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Christentum - Kirche - Geistige Heilung

Artikel von Dr. Jan Veenhof, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 2/2004, S. 26-42.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Therapie in der Kirche

Erfahrungen im Dienst der Handauflegung

von unserem Mitwanderer Dr. Jan Veenhof

Vorgeschichte

Das Verhältnis zwischen Heil und Heilung hat mich schon lange interessiert. Es waren u.a. Erfahrungen, die ich gemeinsam mit meiner Frau Marianne in der Charismatischen Arbeitsgemeinschaft in den Niederlanden sammelte, die mich veranlasst haben, darüber nachzudenken. In Holland konnte ich nicht ahnen, dass mich diese Thematik in einem neuen Kontext noch viel intensiver beschäftigen würde. Ich will das im Folgenden näher beschreiben.

Im Januar 1990, bald nach dem Beginn meiner Tätigkeit als Pfarrer der Kirchengemeinde Thun-Strättligen (sie umfasst den südwestlichen Teil dieses schönen schweizerischen Städtchens), lernten wir die so genannten "Segnungsgottesdienste" kennen. Das sind spezielle Gottesdienste, für die der Theologe Walter Hollenweger das Modell und die Liturgie entworfen hat. Hollenweger ist ein Schweizer, der lange als Professor in Birmingham gearbeitet hat. Sein Modell ist von den Erfahrungen in der Kirche von England beeinflusst, wo man schon lange mit der "divine healing" (göttlichen Heilung) vertraut ist. Sie ist dort in vielen Krankenhäusern anerkannt. Seine Kontakte mit Studenten aus der Dritten Welt und sein eigener pfingstlerischer Hintergrund spielten ebenfalls eine bedeutsame Rolle.

In verschiedenen schweizerischen Kirchengemeinden werden solche "Segnungsgottesdienste" organisiert. Bezeichnend ist, dass die Kirchgänger im Rahmen des Gottesdienstes einen Segen empfangen können, der von einigen Mitgliedern der Gemeinde – in der Regel sind es drei Personen – vermittelt wird. Zwei von ihnen legen dabei ihre Hand auf die Schulter dessen, der einen Segen verlangt, während die dritte Person mit Salböl das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn zeichnet. Danach wird der gesegneten Person ein biblisches Wort als Segensspruch mitgegeben. In diesen Gottesdiensten wird auch das Abendmahl gefeiert. (1)
In Thun hatte man schon Erfahrungen mit Gottesdiensten nach diesem Modell. Am Neujahrstag findet immer noch ein Gottesdienst mit dieser Grundstruktur statt. Eine Zeit lang haben meine Frau und ich auch solche Gottesdienste organisiert. Dann trat eine Pause ein. 1998 geriet die Thematik erneut in unerwarteter und sehr direkter Weise in unser Gesichtsfeld. Ein Ehepaar aus einem Nachbardorf von Thun erzählte, es habe sich auf Basis von Kursen und Erfahrungen in England schon länger mit geistlicher [geistiger] Heilung befasst. Sie möchten als Christen dies auch im Rahmen der Kirche anbieten. Sie sprachen über ihr Anliegen in einer Weise, die bei uns Anklang fand. Andere kamen dazu, auch einige, die schon jahrelang in einem anderen Nachbardorf von Thun nach dem Modell Hollenweger Mitmenschen einen Segen vermittelt hatten und nun einen Weg suchten, um diesen Dienst in einer konzentrierteren Form zu erfüllen. Das Modell Hollenweger ist für Gemeindemitglieder bestimmt, für welche die Begleitung von und die Fürsorge für Mitmenschen nicht zum Alltag, jedenfalls nicht zur Berufsarbeit gehört. Jetzt kamen wir mit Menschen in Kontakt, die darin wohl eine spezifische Aufgabe gefunden haben bzw. suchten und die teilweise als Therapeuten im Rahmen der Naturheilkunde (man kann auch sagen: der Alternativmedizin) eine eigene Praxis führen. Dies erforderte eine andere Methode, ein neues Modell.
Es war wertvoll, dass wir uns an einer Initiative orientieren konnten, die in Basel zustande kam. Mitten in der Innenstadt von Basel befindet sich die neugotische Elisabethenkirche. Als die Gefahr drohte, dass diese u.a. durch Entvölkerung des betreffenden Stadtteils – in dem sich hauptsächlich Grossläden, Restaurants und Banken befinden – ihre Türen endgültig schliessen müsste, wurde zum Glück ein Projekt "Citychurch" gestartet, das in dieser Kirche eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktivitäten im Bereich Kultur, Religion und Spiritualität organisiert. Im Rahmen dieses City-Programms findet dort auch ein wöchentlicher Dienst der Handauflegung statt. Die Gespräche mit dem Team, das für diesen Dienst in Basel verantwortlich ist, hat uns sehr geholfen, als wir selbst in Thun unseren Weg zu planen hatten.

Diskussionen

Vom Anfang an stand für uns fest, dass dieses Anliegen kein privates Hobby einiger Privatpersonen werden durfte und dass es sich nur dann verwirklichen liesse, wenn es vom Kirchengemeinderat mitgetragen würde. Der Kirchenrat war anfänglich sehr skeptisch und wollte vermeiden, dass unter seinen Fittichen etwas wachsen würde, für das er keine Verantwortung übernehmen könnte. Wir mussten deswegen vieles erläutern und ins rechte Licht rücken. Nicht anders war es bei den sechs Pfarrkollegen. Intensiv haben wir miteinander gesprochen. Alle waren einverstanden, dass man die Suche der Menschen nach körperlicher und psychischer Heilung ernst nehmen soll. Die Frage war: Wie kann man diesem Wunsch gerecht werden und welche Aufgabe hat diesbezüglich die Kirche?

