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Geisteswissenschaften - Geschichte - Christentum

Zur Geschichte des Christentums

Im folgenden wird in verschiedenen (zeitlich überlappenden) Texten die Geschichte des (Früh-)Christentums bis zur Reformation vorgestellt.

Inhalt


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Auszüge aus der Frühgeschichte des Christentums

Zitiert aus 'Weltgeschichte - Von der Anfängen bis 1700' von Karl Schib und Joseph Boesch, Eugen Rentsch Verlag Zürich, 7. Auflage von 1984.
Die kursiven Hervorhebungen stammen von mir, auch die Kommentare dazwischen. Die vorhandenen Abschnitte sind ansonsten vollständig.

6.3 Römisches Heidentum und Christentum

6.31 Die römische Religion: Als Christentum und römisches Heidentum sich begegneten, hatte sich die römische Religion weit von ihren Anfängen entfernt. Die ursprünglichen Götter Roms waren namenlose Geister, denen man Opfer darbrachte, um ihrer Unterstützung sicher zu sein. Es gab einen Gott des Säens, des Düngens, des Erntens; ein Geist lehrte das Kind essen, trinken und gehen. Die verstorbenen Glieder der Familie verehrte der Römer als Schutzgeister; deshalb wurde auf den Totenkult so viel Wert gelegt; vernachlässigte man ihn, so kamen die Geister der Verstorbenen aus der Unterwelt zurück, um die Lebenden zu quälen. Jedermann verehrte den Geist, der für sein persönliches Wohlergehen sorgte, gleichsam als Schutzengel. Im Hause brannte die Herdflamme, in der des Hauses Schutzgeist lebte, dem die Hausfrau täglich opferte. Im heiligen Feuer, das in einem Rundtempel auf dem Forum als ewige Flamme brannte, lebte die Vesta, der Schutzgeist des Staates; Mädchen, die Vestalinnen, die sich verpflichteten, während dreissig Jahren unverheiratet als Priesterinnen zu dienen, standen in hohem Ansehen. Zu den Staatsgottheiten gehörten Mars, der Gott des Krieges und Vater des Stadtgründers Romulus, und Janus, der Geist, der in einem Stadttore Roms lebte.
Wie fast alle übrigen Lebensgebiete, so geriet auch die römische Religion unter griechischen Einfluss; aus den Geistern wurden nach griechischem Vorbild menschengestaltige Wesen, die man als Statuen verehrte und denen man dieselben Abenteuer wie die Griechen zuschrieb. Die plumpe Art, den Willen der Götter durch die Ausdeutung des Vogelflugs und der Leberschau kennenzulernen, trug dazu bei, den überlieferten Glauben zu erschüttern. Wenn zwei Leberschauer sich allein begegneten, so, sagte man, müssten sie in Lachen ausbrechen.
In seinem Bemühen, alte Römerart wieder zu erneuern, liess Augustus Tempel restaurieren, von Rauch geschwärzte Götterbilder reinigen und seinen Zeitgenossen vergessene religiöse Feste in Erinnerung rufen. Grosse Erfolge waren ihm dabei nicht beschieden. An religiösem Interesse fehlte es zwar nicht, aber die Römer wandten sich neuen, aus dem Orient einströmenden Glaubensformen zu. Aus Ägypten drang der Isisdienst in die Nachbarländer und bald in alle römischen Provinzen ein. Seine Priester versprachen ihren Anhängern Meisterung des Schicksals und Auferstehung nach dem Tode. Iran war die Heimat derMithrasreligion, die vor allem den Soldaten zusagte und mit ihnen in die entferntesten Garnisonen des Reiches gelangte. In unterirdischen Kultstätten wurde ein Stieropfer dargebracht. Die Tötung des Urstiers durch den Gott Mithras war Sinnbild dieser Religion. Das Blut des Stieres spendet dem Gläubigen heilsame Kräfte. Ein heiliges Mahl, bei dem Brot und Wasser gereicht wurde, schenkte die Unsterblichkeit des Mithras. Der Mithrasdienst war ein Hauptrivale des Christentums. Von besonderer Bedeutung für das Christentum wurde der Kaiserkult, die göttliche Verehrung des lebenden Herrschers. In den östlichen Provinzen wurde schon Augustus zu seinen Lebzeiten als Weltheiland, als Retter der Menschheit aus Krieg und Not verehrt. Im Westen des Reiches wurde anfänglich erst der tote Kaiser zum Gott erhoben, bis Diokletian die Anbetung der lebenden Herrscher zum Gesetz machte; jetzt erhielt der Kaiser den Titel «Herr und Gott». Der Kaiserkult wurde zum Prüfstein der politischen Gesinnung. In einer Zeit drohenden Zerfalls sollte die Kaiserverehrung für alle Völker des Reiches das einigende Band sein.

