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Geisteswissenschaften - Religion - Gnosis

Unterdrückte Gebete - Gnostische Spiritualität im frühen Christentum

Auszüge aus dem Buch "Unterdrückte Gebete: gnostische Spiritualität im frühen Christentum" von Gerd Lüdemann und Martina Janssen, Stuttgart: Radius-Verlag, 1997, ISBN 3-87173-118-8, NE: Janssen, Martina: ISBN 3-87173-118-8, © Radius-Verlag GmbH Stuttgart 1997, Satz: Roald Zellweger, Göttingen, Druck u. Bindung: Clausen & Bosse, Leck, Printed in Germany

[Anmerkung des Erfassers: Vergleichen Sie die gnostischen Texte mit denen in " Geist-Kraft-Stoff "!]

Inhalt


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Vorwort

Nach Lektüre meines Buches »Ketzer. Die andere Seite des frühen Christentums« (Radius-Verlag, 1995) äusserten zahlreiche Leserinnen und Leser den Wunsch, noch mehr Originaltexte der von der »offiziellen« Kirche des zweiten Jahrhunderts ausgeschlossenen Ketzer kennenzulernen. Der vorliegende Band entspricht dem geäusserten Interesse.
Dabei wurden die meisten Originaldokumente (aus dem Griechischen, dem Lateinischen, dem Syrischen, dem Koptischen und dem Mandäischen) neu übersetzt und mit den verfügbaren Übersetzungen verglichen. Die Übersetzung bemüht sich um Verständlichkeit und will der poetischen Ausdrucksweise gerecht werden. Deswegen ist sie oft recht frei. Weiter wird um der Verständlichkeit und der Lesbarkeit willen auf eine Zeilennumerierung innerhalb der Übersetzungen verzichtet. Auch unverständliche, für den Gedankengang überflüssige oder nur fragmentarisch erhaltene Textabschnitte wurden ausgelassen und längere Texte mitunter gekürzt, um die Leserschaft nicht zu ermüden. Die Auslassungen sind folgendermassen gekennzeichnet: (...); Ergänzungen, die dem besseren Verständnis der Texte dienen, sind in runde Klammern ( ), Erläuterungen einzelner Worte werden mit (sc. ) gekennzeichnet; Rekonstruktionen fehlender oder schlecht lesbarer Worte und Sätze im Originaltext sind in eckige Klammern gesetzt [ ], Verbesserungen des Originaltextes durch * * und Einfügungen aus anderen Handschriften durch + + vermerkt. Die jeweiligen Hinführungen bieten nur das für das Verständnis des Textes Notwendige; nähere Informationen, Literatur und weitere gnostische Dokumente finden sich in den Beigaben und in den Anmerkungen. Erläuterungen schwieriger Begriffe sind am Ort in Klammern gesetzt, soweit sie nicht in den einzelnen Anmerkungen erklärt werden.
Silke Röthke sei an dieser Stelle für die Texterfassung grosser Teile des Manuskripts gedankt; Roald Zellweger hat die Druckvorlage erstellt, die syrischen und mandäischen Quellen neu übersetzt bzw. die vorhandenen Übersetzungen durchgesehen und diesem Band durch zahlreiche Hinweise und Anregungen zur vorliegenden Form mitverholfen. Martina Janssen übersetzte mit mir an vielen langen Nachmittagen in Göttingen koptisch-gnostische Texte und entwickelte die Konzeption des vorliegenden Buches.
Eine englische Übersetzung wird von Dr. John Bowden für die SCM Press (London) vorbereitet.
Eine längst überfällige deutsche Gesamtübersetzung der Nag-Hammadi-Texte mit Einführungen, Erläuterungen und Registern ist abgeschlossen und wird im Herbst 1997 im Radius-Verlag erscheinen. Zu allen weiterführenden Fragen, die sich aus der Lektüre der bereits hier abgedruckten Nag-Hammadi-Dokumente sowie der anderen Texte der Gnosis ergeben mögen, sei vorweg auf dieses grosse Werk verwiesen, das die Gnosisforschung im deutschen Sprachraum auf eine neue Grundlage stellen wird.
Göttingen, Freitag, den 13. Dezember 1996 G. Lüdemann

Einleitung

Die Entwicklung im frühen Christentum verlief nicht eingleisig. Neben der katholischen Kirche des zweiten Jahrhunderts, auf die der neutestamentliche Kanon letztlich zurückgeht, gab es christliche Gruppen, deren Literatur infolge planmässiger Ausmerzung durch katholische Bischöfe nur trümmerhaft erhalten ist. Zu ihnen gehören die Gnostiker, die als Ketzer gebrandmarkt, unterdrückt und mitsamt ihren Anhängern ausgerottet wurden.
Unter Gnosis versteht man eine religiöse Strömung, die in der Spätantike ihren Höhepunkt hatte. Das griechische Wort »Gnosis« bedeutet »Erkenntnis«. Die Erkenntnis ist für den Gnostiker in erster Linie Selbsterkenntnis: Die Seele des Menschen ist himmlischen Ursprungs. Durch einen Fehltritt einer göttlichen Macht entstand die Welt, die - wie alles Materielle - fehlerhaft ist. Die göttliche Seele ist in dem materiellen Körper gefangen und hat ihre wahre Heimat vergessen. Durch den Ruf des Erlösers, den die christlichen Gnostiker mit Jesus gleichsetzen, erwacht die Seele aus ihrem Schlaf und ihrer Trunkenheit. Sie wird über ihre Herkunft und ihren Fall belehrt. Diese Erkenntnis bringt ihr Erlösung und lässt sie wieder eins werden mit dem Pleroma (=Fülle), aus dem sie stammt.
Eine »gnostische Programmformel« lautet folgendermassen: Wer waren wir? Was sind wir geworden? Wo waren wir? Wohinein sind wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt? (Exzerpte aus Theodot 78,2). Die Gnostiker haben versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Doch taten sie dies nicht durch abstrakte Denkübungen oder mit Hilfe theoretischer Systeme. Vielmehr haben sie in unübertroffener religiöser Kreativität die Geschichte des menschlichen Selbst geschildert, welches in den gnostischen Texten oft mit der Seele des Menschen oder mit einem Lichtfunken gleichgesetzt wird. Dabei wurden erzählte Mythen mit gewaltigen Bildern zu Ausdrucksmitteln der Gnosis.
In diese Mythen sind Elemente aus dem Judentum, der griechischen Religion und Philosophie sowie orientalisches Gedankengut eingeflossen. Was immer dazu geeignet war, Herkunft und Situation des Menschen in der Welt und seine Rückkehr zum Ursprung plausibel zu machen, hat seinen Platz in den gnostischen Mythen gefunden.
Die Gnosis stellt keine einheitliche Strömung dar. Ist allen gnostischen Richtungen zwar die eine Frage nach der wahren Identität des Menschen gemeinsam, so unterscheidet sich doch die jeweilige Ausmalung des gnostischen Mythos, der die Antwort auf die gnostische Frage ist. Dabei empfiehlt es sich, grundsätzlich zwischen einer monistischen und dualistischen Gnosis zu unterscheiden: Im ersten Fall stammt auch die Materie bzw. das Böse aus der Gottheit selbst und ist durch einen göttlichen Ungehorsam oder Fehltritt entstanden, im zweiten Fall ist das Böse dualistische Gegenmacht zum »guten Gott«. Die meisten christlich-gnostischen Systeme entsprechen dem ersten Gnosis-Typ. Doch auch sie sind in sich nicht einheitlich und in unterschiedliche gnostische Schulrichtungen wie dem Valentinianismus sowie der sethianischen oder basilidianischen Gnosis aufzugliedern.
Die Gnosis ist nicht auf das Christentum beschränkt. Es gibt auch eine jüdische, iranische und ägyptische Gnosis. Die vorliegende Textsammlung enthält vorwiegend Zeugnisse christlicher Gnosis. Gleichzeitig sei hervorgehoben, dass auch manichäische (a), mandäische (b) und hermetische (c) Schriften aufgenommen wurden.
(a) Die Mandäer sind die einzige gnostische Gruppe, die auch noch heute vorhanden ist. Sie leben im südlichen Irak, vorwiegend an Flüssen, wie es ihrer Eigenart als Taufsekte entspricht. Die mandäische Religion ist ganz durch kultische Handlungen (Taufe und Seelenmesse) geprägt. Die für diesen Band wichtigsten Schriften der Mandäer sind der Ginza (Schatz), der aus zwei Teilen besteht: Der erste Teil (Rechter Ginza=RG) enthält 18 Lehrtraktate, der zweite Teil (Linker Ginza=LG) handelt vom Aufstieg der Seele nach dem Tod in das Lichtreich. Liturgische Texte, die bei der Taufe und der Seelenmesse rezitiert werden, sind Inhalt der »Mandäischen Liturgien« (=ML). Die religiöse Überlieferung der Mandäer ist in einem eigenen ostaramäischen Dialekt verfasst.
(b) Der Manichäismus geht auf seinen Gründer Mani (216-276/77) zurück. Er stellt eine Religion dar, die hellenistische, christliche und iranische Elemente in sich vereint. Der Ursprung dieser Religion liegt in Mesopotamien/Persien. Der Manichäismus hat sich - nicht zuletzt durch die intensiven Missionsbestrebungen Manis bedingt - bis nach Indien und China ausgebreitet. So sind die literarischen Zeugnisse der Manichäer in verschiedenen Sprachen (Türkisch, Koptisch, Chinesisch u.a.) verfasst. Die Mythologie der Manichäer ist durch einen strengen Dualismus zwischen Licht und Finsternis gekennzeichnet, der von der iranischen Religion beeinflusst ist. Mitten in diesem Kampf zwischen Licht und Finsternis befindet sich der Mensch, dessen Selbst zum Lichtreich gehört, aber in der Materie der Finsternis gefangen ist. Die Befreiung der menschlichen Seele durch den Urmenschen ist das zentrale Thema der manichäischen Religion. Die Manichäer haben eine grosse Anzahl von Schriften hinterlassen. Für diesen Band war besonders das »Manichäische Psalmbuch« (=MPB) ergiebig.
(c) Unter Hermetik ist eine Art »religiöse Philosophie« der Spätantike zu verstehen. Die hermetischen Schriften sind stark an der platonischen Philosophie interessiert, zeigen jedoch auch erhebliche Einwirkungen der ägyptischen und der jüdischen Religion. Die zentrale Rolle, welche die Erkenntnis in den hermetischen Schriften spielt, rückt die Hermetik in die Nähe der Gnosis; oft wurde die Hermetik auch als heidnische Gnosis bezeichnet. Einige Motive der Hermetik des zweiten und dritten Jahrhunderts nach Christus finden auch in der heutigen Zeit das Interesse von okkulten Gemeinschaften. Die hermetische Zeugnisse in diesem Band stammen alle aus dem Nag-Hammadi-Fund (Kodex VI) oder aus dem Corpus Hermeticum (=CH).
Obwohl die Mandäer, Hermetiker und Manichäer keine christlichen Gnostiker waren, sind einige ihre Schriften mitunter besonders gut geeignet, die Grundgedanken der Gnosis zu veranschaulichen.
Die religiöse Kreativität der Gnostiker hat sich am starren Dogmatismus der Vertreter der katholischen Kirche gerieben. Die »orthodoxen Christen« sahen ihre reine Lehre von der Erlösung Christi durch die gnostischen Anschauungen gefährdet, vor allem dadurch, dass der Schöpfergott für die Gnostiker eine fehlerhafte »Kopie« des wahren, unbekannten Vaters war. Auch hat die Bestreitung des Leidens Christi durch die Gnostiker zu erbitterten Reaktionen auf »kirchlicher« Seite geführt. So sind die Berichte der Kirchenväter Irenäus von Lyon (Ende des zweiten Jahrhunderts) oder Epiphanius von Salamis (um 315-403) voller Polemik gegen die Gnostiker.
Doch wie standen die Gnostiker zum katholischen Kirchenchristentum? Eine Unterdrückung von Kirchenchristen durch gnostische Christen ist nicht bekannt. Die Lehre und Praxis der Kirchenchristen war für die Gnostiker durchaus vereinbar mit ihrer eigenen Überzeugung; die Religiosität der Kirchenchristen stellte allerdings eine »untere Stufe« im Gegensatz zur gnostischen Erkenntnis dar. Blieb der Kirchenchrist auf dieser niedrigen Erkenntnistufe stehen, so suchte der Gnostiker nach höherer Erkenntnis. Das lässt sich an dem Taufverständnis illustrieren: Die Taufe war für die Gnostiker ein wichtiges Sakrament, doch wurde die wahre Erlösung erst durch das Sakrament der Apolytrosis (Erlösung) vollkommen erreicht. Dieses Ritual der Erlösung ist entweder ein Brautgemachssakrament (siehe Seite 75) oder eine heilige Taufe, welche die Wassertaufe der katholischen Kirche übertrifft.
Einen unverstellten Blick auf die gnostische Mythologie und Spiritualität gewährt die Textsammlung von Nag Hammadi. Ende 1945 sind in Nag Hammadi, einem kleinen Ort in Oberägypten, dreizehn Kodizes in koptischer Sprache aufgefunden worden, die grösstenteils gnostische Texte unterschiedlichster Richtungen enthalten. Damit ist die Gnosis neu entdeckt worden. War sie vor dem Nag-Hammadi-Fund meist nur durch die einseitigen und entstellenden Berichte der Kirchenväter bekannt, so sprechen die Gnostiker in diesen Texten endlich für sich selbst. Von daher ist es verständlich, dass die meisten in dieser Sammlung enthaltenen Texte den Nag-Hammadi-Kodizes (=NHC) entnommen sind. Obwohl die Kodizes jüngeren Datums sind (4. Jahrhundert), ist davon auszugehen, dass viele Nag-Hammadi-Texte Traditionen enthalten, die bis in das zweite nachchristliche Jahrhundert zurückgehen. Andere Textsammlungen, die schon im vorigen Jahrhundert bekannt wurden und genuin gnostische Schriften enthalten, sind der Kodex Brucianus (Bücher des Jeu; unbekanntes altgnostisches Werk), der Kodex Askewianus (Pistis Sophia) und der Kodex Berolinensis (Sophia Jesu Christi; Apokryphon des Johannes). Als gnostische Selbstzeugnisse haben ferner die Oden Salomos (=OdSal) zu gelten. Diese 42 hymnischen Texte sind der Frömmigkeit einer syrisch-gnostischen Gemeinde erwachsen. Weiter finden sich in apokryphen Apostelakten gnostische Gebete und Hymnen wie beispielsweise der Brauthymnus aus den Thomasakten. Solche Apostelgeschichten waren bei den Gnostikern in Gebrauch. Aber auch die Kirchenväter überlieferten im Zuge ihrer »Widerlegung« einige gnostische Originaldokumente (z.B. Naassenerpsalm), die hier aufgeführt sind.
Oft sind es im Gegensatz zur Literatur der Kirchenchristen weibliche Personen, die in den gnostischen Dokumenten das Wort ergreifen. Hier sind die gewaltigen Klagelieder der Pistis Sophia zu nennen oder die Offenbarungsreden weiblicher gnostischer Erlöserfiguren wie Bronte und die »dreigestaltige Protennoia«.
Die Auswahl der hier dargebotenen Texte erhebt nicht den Anspruch, die Gnosis vollständig zu dokumentieren. Ziel ist, einen Einblick in gnostische Religiosität zu vermitteln. Gerade die gnostischen Hymnen und Gebete eignen sich dazu: Sie bringen in poetischer Art und Weise das gnostische Lebensgefühl zum Ausdruck. Die Anordnung der Texte soll daher nicht von aussen geschehen, sondern von innen anhand der gnostischen Programmformel Ex.Theod. 78,2 (s.o.). So enthält der erste Teil des Buches Gebete, die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung (Wer waren wir? Wo waren wir?) des Gnostikers geben: Am Anfang befand sich das Selbst des Gnostikers beim guten, unbekannten Vater. Der zweite Teil orientiert sich am Leben in der Welt: (Was sind wir geworden? Wohinein sind wir geworfen?). Die Gebete dieses Abschnitts sind meist Klagelieder über das Leiden der Seele in der Welt. Im dritten, dem ausführlichsten Teil wird die gnostische Erlösung (Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt?) thematisiert. Hier finden sich die Hymnen an den Erlöser und die gnostischen Gebete, die in einen sakramentalen Zusammenhang gehören. Ein vierter Teil erinnert an die traurige Realität der Anfeindungen gegen Gnostiker und führt die Diffamierung von gnostischer Religiosität durch Kirchenchristen vor Augen. Hieran wird deutlich, dass, im historischen Kontext gesehen, die Gebete der Gnostiker unterdrückte Gebete waren. In den Beigaben finden sich weitere gnostische Texte zu den jeweiligen Teilen, die - ebenso wie die Anmerkungen - der Vertiefung dienen und Anregungen für eine weitere Beschäftigung mit der Gnosis geben sollen.
Unterdrückt aus dogmatischen und kirchenpolitischen Gründen, stellen die gnostischen Gebete dennoch Zeugnisse einer ernsten und tiefen Religiosität dar, ohne welche die Geschichte des Christentums zweifellos an Reichtum verloren hätte. Auch wenn die Gnostiker mit allen Mittel bekämpft oder diffamiert wurden und ihre Gebete der kirchlichen Zensur zum Opfer fielen - die Faszination der Gnosis bleibt bis in die heutige Zeit!