Ein inspirierender Gesprächspartner war vor allem mein Kollege Luzius Jordi, Pfarrer im Dorf Allmendingen, das politisch und kirchlich zu Thun gehört. Sein theologisches Interesse war anfänglich nicht auf die Fragen der Heilung gerichtet, sondern vielmehr auf die soziale Aufgabe und politische Verantwortung der Kirche, wie sie u.a. durch die Befreiungstheologie befürwortet wird, und weiter auch auf den Dialog zwischen Religionen und Kulturen. (Er war Pfarrer in Beirut.) Bei ihm ist gerade durch die Praxis die Einsicht gewachsen, dass es bei der Handauflegung um eine Sache geht, die biblisch-theologisch und auch pastoral verantwortbar ist. Kritische Besinnung bleibt nötig, so betont Jordi zurecht in seinen mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen, gerade im Hinblick auf Leute, die ein System daraus machen wollen und übersteigerte Erwartungen hegen. Andererseits, so sagt er nachdrücklich, gibt es viele, die mit Erwartungen und zugleich realistisch, nüchtern diesen Dienst annehmen und bezeugen: "Es tut mir gut, es hilft mir, ich komme dadurch weiter", und dann ist es legitim. "Heil" ist ganzheitlich; es umfasst das seelische, geistige und auch körperliche Heil-werden. Darum hängt die Thematik direkt mit Befreiung, die ja ebenfalls umfassend ist, zusammen und folglich hat der Dienst der Handauflegung im Angebot der Kirche einen Platz einzunehmen.

Die Gespräche über die biblisch-theologischen und pastoralen Aspekte der Handauflegung waren eine notwendige und fruchtbare Ergänzung des Erfahrungsaustausches, der in den Begegnungen mit den Teammitgliedern stattgefunden hatte. (Dieser Austausch geht natürlich weiter!)

Es war schön, dass die Kollegen auf Grund der gemeinsamen Besinnung die Legitimität dieses Dienstes bestätigten. Auch der Kirchengemeinderat hat die Legitimität bejaht und uns die Erlaubnis gegeben, als Experiment ein Jahr lang den Dienst der Handauflegung praktisch auszuüben. Uns wurde dafür die neue Kirche, die einige Jahre zuvor in Allmendingen gebaut worden war, zur Verfügung gestellt. Durch ihre Architektur und ihre Atmosphäre ist sie für diesen Dienst besonders geeignet.
Diese Erlaubnis war erfreulich, denn nun konnten wir in einer direkten und praktischen Weise einem breiteren Kreis zeigen, was wir tun wollen, und auch, was wir nicht wollen. Von Anfang an waren wir bestrebt, die Gemeinde gut zu informieren. Der Dialog auf allen Ebenen war und ist uns ein ganz wichtiges Anliegen. Es gab anfänglich Gemeindemitglieder, die dachten: Was ist das für ein Hokuspokus; warum muss die Kirche Sensation machen und sich auf esoterische Dinge einlassen? Allmählich sind die Einwände verstummt. Man hat wahrgenommen, was wir immer wieder sagen und spürbar machen wollen: Wir "arbeiten" nicht mit eigenen Kräften; wir wollen nur Instrumente sein. Deswegen tun alle Beteiligten diesen Dienst als ehrenamtliche Freiwillige.

Nach der einjährigen Versuchsphase wurde der Beschluss gefasst, dass wir weiter gehen konnten. Und das haben wir seitdem bis heute kontinuierlich, in einem harmonischen Klima getan.

Umfeld

Es ist gut, einen Eindruck zu geben, wie es konkret bei uns zugeht. Das Team der Personen, die an der Handauflegung teilnehmen, umfasst momentan 13 Männer und Frauen. Abgesehen von den Ferienzeiten besteht alle 14 Tage an Sonntagen zwischen 16 und 19 Uhr, im Sommer ab Mai einige Stunden früher, in der Kirche Allmendingen die Gelegenheit, eine Handauflegung zu empfangen. Der Kirchenraum wird vorher speziell dafür vorbereitet. Es werden vier Faltwände (Paravents) aufgestellt, hinter denen Stühle und Kerzen stehen. So können die Besucher von den Teammitgliedern in einer privaten Atmosphäre behandelt werden. Die Zahl der Besucher variiert zwischen zehn und 25. Es sind ältere und jüngere Leute, bisweilen auch Eltern, die mit ihren Kindern kommen. Ein Teil von ihnen kehrt regelmässig zurück, aber jedes Mal gibt es auch einige, die zum ersten Mal kommen. Sie ziehen beim Eintritt alle eine Nummer, setzen sich in den Kirchenraum und kommen der Reihe nach dran. Kerzenlicht und leise Musik schaffen ein Klima, in dem die Leute zur Ruhe kommen. Wenn ihre Nummer an der Reihe ist, können sie mit dem Teammitglied, das dann gerade frei ist, kurz über das sprechen, was sie erfüllt. Dann beginnt die Handauflegung, welche etwa 20 Minuten dauert. Die Teammitglieder stellen sich nur mit ihren Vornamen vor. Will man später mit einem Teammitglied gerne noch persönlich Kontakt aufnehmen, dann können die Koordinatoren des Teams dies vermitteln. Die Koordinatoren sind Pfr. Jordi, ein Kollege aus einem Nachbardorf und ich selbst. Wir beteiligen uns nicht an der Handauflegung. Wohl ist jeweils einer von uns im Foyer der Kirche als Ansprechpartner anwesend, um die Leute kurz zu begrüssen. Dabei überreichen wir einen Prospekt mit praktischen Hinweisen und einigen allgemeinen Richtlinien. Die Besucher können mit uns sprechen. Wir stehen Rede und Antwort, wenn es Rückfragen gibt. Häufig möchte man ein Gespräch. Viele möchten mitteilen, was sie bei der Handauflegung erlebt haben oder was dadurch aufgewühlt worden ist. In keinem Fall drängen wir ein Gespräch auf. Es kann gut sein, dass der Besucher ohne Worte weggeht, um das, was er erlebt hat, in der Stille weiter wirken zu lassen.