6.32 Das Christentum: In dieser vielgestaltigen religiösen Welt tauchte das Christentum auf. Eine der grossen Überraschungen der christlichen Religion war die Tatsache, dass sie sich an alle Menschen, vor allem auch an diejenigen wandte, die auf der Schattenseite der römischen Welt lebten, die Frauen und Sklaven. Eine zweite Überraschung bestand darin, dass Jesus, der Gründer der christlichen Religion, in den Ablauf der Weltgeschichte eingriff, indem er den Anspruch erhoss, die alte Offenbarung durch eine neue abzulösen, die bisherigen Religionsformen durch das von ihm gestiftete Reich Gottes zu ersetzen. Die christliche Zeitrechnung ist bis heute der Ausdruck dieses Anspruchs; sie wurde im 6. Jahrhundert eingeführt, indem man die Geburt Christi auf den 25. Dezember des Jahres setzte, das dem Jahre eins unserer Zeitrechnung vorausgeht. Im Gegensatz zum Mithrasdienst war der neue Heilbringer eine menschliche Person; Jesus wirkte und predigte inmitten der Menschen; er erlitt Erniedrigung und Tod, um die Menschen zu erlösen und das Reich Gottes zu begründen.
Die Jünger Jesu fühlten sich berufen, die Lehre des Meisters auszubreiten. In Jerusalem entstand die erste Christengemeinde. Bald zeigte es sich, dass über den neuen Glauben zwei verschiedene Auffassungen bestanden; den einen schien er eng mit der überlieferten jüdischen Religion verbunden zu sein. Wer sich der Christengemeinde anschliessen wollte, sollte deshalb das jüdische Gesetz anerkennen. Die andern wollten Ernst machen mit der frohen Botschaft, dass Jesus der Erlöser für alle Menschen sei; Befreiung vom jüdischen Gesetz war ihr Losungswort. Den Entscheid zugunsten des Heidenchristentums führtePaulus herbei, der, obwohl jüdischer Abstammung, der Überzeugung war, Jesus sei der Erlöser für Juden und Heiden ohne Rücksicht auf ihre Herkunft. Paulus wurde zum Weltmissionar. Er wusste die von den Römern rund um das Mittelmeer geschaffene Einheit zu nutzen und durchwanderte von Jerusalem und Antiochia aus Kleinasien, Makedonien und Griechenland. Nach frühchristlicher Überlieferung erlitt er im Jahre 64 zusammen mit dem Apostel Petrus während der Christenverfolgung Neros den Tod.