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Kapitel 1: Der unbekannte Vater

Der Gott der Gnostiker ist nicht der Gott dieser Welt. Der Schöpfer der Welt, zu dem die Kirchenchristen beten, ist ein »niederer Gott«, der die menschliche Seele aus Neid in Unwissenheit über ihre himmlische Heimat lässt. Der Gott, der dem Gnostiker die Erlösung bringt, ist der gute, unbekannte Vater. Er lässt sich nicht durch menschliche Bemühungen begreifen. Demzufolge kann über ihn nur ausgesagt werden, was er nicht ist. Diese »negative Theologie« nimmt einen breiten Raum in allen gnostischen Literaturformen ein: Am Anfang einer Schilderung des gnostischen Mythos findet sich in vielen Schriften zuerst eine »Wesensbestimmung« des unbekannten, guten Vaters, aus dem alles entstanden ist (vgl. auch in den Beigaben den Tractatus Tripartitus, der eine Art gnostische Dogmatik darstellt; hier auch eine Aufzählung der Eigenschaften Gottes, die teilweise in hymnischer Form abgefasst ist).

»Er-ist-Prädikationen«
Zu Beginn der Erzählung von der Entstehung der Welt im Eugnostosbrief und im Apokryphon des Johannes wird mit hymnenartigen Aufzählungen der unbekannte, gute Vater beschrieben. Solche Prädikationen im »Er-ist-Stil« sind in der Antike weit verbreitet gewesen und finden sich oft mit »Du-bist-Anreden« in einem Text nebeneinander.

Aus dem Eugnostosbrief
Der Eugnostosbrief (NHC III 3 + V 1) ist ein Lehrbrief, der eine typisch gnostische Kosmogonie (Weltenstehunglehre) zum Inhalt hat, zu deren Beginn ein Hymnus über den unbekannten Vater steht. Offenkundige christliche Einflüsse fehlen.
(NHC III 3; 71,14ff) Der, der existiert, ist unbeschreibbar.
Weder Kraft hat ihn erkannt, noch Macht, noch Unterordnung, noch ein Geschöpf seit der Grundlegung der Welt, nur er allein (hat sich erkannt).
Jener ist unsterblich; er ist ewig; er hat keine Geburt.
Denn jeder, der eine Geburt hat, wird sterben.
(Er) ist ungezeugt; er hat er keinen Anfang.
Denn jeder, der einen Anfang hat, hat ein Ende.
Niemand herrscht über ihn; er hat keinen Namen.
Denn jeder, der einen Namen hat, ist das Geschöpf eines anderen.
(Er) ist namenlos.
(Er) hat keine menschliche Gestalt.
Denn jeder, der eine menschliche Gestalt hat, ist das Geschöpf eines anderen.
Er hat ein eigenes Aussehen,
- nicht in der Art des Aussehens, das wir empfangen haben und das wir gesehen haben, sondern ein fremdes Aussehen, das alle Dinge übertrifft und besser ist als die Ganzheiten.
Es sieht nach allen Seiten und sieht sich selbst allein durch sich selbst.
(Er) ist unendlich.
(Er) ist unbegreiflich.
(Er) ist einer, der immer unvergänglich ist.
(Er) ist einer, der nicht seinesgleichen hat.
(Er) ist unwandelbar gut.
(Er) ist ohne Mangel.
(Er) ist einer, der immerwährend ist.
(Er) ist selig.
(Er) ist unerkennbar, während er sich selbst zu erkennen pflegt.
(Er) ist unmessbar.
(Er) ist unauffindbar.
(Er) ist vollkommen, weil er keinen Mangel hat.
(Er) ist unvergänglich selig.
Man nennt ihn »Vater des Alls«.

Aus dem Apokryphon des Johannes
Das Apokryphon des Johannes (NHC II 1 + III 1 + IV 1) ist eine sethianische Schrift. Abgesehen vom Erzählrahmen, der eine Erscheinung Christi schildert, besteht diese Schrift aus zwei Teilen. Der erste Teil ist eine Offenbarungsrede Jesu über den unbekannten Vater und die Entstehung der Welt; die Offenbarungsrede beginnt ähnlich wie im Eugnostosbrief mit einem Hymnus auf den unbekannten Vater im »Er-ist-Stil«; der zweite Teil besteht aus einem Offenbarungsgespräch zwischen Jesus und Johannes über Fragen, welche die Herkunft und Rettung des Menschen betreffen: Hier spielt die Auslegung von 1 Mose 1-7 eine grosse Rolle.

(NHC II 1; 2,28ff) [Er ist der, der existiert] als [Gott] und Vater des Alls,
[der Unsichtbare], der über [dem All] ist,
[der existiert als] Unvergänglichkeit (und) [als reines Licht],
in das kein [Auge] blicken [kann].
Er [ist der] unsichtbare [Geist], in bezug auf den es nicht passend ist, sich ihn als Gott oder etwas ähnliches [vorzustellen].
Denn er ist mehr als ein Gott, da es keinen über ihm gibt, denn niemand ist Herr über ihn.
[Denn er existiert] nicht in irgendeiner Untergeordnetheit, [denn alles] existiert in ihm.
[Er ist ewig], denn er braucht [nichts].
Denn [er] ist die ganze Vollendung.
[Er brauchte nichts], dass er vollkommen dadurch werde; [vielmehr] ist er immer gänzlich vollkommen im [Licht].
Er ist [unbegrenzbar], da keiner [vor ihm ist], der ihn begrenzt.
Er ist unergründlich, [da es dort] keinen, der vor ihm ist, gibt, um [ihn zu ergründen.
Er ist] unermesslich, da es keinen, der [vor ihm ist, gab, um] ihn [zu messen].
[Er ist unsichtbar, da keiner ihn] gesehen hat.
[Er ist ewig], da er ewiglich [existiert].
Er ist [unaussprechlich, da] keiner in der Lage war, ihn zu begreifen, um (dann) [über ihn] zu reden.
Er ist unbenennbar, da [dort keiner über ihm ist], um [ihn] zu benennen.
Er ist [das unermessliche Licht], das rein, heilig [und gereinigt] ist.
Er ist unaussprechbar, [indem er vollkommen ist in] der Unvergänglichkeit.
(Er ist) [weder] in Vollkommenheit noch in Seligkeit, noch in Göttlichkeit, sondern er ist weitaus vorzüglicher.
Er ist weder körperlich, [noch] ist er unkörperlich.
Er ist weder gross, [noch] ist er klein.
[Es gibt keine] Art und Weise zu sagen:
Wie gross ist er? Oder: Was [ist seine Art?], denn niemand [ist in der Lage, ihn zu erkennen].
Er gehört nicht [zu den Existierenden, sondern er ist] weitaus vorzüglicher (...).
Er ist Ewigkeit, die Ewigkeit gibt.
Er ist Leben, das [Leben] gibt.
Er ist ein Seliger, der Seligkeit gibt.
Er ist Erkenntnis, die Wissen gibt.
[Er ist] Güte, die Güte gibt.
[Er ist] Erbarmen, das [Erbarmen] und Rettung [gibt].
Er ist Gnade, die Gnade gibt.
[Nicht] weil er es besitzt, sondern weil er [das] unermessliche, unbegreifliche [Licht] gibt.

Aus dem unbekannten altgnostischen Buch
Das unbekannte altgnostische Buch ist neben den beiden Büchern des Jeu das dritte gnostische Werk im Kodex Brucianus. Es hat im wesentlichen eine Beschreibung des Himmels zum Inhalt. Doch enthält diese Schrift auch liturgische Abschnitte. Zum einen findet sich in Kapitel 17 ein Hymnus an den alleinigen Einen, der von der Mutter des Alls und dem Vorvater und anderen mythologischen Grössen gesungen wird; zum anderen sind in Kapitel 22 vierzig Lobpreisungen an den unbekannten Vater erhalten.
Hymnus an den unbekannten Gott
(Kap.17) (...) Du bist der allein Unendliche,
du bist allein die Tiefe,
und du bist allein der Unerkennbare;
und du bist der, nach dem alle forschen;
und sie fanden dich nicht;
denn niemand kann dich gegen deinen Willen erkennen,
und niemand kann dich gegen deinen Willen preisen. (...)
Lobpreisungen
(Kap. 22) Ich preise dich, Vater aller Väter des Lichtes.
Ich preise dich, (du) Licht-Unbegrenzter, der (du) alles Unbegrenzte übertriffst.
Ich preise dich, (du) Licht-Unfassbarer, der (du) über allem Unfassbaren bist.
Ich preise dich, (du) Licht-Unaussprechbarer, der (du) vor allem Unaussprechbaren bist.
Ich preise dich, (du) Licht-Unvergänglicher, [der] (du) alles Unvergängliche übertriffst.
(...) Ich preise [dich], Licht-[Unsagbarer].
[Ich preise] dich, Licht-Undenkbarer [...].
Ich preise dich, [Licht]-Ungezeugter.
Ich preise dich, Licht-Selbst[gezeugter].
Ich preise [dich], (du) Licht-Vorvater, [der] (du) alle Vorväter übertriffst.
[Ich preise] dich, (du) Licht-Unsichtbarer, der (du) vor [allem] Unsichtbaren bist.
[Ich] preise dich, (du) Licht-Gedanke, der (du) alle Gedanken übertriffst.
Ich preise dich, (du) Licht-Gott, der (du) vor allen Göttern bist.
Ich preise dich, (du) Erkenntnis, der (du) alle Erkenntnis erhellst.
Ich preise dich, (du) Licht-Unerkennbarer, der (du) vor allem Unerkennbaren bist.
Ich preise dich, (du) Licht-Stiller, der (du) vor jeder Stille bist.
Ich preise [dich], (du) Licht-Allmächtiger, der (du) alles Allmächtige übertriffst.
Ich preise dich, (du) Licht-Dreifachkräftiger, der (du) alles Dreifachkräftige übertriffst.
Ich preise dich, (du) Licht-Unteilbarer, aber du bist es, der jedes Licht teilt.
Ich preise dich, (du) Licht-Reiner, der (du) alles Reine übertriffst.
(...)
Ich preise dich, der du alles erkennst, - [niemand] erkennt dich.
Ich preise [dich, der du] das All aufnimmst, -[niemand] nimmt dich auf.
[Ich preise] dich, der du sie alle ungezeugt gezeugt hast, - [denn] niemand hat dich gezeugt.
Ich [preise] dich, Quelle des Alls [und] aller Dinge.
Ich preise [dich], wahrhaft Licht-Selbstgezeugter, der du vor [allem] Selbstgezeugten bist.
[Ich] preise dich, wahrhaft unbewegtes Licht, du [Licht] für die, die bewegt wurden in deinem [Licht].
Ich preise dich, Schweigen aller Licht-Schweigen.
Ich preise dich, Erlöser [aller] Licht-Erlöser.
Ich preise [dich], allein Licht-Unbegreifbarer.
Ich preise dich, der (du) allein Ort aller Orte des Alls bist.
Ich preise [dich], der du allein weise und allein Weisheit bist.
Ich preise [dich], allein Ganzgeheimer.
[Ich] preise dich, allein [Licht]-Ganzvollkommener.
Ich preise dich, allein Unberührbarer.
(...)
[...Ich preise] dich, Guter, [der du offenbarst alles] Gute.
Ich preise dich, Licht, der du allein offenbarst [alles Licht].
Ich preise [dich], der du erweckst [allen] Verstand, der (du) Leben gibst allen Seelen.
[Ich preise dich], Ruhe derer[...].
[Ich] preise dich, der du wohnst [in] jeder Vaterschaft von dem [Anfang] bis jetzt. Sie suchen nach [dir], denn du bist ihr [Gegenstand des Suchens]. Erhöre das Gebet [des Menschen] an jedem Ort, der [betet mit] seinem ganzen Herzen.