Zweimal pro Jahr findet im Frühling und Anfang September in derselben Kirche ein allgemein zugänglicher Abendgottesdienst statt, in dem die Teammitglieder selbst einen Segen empfangen durch die Salbung mit Öl. Pfr. Jordi und ich leiten diese Gottesdienste. Die Teammitglieder schätzen diese Segnung sehr. Sie wissen und erfahren, dass sie auf Gottes Kraft angewiesen sind. Sie geben jeweils etwas Kostbares weiter und sind dankbar, auch selbst etwas zu empfangen! Nach dem offiziellen Schluss dieser Gottesdienste können alle Gottesdienstbesucher eine Segnung durch Salbung empfangen und sich durch ein Teammitglied behandeln lassen.

Die Leute, welche sich die Hände auflegen lassen, haben verschiedene Erwartungen, die sie gleich am Anfang den Teammitgliedern mitteilen. Es gibt Leute, die keine konkreten Beschwerden haben und sich im Allgemeinen gesund fühlen, aber Stärkung und Entspannung suchen. Es gibt auch solche, die oft an chronischen Schmerzen leiden und das Verlangen haben, dass diese gelindert oder weggenommen werden. Weiter gibt es Leute mit psychischen Problemen, die etwa an einer Depression leiden und auf eine Öffnung des belastenden grauen Nebelschleiers hoffen. Ich deute hier drei Kategorien an, aber selbstverständlich ist das Spektrum von Fragen und Problemen viel breiter. Jeder Mensch bringt das eigene "Gepäck" mit. Auffällig ist, dass wir oft hören: "Es ist ein Angebot der Kirche, da wird still gebetet, dann darf ich erwarten, etwas zu bekommen, was gut tut."

Der Kanal

Natürlich stellt sich die Frage, was passiert, wenn ein Teammitglied jemandem die Hände auflegt. Es ist nicht einfach, das Geschehen kurz und angemessen zu umschreiben. Ausserdem sind die Mitglieder des Teams alle verschieden. Jedes von ihnen bringt eine eigene Geschichte, Wesensart und Erfahrung mit. Das alles beeinflusst selbstverständlich auch die Art und Weise, wie man diesen Dienst erfüllt.

Allen gemeinsam ist die Überzeugung: Die Kraft ist nicht etwas, was wir produzieren, besitzen und "in eigener Regie" einsetzen können; vielmehr ist es eine von Gott geschenkte Kraft, die wir weitergeben dürfen. Darum gilt für alle, dass sie vorher in einem stillen Gebet Gott bitten, die Person, welche eine Handauflegung wünscht, so mit Seinem Geist und Seiner Liebe zu berühren, wie sie es nötig hat – damit sie bekommt, was sie aufnehmen kann. Sie bitten auch, ob sie selbst, wenn sie die Hände auflegen, ein offener Kanal sein dürfen. Das ist für alle das Entscheidende.

Eine Frau aus unserem Team hat ihre Erfahrung wie folgt umschrieben; sie spricht aus, was andere genauso erleben:

"Selbst spüre ich, wie eine Wärme durch meine Hände fliesst. Die Menschen, die ich behandle, sagen, dass sie die Wärme deutlich spüren. Man kann denken an eine Lebenskraft, die man ausstrahlt. Aber für mich ist entscheidend, dass man in einem Gebet bewusst Gott, den Vater von Jesus Christus, um die Wirkung bittet. Es ist wie bei einem Telefongespräch: Wenn ich eine bestimmte Nummer wähle, dann meldet sich der, den ich am Telefon haben will. Das ist ein geistiges Prinzip: derjenige, den man anruft, gibt die Antwort. Ich sage nicht: "meine Kraft", denn Gott verfügt über sie. Ich manipuliere nicht, sondern lasse es nur fliessen. Dementsprechend sollte auch die Haltung der behandelten Person sein. Sie sollte sich nicht fixieren auf ein begehrtes Resultat. Vielmehr soll sie offen sein und einfach abwarten, was passiert. Wenn sie sich so darauf einstellt, wird sie auch spüren, dass in ihr etwas passiert. Leute, die skeptisch sind und mit ihrem Verstand eine innere Sperre aufbauen, können es nicht erleben; für sie kommt es darauf an, zuerst die Blockade zu durchbrechen."

Die Mitglieder unseres Teams wissen sich persönlich zu diesem Dienst berufen. Wir gehen auch von der Möglichkeit aus, dass Menschen für diesen Dienst eine besondere Gabe empfangen. Schon in der ersten christlichen Gemeinde hatte die Gabe, das Charisma der Heilung, in der Vielfalt von Gaben, die Jesus Christus durch den Geist in seiner Gemeinde zur Entfaltung bringt, einen eigenen Platz. (1. Korinther 12, 28) Die verschiedenen Gaben sind unter den Mitgliedern der Gemeinde verteilt. Niemand hat alles, keiner hat nichts!

Nach unserer Überzeugung ist es so, dass die Möglichkeiten, die ein Mensch als Geschöpf Gottes bereits hat, im Charisma, auch in der Gabe der Heilung, eingeschaltet werden, auch wenn sie bisweilen eine neue Qualität, eine neue Dimension erhalten.

Das grundlegende "Prinzip" in alledem ist, dass der Mensch sich nie als autonomer Heiler aufführen kann. Es ist – und dieser Gesichtspunkt kann nicht genug betont werden – Gott, der mit seinem Geist durch Menschen wirkt, auch durch ihre Hände. (2)

Heil-sein

Die Hand ist ein besonders feines Organ. Sie ist ein Teil des Körpers und zugleich ein Instrument der Seele, mit dem wir allerlei Gefühle zum Ausdruck bringen. Gerade in unserer Zeit, in der die Vereinzelung der Menschen sich so stark bemerkbar macht und viele Menschen niemals die liebevolle Berührung eines Mitmenschen erleben, kann eine Be-hand-lung durch eine Handauflegung mit lauteren Absichten eine wohltuende Erfahrung sein.