6.33 Das Christentum und der römische Staat: Der römische Staat war gegenüber den verschiedenen Religionen duldsam, sofern ihre Anhänger am Kaiserkult teilnahmen. Wer sich weigerte, dem toten oder lebenden Herrscher göttliche Ehren zu erweisen, beging ein Majestätsverbrechen. Die ersten Schwierigkeiten bereitete dem jungen Christentum nicht der Staat, sondern das heidnische Volk, dem die Fremdartigkeit der neuen Religion ein Stein des Anstosses war. Das Christentum forderte von seinen Bekennern dienende Liebe, Selbstverleugnung, Mitleid, Schamhaftigkeit; an den Mann stellte es sittliche Anforderungen, die dem Heidentum ganz fremd gewesen waren. Der römischen Oberschicht erschien das Christentum als Sklavenreligion; der Masse missfiel das Andersseinwollen. Die christlichen Abendmahlsfeiern wurden als verbrecherische Zusammenkünfte verdächtigt. Wegen ihrer Missachtung der Götter machte man die Christen verantwortlich für Hungersnöte, Überschwemmungen, Erdbeben und Barbareneinfälle. Als Kaiser Nero den Christen die Schuld am Brande Roms zuschob, um den Verdacht von sich abzulenken, stiess er beim römischen Pöbel durchaus auf Verständnis. Tacitus berichtet, man habe den Christen Hass des Menschengeschlechtes vorgeworfen.
Die Weigerung, den Kaisern zu opfern, führte im 2. Jahrhundert wiederholt zu Teilverfolgungen. Eine allgemeine Verfolgung ordnete der Soldatenkaiser Decius um 250 an. Nach schweren inneren Erschütterungen wollte er den römischen Staat wiederaufrichten; der Staatsreligion war dabei eine grosse Rolle zugedacht; wer sie ablehnte, war Staatsfeind. Die Kaiseropfer wurden in den Städten als öffentliche Schauspiele durchgeführt. Folter, Kerker und Zwangsarbeit in den Bergwerken drohten denen, die das Opfer verweigerten. Die Abhaltung von christlichen Gottesdiensten wurde bei Todesstrafe untersagt. Manche Christen suchten Zuflucht in den unterirdischen Grabanlagen, den Katakomben. Während der letzten drei Jahrzehnte des 3. Jahrhunderts war dem Christentum Ruhe beschieden. Die Verfolgungen hatten das Ziel, den christlichen Glauben zu unterdrücken; aber sie förderten seine Ausbreitung. Im Heere, in der Staatsverwaltung, ja sogar am kaiserlichen Hofe dehnte sich das Christentum aus. Die Frau und die Tochter des Kaisers Diokletian waren Christen. Trotzdem hat gerade dieser Kaiser die härteste Christenverfolgung durchgeführt. Diokletian wollte den altrömischen Götterglauben erneuern und ihn durch den Kaiserkult ergänzen. Er nannte sich «Sohn des Jupiter», sein Mitkaiser Maximian liess sich als «Sohn des Herkules» anbeten. Die Verfolgung wurde geplant, als ob militärische Gewalt zur Vernichtung einer geistigen Bewegung genügen könnte. Die christlichen Gotteshäuser wurden zerstört, die heiligen Bücher eingesammelt und verbrannt, der Opferzwang unter Anwendung der Folter durchgeführt; wer nicht opferte, wurde hingerichtet. Vor allem in den östlichen Provinzen des Reiches kam es zu Massenhinrichtungen. Die Zahl der Standhaften unter den verfolgten Christen war so gross, dass die Sinnlosigkeit der Verfolgung offenbar wurde. Konstantius, der als Cäsar von Trier residierte, war als erster zu dieser Einsicht gekommen und hatte die brutalsten Edikte Diokletians nicht ausgeführt. Vielleicht aus Enttäuschung über ihre Religionspolitik traten Diokletian und Maximian zurück. Damit war die heidnische Epoche der römischen Geschichte abgeschlossen. Konstantin, ein Sohn des Konstantius, errang die Alleinherrschaft und erliess ein Duldungsedikt zugunsten des Christentums (313). Das Christentum, das der härtesten Gewaltanwendung standgehalten hatte, wurde «erlaubte Religion».
Auch Konstantin wollte die Religion zur Stütze des Reiches machen; aber der Christengott allein schien ihm die Zukunft des Reiches zu verbürgen. Das Ansehen der christlichen Bischöfe, die als eigentliche Sieger aus dem schweren Kampf hervorgegangen waren, sollte dem Staate dienstbar gemacht werden. Konstantin übertrug ihnen die Schiedsgerichtsbarkeit in bürgerlichen Angelegenheiten. Als Zeitgenosse der Verfolgung kannte der Kaiser das schwere Unrecht, das der heidnische Staat seinen christlichen Untertanen zugefügt hatte, und er war entschlossen, es nach Möglichkeit gutzumachen. Strafmassnahmen jeder Art wurden widerrufen; christliche Zwangsarbeiter aus den Bergwerken herausgeholt und mit einer Pension entschädigt, Versklavte Christen erhielten die Freiheit zurück. Ausgestossene Soldaten durften ihren Rang im Heere wieder einnehmen. Während der Verfolgung zerstörte Gotteshäuser wurden mit Staatsmitteln wiederaufgebaut. Andere gesetzgeberische Massnahmen zeugen für den kaiserlichen Willen, das Recht zu christianisieren. Die Aussetzung der Kinder und der Kinderhandel wurden unter Strafe gestellt, die Sklavengesetze gemildert und die Freilassung zum Teil der christlichen Geistlichkeit anvertraut. Der Staat sicherte die Arbeitsruhe am christlichen Sonntag. Den Christen verdankte Konstantin den Beinamen «der Grosse».
Enttäuschungen blieben Kaiser Konstantin nicht erspart; er hatte die Einheit der christlichen Kirche besonders hoch geschätzt und musste nun erfahren, dass sie durch theologischen Zwiespalt gestört wurde.Arius, ein Geistlicher aus Alexandrien, wich von der bisherigen Kirchenlehre ab, indem er behauptete, Jesus sei mit Gott nicht wesensgleich. Den daraus entstandenen leidenschaftlichen Auseinandersetzungen sollte das vom Kaiser einberufene Konzil von Nikäa ein Ende bereiten. Das Resultat der Konzilsberatungen war das erste christliche Glaubensbekenntnis, das den Lehrsatz von der Wesensgleichheit zwischen Jesu, dem Erlöser, und Gott Vater enthielt. Arius fügte sich dem Entscheide nicht, und der Zwiespalt sollte Kirche und Staat noch mancherlei Sorgen bringen.
Konstantin benachteiligte die heidnische Religion, aber er unterdrückte sie nicht. Er blieb oberster Priester (Pontifex maximus) der althergebrachten römischen Götterverehrung. Erst am Ende seines Lebens empfing er die christliche Taufe.
Aus Sicherheitsgründen hatte schon Diokletian Rom als Hauptstadt aufgegeben und als Residenzstadt Nikomedia am Marmarameer gewählt. Nur von einer Hafenstadt aus konnte bedrohten Provinzen innert nützlicher Frist Hilfe gebracht werden. Das römische Kleinasien war ununterbrochen Angriffen der Perser ausgesetzt, und die Balkanhalbinsel gehörte zu den gefährdetsten Reichsteilen. Konstantin teilte deshalb in bezug auf die Hauptstadt die Meinung Diokletians; nur wählte er einen noch günstigeren Standort, die alte Griechenstadt Byzanz am Bosporus (330). Im Gegensatz zu Rom, dessen heidnisches Gepräge zu deutlich war, sollte die neue Residenz eine christliche Stadt sein. Auf dem Forum der neuerbauten Stadt liess Konstantin eine Säule mit seiner Statue aufstellen; seine Rechte hielt die vom Kreuz überragte Weltkugel. Die Stadt erhielt später den Namen Konstantinopel, das heisst Konstantinsstadt. Sie wurde zur Hauptstadt der christlichen Antike.