Aus dem ersten Buch des Jeu
Im ersten Buch des Jeu (siehe Seite 39) findet sich eine Zeremonie, in der Jesus dem Vater Lobpreis singt und die Jünger auffordert, mit »Amen« zu antworten. Ein ähnliches Ritual ist in dem Christushymnus der Johannesakten enthalten (siehe Seite 51).
(Kap 41) (...) Er nun sprach zu den zwölf (Jüngern): »Umgebt mich alle!« Sie alle umgaben ihn. Er sagte zu ihnen: »Antwortet mir und gebt Lobpreis mit mir, und ich werde meinen Vater wegen der Hervorbringung aller Schätze preisen.«
Er begann nun, Lobpreis zu singen. Er pries seinen Vater und sprach: »Ich lobpreise dich, der du der bist von dem grossen Namen meines Vaters, dessen Zeichen vom Typos (es folgen magische Zeichnungen) sind, denn du hast dich ganz zu dir in Wahrheit (zurück)gezogen, bis du dieser kleinen Idee Gelegenheit gegeben hast, die du nicht an dich gezogen hast, denn was ist nun dein Wille, unnahbarer Gott?«
Darauf veranlasste er seine Jünger zu antworten: »Amen, Amen, Amen«, dreimal.
Er sagte zu ihnen noch einmal: »Wiederholt nach mir: Sagt 'Amen' nach jedem Lobpreis!«
Wiederum sprach er: »Ich singe dir Lobpreis, Gott, mein Vater, denn du bist es, der dieser kleinen Idee Gelegenheit gegeben hat, aufzustrahlen in dir selbst. Was nun, unnahbarer Gott?«
Darauf sagten sie: »Amen, Amen, Amen«, dreimal.
Darauf sprach er: »Ich singe dir Lobpreis, unnahbarer Gott, denn du strahltest in dir selbst auf, wobei du nach deinem Willen aufstrahltest. Was nun, unnahbarer Gott?«
Sie sagten wiederum: »Amen, Amen, Amen«, dreimal.
»Ich singe dir Lobpreis, unnahbarer Gott, denn durch deinen eigenen Wunsch strahlte ich in dir auf, wobei ich eine einzige Hervorbringung war. Und ich floss aus dir aus. Was nun ist dein Wille, dass alle diese entstehen, unnahbarer Gott?«
Darauf antworteten sie: »Amen, Amen, Amen«, dreimal, »(unnahbarer Gott).«.
Es folgen weitere ähnliche Lobpreisungen Jesu, die jeweils von den Jüngern mit »Amen, Amen, Amen« beantwortet werden.

Hermetische Gebete
Beeindruckende Gebete haben die Hermetiker verfasst: Auch sie durchzieht der Gedanke, dass man über Gott nichts aussagen kann und ein angemessenes Preisen nur im Schweigen möglich ist.
Aus der Schrift über die Achtheit und die Neunheit
Die folgenden beiden Gebete stammen aus der »Schrift über die Achtheit und die Neunheit« (NHC VI 6). Der Form nach ist diese Schrift ein Gespräch zwischen einem Offenbarer und einem Offenbarungsempfänger. Besonders auffällig sind in ihr die Prägung durch die Liturgie (Gebet: 55,23-57,25) und das Ritual (Bruderkuss: 57,26f). Bemerkenswert ist auch der häufige Gebrauch von Vorstellungen, die sonst in Mysterienkulten üblich sind (Reinigung, Schweigepflicht über die empfangenen Geheimnisse, Schau, Schweigen als Höhepunkt der Schau usw.).

(NHC VI 6; 55,23ff) - Lass uns beten, oh mein Vater: Ich bitte dich, der du über dem Königreich der Kraft herrschst,
dessen Wort als (eine) Hervorbringung des Lichtes (zu uns) kommt.
Und seine Worte sind unsterblich;
sie sind ewig und unwandelbar.
Er ist der, dessen Willen Leben für die Abbilder an jedem Ort erzeugt.
Seine Natur gibt dem Sein Gestalt.
Aus ihm heraus bewegen sich die Seelen der [Achtheit und] die Engel [...].
Seine Vorsehung reicht bis zu jedem, [...] zeugt jeden.
Er ist der, der [...] den Äon unter Geistern.
Er hat alles erschaffen.
Der, der sich selbst in sich hat, sorgt für alle.
Er ist vollkommen, der unsichtbare Gott, den man im Schweigen (an)spricht;
- sein Abbild wird bewegt, indem es verwaltet wird, und es verwaltet.
Der stark ist an Kraft,
der über die Grösse erhaben ist,
der mehr auserwählt ist als (alle) Herrlichkeiten,
(es folgen magische Anrufungen).
Herr, gib uns Weisheit aus deiner Kraft, die zu uns reicht, damit wir uns (gegenseitig) die Schau der Achtheit und der Neunheit beschreiben können.
Wir sind schon zur Siebenheit gelangt, weil wir gottesfürchtig sind und in deinem Gesetz wandeln; und deinen Willen erfüllen wir jederzeit.
Wir wandelten nämlich auf [deinem Weg, und wir haben] hinter uns gelassen [...], damit deine [Schau] geschehe. Herr, gib uns die Wahrheit in dem Abbild!
Gewähre uns durch den Geist die Gestalt des Abbildes zu sehen, die keinen Mangel hat, und empfange von uns den Typos des Pleroma durch unser Lobgebet;
und erkenne den Geist, der in uns ist!
Denn durch dich wurde das All beseelt.
Denn aus dir, dem Ungezeugten, entstand das Gezeugte.
Die Geburt des Selbstgezeugten geschieht durch dich, die Geburt aller gezeugten Dinge, die existieren.
Empfange von uns die geistigen Opfer, die wir zu dir hinaufsenden aus unserem ganzen Herzen und unserer Seele und unserer ganzen Kraft!
Rette das, was in uns ist, und gib uns die unvergängliche Weisheit!
(NHC VI 6; 60,17ff) Ich werde den Lobpreis hinaufsenden durch mein Herz:
Ich rufe das Ende des Alls und den Anfang des Anfangs an,
den (Gegenstand) des menschlichen Suchens,
den unsterblichen Fund,
den Schöpfer des Lichtes und der Wahrheit,
den Sämann des Wortes,
die Liebe des unsterblichen Lebens.
Ein verborgenes Wort wird nicht von dir reden können, oh Herr.
Deswegen will mein Verstand dir täglich ein Loblied singen.
Ich bin das Instrument deines Geistes.
Verstand ist dein Plektrum.
Dein Ratschluss aber spielt auf mir.
Ich sehe mich selbst.
Ich habe von dir Kraft empfangen.
Deine Liebe hat uns getroffen.

Aus Poimandres
Ein weiteres hermetisches Gebet liegt in Poimandres (CH I) vor, einer Offenbarungsschrift, die u.a. die Entrückung des Offenbarungsempfängers zum Inhalt hat. In einer Vision und durch ein Offenbarungsgespräch mit Poimandres wird ihm enthüllt, wie der Mensch in seine tragische Situation der Sterblichkeit geraten ist. Am Schluss der Schrift spricht der nun in das Wissen Eingeweihte folgendes Gebet:

(CH I 31) Heilig ist der Gott, der Vater des Alls.
Heilig ist der Gott, dessen Wille durch seine Kräfte geschieht.
Heilig ist der Gott, der erkannt werden will.
Und er wird erkannt von den Seinen.
Heilig bist du. Du hast mit einem Wort alles, was existiert, hervorgebracht.
Heilig bist du. Dein Bild wurde die ganze Natur.
Heilig bist du. Dich hat die Natur nicht gestaltet.
Heilig bist du. Du bist stärker als jede Kraft.
Heilig bist du. Du bist grösser als jede Grösse.
Heilig bist du. Du bist über jedem Rühmen.
Nimm an geistige, reine Opfer aus (der) Seele und (dem) Herzen.
Sie strecken sich zu dir aus, Unaussprechlicher, Unbenennbarer.
Dich nennt (nur) das Schweigen.
Neige dich mir zu und gib mir, der ich dich bitte, das Vermögen, nicht aus der Erkenntnis zu fallen, die unserem Wesen entspricht!
In dieser Gnade will ich jenen ein Licht sein, die in Unkenntnis über ihre Herkunft sind.
Sie sind meine Brüder, deine Kinder.
Darum glaube und bezeuge ich:
Ich gehe zum Leben,
ich gehe zum Licht.
Gepriesen bist du, Vater.
Dein Mensch will mit dir heiligen, wie du ihm die ganze Macht gegeben hast.

Das Gebet des Apostels Paulus
Das folgende Gebet war vor dem Nag-Hammadi-Fund nicht bekannt. Formulierungen wie »psychischer Gott« und »ewige Licht-Seele« legen eine gnostische Ausrichtung nahe. Der Form nach hat das Gebet des Apostels Paulus (NHC I 1) einerseits Parallelen in den hermetischen Schriften (z.B. CH XIII 16-20), andererseits erinnert es an den Anfang der »Drei Stelen des Seth« (siehe Seite 66). Anklänge an alttestamentliche Psalmen, das Philippusevangelium und an paulinische Briefen (z.B. 1 Kor 2,9) sind vorhanden.
(...) [dein] Licht, lass mir zukommen dein [Erbarmen!
Mein] Erlöser, erlöse mich, denn [ich gehöre] zu dir:
(Ich bin) der, welcher hervorgekommen ist aus dir.
Du bist [mein] Verstand; bringe mich hervor!
Du bist mein Schatzhaus; öffne (dich) für mich!
Du [bist] meine Fülle; nimm mich zu dir!
Du bist (meine) Ruhe; gib mir [das] Vollkommene, dessen man sich nicht bemächtigen kann!
Ich bitte dich, der (du der bist), der ist, und der (du der bist), der zuerst existierte in dem Namen, [der] erhabener [ist] als alle Namen, durch Jesus Christus, [den Herrn] der Herren, den König der Äonen;
gib mir deine Gaben, um die es dich nicht reut, durch den Sohn des Menschen, den Geist, den Parakleten der [Wahrheit]!
Gib mir Macht, [da ich] dich bitte!
Gib Heilung für meinen Körper, da ich dich bitte durch den Evangelisten;
[und] erlöse meine ewige Licht-Seele und meinen Geist!
Und den Erstgeborenen des Pleroma der Gnade - enthülle ihn meinem Verstand!
Gewähre, was kein Engel-Auge [gesehen] hat und kein Archonten-Ohr gehört (hat),
und was nicht eingegangen ist in das Menschen-Herz,
was entstanden ist in engelhafter Weise, und (gebildet wurde)
nach dem (Vor)Bild des psychischen Gottes, als es gebildet wurde am Anfang!
Da ich den Glauben und die Hoffnung habe, füge mir hinzu
deine geliebte, auserwählte und gesegnete Grösse,
den Erstgeborenen, den Erstgezeugten,
und das [wunderbare] Geheimnis deines Hauses!
[Denn] dein ist die Kraft [und] die Herrlichkeit und das Preisen und die Grösse in alle Ewigkeit. [Amen].
Das Gebet von Paulus, (dem) Apostel.
In Frieden. Christus ist heilig.

Ein Psalm Valentins
Auch für den Gnostiker Valentin (120-160), dem der bei Hippolyt überlieferte gnostische Psalm zugeschrieben wird, ist Gott eine unergründliche Tiefe. Man kann Gott nicht an sich begreifen oder loben. Nur durch das Bewundern der Wirkung Gottes, der kosmischen Ordnung, die ein harmonisches, wundersames Ganzes darstellt, ist es möglich, Gott zu preisen.

(Hipp.ref. VI 37,7)
Ich sehe, wie alles durch Geist aufgehängt ist,
ich erfasse im Geiste, wie alles vom Geist getragen wird:
Fleisch hängt sich an die Seele,
Seele wird von Luft emporgetragen,
Luft hängt sich an den Äther.
Aus der Tiefe heben sich Früchte empor,
aus dem Mutterleib wird ein Kind geboren.


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Kapitel 2: Fall und Leiden in der Welt

Wie es im einzelnen zum Fall der menschlichen Seele bzw. des Lichtfunkens aus dem Pleroma gekommen ist, wird in den diversen gnostischen Richtungen mit unterschiedlichen Bildern geschildert. Allen gemeinsam ist das Ergebnis dieses Falls: Die Seele ist weit von ihrem wahren Ursprung entfernt und befindet sich in der Fremde. Von feindlichen Mächten in einen tiefen Schlaf versetzt und trunken gemacht, erinnert sie sich nicht mehr daran, wer sie eigentlich ist. Dennoch empfindet sie ihre Verlorenheit in der Welt und leidet darunter. Wie die gefallene Sophia (Weisheit), die in den gnostischen Bildern oft nicht mehr von der menschlichen Seele zu unterscheiden ist, klagt sie ihr Leid und hofft auf Rettung aus der feindlichen Welt. So ist das Schicksal der Seele eines der zentralen Themen in der gnostischen Literatur (vgl. Exegese der Seele in den Beigaben).