Menschen sind Kanal, nicht Quelle. Wir können und wollen keine Heilung im üblichen Sinn des Wortes versprechen. Das "Resultat" überlassen wir Gott. So bleiben wir bewusst offen für die Freiheit des Handelns Gottes, denn der Geist weht, wohin er will. Das tun wir im Vertrauen darauf, dass in allen Fällen ein stärkender Segen weitergegeben wird, möglicherweise in einer anderen Weise, als wir erwartet hatten. Heil-sein ist nicht "Einheitsprodukt", ebenso wenig wie Gesundheit. Heil-sein und Gesundheit verwirklichen sich auf verschiedenen Ebenen. Wir können davon keine "Standard Edition" anbieten oder ein Idealbild ausmalen. Auf diesem Gebiet können perfektionistische Vorstellungen und Erwartungen viel Unheil hervorrufen (3). Es ist möglich, dass ein Mensch eine Krankheit nicht los wird und dennoch, in einer umfassenderen Perspektive, Heil-sein erfährt und ausstrahlt. Es kommt vor, dass ein Mensch seine Krankheit annehmen und darin einen Sinn entdecken kann, z.B. dass sie ihn zu grösserer Tiefe und Reife bringt. Es handelt sich dabei um einen sehr persönlichen Prozess der Verarbeitung. Es ist grundfalsch, wenn Mitmenschen dem kranken Menschen eine Sinndeutung nahe legen und sogar aufdrängen wollen. Dann macht man den Fehler der Freunde Hiobs, die den leidenden Hiob dazu drängten, nach einer Schuld in seinem Leben zu suchen und diese zu bekennen. Der Gedanke, dass Leid in allen Fällen mit persönlicher Schuld zusammenhängt, ist leider immer noch stark verbreitet. Im Grunde ist er oberflächlich, unbarmherzig und wahrheitswidrig. Auch ein kranker Mensch kann auf einer höheren Ebene ein heiler Mensch sein. In alledem ist es wichtig, die Erwartung nicht von vornherein inhaltlich zu "programmieren". Gerade wenn wir offen sind und unsere mitgebrachten Vorstellungen loslassen, können überraschende Dinge geschehen.

Darin liegt auch das Eigene unseres Dienstes inmitten des reichhaltigen Angebots an Therapien. Man könnte unseren Dienst als eine Form des "geistigen Heilens" bezeichnen, aber nur mit einem bestimmten Vorbehalt. Dieser Begriff ist ja "ein weites Dach", unter dem allerlei Methoden einen Platz finden (4). Auch auf diesem Gebiet ist Unterscheidung der Geister notwendig. Bedenklich wird es speziell dann, wenn Vertreter bestimmter Methoden diese absolut setzen und im Namen dieses Systems andere Methoden abqualifizieren. Unsererseits wollen wir nicht krampfhaft verneinen, dass es Berührungsflächen unseres Dienstes mit anderen Therapiemethoden gibt. Wir suchen unsere Kraft nicht im Verurteilen anderer und wir stellen nicht in Abrede, dass Leute in anderen Gruppen gute Erfahrungen machen können. Das Spezifische unseres Dienstes sehen wir darin, dass wir bewusst in der Linie von Jesus und seinen ersten Jüngern handeln wollen und dass wir uns dabei als Kanal verstehen.

Jesus als Heiler

Für uns ist sehr wichtig, dass Jesus als Prophet und Heiler aufgetreten ist, obwohl er nicht, wie z.B. der Evangelist Lukas, von Beruf Arzt war. Jesus ist dabei in die Fussspuren grosser Propheten Israels wie Elia und Elisa getreten, bei denen ebenfalls der prophetische Auftrag den Vollzug von Heilungen einschloss. Die Kraft für diese Aktivitäten wurde ihm von Gottes Geist verliehen. Das griechische Wort "Christus" bedeutet ja ebenso wie der Titel Messias (hebräisch: maschiach) "Gesalbter" und bezieht sich auf die Salbung mit Öl als symbolischen Akt, der auf die Zurüstung mit dem Geist Gottes hinweist.

Jesus wollte das Reich Gottes auf Erden hörbar, sichtbar und spürbar machen, durch seine Worte und Taten, die Taten der Heilung. Diese Heilungen sind nicht nur eine "Zugabe", etwas Sekundäres, so wie das Glockengeläut, das Menschen zur Verkündigung in die Kirche (und das wäre dann das Eigentliche!) ruft. Nein, vielmehr sind sie neben dem Wort eine ebenbürtige Gestalt des Heils. Heil ist das Heil- und Ganzsein des Menschen. Es ist das Gegenstück der Zerrissenheit, die das Menschsein allenthalben kennzeichnet. Es geht um das Ganzsein des ganzen Menschen, in allen Aspekten von Körper, Seele und Geist, in allen Beziehungen, zur Natur, zu den Mitmenschen, zu sich selbst und in alledem zu Gott. Mehr denn je steht heute die Frage im Mittelpunkt, wie ein Mensch in Harmonie, im Einklang mit seiner Umwelt, mit seinen Mitmenschen und sich selbst leben kann.

Die gleiche Frage stellt sich mit grosser Dringlichkeit in Bezug auf das Leben und Zusammenleben von Völkern. Das Evangelium sagt, dieses heile Leben, das Heil, ist eine Gabe Gottes und diese Gabe wird auch in den von Jesus verrichteten Heilungen konkret vermittelt. In den Heilungen finden Menschen neu den Weg zu sich selbst und einen Weg zum Leben auf Erden, mit Gott und den Menschen (5).

Spätere Entwicklungen

In den Fussspuren Jesu haben seine Freunde und die frühe christliche Kirche den Dienst an den Kranken als eine wichtige Aufgabe verstanden und ausgeführt. Durch verschiedene Faktoren wurde dieser Dienst in der Kirche des Mittelalters in den Hintergrund gedrängt. In dieser Entwicklung spielte die Herabwürdigung des Körpers zu Gunsten der Seele eine grosse Rolle.

Im diesem Zusammenhang kam es zu einer anderen Sicht auf Krankheit und Leiden. Das Leiden wurde oft positiv gewertet als ein Weg zur Heiligkeit. Bei Krankheit gelte es vor allem Ergebenheit einzuüben und zu praktizieren. Diejenigen, die darin am weitesten kämen, seien die besten Christen.