6.34 Das Christentum als Staatsreligion: Der letzte Herrscher aus dem Hause Konstantins, Julian, kehrte zum Heidentum zurück und verfiel noch einmal der unglücklichen Idee, das Christentum zu unterdrücken. Er erhielt von den Christen den Beinamen «der Abtrünnige». Nach nur zweijähriger Regierung fiel Julian im Kampfe gegen die Perser (363). Jetzt hatte die Stunde des Untergangs für das Heidentum geschlagen. Theodosius der Grosse (379-395) erhob das Christentum zur einzigen, rechtlich anerkannten Religion des Reiches. Das christliche Bekenntnis war nun Staatsreligion, die KircheStaatskirche. Leider scheute sich Theodosius nicht, das Heidentum mit Gewalt zu unterdrücken. Ein gebildeter Heide, der Römer Symmachus, trat für die Duldung seiner vom Untergang bedrohten Religion ein, indem er darauf hinwies, dass mehr als ein Weg zum hohen Geheimnis des Göttlichen hinführen müsse. Es war umsonst, niemand hatte Verständnis für das Nebeneinander verschiedener Bekenntnisse. Die Hoffnung, das Christentum werde das Reich retten, war Richtschnur der kaiserlichen Politik geworden. Nun ordnete sich das Heidentum in die mit Ehre und Macht ausgestattete christliche Kirche ein. Mit Wehmut blickten bald von tiefem Ernst beseelte Christen auf die Zeit zurück, wo die Verfolgungen die Glaubenskraft der Christen festigten und die Lauen fernhielten. Sie vergassen, dass die christliche Kirche dazu berufen war, sich mit der ganzen Menschheit auseinanderzusetzen und nicht einfach eine Gemeinschaft von Vollkommenen zu bilden.
Mit der engen Verbindung zwischen Kirche und Staat stellte sich bald das Problem der Rangordnung. Zur Zeit Konstantins schien die Unterordnung der Kirche eindeutig zu sein. Aber schon unter Theodosius dem Grossen meldeten sich Vorkämpfer der kirchlichen Selbständigkeit zum Wort. In Sachen des Glaubens stehen die Bischöfe über dem Kaiser, erklärte Ambrosius, der Bischof von Mailand. Dazu ist der christliche Kaiser an die göttlichen Gebote gebunden. In Saloniki brach 390 im Zirkus eine Empörung aus, der ein hoher Staatsbeamter zum Opfer fiel; in einem Anfall von Jähzorn befahl Kaiser Theodosius den Soldaten, den Zirkus zu umstellen und die Zuschauer niederzuhauen; gegen 7000 Menschen verloren das Leben. In einem Briefe hielt Bischof Ambrosius dem Kaiser die Grösse seiner Schuld vor und erklärte, dass er in Gegenwart des Kaisers keinen Gottesdienst mehr feiern werde, bevor dieser nicht öffentlich Kirchenbusse geleistet habe. Ambrosius berichtete selber über die Einsicht des Kaisers: «Er warf allen kaiserlichen Schmuck, den er trug, weg und beweinte in der Kirche öffentlich seine Sünde ...» Es war eine eigentliche Zeitenwende, als der Inhaber der staatlichen Gewalt sich dem kirchlichen Vertreter des Rechts und der Gerechtigkeit unterordnete.
Die mit dem Staat verbundene christliche Kirche musste Kummer und Sorgen des schwerbedrohten Reiches miterleben. Im Jahre 410 eroberten und plünderten die in Italien eingebrochenen Westgoten die Stadt Rom. Die Rettung des Reiches mit Hilfe des Christentums war also eine Täuschung. Überall waren Stimmen zu hören, die darauf hinwiesen, dass die Unterdrückung der alten heidnischen Schutzgötter Roms das Unheil heraufbeschworen habe. Auf die Vorwürfe der Heiden und die Mutlosigkeit vieler Christen gab der Bischof von Hippo, Aurelius Augustinus, in seinem Buche «Vom Gottesstaat» die Antwort: Der Christengott sei nicht dazu da, die weltlichen Güter zu mehren; das christliche Rom biete keine Garantie für weltliche Erfolge. Übrigens hätten die heidnischen Götter weder den Brudermord des Stadtgründers Romulus noch die Greueltaten der römischen Bürgerkriege verhindert. Ein Weltreich sei nicht unbedingt als ein Glück zu betrachten, zahlreiche friedliche Kleinstaaten seien dem Grossreich geopfert worden. Es wäre ein Glück für die Welt, wenn alle Staaten klein wären «und froh in einträchtigem Nebeneinander lebten und wenn es derart in der Welt zahlreiche Staaten der Völker gäbe, so wie es in einer Stadt zahlreiche Häuser der Bürger gibt».
Den Anspruch der Römer auf ewiges Bestehen ihres Reiches wies Augustin zurück. «Was erschrickst du», fragte er seinen Leser, «weil die irdischen Reiche vergehen? Deswegen ist dir das himmlische versprochen, dass du nicht mit dem irdischen zugrunde gehest.» Augustin blickte über die Grenzen des Römerreiches hinaus aufdie ausserrömische Menschheit: «Gibt es nicht viele Senatoren in andern Ländern, die Rom nicht einmal vom Sehen kennen?» Nach der Überzeugung Augustins wird die Welt nach dem Ende des Römischen Reiches weiterleben und mit ihr die Kirche. Zu ihrem Erstaunen mussten die Römer zur Kenntnis nehmen, dass der Sinn des Daseins nicht mehr in der im Staate organisierten Macht bestand, sondern im Einzeldasein, das seine Richtlinien von der christlichen Religion erhielt. Augustin war der grosse Kirchenvater der westlichen Christenheit; später werden wir sehen, wie ganz anders sich Kirche und Staat in der östlichen Reichshälfte entwickelten.


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Von Ludwig Ring-Eifel, Kipa im lokalen kath. Kirchenblatt im Januar 2000.