Das Schicksal der Seele bei den Mandäern
Der Fall der Seele und ihre Befreiung ist ein zentrales Thema bei den Mandäern. So handelt beispielsweise der gesamte zweite Hauptteil des Ginza, der Linke Ginza, vom Schicksal der Seele und ihrem Aufstieg beim Tod des Menschen. Demzufolge wurde der Linke Ginza auch das »Totenbuch« oder »Buch der Seelen« der Mandäer genannt. Weiter haben die Mandäer ein besonders »Sterbesakrament« ausgebildet, die Masiqta. Es handelt sich hierbei um eine Zeremonie, die der Seele bei ihrem Aufstieg nach dem Tode helfen soll. Im Rahmen dieser »Totenmesse« habe die Mandäer zahlreiche Liturgien verfasst.
Die Klage der Seele
(RG XV 9; 322,23ff) Ich stelle in meinem Sinne Betrachtungen darüber an, wie es zugegangen ist:
Wer hat mich aus meiner Stätte und meinem Ort weg gefangengenommen, aus dem Kreise meiner Eltern, die mich grossgezogen?
Wer brachte mich zu den Schuldigen, den Söhnen der nichtigen Wohnung?
Wer brachte mich zu den Rebellen, die tagtäglich Krieg führen?
Wer zeigte mir die Bitterkeit, an der keine Süssigkeit ist?
Wer zeigte mir die Finsternis, an der kein Lichtstrahl ist?
Wer zeigte mir das stinkende Wasser, das sich auf Rädern dreht?
(LG III 42; 119,21ff) Wer warf mich in die Tibil (= die irdische Welt)?
In die Tibil warf wer mich?
Wer schloss mich in die Mauer ein?
Wer warf mich in den Fussblock, der der Weltenfülle gleicht?
Wer legte eine Kette um mich, die über die Massen ist?
Wer bekleidete mich mit einem Rock von allen Farben und Arten?

Das Schicksal der Seele bei den Manichäern
Auch in der manichäischen Mythologie ist die Seele ein Teil des Urmenschen und damit ein Teil der Lichtwelt. Sie ist in dem Körper, der zu der Finsternis-Welt gehört, gefangen. Von der verhängnisvollen Lage der Seele in der Welt singt der folgende manichäische Psalm und enthält zugleich eine Aufforderung an die Seele, sich an ihre wahre Heimat zu erinnern.

Manichäischer Psalm an die Seele
(MPB 181,19ff) Seele, Seele, gedenke deiner Äonen!
(Die Worte »gedenke [deiner Äonen]« werden als Refrain nach jeder Zeile wiederholt).
Oh Seele, woher stammst du?
Du stammst aus der Höhe.
Du bist der Welt eine Fremde,
eine Besucherin auf der Erde der Menschen.
Du hast deine Häuser in der Höhe,
deine Zelte der Freude.
Du hast deinen wahren Vater,
deine wahre Mutter.
Du hast deine wahren Brüder.
Du bist ein Kämpfer.
Du bist das Schaf,
das sich in der Wüste verirrte.
Dein Vater sucht nach dir,
dein Hirt geht auf die Suche um deinetwillen.
Du bist der Weinstock,
der mit den fünf Reben,
die du wirst zur Speise der Götter,
zur Nahrung der Engel,
zur Kleidung der Gerechten,
zum Gewand der Heiligen,
die du wirst zum Verstand der Vollkommenen,
zum Denken der Gläubigen.
Oh Seele, erhebe dein Haupt
in diesem Haus, das voll ist von (Trauer).
[...] Dämonen,
[...] der Räuber.
Oh Seele, vergiss dich nicht!
Denn sie stellen dir alle nach.
Es stellen dir alle nach,
die Jäger des Todes.
Sie fangen die Vögel
[...].
Sie [brechen] ihre [Flügel],
damit sie nicht in ihre Nester fliegen können.
Oh Seele, erhebe dich
und geh in deine Heimat!
Du bist deiner Verwandtschaft fremd.
[Geh in das Haus] voll von Freude.
Du [...] Licht
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Preis und Ehre sei Jesus, dem König der Heiligen!
Sieg sei der Seele der seligen Maria.

Aus der Exegese der Seele
In der Exegese der Seele (siehe Beigaben) ist ein Gebet erhalten, das von der Reue der Seele über ihren Fall handelt.

(NHC II 6; 135,4ff) Darum ist es angemessen, zum Vater zu beten und ihn anzurufen mit unserer ganzen Seele, - nicht (nur) äusserlich mit den Lippen, sondern mit dem Geist, der im Inneren ist, der aus der Tiefe hervorkam:
wir seufzen,
wir kehren um von dem Leben, das wir gelebt haben,
wir bekennen unsere Sünden,
wir nehmen wahr den leeren Trug, in dem wir uns befanden, und den nichtigen Eifer,
wir weinen über die Art, wie wir in der Finsternis und in der Welle waren,
wir trauern über uns selbst, damit er sich unser erbarme,
wir hassen uns, wie wir jetzt sind.


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Kapitel 3: Erlösung und Rückkehr

Die meisten der gnostischen Gebete und Hymnen thematisieren die Erlösung des Selbst. Die Erlösung ereignet sich durch die Erkenntnis der eigenen Herkunft, welche die gnostische Heilsgestalt vermittelt. Von daher handeln viele liturgische Texte von der Heilsgestalt und ihrem Werk. Dabei ist die Entstehung von zahlreichen Dokumenten unmittelbar den gnostischen Sakramenten zuzuordnen, durch die den Gnostikern Erlösung zuteil wird.
Die Diskussion über den Stellenwert von Kult und Liturgie in der Gnosis hat eine lange Geschichte. Man hat sowohl den sakramentalen Charakter der Gnosis gänzlich bestritten und die Gnosis als Religionsphilosophie aufgefasst als auch die Gnosis den Mysteriengemeinschaften zugerechnet. Ohne auf diese Diskussion hier detailliert eingehen zu können, sei doch darauf verwiesen, dass sich durch den Nag-Hammadi-Fund neue Hinweise auf den kultischen Charakter gnostischer und hermetischer Gemeinden ergeben haben (man vgl. nur das Philippusevangelium und die »Drei Stelen des Seth«).

»Ich-bin-Hymnen« der Heilsgestalten
Die Rettung des in der Welt gefangenen gnostischen Selbst erfolgt dadurch, dass dieses seinen wahren Ursprung erkennt, dem es entfremdet worden ist. Diese Erkenntnis wird ihm durch die Heilsgestalt zuteil. Deswegen schildern zahlreiche Hymnen das Werk der gnostischen Heilsgestalt. Die meisten dieser Texte sind im »Ich-bin-Stil« verfasst, der mit einem »Du-bist« bzw. »Er-ist« der antwortenden Gemeinde korrespondiert.
Aus dem Apokryphon des Johannes
Auch im Apokryphon des Johannes (siehe Seite 18f) findet sich am Ende der Offenbarung ein Hymnus, in dem die Heilsgestalt ihr Wirken beschreibt.

(NHC II 1; 30,12ff) Ich nun,- die vollkommene Pronoia des Alls -, verwandelte mich in meinen Samen,
denn ich war zuerst (vorhanden) und ging auf allen Wegen.
Denn ich bin der Reichtum des Lichtes, ich bin das Denken des Pleroma.
Und ich ging zu der Grösse der Finsternis, und ich hielt aus,
bis ich in die Mitte des Gefängnisses ging.
Und die Fundamente des Chaos wurden erschüttert.
Und ich, ich verbarg mich vor ihnen wegen ihrer Schlechtigkeit,
und sie erkannten mich nicht.
Wiederum kehrte ich zurück.
Ich ging,
ich kam hervor aus denen, die zu dem Licht gehören,
- das bin ich, das Denken der Pronoia.
Ich ging in die Mitte der Finsternis hinein und in die Innenseite der Unterwelt.
Ich wollte meine Aufgabe (vollenden).
Und die Fundamente des Chaos wurden erschüttert,
damit sie auf die fallen, welche im Chaos sind, und sie zerstören.
Und wiederum lief ich hinauf zu meiner Wurzel des Lichtes,
damit sie nicht zerstört werden vor der Zeit.
Zum dritten Male ging ich,
- ich bin das Licht, das existiert im Licht, ich bin das Denken der Pronoia--,
damit ich hineingehe in die Mitte der Finsternis und die Innenseite der Unterwelt.
Und ich füllte mein Gesicht mit dem Lichte der Vollendung ihres Äons.
Und ich ging hinein in die Mitte ihres Gefängnisses,
welches das Gefängnis *des* Körpers ist.
(Es folgt ein Abschnitt über den Weckruf; siehe Seite 57)

Christushymnen aus den Lehren des Silvanus
Es finden sich in vielen gnostischen Offenbarungsschriften Hymnen, die Aussagen über den Erlöser erhalten. Ein Beispiel dafür ist die Schrift »Lehren des Silvanus«. Sie gehört zu den wenigen nicht ausdrücklich gnostischen Dokumenten innerhalb der Nag-Hammadi-Schriften; sie wurde aber von den Gnostikern benutzt. Die »Lehren des Silvanus« sind synkretistisch geprägte Weisheitslehren, wobei ägyptische, biblische und griechische (vor allem stoische) Einflüsse greifbar sind.
In den »Lehren des Silvanus« verlaufen die Grenzen zwischen Gnosis und katholischer Kirche noch fliessend: Sie enthalten auf der einen Seite antignostische Polemik (116,5ff), auf der anderen Seite zeigen die »pneumatische« Christologie, die Erwähnung des Brautgemachs und die asketisch-dualistischen Äusserungen eine grosse Nähe zur Gnosis. Dieser Befund lässt an eine Entstehungszeit gegen Ende des zweiten Jahrhunderts in Alexandrien denken.
Der erste hier aufgeführte Christushymnus aus den »Lehren des Silvanus« erinnert stark an den im Philipperbrief des Paulus erhaltenen Hymnus.
(NHC VII 4; 110,14ff) Erkenne, wer Christus ist,und mache ihn dir zum Freund,denn er ist der Freund, der vertrauenswürdig ist.
Ebenso ist er der Gott und der Lehrer.
Dieser, obwohl er Gott war, wurde deinetwegen zum Menschen.
Er ist es, der die eisernen Riegel der Unterwelt und die bronzenen Bolzen zerbrach.
Er ist es, der alle hochnäsigen Tyrannen angriff und niederwarf: er, der von sich die Fesseln löste, mit denen er gebunden war.
Er brachte die Armen aus der Tiefe und die Trauernden aus der Unterwelt: Er, der die hochnäsigen Kräfte erniedrigte;er, der die Hochmut durch die Demut beschämte;er, der niedergeworfen hat den Starken und den Überheblichen durch die Schwachheit,er, der in seiner Verachtung das verschmähte, was für Ehre erachtet wird, damit der Demütige um Gottes willen hoch erhoben werde; (und) er hat die Menschheit angezogen, und ist doch Gott, das göttliche Wort, er, der allezeit den Menschen trägt.
Und er wollte die Demut in dem Hochmütigen hervorbringen.
Er, der den Menschen erhöhte, wurde wie Gott,nicht damit er Gott zum Menschen herabbringe, sondern damit der Mensch Gott ähnlich werde.
Oh diese grosse Güte Gottes!
Christus, König, der (du) die grosse Göttlichkeit den Menschen offenbart hast, König aller Tugend und König des Lebens,König der Äonen und Grösster der Himmel, höre meine Worte und vergib mir.
(NHC VII 4; 112,33f) Er (ist es), der aus deinem Mund hervorgegangen und aufgestiegen ist aus deinem Herzen,der Erstgeborene,die Weisheit,das Vorbild,das erste Licht.
Denn er ist Licht aus der Kraft Gottes,und er ist eine Hervorbringung der reinen Herrlichkeit des Allmächtigen.
Er ist der fleckenlose Spiegel der Wirksamkeit Gottes,und er ist das Abbild seiner Güte.
Denn er ist auch das Licht des ewigen Lichtes.
Er ist das Sehen, das auf den unsichtbaren Vater schaut; er dient allezeit und schafft durch den Willen des Vaters.
Er allein wurde durch das Wohlgefallen des Vaters gezeugt.
Denn er ist das unbegreifliche Wort,und er ist die Weisheit und das Leben.
Er belebt und ernährt alle Lebewesen und Kräfte.
Wie eine Seele allen Gliedern (des Leibes) Leben gibt, (so) herrscht er über alle mit Kraft und gibt ihnen Leben.
Denn er ist der Anfang und das Ende eines jeden;er schaut auf alles und umfängt alles.
Er ist um jeden bemüht, und er freut sich, und er ist auch wieder betrübt:
Einerseits ist er betrübt wegen derer, die als ihr Los den Ort der Strafe erhalten haben; andererseits ist er betrübt über alle, die er (nur) unter grosser Mühe zur Belehrung führt.
Aber er freut sich über jeden, der in Reinheit ist.

Der Weckruf
Erlösung ereignet sich durch Erkenntnis vergessener Wahrheit. Dieses verhängnisvolle Vergessen stellt sich der Gnostiker wie einen Schlaf oder eine Trunkenheit vor. Die gnostische Erlösergestalt hat die Aufgabe, die schlafende Seele zu wecken und ihr die Augen über ihre wahre Herkunft zu öffnen. Dieses Erlösungsgeschehen wird durch den Weckruf in Gang gesetzt. So finden sich in vielen gnostischen Offenbarungsschriften Formeln zum Weckruf.

Aus der zweiten Apokalypse des Jakobus
Die zweite Apokalypse des Jakobus ist eine Offenbarungsrede des Jakobus, in der ein Aufruf zur Erkenntnis und zum Erkennen des Erlösers überliefert ist, der einem Weckruf gleichkommt.
(NHC V 4; 59,12ff) Aber ihr habt [euch selbst] gerichtet, und deswegen werdet ihr in ihren Fesseln bleiben.
Ihr habt euch selbst belastet, und ihr werdet umkehren, (aber) ihr werdet keinen Gewinn haben.
Seht den, der redet, und sucht den, der schweigt.
Erkennt den, der zu diesem Ort gekommen ist, und versteht den, der (ihn) verlassen hat.

Aus dem Gedanken unserer grossen Kraft
Auch in diesem gnostischen Traktat findet sich die Vorstellung vom Weckruf.
(NHC VI 4; 39,33ff) Noch schlaft ihr und träumt Träume. Wacht auf und kehrt um, kostet und esst die wahre Nahrung! Verteilt das Brot und das Wasser des Lebens! Lasst ab von den bösen Begierden und Wünschen und (den Lehren des) Unähnlichen, - schlechte Irrlehren, die keinen Bestand haben!