In der späteren Zeit wurden Kultur und Gesellschaft in vielen Bereichen durch die geistige Bewegung der Aufklärung geprägt. Sie war sehr beeindruckt von der Macht des menschlichen Geistes, von der Ratio. Der Geist des Menschen ist wie der Fahrer, der Chauffeur, und der Körper ist wie das Auto, das völlig vom Fahrer beherrscht wird. Der Körper wurde tatsächlich als eine Maschine angesehen. Die Folge war, dass in unserem Kulturkreis die ursprüngliche Verbindung von Religion und Medizin, von Heil und Heilung, weitgehend verloren ging. Die medizinische Kunst wurde immer mehr eine "Kunde", eine Wissenschaft, die nach den geltenden Massstäben der Wissenschaften zu verstehen ist.

Dieses Modell, dieses Paradigma, ist in der heutigen Zeit nicht unangetastet geblieben. Zweifellos ist die Bedeutung des wissenschaftlichen Kennens und Könnens in der Medizin gross, vor allem in der Chirurgie. Aber das bisherige Modell sollte nach der Meinung vieler erweitert werden. Nur schon die unzähligen psychosomatischen Störungen, die man nach dem vorgegebenen Modell oft nicht befriedigend behandeln kann, zwingen dazu (6). Die Erkenntnisse der Volksheilkunde in anderen Erdteilen und die hoch entwickelte chinesische Medizin erregen in unserem Kulturkreis die Aufmerksamkeit vieler. Hat das Evangelium, haben Glaube und Religion hier etwas zu bieten? Wir antworten: Ja! Wir können in dieser Hinsicht etwas von den Christen auf anderen Kontinenten lernen. Sie betonen die Bedeutung der (mit verschiedenen Namen bezeichneten) universellen Lebenskraft, die durch alles hindurchströmt, und Blockaden, die das Weiterströmen verhindern, wegnehmen will. Im Laufe der Jahre habe ich mit allerlei Theologen aus Afrika und Asien – die meisten von ihnen arbeiten als Dozenten an theologischen Fakultäten – über die Fragen von Heil und Heilung reden können. Alle bestätigten mir, dass die Realität dieser Kraft als ein wichtiges Element der Schöpfung in ihrer Kultur eine Grundvoraussetzung sei für den Umgang mit Krankheit und Kranken und dass sie die Realität und Wirkung dieser Kraft von ihrem christlichen Glauben her durchaus akzeptieren können.

Ganzheitliche Medizin

Es ist erfreulich, dass sich in unserer Zeit die offizielle Schulmedizin allmählich mehr für andere Formen medizinischer Fürsorge öffnet. Die Bedeutung der Schulmedizin ist und bleibt gross, wie ich schon andeutete. Wir betonen in Bezug auf unseren Einsatz in Allmendingen, dass wir den Wert der regulären Heilkunde durchaus bejahen. Auch wir nehmen ihren Dienst in allerlei Situationen gerne in Anspruch. Unser Angebot verstehen wir als Ergänzung, als komplementäre Dienstleistung. Deshalb sind wir froh, dass in unserer Begleitungskommission ein Arzt ist, der uns beraten kann, und dass verschiedene andere Ärzte in der Region unseren Dienst empfehlen.

Allgemein kann man immer noch feststellen, dass die offizielle Heilkunde die Neigung hat, sich auf einen [Körper-] Teil und auf die Symptome zu richten, während alternative Methoden eher das [Körper-] Ganze und die biographischen oder anderen Hintergründe ins Auge fassen. Das Letztere wollen auch wir. Dabei respektieren wir die uns gesetzten Grenzen. Wir massen uns nichts an, was nicht zu unserer Kompetenz gehört. Wir stellen keine Diagnose und auch keine Prognose. Wohl kommt es dann und wann vor, dass Mitglieder des Teams beim Handauflegen etwas spüren, was der betreffenden Person noch nicht bewusst war, und ihr nahe legen, sich mit dem Hausarzt in Verbindung zu setzen. Bis jetzt hat sich immer herausgestellt, dass dieser Rat begründet war; in einem Fall war sogar eine Operation notwendig.

Auf der ganzen Linie befürworten wir Kooperation, Integration der verschiedenen Wege zum Heilwerden. Wir zweifeln keinen Augenblick daran, dass auch konzentrierte und sogar isolierte Aufmerksamkeit für Facetten, "Teile", notwendig ist. Speziell in akuten Situationen ist sie primär nötig. Was wir in Abrede stellen, ist, dass diese Aufmerksamkeit für den betreffenden "Teil" ausreicht und dass mit der erfolgreichen Behandlung des betreffenden Teils das Ziel der Therapie erreicht wäre. So wie der Mensch mit allen Aspekten und Beziehungen eine Einheit ist, so kann eine echte Therapie nicht anders als "holistisch" sein. (7)

Die vergessene Hälfte

Dieses Plädoyer richtet sich freilich nicht nur an die Medizin, sondern auch an die Kirche und ihre Theologie. Etwas Wesentliches ist in der Kirche falsch gelaufen, als sich dasjenige, was ursprünglich eng verbunden war, in getrennte Richtungen weiterentwickelte. Jesus hat seinen Jüngern einen zweifachen Auftrag gegeben: Verkündigung und Heilen. Die Kirche hat diese Aufgabe halbiert, die beiden Teile getrennt. Die eine Hälfte hat sie beibehalten und fleissig beherzigt. Die andere Hälfte hat sie ins kirchliche Archiv gelegt. Dort ist sie lange im Dunkeln liegen geblieben. Abgesehen von einigen Pionieren früherer Zeiten, etwa J. C. Blumhardt, haben erst Anfang des 20. Jahrhunderts die Pfingstchristen und seit ca. 1960 die charismatischen Christen in den offiziellen Kirchen die vergessene Hälfte wieder zum Vorschein gebracht. Die Kirchen selbst nahmen und nehmen oft noch eine skeptische bis abwehrende Haltung ein. Das ist begreiflich, weil es nicht an Entgleisungen gefehlt hat. Diese können jedoch nie ein gültiges Alibi für eine bleibende Ablehnung sein. Vom Evangelium her kann man nicht in Abrede stellen: Therapie gehört – auch – in die Kirche! (8) Es ist m. E. ein Gebot der Stunde, das neu zu verwirklichen. Dies trifft umso mehr zu, weil etwas geschehen ist, mit dem bis in die siebziger Jahre kaum jemand gerechnet hatte. "New Age" ist aufgekommen. Dieser Begriff ist ein "weites Dach", unter dem vieles seinen Platz findet. Im Rahmen dieser Bewegung hat das Interesse für alternative Heilungsmethoden stark zugenommen, was sich im grossen Angebot auf dem Markt der Therapien zeigt.