2000 Jahre Christentum - ein Gang durch die Geschichte: 337-1050 n. Chr.

Aus Barbaren werden Christen

Kaiser Konstantin liess sich im Jahre 337 auf dem Sterbebett taufen. Nun übernahmen die Christen die führende Rolle im Römischen Reich. Nichts veranschaulicht die Wende drastischer als die Massregelung des Kaisers Theodosius I. durch den Mailänder Bischof Ambrosius im Jahre 390. Bischof Ambrosius, im Westen des Reiches der führende Kirchenmann seiner Zeit, verhängte gegen den erfolgreichen Feldherrn, Kaiser Theodosius I., eine öffentliche Kirchenbusse, nachdem er ein Massaker begangen hatte. Erst als der Kaiser öffentlich bereute, wurde er kirchlich rehabilitiert. Von der früheren Idee des Kaisers als «Gott» war wenig übrig geblieben. In der religiösen Verehrung wurde sogar zunehmend Christus zur kaiserlichen Gestalt. Auch den Titel des «Obersten Priesters» («Pontifex Maximus») gab der Kaiser ab - an den Bischof von Rom, den Papst.
In der Kirche setzte sich der Konsolidierungsprozess fort: Ende des 4. Jahrhunderts wurde endgültig festgelegt, welche Bücher zur Bibel gehören sollen. Der nordafrikanische Bischof Augustinus brachte die Theologie zu einem Höhepunkt. Die Organisation in Bistümern wurde perfektioniert, die Bischöfe übernahmen rasch neben der religiösen auch zivile Führungsrollen.

Leibfeindliche Tendenzen
Auf moralischem Gebiet entwickelte das Christentum leibfeindliche Tendenzen. Sexuelle Enthaltsamkeit wurde gepredigt und von manchen auch vorgelebt. Unter radikalen Christen kamen die Asketen und Einsiedler in Mode. In den später von Benedikt von Nursia um 530 erstmals verbindlich festgelegten Regeln des Ordenslebens mit den Gelübden der Ehelosigkeit, der Armut und des Gehorsams mündete die radikale Richtung des Christentums in eine bis heute praktikable Lebensform. Die grosse Masse der Christen unterschied sich aber wenig vom Lebensstil der Gesellschaft.
In den theologischen Streitfragen präzisierten die Konzilien von Ephesus (431) und Chalkedon (451) nochmals die Frage, wie man sich Jesus als Gott und Mensch vorzustellen hatte. Allerdings führten die Diskussionsergebnisse zu den ersten dauerhaften Kirchenspaltungen: Wichtige Kirchen des Ostens wie die Syrer, Kopten oder Armenier akzeptierten die neuen Glaubensformeln nicht und gingen bis heute ihren eigenen Weg (Orientalisch-orthodoxe Kirchen).

Die Kirche überlebt das Imperium
Unterdessen hatte die Völkerwanderung das alte Imperium gründlich durcheinandergewirbelt. Als 476 der weströmische Reichsteil unterging, war an seine Stelle ein Flickenteppich mit einem knappen Dutzend Herrschaftsgebieten von Königen getreten. Ob Goten, Langobarden oder Angelsachsen, die neu durchmischten Völker Europas erreichten das kulturelle Niveau des früheren Imperiums nicht. Doch die «Barbaren» nahmen viel von dem auf, was sie vorfanden - darunter auch das Christentum mit seinem Glauben und seiner kirchlichen Struktur.
Es gehört zu den erstaunlichsten Leistungen der Kirche, dass sie in wenigen Generationen fast alle Barbarenvölker assimilierte, die das Römerreich überrannt hatten. Ein neues Zentrum der weltlichen Macht bildete sich nach und nach in der Mitte Europas, im Reich der Franken. Gleichzeitig baute der Papst seine Stellung als alleiniges Oberhaupt für die westliche Hälfte der Kirche aus.

Neue Missionierungswelle
Ab Mitte des 5. Jahrhunderts gingen christliche Missionare erstmals seit der Gründungsphase der Kirche erneut in die Offensive, um weitere fremde Völker nördlich der Alpen zu bekehren, darunter die Iren, Friesen, Dänen, Schweden, Sachsen, Hessen und Böhmer. Der Angelsachse Bonifatius (680-754) war unter den germanischen Völkern der erfolgreichste Missionar seiner Zeit.
Ähnlich wie später gingen auch hier militärische und wirtschaftliche Interessen des expandierenden Frankenreichs (später des Deutschen Reiches) mit der Evangelisierung Hand in Hand. Schon im 8. Jahrhundert gab es Kritik an der gewaltsamen Mission mit Kreuz und Schwert. So legte Alkuin, Chefberater Karls des Grossen, seinem Herrscher nahe, die Missionierung der heidnischen Sachsen durch Überzeugung statt mit militärischen Mitteln zu versuchen. An der Durchdringung der bekehrten Völker mit der christlichen Botschaft hatten die Klöster grossen Anteil: In den Konventen wurden die Missionare ausgebildet, neue Klöster in den einst barbarischen Gebieten wurden "Brückenköpfe" für deren wirtschaftliche Erschliessung und kulturelle Zentren - wenn auch das gemeine Volk noch wenig davon profitierte.