Aus dem Corpus Hermeticum
In der Hermetik ist die Vorstellung vom Weckruf weit verbreitet gewesen.
(CH VII 1f) Wohin treibt ihr, Menschen, als Betrunkene, die ihr das unvermischte Wort der Unwissenheit ausgetrunken habt? (...) Haltet ein und werdet nüchtern, blickt auf mit den Augen des Herzens! (...) Sucht einen Wegbegleiter, der euch zu den Türen der Erkenntnis geleiten wird, wo das strahlende Licht ist, das rein von Dunkelheit ist, wo niemand trunken ist, sondern alle nüchtern sind und mit dem Herzen zu dem hinsehen, der gesehen werden will!

Aus Poimandres
In dem hermetischen Traktat Poimandres (siehe Seite 25) will der Offenbarungsempfänger die Menschen zur Erkenntnis aufrufen.
(CH I 27f) Ihr Völker, ihr Menschen der Erde! Ihr habt euch der Trunkenheit und dem Schlaf übergeben, der Unwissenheit über Gott. Auf, werdet nüchtern! Hört auf, trunken zu sein, bezaubert von dem unvernünftigen Schlafe! (...) Warum habt ihr euch, ihr Menschen der Erde, dem Tod übergeben? Ihr besitzt doch Macht, an der Unsterblichkeit teilzuhaben. Kehrt um! Ihr seid mit dem Irrtum zusammen unterwegs. Ihr macht mit der Unwissenheit gemeinsame Sache. Trennt euch von dem finstren Licht! Verlasst das Verderben! Nehmt euren Anteil an der Unsterblichkeit!

Aus dem Apokryphon des Johannes
Am Ende seiner Offenbarungsrede (siehe Seite 18f) spricht der gnostische Erlöser, der im Apokryphon des Johannes mit Christus gleichgesetzt wird, folgenden Weckruf:
(NHC II 1; 31,14ff) Stehe auf und erinnere dich! Denn du bist es, der (meinen Ruf) gehört hat. Folge deiner Wurzel, - das bin ich, der Mitleidige! Hüte dich vor den Engeln der Armut und den Dämonen des Chaos und all denen, die dich umgarnen! Hüte dich vor dem tiefen Schlaf und der Einengung der Innenseite der Unterwelt!

Aus den Lehren des Silvanus
Auch in der Weisheitsschrift »Die Lehren des Silvanus« (siehe Seite 55) finden sich Abschnitte, die einem Weckruf gleichen.
(NHC VII 4; 88,24ff) (...) Beende den Schlaf, der schwer auf dir lastet! Komm aus der Vergessenheit, die dich mit Finsternis erfüllt! (NHC VII 4; 92,10ff) Aber vor allem anderen, erkenne deine Abstammung! Erkenne dich selbst, von welchem Wesen du bist und von welchem Geschlecht und von welchem Stamm! (NHC VII 4; 94,19ff) Seele, (du) trotzige (Seele), sei nüchtern und schüttle deine Trunkenheit ab, welche das Werk der Unwissenheit ist! Wenn du (so) verbleibst und körperlich lebst, befindest du dich in Rohheit. Als du in die körperliche Geburt eingegangen bist, wurdest du hervorgebracht. Du bist (jetzt) in das Innere des Brautgemachs gekommen, und du bist erleuchtet worden im Verstand. (NHC VII 4; 103,1ff) Mein Kind, lass deinen Verstand nicht nach unten starren, sondern lass ihn vielmehr im Licht zu den Dingen oben blicken! Denn das Licht kommt immer von oben. Auch wenn er (sc. dein Verstand) auf der Erde ist, lass ihn danach trachten, den Dingen oben nachzujagen! Erleuchte deinen Verstand mit dem Licht des Himmels, so dass du dich dem Licht des Himmels zuwenden wirst!

Das Sterbesakrament
Das »Sterbesakrament« in der Gnosis bewirkt, dass die Seele des Gnostikers für ihren Aufstieg nach dem Tode gerüstet wird (vgl. die mandäische Seelenaufstiegszeremonie Seite 107). Bevor die Seele sich mit dem Pleroma vereinigen kann, muss sie jedoch ihren Weg an den Archonten vorbei nehmen. Diese wollen sich ihrer bemächtigen, so dass die Seele »unsichtbar« werden muss und/oder die richtigen Antworten auf die Fragen der Archonten geben kann (Passworte). Das Sterbesakrament der Gnostiker hat zu spezifischen liturgischen Formen geführt. In den Kontext dieses Sakraments, wie es Ir.haer. I 21,5 (siehe Seite 114) überliefert, sind beispielsweise die »gnostischen Katechismen« einzuordnen, welche die richtigen Antworten auf die Fragen der Archonten einschärfen. Auch die Zeugnisformeln, wie sie z.B. in der Paraphrase des Seem oder in dem Bericht des Origenes über die Ophiten zu finden sind, haben ihren Ursprung im Sterbesakrament: Nur durch das richtige Zeugnis kann die Seele ihren Aufstieg vollenden.

Aus der ersten Apokalypse des Jakobus
Die erste Apokalypse des Jakobus ist ein Offenbarungsdialog zwischen Jesus und Jakobus, in dem Jesus dem Jakobus folgenden Ratschlag gibt.
(NHC V 3; 33,11ff) Wenn du in ihre Gewalt kommst, wird einer von ihnen, der ihr Aufseher ist, zu dir sagen: »Wer bist du und woher stammst du?« Du sollst zu ihm sagen: »Ich bin der Sohn und stamme vom Vater.« Er wird zu dir sagen: »Was für eine Art Sohn bist du, und zu welchem Vater gehörst du?« Du sollst ihm sagen: »Ich stamme von dem präexistenten Vater, und ich bin ein Sohn des Prä[existenten].« (...) Wenn er ferner zu dir sagen wird: »Wohin willst du gehen?«, so sollst du ihm antworten: »Zu dem Ort, von dem ich gekommen bin, dorthin werde ich zurückkehren.« Wenn du aber diese Dinge sagst, wirst du ihren Angriffen entkommen.

Aus dem Thomasevangelium
Auch im Thomasevangelium, einer teilweise gnostisch geprägten Sammlung von Jesussprüchen, findet sich ein »gnostischer Katechismus«.
(NHC II 2; 41,31ff) Jesus sagte: »Wenn sie zu euch sagen: 'Woher kommt ihr?', dann sagt zu ihnen: 'Wir kommen aus dem Licht (...).' Wenn sie zu euch sagen: 'Wer seid ihr?', dann sagt: 'Wir sind seine Söhne, und wir sind die Erwählten des lebendigen Vaters.' Wenn sie euch fragen: 'Welches ist das Zeichen eures Vaters in euch?', sagt zu ihnen: 'Es ist Bewegung und Ruhe.'«

Aus dem Philippusevangelium bei Epiphanius
Der Kirchenvater Epiphanius zitiert aus einem Evangelium des Philippus. Bei diesem Zitat handelt es sich um eine »Aufstiegshilfe« für die Seele des Gnostikers.
(Epiphan.haer. 26, 13) Der Herr hat mir geoffenbart, was die Seele sagen muss, wenn sie in den Himmel aufsteigt, und wie sie einer jeden der oberen Mächte antworten (muss), (nämlich) folgendermassen: »Ich habe mich selbst erkannt«, sagt sie, »und habe mich selbst von überall her gesammelt; und ich habe keine Kinder für den Archonten gegeben, sondern habe seine Wurzeln ausgerissen und habe die zerstreuten Glieder gesammelt.
Und ich weiss, wer du bist. Denn ich«, sagt sie, »gehöre zu denen von oben.« Und so wird sie ihrer Meinung nach freigelassen.

Gnostische Sterbegebete
In der zweiten Apokalypse des Jakobus und in den Thomasakten sind Gebete überliefert, welche die Apostel Jakobus bzw. Thomas vor ihrer Hinrichtung sprechen.

Gebet des Jakobus vor seiner Hinrichtung
(NHC V 4; 62,16ff) Mein Gott und Vater, der (du) mich gerettet hast aus dieser toten Hoffnung, der (du) mich lebendig gemacht hast durch ein Geheimnis deines Willens.
Lass mir nicht zu lang werden die Tage dieser Welt, sondern der Tag deines [Lichtes..(...)]!
Erlöse mich aus diesem [Ort der] Fremde!
Lass deine Gnade nicht von mir weichen, sondern lass rein werden deine Gnade!
Errette mich aus einem bösen Tod!
Bringe mich lebendig aus dem Grab, denn deine Gnade ist lebendig in mir, das Verlangen, mitzuwirken an dem Werk der Erfüllung!
Errette mich aus dem sündigen Fleisch, denn ich habe dir vertraut mit all meiner Kraft!
Denn du bist das Leben des Lebens, errette mich vor einem erniedrigenden Feind!
Gib mich nicht in die Hand eines Richters, der mit der Sünde streng ist!
Vergib mir alle Schuld meiner Tage!
Denn ich lebe in dir, deine Gnade ist lebendig in mir.
Ich habe jeden verleugnet, dich aber habe ich offen bekannt.
Errette mich aus schlimmer Bedrängnis!
Jetzt ist die [Zeit] und die Stunde da.
Oh Heiliger [Geist], sende [mir] Rettung!
Licht [vom] Licht, [...]

Gebet des Thomas vor seiner Hinrichtung
(Th.Act. 167) Mein Herr und mein Gott, meine Hoffnung und mein Erlöser, mein Führer und Wegweiser in allen Ländern!
Sei du mit allen, die dir dienen, und geleite mich, der ich heute zu dir komme.
Niemand soll meine Seele nehmen, die ich dir übergeben habe!
Nicht sollen mich die Zöllner sehen, und die Tributeintreiber mich nicht falsch anklagen!
Nicht soll die Schlange mich sehen, und die Drachenbrut mich nicht anfauchen!
Siehe, Herr, dein Werk habe ich vollendet und dein Gebot ausgeführt.
Ich bin ein Sklave geworden, deshalb empfange ich heute die Freiheit.
Du nun gib und vollende sie!
(...)

Mahlgebete
Die Eucharistie war für die Kirchenchristen neben der Taufe die wichtigste sakramentale Handlung. Auch die Gnostiker kannten Mahl- und Eucharistiegebete.

Aus den Thomasakten
In den Thomasakten findet sich eine Eucharistieszene, die starke gnostische Einflüsse zeigt.
(Th.Act. 50) +Komm, Geschenk des Höchsten!+
Komm, vollkommene Barmherzigkeit!
Komm, Gemeinschaft mit dem Männlichen!
+Komm, heilige Geist(macht)!+
Komm, Kennerin der Geheimnisse des Auserwählten!
Komm, Teilnehmerin an allen Kämpfen des edlen Kämpfers (Athleten)!
+Komm, Schatz der Herrlichkeit!
Komm, Liebling der Barmherzigkeit des Höchsten!+
Komm, Stille, die du die Machttaten der ganzen Grösse offenbarst!
Komm, Enthüllerin des Verborgenen und Offenlegerin des Geheimgehaltenen!
+Komm+, heilige Taube, die du die Zwillingsjungen gebierst!
Komm, verborgene Mutter!
Komm, die du durch deine Taten offenbar bist und Freude und Ruhe allen mit dir Verbundenen spendest!
Komm und nimm mit uns an dieser Eucharistie teil,
die wir in deinem Namen begehen,
und an dem Liebesmahl, zu dem wir auf deine Einladung hin zusammengekommen sind!