Hier kann die Kirche nicht abseits stehen bleiben. Dafür sind die Fragen von Gesundheit und Heilung im Leben und im Erleben von Menschen zu zentral. Die Kirche muss auf diese Fragen mit kritischer Unterscheidung eingehen und ein eigenes Angebot machen. Sie hat dafür vieles "im Haus". Es muss nur aus dem Archivkeller hervorgeholt werden! Es kommt für die Kirche darauf an, ob sie bereit ist, auf diesem Gebiet einen Lernprozess zu beginnen. Dieser Prozess steht im Zeichen von Lernen durch Tun. Wer mit dem "Einführen" des Heilungsdienstes warten will, bis alle Fragen gelöst sind, wird nie zum Handeln kommen. Ausserdem erweist sich gerade die Praxis, wie ich selbst intensiv erfahre, als eine "Brutstätte" für neue Ideen. Durch das "Tun" wird der Blick erweitert und die Einsicht vertieft. Die Besinnung wird gefördert und bereichert, wenn wir es wagen, das so lange gemiedene Feld zu betreten.

Fortschritt in der Besinnung

Ich selbst habe in der Besinnung über Heil und Heilung Fortschritte gemacht. Ich möchte das konkretisieren, indem ich zur Illustration einige Dinge nenne, die ich gelernt habe oder meiner Meinung nach besser als früher verstehe.

- 1. Auslegung der Heilungsberichte

Früher ging ich mit dem Hauptstrom der Exegese davon aus, dass der Nachdruck auf der Macht und Liebe Jesu und auf der Bedeutung des Glaubens liegt. Jetzt sehe ich ein, dass es auch darum geht, die Situation der kranken und leidenden Menschen in diesen Berichten sorgfältig und liebevoll wahrzunehmen, wie es auch Jesus getan hat, dessen Herz voller Erbarmen für die Leute war. Der Umgang mit und die Fürsorge für Menschen, die leiden, bringen für Auslegung und Anwendung eine andere "Seh-Richtung", die das schon Bekannte nicht vernachlässigt, aber daneben berücksichtigt, was vorher oft ausgeblendet war. Was man in der Praxis "sieht", auf eine Weise, die einen existentiell berührt, "sieht" man nachher auch im Text. Diese Wechselbeziehung von Erfahrung und Auslegung ist bezeichnend für die Exegese von Eugen Drewermann, z.B. in seinen Kommentaren zu Matthäus und Markus. Was immer man über seine Exegese sagen mag, in diesem zentralen Aspekt hat er Recht. So gesehen könnte man sogar die Arbeitshypothese wagen, dass diese Heilungsberichte der Gemeinde als "Handlungsanweisungen" für ihren eigenen Heilungsdienst überliefert worden sind.

- 2. Segen in Verbindung mit Handauflegung

Der Segen ist nicht nur ein Wunsch, sondern effektiver Zuspruch von Heil, der die Entfaltung des Lebens in allen oben genannten Aspekten – Körper, Seele, Geist – und Beziehungen – zur Natur, zu den Mitmenschen, zu sich selbst und zu Gott – beinhaltet. Der Segen hat ja gerade dieses Heil, den Shalom, im umfassenden Sinn als Inhalt. Die Handauflegung als körperlich-seelische Geste berücksichtigt, dass der Mensch im oben umschriebenen Sinn eine Einheit ist, und bringt zum Ausdruck, dass dieser Mensch in der Totalität aller Aspekte und Beziehungen den Segen empfängt. Es ist erfreulich, dass in jüngster Zeit der Segen und seine Wirkung gründlich untersucht und beschrieben werden. (9) Resultate der entsprechenden Studien stimmen mit dem überein, was wir in der Praxis erlebt und wahrgenommen haben.

- 3. Charakter der Gnadengaben

Ein Teil der Christen, vor allem in Pfingstkreisen, vertritt die Meinung, dass die im Neuen Testament genannten Charismata, die Gnadengaben (vgl. Römer 12 und 1. Korinther 12) rein übernatürlicher Art sind, und dass es keine Verbindung mit natürlichen Gaben und Fähigkeiten gibt. Wir sind auf Grund unserer Erfahrungen der Meinung, dass es unverantwortlich ist, einen solch tiefen Graben zwischen "übernatürlich" und "natürlich" anzunehmen. Der Geist benutzt Menschen mit allen ihren Möglichkeiten, die sie als Geschöpfe Gottes in sich tragen. Die Neuschöpfung in Versöhnung und Heiligung schiebt die Schöpfung nicht einfach beiseite. Neben dem Neuen gibt es auch Kontinuität mit dem schon Vorhandenen. Lasst uns nicht vergessen, dass der Geist mehr als nur einen Weg gehen kann, um sein Ziel zu erreichen. Selbstverständlich ist er in der Lage, neue Gaben zu schaffen, aber er ist auch frei, die menschlichen Möglichkeiten in seinen Dienst zu integrieren und als Gnadengaben funktionieren zu lassen.