Macht der Bischöfe verfestigt
Ebenso wichtig wie der Ausbau der Klöster war gegen Ende des ersten christlichen Jahrtausends die Verfestigung der Macht der Bischöfe. Die Könige seit Karl dem Grossen legten die lokale Machtausübung immer mehr in die Hände des Klerus, insbesondere der Äbte und Bischöfe, die zu regionalen Landesherren wurden. Die Idee der Trennung von kirchlicher und weltlicher Macht war noch nicht entwickelt. Auch die Vorstellung, dass der Bischof von Rom als Papst die Bischöfe ernennt und führt, sollte sich erst später durchsetzen. Im Osten Europas begann das Patriarchat von Konstantinopel (Byzanz) im 9. Jahrhundert mit einer Missionierungswelle in Richtung Norden. 865 verkündeten Cyrill und Method dass Evangelium unter den slawischen Völkern. Krönender Abschluss der Expansion war die Bekehrung des Kiewer Herrscherhauses (und damit der Russen) im Jahr 988. Schmerzhafte Einschnitte musste die gesamte Christenheit hingegen im Süden hinnehmen: Der junge Islam überrollte die heiligen Stätten in Jerusalem ebenso wie Nordafrika. Für Jahrhunderte eroberten muslimische Truppen auch Sizilien und Spanien.
Nur dank der Allianz der römischen Kirche mit den Franken wurde der Islam zumindest im Westen gestoppt und allmählich wieder zurückgedrängt. Im Oster. konnte das byzantinische Kaiserreich ebenfalls den islamischen Vormarsch teilweise wieder rückgängig machen.

Ganz Europa ist christlich
Zu Beginn des zweiten Jahrtausends nach der Geburt ihres Gründers schien die Christenheit trotz zahlreicher Bedrohungen stark. Abgesehen von Randgebieten in äussersten Süden und Norden war ganz Europa christlich. Doch in Inneren zeigten sich tiefe Risse. Der seit langem spürbare Gegensatz zwischendem Papst in Rom und dem Patriarchen von Konstantinopel verschärfte sich zum Ende des Jahrtausends immer mehr. Nur mühsam wurde eine offene Kirchenspaltung im Jahr 865 wieder gekittet. Ein zweiter Riss zeichnete sich zwischen dem stärker werdenden Papsttum einerseits und den weltlichen Herrschern im Westen ab.


2000 Jahre Christentum - ein Gang durch die Geschichte: 1050-1500

Kreuzzüge, Ketzer und Kathedralen

Im Jahre 1054 wird das Schisma, die Spaltung der christlichen Kirche zwischen Ost und West auch formal vollzogen. Der Papst in Rom und der Patriarch in Konstantinopel exkommunizieren sich gegenseitig. Erst 1965 wird die gegenseitige Exkommunikation wieder aufgehoben.
Anlass für die Spaltung war wieder ein Streit um eine Formulierung im Glaubensbekenntnis. Dahinter standen aber Unterschiede in der Religiosität, die bis heute in den unterschiedlichen Gottesdiensten von Katholiken und Orthodoxen erfahrbar sind. Hinzu kam der Anspruch des Papstes auf die letzte Entscheidungsgewalt in theologischen Fragen auch gegenüber den Christen des Ostens. Die anderen Patriarchen hatten zwar stets Rom als das bedeutendste Bistum anerkannt, sich ihm aber niemals untergeordnet. Etwa gleichzeitig mit der Trennung vom Osten begann eine Reform und innere Stärkung der westlichen Kirche. Die Ehelosigkeit für die Priester (Zölibat) wurde von Papst Leo IX. (1049-1054) verpflichtend gemacht, wenn auch die Einhaltung lückenhaft blieb. Ferner beanspruchten die Päpste gegenüber dem Kaiser erstmals konsequent, dass nur sie die Bischöfe einsetzen dürfen.

Die fatalen Kreuzzüge
Aus einer Position der Stärke organisierte die Kirche am Ende des elften Jahrhunderts die Kreuzzüge zur Rückeroberung der Heimat des Christentums in Palästina. Die Bewegung schuf ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl des «christlichen Abendlandes». Doch 1187 und dann endgültig 1244 eroberten die Muslime das «befreite» Jerusalem zurück. Für das Verhältnis zum Islam, aber auch zu den orthodoxen Kirchen des Ostens hatten die Kreuzzüge katastrophale Folgen. Die brutale Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 durch die «Lateiner» besiegelte die Feindschaft zwischen westlichen und östlichen Christen. 1215 legte das IV. Laterankonzil in Rom einige Vorgaben für die Religionsausübung fest. Die Lehre von der Verwandlung von Wein und Brot bei der Messfeier wurde ebenso festgeschrieben wie die Vorschrift, dass Frauen wie Männer wenigstens einmal im Jahr beichten und die Kommunion empfangen sollten. Ferner wurden Predigten in der Landessprache und Mindest-Standards für die Ausbildung der Priester vorgeschrieben. Die Idee der «Seelsorge» fand erstmals ihren Niederschlag: Zum Christsein sollte fortan mehr gehören als nur das Getauftsein und die Teilnahme an Ritualen und Prozessionen. Folgerichtig wurde auch der religiöse Schwindel bei Reliquien und Wallfahrten durch Konzilsbeschluss eingeschränkt - zumindest in der Theorie.