Eucharistie in der Pistis Sophia
Bei den Ritualen in der Pistis Sophia, die eine Entsprechung im zweiten Buch des Jeu 45ff haben, handelt es sich um sakramentale Handlungen, die der Sündenvergebung dienen und Eintritt in die Lichtwelt verschaffen. Es bestehen Ähnlichkeiten zur frühchristlichen Eucharistiefeier; so sind hier wie dort eine Gabendarbringung, eine Litanei und eine Anrufung auszumachen.
(Kap. 141ff) (...) Es sprach Jesus zu seinen Jüngern: »Nähert euch mir!« Und sie näherten sich ihm. Er wandte sich zu den vier Ecken der Welt. Er sagte den grossen Namen über ihrem Haupte, er segnete sie und er hauchte in ihre Augen hinein. Jesus sprach zu ihnen: »Schaut hinauf und seht, was ihr seht!« Und sie hoben ihre Augen und sahen ein grosses, sehr gewaltiges Licht, über das kein irdischer Mensch sprechen kann.
Er sprach von neuem zu ihnen: »Schaut weg von dem Lichte und seht, was ihr seht!« Sie sprachen: »Wir sehen Feuer und Wasser und Wein und Blut.« Jesus, welcher Aberamentho ist, sagte zu seinen Jüngern: »Wahrlich ich sage euch: Als ich kam, habe ich nichts in die Welt gebracht, ausser diesem Feuer, diesem Wasser, diesem Wein und diesem Blut. Ich habe das Wasser und das Feuer aus dem Orte des Lichtes der Lichter des Lichtschatzes gebracht, und ich habe den Wein und das Blut aus dem Orte der Barbelo gebracht. Und nach einer kleinen Weile hat mein Vater mir den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube geschickt. Das Feuer aber, das Wasser und der Wein entstanden zur Reinigung aller Sünden der Welt. Das Blut dagegen wurde mir zum Zeichen entsprechend des menschlichen Körpers, den ich in dem Orte der Barbelo, der grossen Kraft des unsichtbaren Gottes, empfangen habe. Der Geist dagegen zieht alle Seelen zusammen und führt sie zu dem Orte des Lichtes.
Deswegen habe ich euch gesagt: 'Ich bin gekommen, um Feuer auf diese Welt zu werfen'. Das heisst: Ich bin gekommen, die Sünden der ganzen Welt mit Feuer zu reinigen. Und deswegen habe ich zu der Samariterin gesagt: 'Wenn du die Gabe Gottes kennen würdest, und wer es ist, der zu dir sagt: 'Gib mir zu trinken!', so würdest du ihn bitten, und er würde dir lebendiges Wasser geben, und es würde in dir ein Quell *von Wasser* werden, der sprudelt zum ewigen Leben.'.
Und deswegen nahm ich auch einen Becher Wein, segnete ihn und gab ihn euch und sprach: 'Dies ist das Blut des Bundes, das für euch zur Vergebung eurer Sünden vergossen werden wird.' Und deswegen hat man auch die Lanze in meine Seite gestossen, und es kamen Wasser und Blut heraus. Dies aber sind die Geheimnisse des Lichtes, welche Sünden vergeben, das heisst: die Anrufungen und die Namen des Lichtes.«
(Es folgt ein kurzer Dialog Jesu mit seinen Jüngern).
Jesus aber sprach zu ihnen: »Bringt mir Feuer und Weinzweige!« Sie brachten sie ihm; er legte das Opfer auf und stellte zwei Weinkrüge hin, einen zur Rechten und den anderen zur Linken des Opfers. Er stellte das Opfer vor sie hin. Er stellte einen Becher voll Wasser vor den Weinkrug, der zur Rechten stand, und stellte einen Becher voll Wein vor den Weinkrug, der zur Linken stand. Und er legte Brote nach der Anzahl der Jünger mitten zwischen die Becher und stellte einen Becher voll Wasser hinter die Brote.
Jesus stand vor dem Opfer, er stellte die Jünger hinter sich, alle bekleidet mit leinenen Gewändern, wobei in ihren Händen der Stein des Namens des Vaters des Lichtschatzes war. Er rief also, indem er sagte:
»Erhöre mich, Vater, du Vater aller Vaterschaft; du unendliches Licht: (es folgen magische Formeln) - des Himmels. (Es folgen Amen, Amen und magische Formeln im Wechsel).
Erhöre mich, mein Vater, du Vater aller Vaterschaft!
Ich rufe auch euch an,
ihr Sündenvergeber, ihr Reiniger der Gesetzlosigkeiten.
Vergebt die Sünden der Seelen dieser Jünger,die mir gefolgt sind,und reinigt ihre Gesetzlosigkeiten.
Macht sie würdig, zu dem Reich meines Vaters,des Vaters des Lichtschatzes, gerechnet zu werden,denn sie sind mir gefolgt und haben meine Gebote gehalten!
Jetzt nun, mein Vater, du Vater aller Vaterschaft,mögen die Sündenvergeber kommen, deren Namen diese sind: (es folgen magische Formeln).
Erhört mich! Ich rufe euch an:
Vergebt die Sünden dieser Seelen und tilgt ihre Gesetzlosigkeiten aus!
Mögen sie würdig sein, zu dem Reich meines Vaters, des Vaters des Lichtschatzes, gerechnet zu werden,denn ich kenne deine grossen Kräfte und rufe sie an: (es folgen magische Formeln).
Vergebt die Sünden dieser Seelen,tilgt aus ihre Gesetzlosigkeiten,die sie wissentlich und unwissentlich begangen haben!
Vergebt ihnen diese (Gesetzlosigkeiten), die sie in Unzucht und Ehebruch bis zum heutigen Tage begangen haben.
Macht sie würdig, zu dem Reich meines Vaters gerechnet zu werden, damit sie würdig sind, von diesem Opfer zu empfangen.
Mein heiliger Vater! Wenn du nun, Vater, mich erhört und die Sünden dieser Seelen vergeben und ihre Gesetzlosigkeiten getilgt und sie würdig gemacht hast, zu deinem Reich gerechnet zu werden, so mögest du mir ein Zeichen in diesem Opfer geben.«
Und es geschah das Zeichen, das Jesus erbeten hatte. Jesus sagte zu seinen Jüngern: »Freut euch und seid froh, denn eure Sünden sind vergeben, und eure Gesetzlosigkeiten sind ausgetilgt, und ihr werdet zu dem Königreich meines Vaters gerechnet!«
(...)
»Dies nun ist das wahre Geheimnis der Taufe derer, deren Sünden vergeben werden, und deren Gesetzlosigkeiten bedeckt werden. Dies ist die Taufe des ersten Opfers, welches zu dem Ort der Wahrheit und zu dem Ort des Lichtes führt.«
Darauf sprachen seine Jünger zu ihm: »Rabbi, offenbare uns das Geheimnis des Lichtes deines Vaters, da wir dich sagen hörten: 'Es gibt noch eine Feuertaufe, und es gibt eine Taufe des Heiligen Geistes des Lichtes, und es gibt eine geistige Salbung; diese führen die Seelen zum Lichtschatz.' Sage uns nun ihr Geheimnis, damit wir selbst das Reich deines Vaters ererben!« Es sprach Jesus zu ihnen: »Es gibt kein Geheimnis, das vorzüglicher ist als diese Geheimnisse, nach welchen ihr fragt, das eure Seelen zu dem Licht der Lichter, zu den Orten der Wahrheit und der Güte, zum Orte des Heiligen aller Heiligen führen wird, zu dem Orte, in dem es weder Frau noch Mann gibt, noch gibt es Formen an jenem Orte, sondern ein beständiges, unbeschreibbares Licht.«

Dankgebete
Vielfältig sind die Zeugnisse, in denen die Gnostiker ihren Dank über ihre Erlösung ausdrücken oder die gerettete Seele preisen.
Ein gnostisches Danklied
Ein Beispiel für die Frömmigkeit syrisch-gnostischer Christen im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. gibt dieses Danklied aus den Oden Salomos.
(Od.Sal. 21) Meine Arme habe ich zur Höhe gehoben,zur Barmherzigkeit des Herrn;
denn meine Fesseln hat er von mir abgerissen.
Und mein Helfer hat mich erhobenzu seiner Barmherzigkeit und zu seiner Erlösung.
Und ich habe die Finsternis ausgezogen,und kleidete mich in das Licht.
Und es wurden mir Glieder an meiner Seele,in denen kein Schmerz ist, auch keine Qual noch Leiden.
Und ausserordentlich hilfreich war mir das Denken des Herrn und seine unzerstörbare Gemeinschaft.
Und ich wurde emporgehoben durch das Lichtund ging hinüber in seiner Gegenwart.
Und ich war ihm nahe,während ich ihn pries und bekannte.
Er liess mein Herz hervorquellen,und er war in meinem Mundeund ging auf meinen Lippen auf.
Und gross wurde auf meinem Angesichtder Jubel über den Herrn in seiner Herrlichkeit.
Hallelujah!

Mandäischer Preis an die Seele
Ein Lobpreis der erlösten Seele findet sich sowohl im Linken Ginza als auch in den mandäischen Liturgien. Dieser Text ist Bestandteil der mandäischen Totenmesse (Masiqta).
(LG II 3; 78 und ML Qolasta XCIV; 159f)
Heil dir, Heil dir, Seele, dass du die Welt verlassen hast.
Du hast die Verwesung verlassenund den stinkenden Körper, in dem du weiltest,die Wohnung, die Wohnung der Bösen,den Ort, der voller Sünder ist,die Welt der Finsternis,des Hasses, der Eifersucht und der Zwietracht,die Wohnung, in der die Planeten wohnen,die Schmerzen und Gebrechen bringen.
Schmerzen bringen sie und Gebrechen,und täglich erregen sie Erschütterung.
Steh auf, steh auf, Seele,steig zu deinem früheren Lande empor.
Zu deinem früheren Lande steig empor,zu dem Orte, aus dem du gepflanzt wurdest,zu dem Orte, aus dem du wurdest gepflanzt,zu deiner guten Wohnung der Mächte.
Rege dich, ziehe dein Gewand des Glanzes anund lege deinen prangenden Kranz auf.
Setze dich auf deinen Thron des Glanzes,den das Leben am Lichtort aufgerichtet hat.
Steig empor, wohne in den Himmelsorten,zwischen den Mächten, deinen Brüdern.
Wie du gewohnt bist,segne deine Urheimatund verwünsche diesen Ortdes Hauses deines Ziehvaters.
Denn die Jahre, die du in ihm verbrachtest,waren die Sieben deine Gegner.
Deine Gegner waren die Sieben,und die Zwölf waren deine Verfolger.
Das Leben wird hochgehalten und ist siegreich,und siegreich ist der Mensch, der hierher gegangen ist.

Ein Hermetisches Gebet
Das folgende hermetische Gebet ist oft überliefert; es ist nicht allein unter den Nag-Hammadi-Schriften (NHC VI 7) zu finden, sondern es existieren noch eine griechische und eine lateinische Version. Dieses Gebet ist ein Dankgebet und weist auf die Kultpraxis der hermetischen Gemeinschaft hin. Das macht nicht nur der liturgische Charakter der Schrift wahrscheinlich, auch die Notiz im unmittelbaren Anschluss an das Gebet, dass nämlich die Teilnehmer einander küssen und ein heiliges, liturgisches Mahl einnehmen, ist Hinweis auf den hermetischen Kult.
Das ist das Gebet, das sie sprachen:
»Wir danken dir:
Jede Seele und (jedes) Herz sind ausgestreckt zu dir, (du) Name, den man nicht stört, der geehrt ist durch die Benennung 'Gott',und der gepriesen ist durch die Benennung 'Vater'.
Denn zu einem jeden und zu allen (kommen) die Zuneigung,das Wohlwollen und die Liebe des Vatersund jede Lehre, die es geben mag, die süss und einfach ist und uns den Verstand, das Wort (und) die Erkenntnis verleiht:
Den Verstand, damit wir dich verstehen,das Wort, damit wir dich erklären,die Erkenntnis, damit wir dich erkennen.
Wir freuen uns: Wir sind erleuchtet worden durch deine Erkenntnis.
Wir freuen uns: Du hast dich uns gezeigt.
Wir freuen uns: Während wir in (dem) Körper sind, hast du uns vergöttlicht durch deine Erkenntnis.
Der Dank des Menschen, der zu dir reicht, ist einer: Dass wir dich erkennen (können).
Wir haben dich erkannt, begreifbares Licht.
Leben des Lebens, wir haben dich erkannt.
Mutterschoss von jeglicher Kreatur, wir haben dich erkannt.
Mutterschoss, der gebiert durch die Natur des Vaters, wir haben dich erkannt.
Ewige Beständigkeit des zeugenden Vaters, so haben wir deine Güte verehrt.
Es gibt einen einzigen Wunsch, den wir aussprechen: Wir möchten durch die Erkenntnis bewahrt bleiben.
Und es gibt eine Bewahrung, die wir erbitten: Dass wir nicht straucheln in diesem so beschaffenen Leben.«
Nachdem sie diese Dinge im Gebet gesagt hatten, küssten sie einander und gingen, um ihre heilige, unblutige Speise zu essen.


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Kapitel 4: Anfeindung durch die Kirche

Die Kirchenchristen haben das unermüdliche Streben der Gnostiker nach einer höheren Wahrheit, ihre Sucherreligion, nicht verstanden und sogar als Gefahr angesehen. So wurden die Dokumente gnostischer Spiritualität und die Zeugnisse der liturgischen Handlungen der Gnostiker unterdrückt und diffamiert. Besonders die gnostischen Rituale und Sakramente fielen der grosskirchlichen Polemik zum Opfer. Dabei gab die Hochschätzung von Frauen im gnostischen Kult und in der gnostischen Lehre Anlass zu herber Kritik.

Die Diffamierung des Kults
Als ein Beispiel für die Diffamierung des gnostischen Kults durch die katholischen Kirchenchristen und Ketzerbestreiter sei die Polemik des Epiphanius von Salamis gegen die Abendmahlsfeiern der Phibioniten (haer. 26,4f) und der Ophiten (haer. 37,5) vorgestellt. Die schlimmen (oft sexuellen) Taten, die den Gnostikern von Epiphanius unterstellt werden, haben ironischerweise Ähnlichkeiten mit den Anklagepunkten, die im Rahmen der Christenverfolgungen des 2. und 3. Jahrhunderts gegen die (katholischen!) Christen vorgebracht wurden. So stellt der christliche Apologet Minucius Felix in seiner Verteidigungsschrift »Oktavius« (um 200) die Vorurteile der Gegner des Christentums zusammen (Oktavius 9).

Diffamierung des gnostischen Kults durch Kirchenchristen
(Epiphan.haer. 26, 4f) (..) Sie setzen an Fleischschmaus und Weintrunk reichliche Genüsse vor, auch wenn sie arm sind. (...) Und der Ehemann wird sich von seiner Ehefrau zurückziehen, um ihr - seiner eigenen Ehefrau - zu sagen: »Stehe auf, tue die Agape (=Liebe) mit dem Bruder!« (...) Die Unseligen aber vermischen sich.. (...) Es nehmen die Frau und der Mann den Ausfluss des Männlichen (=Sperma) in ihre Hände. Sie treten hin, heben ihre Augen zum Himmel empor und sagen, wobei sie die Unreinheit auf den Händen tragen (...): »Wir bringen dir diese Gaben dar, den Leib Christi.« (...) Und so essen sie es und kommunizieren ihre eigene Schande und sprechen: »Das ist der Leib des Christus, und das ist das Pascha, um dessen willen unsere Leiber leiden und gezwungen sind, zu bekennen das Leiden des Christus.« Ebenso aber (machen sie es) mit dem (Blut) von der Frau: Wenn die Frau die Periode hat, so wird das von ihr abgegangene Monatsblut ihrer Unreinheit gesammelt, und sie essen es ebenso gemeinsam. Und sie sprechen: »Das ist das Blut Christi.«
(Epiphan.haer. 37,5) (...) Sie häufen auf einem Tische Brote an. Sie rufen die Schlange herbei. Ist der Behälter nun geöffnet, so kommt sie hervor (...) und kommt auf den Tisch und wälzt sich in den Broten (...) und das nennen sie das vollkommene Opfer. Sie brechen die Brote, in denen die Schlange sich gewälzt hat, und spenden sie den Kommunikanten. Jeder küsst die Schlange am Munde, da ja die Schlange durch Beschwörung zahm gemacht ist (...).Sie werfen sich vor so einem Tier nieder. (...) Durch sie (sc. die Schlange) senden sie, wie sie sagen, dem oberen Vater einen Hymnus empor. So vollenden sie ihre Geheimnisse.

