut sein, wie wenn die ganze Information auf einmal verfügbar gewesen wäre.)


De Bonos zweites Gesetz
"Beweis ist oft nicht mehr als Mangel an Phantasie - beim Ersinnen einer Alternativerklärung." (Wenn Sie sich keine bessere Erklärung ausdenken können, sind Sie überzeugt, dass die, die Sie haben, richtig ist.)


PO
Ein neues funktionales Wort zu dem Zweck, die Funktion Diskontinuität in das Denken einzuführen, um kreative und intuitive Veränderungen zu ermöglichen. PO ist für das laterale Denken ebenso grundlegend wie NEIN für das logische Denken.

Zwei Funktionen von PO:

  1. Befreiung (alten Vorstellungen entrinnen)
  2. Anreiz (neue Vorstellungen entwickeln)

Vermittelnde Unmöglichkeit
Eine Vorstellung, die an sich falsch ist, aber dennoch als nützliches Sprungbrett zu einer Vorstellung dient, die völlig stichhaltig ist.


Arroganzklammer
Fixiert einen Gedanken, so dass er weder weiterentwickelt noch gegen einen besseren Gedanken ausgetauscht werden kann.


Scharfer Verstand
Vermag sofort und genau zu unterscheiden (wie bei den Tieren) Verschwommener Verstand Zuerst unscharfes Unterscheidungsvermögen, dann später feines Unterscheidungsvermögen (wie beim Menschen)


Breiwörter
Ungenaue und scheinbar bedeutungslose Wörter, die eine wichtige Rolle beim Denken spielen
Verwendung von Breiwörtern
  1. Um Fragen aufzuwerfen
  2. Um handliche Erklärungen zu liefern
  3. Als Querverbindungen beim Denken
  4. Um als Schwarze Kästen zu dienen
  5. Um eine zu frühe Festlegung auf einen bestimmten Gedanken zu verhindern

Benannte Begriffe
Jede Vorstellung, die mit einem individuellen Namen bezeichnet werden kann


Begriffsbündel
Jede Gruppe von Vorstellungen, die zeitweise zusammen als ein Ganzes verwendet werden, die aber keinen gemeinsamen Namen haben.


Bandbreiten-Analyse
Steckt den Rahmen ab für die allgemeinen Aussagen, die man mit Sicherheit über eine Situation machen kann, obwohl man nicht über genaue Einzelheiten verfügt.


Die Sehweise des Knopfdrückens
Die Wirkung herbeiführen, die man haben will, indem man den richtigen Knopf findet, der gedrückt werden muss, ohne dass man zu wissen braucht, was dazwischen geschieht.


Dingsbums
Ein vorläufiger Name, der aus Bequemlichkeitsgründen dem, "was gefordert wird" oder dem, "was wir suchen", gegeben wird.


Schwarze Kästen
Imstande sein, sich eines Begriffs oder einer Maschine erfolgreich zu bedienen, ohne die Einzelheiten dessen, was drinnen vorgeht, zu kennen (z. B. können Sie ein Fernsehgerät bedienen, ohne etwas von Elektronik zu verstehen).


Bockspringen
Über Einzelheiten hinwegspringen, die man nicht zu wissen braucht, indem man sie alle in einen Schwarzen Kasten oder ein Breiwort verpackt.


Denken 2
Statt wie beim gewöhnlichen Denken (Denken 1) von einem Gedanken zu einem anderen fortzuschreiten, umreisst man seinen eigenen Standpunkt. Statt zum Beispiel bei einer Diskussion eine Kette von gekoppelten Gedanken zu verwenden, um den Gesprächspartner von Ihrem Standpunkt zu überzeugen, beginnen Sie beide damit, Ihre jeweiligen Ausgangspunkte zu umreissen und dann den Überlappungsbereich und die Vorstellungsexklaven in Betracht zu ziehen. Denken 2 vermeidet die übliche Problematik, dass zwei Menschen glauben, über dasselbe zu reden, während sie tatsächlich über verschiedene Dinge reden. Die Grundprinzipien von Denken 2 können folgendermassen dargestellt werden:
  1. die verschiedenen Bilder genau umreissen, statt anzunehmen, dass alle gleich seien;
  2. die Existenz der verschiedenen Bilder akzeptieren und sich darüber klar sein, dass man ein Bild nicht dadurch verschwinden lassen kann, dass man es mit einem NEIN-Etikett versieht;
  3. versuchen, neue Überbrückungsgedanken zu entwickeln, durch die man von einem Bild zu einem anderen gelangt.
Die Wahl des Aufmerksamkeitsbereichs bestimmt die anschliessende Denktätigkeit. Die meisten Meinungsverschiedenheiten entstehen, weil man annimmt, wenn das Gesamtbild allen Leuten gleich erscheine, dann würden sie auf ein und dasselbe reagieren, und nur ihr Denken sei falsch. In der Praxis pendelt man zwischen Anhaltspunkten und Vorstellungen hin und her. Sobald man eine Vorstellung hat, besteht die Gefahr, dass man nur diejenigen Anhaltspunkte bemerkt, die zu der Vorstellung passen. In der Theorie ist es das einzige Ziel des Wissenschaftlers, sich selbst Fehler nachzuweisen. Im Gegensatz zum Wissenschaftler muss der Mann der Praxis so schnell wie möglich recht haben, weil er etwas tun muss. Man sollte besser herausfinden, wo die Leute stehen, statt den Versuch zu machen, sie davon zu überzeugen, wo sie stehen sollten.


Grundregeln für das gewöhnliche Denken
  1. Jeder hat immer recht. (Die Vorstellungen eines Menschen sind immer richtig im Kontext dessen, was er sieht, und wie er die Dinge sieht.)
  2. Keiner hat jemals recht. (Im absoluten Sinne, denn Richtigkeit ist verknüpft mit einem bestimmten Kontext, mit einer bestimmten Gedankengruppe.)

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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"