Mit Inquisition zum Glauben zwingen
Auf militärischem Gebiet war neben den letztlich erfolglosen Kreuzzügen die Rückeroberung Spaniens das wichtigste Ereignis. Sie wurde schon Anfang des 15. Jahrhunderts - mit Ausnahme Andalusiens - weitgehend abgeschlossen. Doch stellte der Erfolg die Christen vor ein neues Problem: Wie mit einer andersgläubigen Bevölkerung umgehen? Anders als die jüdischen Gemeinden wurden die Muslime als Bedrohung gesehen. Zunächst setzte man auf massive Zwangsbekehrung. Gegen die heimlich dem Islam treu gebliebenen wurde später die «Inquisition» angesetzt.
Das Sondergerichtsverfahren zur Gleichschaltung von Andersgläubigen war bereits gegen Sektenanhänger in verschiedenen Teilen Europas eingesetzt worden. Sie richteten sich zunächst gegen die Katharer, eine aus Asien inspirierte Erleuchtungsreligion, und gegen die Waldenser, eine radikale politisch-religiöse Reformbewegung.
Die Verfahren entsprachen weitgehend dem damaligen juristischen Standard, und die Zahl der Todesurteile war geringer als an staatlichen Gerichten. Dennoch stellte sie eine Pervertierung der christlichen Lehre dar. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die Kirche ausdrücklich von der Inquisition distanziert.
Als willkommene Gegenbewegung entstanden innerhalb der Kirche neue Ordensgemeinschaften wie die Franziskaner und Dominikaner. Vor allem erstere bildeten dank ihrer vorgelebten Armut ein Auffangbecken für radikale Christen. Ihre Prediger konnten den Polemiken der Sektierer Charisma und ein persönlich gelebtes Zeugnis entgegensetzen. Ausserdem brachten die neuen Orden der bisher nur oberflächlich christianisierten Bevölkerung mit volkstümlichen Mitteln (Weihnachtskrippe) das Evangelium nahe.

Auseinandersetzung mit dem säkularen Geist
Eine zweite innere Bedrohung der kirchlichen Autorität ging von den selbständiger werdenden Städten aus. Hier gab es erstmals gebildete Laien und antiklerikal denkende aufmüpfige Bürger. Die Kathedralen im neuen gotischen Baustil waren mehr als nur Räume für Gebet und Gottesdienst. In ihnen verwirklichte sich sichtbar auch die selbstbewusster gewordene Bevölkerung einer Stadt, allen voran die Handwerker und Baumeister.
Selbst unter den Theologen an den neu entstandenen Universitäten regte sich freier Geist. Die Philosophie versuchte sich von der Theologie zu emanzipieren. Über arabische Gelehrte in Spanien waren die Schriften des Aristoteles mit 1500 Jahren Verspätung ins Abendland eingedrungen und bedrohten die Einheitlichkeit des alten christlich-platonischen Weltbildes. Doch die Kirche verdaute auch diese Neuerung und machte sogar die auf Aristoteles aufbauende Theologie des Thomas von Aquin zur offiziellen Lehre.

Machtkampf zwischen Papst und Kaiser
In der Politik spitzte sich der Gegensatz zwischen «weltlicher» und «kirchlicher» Seite zu. Die deutschen Kaiser des 11. bis 15. Jahrhunderts und dann ab dem 14. Jahrhundert die immer mächtiger werdenden Könige von Frankreich lieferten sich mit dem Papsttum erbitterte Machtkämpfe mit gegenseitigen Absetzungen und Bannflüchen. Zunächst schienen die Päpste die Oberhand zu behalten. Die französischen Könige bringen das Papsttum schliesslich in ihre Abhängigkeit und verlegen es vorübergehend nach Avignon. Das grosse Schisma mit zeitweiIig drei Päpsten gefährdet Einheit und Bestand der gesamten Institution.
Ein allgemeines Konzil wird nach Konstanz einberufen, um den Streit zu entscheiden und einen einzigen Papst zu legitimieren - mit Erfolg. Doch auch diese Lösung ist nicht ohne Gefahren. Der «Konzilarismus» - die Entscheidung von kirchlichen Grundsatzfragen durch Mehrheitsbeschluss - kommt in Mode, zeitweise wird sogar die Autorität des Papsttums in Frage gestellt und das Konzil zur höchsten Entscheidungsinstanzerklärt.


2000 Jahre Christentum - ein Gang durch die Geschichte: 1501-1789

Spaltungen statt Reformen

Die ersten Nachrichten über eine beunruhigende Entwicklung in Deutschland wurden in Rom nicht sonderlich ernst genommen. Die Renaissance-Päpste waren mit Kunst, Philosophie und sensationellen Bauprojekten beschäftigt - das grösste davon der 1506 begonnene Neubau des Petersdoms -, als in Deutschland der Augustinermönch Martin Luther mit seinen Thesen eine folgenreiche Bewegung auslöste.
Hätten nicht einige dieser Thesen eine wichtige Einnahmequelle der Kirche, die sogenannten Ablassgelder in Frage gestellt, wären Luthers Ideen in Rom wohl als lästiges «Mönchsgezänk» abgehakt worden. Aber neben der Theologie standen auch die Kirchenfinanzen auf dem Spiel. Die neue Bewegung, später als Reformation bezeichnet, breitete sich rasch aus und fand auch bei Fürsten und Königen Anhänger. Bald ging es um die Einheit des mit Rom verbundenen grossen deutschen Reiches und letztlich sogar um das Überleben der römischen Kirche.