Diffamierung des christlichen Kults durch Nichtchristen
(Minucius Felix, Oktavius 9.5) Nun gar die Geschichte von der Weihe neuer Mitglieder; sie ist ebenso abscheulich wie bekannt. Ein Kind, mit Teigmasse bedeckt, um die Arglosen zu täuschen, wird dem Einzuweihenden vorgesetzt. Dieses Kind wird von dem Neuling durch Wunden getötet, die sich dem Auge völlig entziehen; er selbst hält durch die Teighülle getäuscht die Stiche für unschädlich. Das Blut des Kindes - welch ein Greuel! - schlürfen sie gierig, seine Gliedmassen verteilen sie mit wahrem Wetteifer. Durch dieses Opfer verbrüdern sie sich, durch die Mitwisserschaft um ein solches Verbrechen verbürgen sie sich gegenseitiges Stillschweigen. (...)
(9.6) Bekannt sind auch ihre Schmausereien. Alles redet davon, auch unser Cirtenser zeugt dafür in seiner Erörterung. An einem festlichen Tag versammeln sie sich mit allen Kindern, Schwestern, Müttern, Leute jeglichen Geschlechts und Alters zum Schmause. Ist hierauf nach einem reichlichen Gastmahl die Tischgesellschaft erhitzt und die Glut unreiner Lust durch Trunkenheit entbrannt, so wird ein Hund, der an den Leuchter gebunden ist, durch einen vorgeworfenen Bissen gereizt. Er stürzt los und springt zum Fang über die Länge der Schnur, mit welcher er gebunden ist, hinaus. Dadurch wird das verräterische Licht umgestossen und erlischt. Nun schlingen sie in einer der Schamlosigkeit günstigen Finsternis die Bande unsagbarer Leidenschaft, wie es gerade der Zufall fügt. (...).

Spottlied auf Markus
Der Gnostiker Markus, ein Schüler des Valentinus, ist ein Vertreter einer Gnosis, die stark durch Sakramente geprägt war. Wegen der Betonung ritueller Handlungen und aufgrund einer ausgeprägten Zahlen-und Buchstabenspekulation hat er auch den Beinamen »der Magier« erhalten.
(Ir.haer. I 15,6) Markus, du Götzenbildner und Zeichendeuter,
der sich in der Astrologie auskennt und in der Magie!
Durch sie sicherst du deine Irrlehren ab, indem du denen, die schon irregeführt sind von dir, Zeichen vor Augen bringst,
die Unternehmungen der abgefallenen Macht,
zu denen dich dein Vater, der Satan, jederzeit ausrüstet,
sie durch die engelhafte Kraft Asasels zu vollbringen,
da er in dir einen Vorläufer im widergöttlichen Frevel hat.


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Beigaben

Zum unbekannten Vater

Aus dem Tractatus Tripartitus
Der Tractatus Tripartitus, eine der umfangreichsten und bedeutendsten Nag-Hammadi-Schriften, ist vor dem Nag-Hammadi-Fund nicht bekannt gewesen. Es handelt sich bei diesem Text um eine »gnostische Dogmatik« aus der valentinianischen Schule; die Schrift hat keinen Titel, im Kodex ist jedoch eine Dreiteilung zu erkennen: Der erste Teil handelt vom unbekannten Vater, dem Aufbau des Pleroma, dem Fall und der Busse des Logos sowie der Entstehung des Pleroma; der zweite Teil hat die Erschaffung des Menschen zum Inhalt; im dritten Teil wird u.a. das Wirken des inkarnierten Erlösers beschrieben, das in der Wiederherstellung des Pleroma gipfelt. Die Lehre, die im Tractatus Tripartitus wiedergegeben ist, zeugt von einer sehr engen Verbindung von Gnosis und katholischem Christentum. So ist beispielsweise der schroffe Dualismus, wie er etwa bei den Mandäern und Manichäern zu finden ist, durch einen Monismus ersetzt: Alles geht von dem guten, unbekannten Vater aus, selbst der Fall des Logos ereignet sich nach dessen Willen.
(51.3) Was die erhabenen Dinge betrifft, über die wir etwas aussagen können, ist es angemessen, mit dem Vater beginnen, der die Wurzel des Alls ist, derjenige, von dem wir Gnade empfangen haben (5), etwas über ihn aussagen zu können.
Er existierte, bevor irgendetwas anderes ausser ihm entstand. Der Vater allein ist Einer, wie eine (10) Zahl, denn er ist der Erste, und der, der allein er selbst ist, indem er aber nicht jemandem gleicht, der für sich allein ist. Denn wie könnte er sonst ein Vater sein? Denn wo immer es einen »Vater« gibt, (15) folgt der Name »Sohn«.
Aber der Eine, welcher allein der Vater ist, ist wie eine Wurzel mit einem Baum, Ästen und Früchten. Es wird (20) über ihn gesagt, dass er ein Vater ist im eigentlichen Sinne, denn er ist unnachahmbar und unveränderlich. Deswegen ist er ein Einziger im eigentlichen Sinne, (25) und er ist ein Gott, denn weder ist jemand (anderes) für ihn Gott noch gibt es jemanden, der für ihn Vater ist. Denn er ist ungezeugt, und es gibt weder einen anderen, der ihn gezeugt hat, noch (30) einen anderen, der ihn geschaffen hat. Denn wer selbst jemandes Vater oder sein Erschaffer ist, hat auch (seinerseits) einen Vater und Erschaffer. (...).
(52.6) Er ist ohne Anfang, und er ist ohne Ende. Er ist nicht allein ohne Ende, - er ist unsterblich deswegen, weil er ungezeugt ist, - (10) sondern er ist auch unverrückbar in seinem ewigen Sein und in seinem Selbst-Sein und in dem, durch das er fest steht, und in dem, durch das er gross ist. Weder (15) wird er sich selbst zurückziehen von dem, durch das er ist, noch wird irgend jemand anderes ihm Gewalt antun, ein Ende herbeizuführen, welches er niemals gewünscht hat. Er hat niemanden gehabt (20), der seinem Sein einen Anfang gesetzt hätte. So ist er selbst unwandelbar, und niemand anderes ist in der Lage, ihn wegzubewegen von seinem Sein (25) und seinem Selbst-Sein, in dem er ist, und von seiner Grösse,
so dass er nicht weggenommen werden kann;
auch ist es nicht möglich, dass ein anderer ihn in eine andere Form umwandle
oder ihn vermindere
oder ihn umwandle
(30) oder ihn verringere.
Denn dies ist im eigentlichen Sinne seine Art: Er ist der Unwandelbare, der Unveränderliche, wobei die Unveränderlichkeit ihn kleidet.
Nicht allein ist er der, (35) über den man sagt: »Er ist ohne Anfang« und »Er ist ohne Ende«, denn er ist ungezeugt und unsterblich; sondern wie er keinen (40) Anfang und kein Ende hat, in der Art, wie er ist, ist er unübertreffbar (53.1) in seiner Grösse,
unergründbar in seiner Weisheit,
unergreifbar in seiner Macht,
unerforschbar in seiner (5) Süsse.
In der eigentlichen Weise ist er allein, - der Gute, der ungezeugte Vater und der vollkommene Mangellose-, der, der voll ist von all seinen Nachkommen (10) und von jeder Tugend und von jedem, was nützlich ist. (...).
(53.21) Er ist von solcher Art und Gestalt und grosser Grösse,
dass niemand anders bei ihm war von Beginn an,
noch gibt es einen Ort, (25) an dem er ist, oder aus dem er hervorgekommen ist, oder in den er gehen wird,
noch gibt es eine erste Form, derer er sich als Vorbild (zur Nachahmung) bedient, indem er wirkt,
noch ein Leiden, (30) das ihm zu eigen ist, indem es ihm folgt, in dem, was er tut,
noch eine Materie, die bei ihm niedergelegt ist, durch die *er* erschafft, was er erschafft,
noch ein Wesen in ihm, aus (35) dem er zeugt, was er zeugt;
noch einen Mitarbeiter in ihm, der mit ihm arbeitet an den Dingen, an denen er arbeitet.
Etwas in dieser Weise zu sagen, zeugt von Unwissenheit. Sondern (man sollte von ihm reden) als (40) »Gutem« und »Fehlerlosem«, indem er vollkommen ist,
(54.1) indem er voll ist,
indem er selbst das All ist.
Denn keiner von den Namen, die man mit dem Verstand erfasst, oder die man spricht, oder die man sieht, oder die man begreift, keiner von ihnen passt für ihn, auch wenn sie sehr ruhmreich, vergrössernd und geehrt sind. Aber es ist möglich, diese Namen zu gebrauchen ihm zur Herrlichkeit (10) und Ehre, entsprechend des Vermögens jedes einzelnen von denen, die ihm Ehre erweisen. Aber ihn, wie er existiert, wie er ist, und die Gestalt, in der er sich befindet,
(15) kann weder ein Verstand verstehen,
noch wird ein Wort ihn vermitteln können,
noch wird ein Auge ihn sehen können,
noch wird ein Körper ihn ergreifen können,
wegen (20) seiner unergründbaren Grösse
und seiner unbegreifbaren Tiefe
und seiner unmessbaren Höhe
und seines unerfassbaren Willens.
Dies ist die Natur des (25) Ungezeugten, der nichts anderes berührt, und auch nicht (mit irgendetwas) verbunden ist in der Art von etwas, das bestimmt ist. Sondern er besitzt diese Beschaffenheit, indem er weder (30) ein Gesicht hat noch eine Gestalt, - Dinge, die man durch Wahrnehmung erkennt, woher auch (das Epitheton) »der Unbegreifbare« kommt. Wenn er unbegreifbar ist, dann folgt daraus,
dass (35) er nicht mit dem Verstand erfassbar ist,
dass er der ist, der nicht durch Verstand begreifbar ist,
unsichtbar durch irgendein Ding,
unaussprechbar durch irgendein Wort,
unberührbar durch irgendeine Hand.
(40) Er allein ist der, der sich selbst kennt, wie er (55.1) ist, mit seiner Gestalt und seiner Grösse und seinem Wuchs; und (nur) er hat die Möglichkeit, sich zu verstehen,
sich zu sehen,
sich (5) zu benennen,
sich zu ergreifen;
er allein ist Verstand für sich selbst,
Auge für sich selbst,
Mund für sich selbst,
Form für sich selbst;
und er ist das, was er denkt,
(10) was er sieht,
was er spricht,
was er ergreift,
der, der unverstehbar,
unaussprechbar,
unbegreifbar,
unwandelbar ist,
(15) wobei er Nahrung ist,
wobei er Wonne ist,
wobei er Wahrheit ist,
wobei er Freude ist,
wobei er Ruhe ist (für das), was er begreift,
was er sieht,
über das er spricht,
was er als Gedanken hat.
(20) Er übersteigt jede Weisheit,
und er überragt jeden Verstand,
und er überragt jede Herrlichkeit,
und er überragt jede Schönheit
und (25) jede Süsse,
und jede Grösse,
und jede Tiefe
und jede Höhe.
Wenn dieser, der unerkennbar ist in seiner Natur, zu dem alle Grössen, die (30) ich vorher erwähnt habe, gehören, wenn er aus der Tiefe seiner Süsse Erkenntnis geben will, auf dass man ihn erkenne, hat er die Möglichkeit, so zu handeln. Er hat seine Kraft, (35) die sein Wille ist. Nun aber ergreift er sich selbst im Schweigen, er, der der Grosse ist, der die Ursache ist für die Hervorbringung der Allheiten in ihre (40) ewige Existenz. (...) (56.6) Das, was seiner Bewunderung und der Herrlichkeit und der Ehre und des Lobpreises würdig ist, bringt er hervor (10) wegen der Grenzenlosigkeit seiner Grösse
und der Unerforschbarkeit seiner Weisheit
und der Unmessbarkeit seiner Macht
und seiner (15) unschmeckbaren Süsse.
(...)

Zur Erlösung

Weckruf aus dem Evangelium der Wahrheit
Das Evangelium der Wahrheit (NHC I 3) ist eine Homilie, die der valentinianischen Schule zugeschrieben wird. Dass das von Irenaeus genannte valentinianische Evangelium der Wahrheit (Ir.haer. III 11,9) mit dieser Nag-Hammadi-Schrift identisch ist, bleibt eine ansprechende Möglichkeit.
(NHC I 3; 22,2ff) Deswegen ist einer, wenn er (das) Wissen hat, von oben. Wenn er gerufen wird, (5) hört er, antwortet er und wendet sich zu dem, der ihn ruft, und steigt zu ihm auf. Und er erkennt, in welcher Weise er gerufen wird. Weil er (das) Wissen hat, tut er (10) den Willen dessen, der ihn gerufen hat, er wünscht, ihm zu gefallen, er empfängt Ruhe. Der Name des Einen kommt zu ihm. Der, der auf diese Weise erkennen wird, weiss, woher er kommt (15) und wohin er geht. Er erkennt wie jemand, der, indem er betrunken war und von seiner Trunkenheit ernüchtert worden ist (und) wieder zu sich selbst zurückgekehrt ist, das in Ordnung gebracht hat, was (20) das Seine ist.

Brautsakrament im Philippusevangelium
Das Evangelium nach Philippus (NHC II 3) ist nur durch den Nag-Hammadi-Fund bekannt.
Der Verfasser des Philippusevangeliums versteht sich als Christ, wie z.B. die Sprüche 6 und 59 zeigen. Auch das Neue Testament wird zitiert (23, 69 u.ö.). In den theologischen Anschauungen steht das Philippusevangelium besonders dem Valentinianismus nahe. Der deutlichste Hinweis darauf ist die hervorgehobene Stellung des Brautgemachsakraments, wie es aus der valentinianischen Schule der Markosier bekannt ist (Ir.haer. I 21,3).

(Spruch 122: 81, 34) [Niemand kann] wissen (35), an welchem Tag sich der [Mann] (82.1) und die Frau miteinander vereinigen ausser sie allein. Denn ein Geheimnis ist die Hochzeit der Welt für die, welche eine Frau genommen haben. Wenn (schon) die Hochzeit der Befleckung verborgen ist, (5) um wieviel mehr ist die unbefleckte Hochzeit ein wahrhaftiges Geheimnis? Nicht fleischlich ist sie, sondern rein. Sie gehört nicht zur Begierde, sondern zum Willen. Sie gehört nicht zur Finsternis oder (zur) Nacht, sondern sie gehört zum Tag und (10) zum Licht (...).

(Spruch 127: 86, 4) Wenn jemand Kind des (5) Brautgemaches wird, wird er das Licht empfangen. Wenn es jemand nicht empfängt, während er an diesen Orten (= die Welt) ist, so wird er es nicht empfangen können an dem anderen Ort. Wer jenes Licht empfangen wird, wird nicht gesehen werden können noch wird er festgehalten werden können. Und niemand wird einen solchen belästigen können, (10) wenn er auch in der Welt lebt. Und auch wenn er hinausgeht aus der Welt, hat er schon die Wahrheit empfangen in den Abbildern. (...).