Schöpfungsgaben

Das Letztere veranlasst mich, noch etwas über die heutige Situation und das grosse Angebot auf dem Markt der Therapien zu sagen. Die Vielfalt kann Verwirrung bewirken und das umso mehr, weil die "Anbieter" sehr verschiedene Wellenlängen haben. Dies tritt z.B. ans Licht in der Beurteilung der Naturheilkunde und der alternativen Heilungsmethoden, die von einem Teil der Christen als verwerflich, bisweilen sogar als dämonisch betrachtet werden. Diese Ablehnung markiert eine Grenze, welche die Kommunikation erschwert. Persönlich gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass trotz aller Unterschiede, deren Gewicht ich nicht unterschätze, ein Weg zu einem besseren Verständnis und einem besseren Verhältnis gefunden wird, z.B. zwischen Christen, die mehr pfingstlerisch-charismatisch orientiert sind und Christen, die für alternative Heilungsmethoden offen sind. Ein Anknüpfungspunkt liegt in dem, was ich unter Punkt 3 erwähnt habe: Die Weise, in welcher der Geist das Geschaffene in Dienst nimmt. Als Menschen dürfen wir auf Erden leben und wir dürfen aus dem reichen Schatz von Möglichkeiten schöpfen, die in der Schöpfung enthalten sind. Dazu gehört nicht nur das Sichtbare, was wir messen und registrieren können, sondern auch das Unsichtbare mit allen Energien, die unser Menschsein tragen und beeinflussen. All diese Schöpfungsgaben können als solche nie falsch sein. Wohl muss man sagen, dass die Art und Weise, in der Menschen mit diesen Schöpfungsgaben umgehen, oft verantwortungslos ist. Darum ist entscheidend, unter welcher Regie und mit welcher Absicht des Herzens Menschen diese Gaben anwenden; ob ihre Anwendung dieser Gaben im Zeichen der selbstlosen Liebe steht. (10)

Reaktionen

Die letzten Überlegungen gehören zur Besinnung, welche die Praxis hervorruft. Ich komme also noch kurz auf die Praxis zurück. Natürlich stellt sich die Frage, wie die Leute reagieren, die bei uns eine Handauflegung empfangen. Wir erfragen diese Reaktionen nicht, aber viele äussern sich mündlich sofort nach der Behandlung, manche auch erst später telefonisch oder schriftlich. Karten und Briefe zeigen, dass man in der Behandlung etwas erlebt, was körperlich, psychisch, geistig und geistlich gut tut: Entspannung, innere Ruhe und die Nähe Gottes.

Ich zitiere mit Erlaubnis aus einem Brief:
Im Juni 1999 hatte ich sehr heftige Angstattacken. Um festzustellen, weshalb ich solche Attacken und auch körperliche Schmerzen hatte, ging ich zu einer Psychologin. Mir wurde klar, dass diese Attacken von mehreren sexuellen Missbräuchen aus der Kindheit stammten. Gespräche und diverse Therapien linderten die Schmerzen, doch die Angstattacken verringerten sich kaum. Als ich Ihre Dienste in Anspruch nahm, bemerkte ich schon beim zweiten Mal eine massive Besserung. Ich hatte seither nie mehr eine Attacke. Ich spürte jedes Mal eine Kraft in mir, die mich durch den ganzen Alltag hindurch begleitete. Jedes Mal dachte ich: Es geht mir gut, kam aber trotzdem mehrmals. Irgendwo ist immer eine Ecke, die noch geheilt werden muss. Ich fühlte auch, wie Vertrauen in mir erwacht, das Vertrauen zu mir, zu Gott und auch zum Leben. Dies gibt mir enorme Kraft. Es ist eine wunderbare Sache, die Sie aufgezogen haben: sich zur Verfügung zu stellen, um die heilende Kraft weiterzugeben. Es tut mir sehr gut, jedes Mal diese Kraft in mir wirken zu lassen und nachher auch zu spüren. Ich schätze es auch, dass nach der Behandlung kompetente Leute zu einem Gespräch bereit sind. Diese Begleitung, glaube ich, ist sehr wichtig, es kommen doch auch Emotionen hoch. Viele Leute können damit nicht recht umgehen...

Eine Reaktion wie diese ist eine Ermutigung für uns weiterzugehen. Es ist schön, dass wir im Dienste der Handauflegung etwas von der Kraft des Geistes Gottes erfahren können. Dieser Geist wird manchmal wie eine Taube dargestellt, als ein "Vogel Gottes", der über den Wassern schwebt (vgl. 1. Mose 1, 2), als Macht der Schöpfung und Neuschöpfung. Wir finden diese Darstellung im eindrucksvollen Gemälde von René Magritte "La grande Famille" (siehe Umschlag-Rückseite), von dem eine Reproduktion auf unseren Prospekten abgedruckt ist. Wir haben die begründete Hoffnung, dass dieser Geist uns und viele andere jeweils mit Kraft und Liebe erfüllen will, sodass wir sie an Mitmenschen weitergeben können.

Wir sind auf einer Mission:
zur Bildung der Erde sind wir berufen.

Novalis


Fussnote

(1) Vgl. für die Liturgie: W.J.Hollenweger, Geist und Materie. Interkulturelle Theologie III, München 1988, S. 28-35. Hollenweger bejaht übrigens auch die Handauflegung durch dazu qualifizierte Personen, wie sie in diesem Beitrag beschrieben wird.

(2) Die Literatur über die Charismen, auch über das Charisma der Heilung, im Zusammenhang mit dem Wirken des Geistes, ist enorm angewachsen. Vieles ist verarbeitet in der breit angelegten Untersuchung von Oskar Föller, Charisma und Unterscheidung. Systematische und pastorale Aspekte der Einordnung und Beurteilung enthusiastisch-charismatischer Frömmigkeit im katholischen und evangelischen Bereich, Wuppertal/Zürich 1995. Ich möchte hier nur noch hinweisen auf J. Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München 1991, S. 194-210. Er spricht über den Heiligen Geist als Energiequelle und Kraftfeld. In der charismatischen Erfahrung wird, so sagt er, der Geist Gottes als vitalisierende Energie erfahren. Die Charismen sind Energien des Geistes, vitalisierende Energien, a.a.O., S. 208f.

(3) Vgl. gegen diesen Perfektionismus der Psychotherapeut Markus Fäh, Gesundheit kommt von innen. Wie wir unsere Lebenskräfte befreien, Bern 2002.

(4) Vgl. H. Wiesendanger, Das Grosse Buch vom geistigen Heilen. Die umfassende Darstellung sämtlicher Methoden, Krankheiten auf geistigem Wege zu erkennen und zu behandeln, Bern/München/Wien 1996.