Vom Ablass und anderem «Plunder»
Über Jahrhunderte gewachsene Formen der Frömmigkeit hatten die christliche Botschaft überwuchert. Selbst gebildete Adlige glaubten, sie könnten durch Teilnahme an Ritualen, durch gute Werke, Spenden für die Kirche oder den Kauf von Reliquien Gott gnädig stimmen und das eigene Seelenheil sichern. Luther aber empfand. das dichte Beiwerk der mittelalterlichen Religiosität als erdrückende Last und wollte zurück zu dem von Jesus verkündeten, radikal anderen Gottesbild. Er kam zu dem Schluss, dass allein der Glaube an Jesus Christus genüge, um ein guter Christ zu sein und vor Gottes Gericht bestehen zu können.
Die fundamentale Kritik, mit der seinerzeit Jesus gegen die religiöse Praxis des zeitgenössischen Judentums polemisierte, schien sich unter neuen Vorzeichen zu wiederholen: Die direkte Beziehung der Menschen zu Gott solle in den Mittelpunkt gerückt werden, das ganze Drumherum, von der wundertätigen Reliquie bis zum Papsttum, erklärten die Reformatoren zum überflüssigen, ja schädlichen Plunder.
Luther und den anderen Reformatoren des 16. Jahrhunderts (dem Franzosen Calvin und dem Schweizer Zwingli) ging es dabei nicht um die Abschaffung, sondern um die grundlegende Erneuerung der Kirche. Doch sie erreichten dieses Ziel nicht. Das von Luther gewünschte allgemeine Konzil blieb aus, stattdessen wurden seine Anhänger aus der römischen Kirche ausgeschlossen. Weil sich schon bald etliche Fürsten und Städte der neuen Form des Christentums angeschlossen hatten und den Reformatoren Schutz gewährten, führte die Exkommunizierung der Neuerer nicht zu ihrer Hinrichtung, wie dies noch ein Jahrhundert zuvor bei dem Reformer Jan Hus in Böhmen der Fall gewesen war.

Kompromissformeln
Vergebens versuchte der katholische deutsche Kaiser, die ausgescherten Gebiete durch Kriege wieder zurückzugewinnen. Bald gab es Glaubensmärtyrer auf beiden Seiten, auch die Reformierten verloren den Glanz der unschuldig verfolgten Bekenner. Schliesslich wurden Kompromissformeln gesucht, um ein friedliches Nebeneinander beider Bekenntnisse im deutschen Reich zu ermöglichen. Diese Formeln - die dauerhafteste ging nach dem verheerenden «dreissigjährigen» innereuropäischen Religionskrieg als «Westfälischer Friede» von 1648 in die Geschichtsbücher ein - besiegelten das Ende des christlichen Mittelalters, indem sie die Mehrzahl christlicher Bekenntnisse festschrieben: «Cuius regio, eius religio» - die Untertanen folgten dem Bekenntnis des Landesherrn.
Andere europäische Länder wie das katholische Frankreich oder das protestantische England brauchten länger, um «Kirchen im Plural» zuzulassen, ihre Herrscher setzten zunächst auf blutige Unterdrückung der jeweiligen Minderheit, erst später erkannten sie den Vorteil einer toleranteren Religionspolitik,

Reform erst mit dem Konzil von Trient.
Die katholische Kirche holte auf dem Konzil von Trient (1542-1563) ihre überfällige Reform nach. Die Lehre von den sieben Sakramenten wurde festgeschrieben, die Hierarchie besser strukturiert, Kontrollmechanismen gegen Missbräuche wurden geschaffen. Die Reformen wurden, vor allem mit Hilfe des neu gegründeten Ordens der Jesuiten, in allen katholischen Gebieten durchgesetzt, sodass auch hier die magisch-ritualistische Religiosität des Mittelalters weiter zurückgedrängt wurde.
Die Teilung der Völker Europas in - grob gesprochen einen katholischen Süden und einen protestantischen Norden setzte sich auch in Amerika fort. Dort konnte die katholische Kirche auf bewährte Missionsstrategien zurückgreifen. In den Dominikanern, Franziskanern und Jesuiten hatte sie das Personal für diese Mammutaufgabe. Wie einst in Nordeuropa gingen auch jetzt militärische Eroberung, Aufbau einer Infrastruktur und Evangelisierung Hand in Hand. Wieder kam es zu einem blutigen Bündnis von Kreuz und Schwert. Doch weil das Seelenheil der Neubekehrten den Missionaren oft wichtiger war als die Profitgier der Eroberer, wurden Kirchenmänner wie die Dominikaner de Vitoria und de las Casas auch zu ersten Anwälten der Rechte der Eroberten.

Wachsende Toleranz
In Europa setzte sich nach der Zeit der Glaubenskriege die Idee der Souveränität der einzelnen Staaten durch. Selbst der deutsche Kaiser wurde nach dem Teilerfolg der Reformation nicht mehr vom Papst gekrönt. In den meisten Reichen waren absolute Herrscher an der Macht, die gegenüber den jeweiligen religiösen Minderheiten so viel Toleranz zeigten, dass Frieden und Wohlstand nicht mehr durch Glaubenskonflikte gefährdet wurden. Da es offenbar klüger war, an-, zuerkennen, dass es verschiedene Arten gab, selig zu werden, wurde Religion auch in den Augen der Herrscher allmählich zur Privatsache. Und in Konkurrenz zum kirchlich vermittelten Glauben kam nun bei Hofe, aber auch bei den Untertanen, das eigenständige philosophische Nachdenken über Gott und die Welt, Gut und Böse, Staat und Gesellschaft in Mode. Fortschritte in den neu entstandenen Naturwissenschaften trugen ebenfalls dazu bei, dass Mitte des 18. Jahrhunderts «aufgeklärte» Denker wie Voltaire das Christentum insgesamt in Frage stellten und einen «philosophischen» Glauben an ein höheres Wesen bevorzugten. So etwas hatte es seit dem Sieg des Christentums über die heidnischen Traditionen der Antike in Europa nicht mehr gegeben.


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"