(Spruch 61: 65, 1) Die Gestalten der unreinen Geister sind männliche und weibliche. Die männlichen sind die, die sich mit den Seelen vereinigen, welche in (5) einer weiblichen Gestalt wandeln. Die weiblichen hingegen sind diejenigen, die mit denen in einer männlichen Gestalt vereinigt sind durch einen Ungehorsam. Und niemand wird ihnen entfliehen können, da man ihn ergreifen wird, falls er nicht eine männliche Kraft empfängt und eine (10) weibliche, - das sind der Bräutigam und die Braut. Man erhält diese aber aus dem abbildlichen Brautgemach. Wenn die törichten Frauen einen Mann sehen, der alleine lebt, pflegen sie sich auf ihn zu stürzen, und (15) sie scherzen mit ihm und beflecken ihn. Ebenso verhält es sich mit den törichten Männern: Wenn sie eine allein lebende schöne Frau sehen, beschwatzen sie sie und vergewaltigen sie, weil sie sie beflecken wollen. Wenn sie aber sehen, (20) dass der Mann und seine Frau zusammenleben, können die Frauen nicht zum Mann gehen, und die Männer nicht zur Frau gehen. So verhält es sich (auch), wenn das Abbild und der Engel sich miteinander vereinigen. (25) Niemand wird es wagen können, zu dem Mann oder zu der Frau zu gehen (...).

Aus der »Dreigestaltigen Protennoia«
Ähnlich wie in Zostrianos (siehe Seite 70f) findet sich in der »Dreigestaltigen Protennoia« ein Ritual, mit dessen Hilfe dem Menschen eine stufenweise Erlösung bzw. Einweihung zuteil wird. Dem Eintritt in die Sphäre der ewigen Seligkeit gehen unterschiedliche Verleihungen von Himmelsgaben durch mythologische Grössen voraus. Vergleichbar den fünf Taufen in Zostrianos und den fünf Siegeln im Apokryphon des Johannes (NHC II 1; 30,22ff) finden sich auch hier fünf Stufen.
(NHC XIII 1; 45,12ff) Und ich lade euch ein in das erhabene und vollkommene Licht.
Wenn ihr nun in dieses eingeht, werdet ihr Herrlichkeit empfangen von denen, [die] (15) Herrlichkeit geben.
Und die, die Throne geben, werden euch Throne geben.
Ihr werdet Kleider empfangen von denen, die Kleider geben.
Und die Täufer werden euch taufen.
Und ihr werdet überaus herrlich werden, in der Art, wie ihr am Anfang gewesen seid, (20) als ihr im Licht wart.
(NHC XIII 1; 48,13ff) (...) Und ich zog ihm ein strahlendes Licht an, welches das Wissen des Gedankens der Vaterschaft ist.
(15) Und ich übergab ihn denen, die Kleider geben: Jammon, Elasso, Amenai. Und sie [bekleideten] ihn mit einem Kleid von den Kleidern des Lichtes.
Und ich übergab ihn den Täufern; und sie tauften ihn:
Micheus, Michar, Mnesinous. (20) Und sie tauchten ihn in die Quelle des [Wassers] des Lebens ein.
Und ich übergab ihn denen, die Throne [geben]: Bariel, Nouthan, Sabenai. Und sie [gaben] ihm den Thron der Herrlichkeit.
Und ich übergab ihn denen, die Herrlichkeit geben: (25) Ariom, Elien, Phariel. Und sie gaben ihm Herrlichkeit in der Herrlichkeit der Vaterschaft..
Und die, die entrücken, entrückten (ihn): Kamaliel, [...]anen, Samblo, die Diener *der* grossen heiligen Erleuchter. Und sie versetzten ihn in (30) den Licht-[Ort] seiner Vaterschaft. Und [er empfing] die fünf Siegel durch [das Licht] der Mutter, der Pronoia. Und sie [liessen] ihn an dem [Geheimnis] des Wissens teilhaben, und [er wurde ein Licht] im (35) Licht.

Zur Taufe aus dem Tractatus Tripartitus
(NHC I 5; 127,25ff) Hinsichtlich der Taufe, die im eigentlichen Sinne existiert, in welche die Allheiten hinabsteigen werden und in welcher sie bleiben werden, - es gibt keine andere Taufe ausser dieser allein, (30) welche die Erlösung hinein in Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist ist, wenn das Bekenntnis geschehen ist durch Glauben an jene Namen, (35) welche ein einziger Name des Evangeliums sind, (128.1) wenn sie (sc. die Getauften) zum Glauben gekommen sind an das, was ihnen gesagt wurde, nämlich dass sie existieren. Denn aus diesem haben die ihre Erlösung, die (5) zum Glauben gekommen sind, dass sie existieren. Dies ist nun das Begreifen in Unsichtbarkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes in einem Glauben, der ohne Zweifel ist. (...).

(128.19) Die Taufe, die wir (20) vorher erwähnt haben, wird genannt »Kleid derer, die sich nicht von ihm entblössen«, denn die, die es anziehen werden, und die, die Erlösung empfangen haben, tragen es.
Sie wird ebenso (25) genannt »die Stärke der Wahrheit, die kein Fallen hat«. In einer unerschütterlichen und unbeweglichen Weise ergreift sie alle, die die Wiederherstellung empfangen haben, (30) während sie sie ergreifen.
(Die Taufe) wird auch genannt »Schweigen« wegen der Stille und Unerschütterlichkeit.
Sie wird auch genannt »Brautkammer« wegen der Übereinstimmung und des (35) unteilbaren Zustands derer, die wissen, dass sie ihn erkannt haben.
Sie wird ebenso genannt (129.1) »das Licht, welches nicht sinkt und ohne Flamme ist«, da sie kein Licht gibt, sondern die, die es getragen haben, sind Licht geworden. Sie (5) sind die, die er trug.
(Die Taufe) wird weiter genannt »das ewige Leben«, welches die Unsterblichkeit ist;
und sie wird genannt »das, was ist, vollkommen, einfach, (10) in eigentlicher Weise, was wohlgefällt, untrennbar und unwegnehmbar und fehlerlos und unerschütterlich zu dem, der existiert für die, die eine Einweihung empfangen haben.« (...)

Überblick über gnostische Sakramente
Einen Überblick über gnostische Sakramente gibt der Kirchenvater und Ketzerbestreiter Irenaeus von Lyon in seinem ersten Buch gegen die Häresien (Ir.haer. I 21,2ff).
(21,2) Sie sagen, dass die (Erlösung) für alle, die die vollkommene Erkenntnis (Gnosis) empfangen haben, notwendig ist, damit sie in die allerhöchste Kraft hinein wiedergeboren werden. Anders ist es nämlich unmöglich, ins Pleroma hineinzugelangen, weil es ihrer Meinung nach die (Erlösung) ist, die in die Tiefe des Bythos hinabführt. Die Taufe des sichtbar gewordenen Jesus soll zur Vergebung der Sünden sein, die Erlösung des Christus dagegen, der in ihm herabgekommen ist, zur Vollkommenheit. Die Taufe ist psychisch, die Erlösung dagegen pneumatisch, versichern sie. Und die Taufe soll von Johannes zur Umkehr gepredigt worden sein, während die Erlösung von Christus zur Vollkommenheit gebracht wurde. Genau das bedeute sein Ausspruch: »Noch mit einer anderen Taufe muss ich getauft werden, und ich verlange sehr nach ihr.« Auch als die Mutter der Zebedäus-Söhne darum bat, dass sie zur Rechten und zur Linken mit ihm im Reich sitzen dürften, hat der Herr ihnen gegenüber diese Erlösung eingeführt, sagen sie, indem er sprach: »Könnt ihr mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?«. Und von Paulus behaupten sie, er habe ausdrücklich und oft die Erlösung in Christus Jesus verkündet. Und das sei diejenige, die von ihnen ganz verschieden und ohne Zusammenklang überliefert worden sei.
(21,3) Manche von ihnen richten ein Brautgemach ein und begehen eine Geheimnisfeier mit bestimmten Formeln für die Einzuweihenden; und sie nennen es eine pneumatische Hochzeit, was sie da veranstalten, nach der Ähnlichkeit mit den Syzygien (Vereinigungen) der oberen Welt. Andere führen die Bewerber zum Wasser, taufen sie und sagen dazu: Auf den Namen des unbekannten Vaters aller Dinge; auf die Aletheia (Wahrheit), die Mutter aller Dinge; auf den, der auf Jesus herabgestiegen ist zur Vereinigung und Erlösung und Gemeinschaft der Kräfte! Andere sprechen hebräische Worte aus, um auf die Einzuweihenden noch grösseren Eindruck zu machen, wie etwa: (es folgen hebräische Worte). Die Übersetzung lautet: Was über alle Kraft des Vaters (sc. des Demiurgen) geht, das rufe ich an, Licht wird es genannt und gutes Pneuma (Geist) und Zoe (Leben), weil du im Leib geherrscht hast. Andere sagen zur Erlösung: Der Name, der verborgen ist vor jeder Gottheit und Herrschaft und Wahrheit, mit dem Jesus, der Nazarener, sich in den Lichtzonen des Christus, der durch das heilige Pneuma (Geist) lebt, zur himmlischen Erlösung bekleidete -, dieser Name der Wiederherstellung (ist): (es folgen hebräische Worte). Die Übersetzung lautet: Ich trenne nicht den Geist, das Herz und die überhimmlische, barmherzige Kraft (Christi); ich will mich freuen an deinem Namen, du Retter der Wahrheit! Das sagen die, die die Einweihung vornehmen. Der Eingeweihte gibt die Antwort: Stark geworden und erlöst bin ich, und ich löse meine Seele von dieser Welt und von allem, was zu ihr gehört, im Namen Jaos, der seine Seele erlöst hat zur Erlösung im lebendigen Christus. Und dann sprechen alle, die dabei sind: Friede allen, auf die dieser Name sich niedergelassen hat! Und dann salben sie den Eingeweihten mit Balsamöl, weil sie der Meinung sind, dass dieses Öl den Wohlgeruch ausdrückt, der über dem All liegt.
(21,4) Etliche von ihnen sagen allerdings, es sei überflüssig, zum Wasser zu führen. Sie mischen unter bestimmten Formeln, ähnlich den schon erwähnten, Olivenöl mit Wasser zusammen und giessen das den Einzuweihenden auf das Haupt. Das ist nach ihrer Vorstellung die Erlösung. Aber die Salbung mit Balsamöl üben sie ebenfalls aus. Andere lehnen das alles ab und vertreten den Standpunkt, dass man das Geheimnis der unaussprechlichen und unsichtbaren Kraft nicht durch sichtbare und vergängliche Dinge begehen darf und das der undenkbaren und körperlosen (Kräfte) (nicht) durch wahrnehmbare und körperliche (Dinge). Die vollkommene Erlösung ist eben die Erkenntnis der unsagbaren Grösse. Während nämlich durch Unwissenheit Mangel und Leiden entstanden, wird durch Erkenntnis (Gnosis) der ganze Zustand, den die Unwissenheit verursachte, aufgelöst. Darum ist die Gnosis Erlösung des inneren Menschen. Sie ist weder körperlich, denn der Körper ist ja vergänglich, noch psychisch, weil auch die Psyche (Seele) aus dem Mangel entstand und bloss Wohnung für das Pneuma (Geist) ist. Pneumatisch muss die Erlösung also sein. Denn durch Gnosis wird der innere, pneumatische Mensch erlöst. Und mit der Kenntnis des Alls sind sie zufrieden. - Und das soll die wahre Erlösung sein.
(21,5.) Es gibt noch andere, die die Sterbenden an der Grenze zum Tod erlösen, indem sie ihnen Olivenöl und Wasser auf den Kopf giessen, oder auch die Salbe, von der schon die Rede war, zusammen mit Wasser und unter den erwähnten Zaubersprüchen, damit sie für die Archonten und die Mächte nicht zu greifen sind und unsichtbar werden und damit ihr innerer Mensch über die unsichtbaren Sphären hinaus aufsteigt, während ihr Leib in der geschöpflichen Welt zurückgelassen und die Seele dem Demiurgen ausgeliefert wird. Sie geben ihnen auch Anleitungen für die Situation nach dem Tod: Wenn sie dann auf die Mächte treffen, sollen sie sagen: Ich bin ein Sohn vom Vater, dem Vater, der zuvor schon war, Sohn aber in dem, der zuvor schon war. Ich bin gekommen, um alles zu sehen, was mein ist und was fremd ist - allerdings nicht völlig fremd, sondern es gehört der Achamoth (der unteren Sophia), die eine Frau ist und es für sich erschaffen hat, ihr Geschlecht aber auf den zurückführt, der zuvor schon war -, und kehre in das zurück, was mein ist, von wo ich ausgegangen bin. Wenn er das sagt, dann entgeht und entkommt er den Mächten, behaupten sie. Er kommt dann zu den Gefährten des Demiurgen, und zu ihnen muss er sagen: Ich bin ein Gefäss, wertvoller als die Frau, die euch geschaffen hat. Mag auch eure Mutter ihre eigene Herkunft nicht kennen - ich jedenfalls kenne mich selbst und weiss, von wo ich bin. Und ich rufe die unvergängliche Sophia (Weisheit) an, die im Vater ist, aber Mutter eurer Mutter ist, welch letztere keinen Vater hat und keinen männlichen Paargenossen. Als von der Frau geborene Frau hat sie euch geschaffen, ohne ihre Mutter zu kennen und im Glauben, sie sei allein. Ich rufe aber ihre Mutter an. Wenn das die Gefährten des Demiurgen hören, dann geraten sie in grosse Verwirrung und erheben Vorwürfe gegen ihre Herkunft und die Abstammung ihrer Mutter. Sie (sc. die verstorbenen Gnostiker) aber gehen in das ihnen Eigene, indem sie ihre Fesseln abwerfen, das heisst die Seele.
Soviel konnten wir über ihre Erlösung in Erfahrung bringen. Da sie aber nach Lehre und Tradition voneinander abweichen und diejenigen, die neu zu ihnen stossen, täglich darauf aus sind, Neues zu erfinden und hervorzubringen, was noch niemand jemals ausgedacht hat, ist es schwer, alle Meinungen wiederzugeben.


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"