(5) Die vielen neueren Bücher über Jesus und Kommentare zu den Evangelien beleuchten alle das Wirken von Jesus als Heiler. Ich erwähne hier E. Drewermann, Das Markusevangelium. Bilder von Erlösung, I-II, Olten/Freiburg im Br. 1989. Wichtig ist immer noch Hanna Wolff, Jesus als Psychotherapeut. Jesu Menschenbehandlung als Modell moderner Psychotherapie, Stuttgart 1978. Vgl. für die von Jesus vollzogene Krankenheilung und Dämonenaustreibung im Rahmen einer umfassenden Christologie J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989, S. 124-132.

(6) Vgl. J. Bösch, Spirituelles Heilen und Schulmedizin. Eine Wissenschaft am Neuanfang, Bern 2002. Der Verfasser, Chefarzt der Externen Psychiatrischen Dienste Baselland und PD an der Universität von Basel, befürwortet eine Integration vom geistigen Heilen in die Schulmedizin. Die spirituelle Dimension der Heilkunde wird in vielen neueren Veröffentlichungen aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert, vgl. E. L. Bieri, Spirituelle Medizin, München 1982; O. Eggenberger u.a., Heilen was verwundet ist. Heilkunst zwischen alternativer Medizin und göttlichem Geist, Freiburg/Schweiz 1990; R. Carlson und B. Shield (Hrsg.), Was ist Heilen? Berühmte Heilerinnen und Heiler antworten, München 1992 ( mit Beiträgen von u.a. Th. Dethlefsen, dem mit Paul Tillich verbundenen Psychologen Rollo May und Elisabeth Kübler-Ross); A. Meier (Hrsg.), So kann`s mit mir nicht weitergehen! Neubeginn durch spirituelle Erfahrungen in der Therapie, Stuttgart 1994 (dieses Buch mit Beiträgen von u.a. Hildegunde Wöller und Georg Schmid ist Walther H. Lechler, Begründer und Chefarzt der soziopsychosomatischen Klinik Bad Herrenalp, gewidmet); D. A. Matthews, Glaube macht gesund. Spiritualität und Medizin, Freiburg/Basel/Wien 2000; J. Hainz (Hrsg.), Heilung aus der Begegnung. Hans Trüb und die Psychotherapie. Dokumentation eines Symposions, Eppenhain 2003.

(7) Vgl. über die Psychosomatik weiter noch H. G. Tietze, Entschlüsselte Organsprache. Krankheit als Ausdruck seelischen Leids, München 1987; O. Betz, Der Leib als sichtbare Seele, Stuttgart 1991; R. Dahlke, Krankheit als Symbol. Handbuch der Psychosomatik: Symptome, BeDeutung, Bearbeitung, Einlösung, München 1996.

(8) Vgl. für die heutige Lage in globaler Perspektive W. J. Hollenweger, Charismatisch-pfingstliches Christentum. Herkunft-Situation-Ökumenische Chancen, Göttingen 1997. In der protestantischen Schweiz haben damals schon D. Hoch mit ihrer Schrift, Heil und Heilung. Eine Untersuchung zur Frage der Heilungswunder in der Gegenwart, Basel 1954 und B. Martin mit seinem ursprünglich im französischen erschienenen Buch: Die Heilung der Kranken als Dienst der Kirche, Basel 1954, dazu beigetragen, dass "die vergessene Hälfte" wieder zur Sprache kommen konnte.
Stark war dabei der Einfluss der Psychiater P. Tournier, A. Maeder, Th. Bovet, A. von Orelli u.a. Bis in die neue Zeit haben die meisten Theologen gezögert, die Fragen in Bezug auf Heilung und Gesundheit als ein echtes theologisches Thema zu behandeln. Darum bleibt es bemerkenswert, dass Karl Barth und Tillich dies getan haben, vgl. die Ausführungen von Barth in: Kirchliche Dogmatik III/4, S. 404-426 und die Art und Weise, wie Tillich Rechtfertigung und Vergebung mit dem psychotherapeutischen Begriff der "Annahme" umschreibt, vgl. z.B. Paul Tillich, Auf der Grenze, München und Hamburg 1964, S. 137.

(9) D. Greiner, Segen und Segnen. Eine systematisch-theologische Grundlegung, Stuttgart/Berlin/Köln 1998; M. L. Frettlöh, Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen, Gütersloh 1999.

(10) Für eine Überwindung der hier auftretenden Polarisierungen kann das theologische Erbe von A. Köberle jetzt noch hilfreich sein. Vgl. seine Aufsatzbände: Der Herr über alles. Beiträge zum Universalismus der christlichen Botschaft, Stuttgart 1957; Christliches Denken. Von der Erkenntnis zur Verwirklichung, Hamburg 1962; Universalismus der christlichen Botschaft, Darmstadt 1978. Köberle urteilt auch positiv über die Bedeutung der Parapsychologie u.a. für unsere Beurteilung von sog. Wunderheilungen. Das gleiche gilt für den Zürcher Kirchenhistoriker F. Blanke, vgl. Hollenweger in seinem in Anm. 1 genannten Buch, S. 87f. Instruktiv ist das gründlich dokumentierte Buch von R. Passian, Neues Licht auf alte Wunder. PSI klärt Bibelwunderstreit, Kleinjörl 1982. Vgl. auch die Schriften des Naturwissenschaftlers W. Schiebeler, z.B. seinen Artikel Bruno Gröning – seine aufsehenerregende Heilungen und sein Ende, in: Wegbegleiter. Unabhängige Zeitschrift zur Wiederbesinnung auf das Wesentliche (Verlag Martin Weber, D-Schutterwald), VII. Jahrgang Nr. 3, Dezember 2003, S. 4-39.


[ Anm.d.Erf.: Es wurden einige Rechtschreibefehler korrigiert und stilistische Änderungen vorgenommen, die jedoch nicht sinnentstellend sind. Die Muttersprache des Autors ist nicht Deutsch. ]


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