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Geisteswissenschaft - Philosophie / Psychologie
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Werner Sch., L.aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Juli 1997, Nr. 4, II. Jahrgang, S. 174 ff.)

Sternenlicht

Stärkung und Lebenshilfe bei meditativer Betrachtung des Sternenhimmels

An einem stürmischen Novemberabend erhob sich unser Kater Benny von seinem Schlafplatz und setzte sich vor die Zimmertür. Er wollte seine nächtlichen Jagdausflüge unternehmen und drückte mehrmals den Kopf gegen die Tür. Damit sagte er auf seine Art: "Lasst mich hinaus!" So ging ich gegen 23 Uhr die Treppe hinab und liess den Kater hinaus in den schon ziemlich kühlen Novemberabend. Ich trat noch einmal ins Freie, um etwas frische Luft zu atmen, wollte auch nach dem Wetter sehen. Der Wind heulte ums Haus, ein paar einsame Blätter wirbelten durch den Garten und in der Höhe klang der Sturm wie das Rauschen des fernen Meeres. Der Herbststurm trieb vereinzelte Wolkenfetzen vor sich her, und plötzlich breitete sich das Himmelszelt ganz rein und klar über mir aus. Ich erinnere mich nur an wenige Tage im Leben, an denen ich einen so wunderbaren Sternenhimmel sah. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und so kam das Licht der Sterne am dunklen Novemberhimmel erst recht zur Geltung.
Der Anblick war so erhaben, dass ich unwillkürlich den Atem anhielt, wie wir das oft tun, wenn uns etwas sehr beeindruckt. Im Osten grüsste mich mein Lieblingssternbild, der Orion. Als bekanntestes Wintersternbild kündete es schon die kalte Jahreszeit an. Etwas höher über dem Horizont befanden sich der Stier und die Plejaden (Siebengestirn) sowie der sehr helle Riesenplanet Jupiter. Am Siebengestirn prüfte ich in meiner Jugend immer die Sehkraft und freute mich jedesmal, wenn ich mit blossem Auge auch sieben Sterne sehen konnte. Jetzt freute ich mich, dass ich noch fünf Sterne sah. War die Atmosphäre doch trüber geworden, oder wurden meine Augen schwächer? Vielleicht spielte beides eine Rolle. Nun blickte ich weiter nach oben. Als breites helles Band zog sich die Milchstrasse senkrecht über meinem Haupt entlang von Süd nach Nord. Ich schaute hinein in diese milchig-weisse Unendlichkeit von Sternen, bis mir das Genick weh tat.
Dann holte ich den Feldstecher und blickte noch einmal zur Milchstrasse sowie zum Sternenbild Orion. Immer zahlreicher tauchten neue ferne Himmelskörper aus den Tiefen des kosmischen Raumes auf. Ich erschauerte vor der Grösse und Unendlichkeit der Schöpfung. Mir fielen dabei wieder ein paar Zahlen ein. Der linke Schulterstern des Sternbildes Orion mit dem Namen Beteigeuze zählt zu den Riesen unter den Sternen. Nach Berechnungen der Astronomen ist sein Durchmesser 300 bis 400 mal so gross wie der Durchmesser unserer Sonne. Der Durchmesser unserer Sonne beträgt 1,4 Millionen Kilometer. Und wenn man die Entfernung des Beteigeuze betrachtet, so übersteigt das unser Fassungsvermögen. Wir besitzen keine irdischen Massstäbe mehr für diese Dimensionen des Universums. Beteigeuze ist ungefähr 500 Lichtjahre von uns entfernt. Ein Lichtjahr ist ein astronomisches Entfernungsmass, welches ausdrückt, wieviel Kilometer ein Lichtstrahl in einem Jahr zurücklegt. Da das Licht in einer Sekunde 300'000 Kilometer zurücklegt, merken wir keinen Unterschied zwischen dem Einschalten einer entfernten Lichtquelle und der Wahrnehmung derselben. Auf dem Mond (durchschnittliche Entfernung 384'000 Kilometer) würde ein von der Erde ausgesandtes Lichtsignal erst nach etwa einer Sekunde wahrgenommen. Um bis zum Stern Beteigeuze zu gelangen, würde also der Lichtstrahl bei einer Geschwindigkeit von 300'000 Kilometern pro Sekunde rund 500 Jahre brauchen. Eine unvorstellbare Entfernung, bei der es einem fast schwindlig wird. Dabei sind manche Sternsysteme Milliarden von Lichtjahren entfernt.
Eines zeigen uns diese Zahlen mit Sicherheit, wir sollten als Erdenbewohner in einigen Dingen ein wenig Bescheidenheit üben, wir sind nicht der Nabel der Welt. Das wurde mir bei meinem Blick in die Tiefen des Weltalls recht deutlich bewusst. Mir wurde auch klar, dass ich mit dem Zahlenverstand das Universum nicht erreichen konnte, sondern allein durch liebende Aufmerksamkeit. Und so schaute ich weiter in die Weiten des Kosmos, aber diesmal mehr mit dem Herzen. Mir war, als atmete ich mit dem Herzen die Sterne sowie die gesamte Natur ein und aus. Ein Gefühl wunderbaren tiefen Friedens zog in mich ein. Immer mehr fühlte ich mich als ein Teil dieser Welten im unendlichen Schöpfungsraum. Alles da draussen war gleichsam auch in mir. Ein glückliches erhebendes Gefühl nahm von mir Besitz, eine jener Empfindungen, von denen man wünscht, dass sie nie vergehen mögen.
Wie alles auf dieser Welt vergingen natürlich auch diese glücklichen Minuten wieder. Aber ich fühlte mich gestärkt und die Sorgen des Alltags traten in den Hintergrund. Leider nur für kurze Zeit, dann erschienen sie wieder wie dunkle Wolken am Lebenshimmel. Ich erinnerte mich wieder an schwere Stunden meines Lebens. Auch daran, wie ich oft aufblickte zu den Sternen, im Gebet den unendlichen Gott um Hilfe anflehend, welchen ich dort oben zwischen den Räumen seiner Schöpfung suchte. In vielen Nöten flehte ich zu diesem Gott hinter den Sternen wie ein sibirischer Wolf, der in frostklarer Nacht die Sterne und den Mond anheult. Häufig kam ich mir dabei sehr verlassen vor, denn immer erwartete ich etwas von diesem so fernen Vater im Himmel. Und - es geschah nichts, solange ich untätig auf ein Wunder von draussen wartete.
Noch einmal wollte ich diesen harmonischen Zustand der Allverbundenheit zurückrufen und blickte nochmals hinauf zum Orion, der in majestätischer Pracht auf mich herabsah. Schräg unter dem Himmelsjäger Orion strahlte im bläulich-weissen Licht der Sirius. Dieses strahlende Sternenlicht empfand ich als das liebevolle Leuchten des Leibes Christi - Bücher von Teilhard de Chardin hatten mich diese Sichtweise gelehrt. Nach und nach stellte sich wieder dieser friedvolle harmonische Zustand ein. Und noch etwas geschah. Gleich Engeln kamen Gedanken, die mir Wegweiser wurden, mein Bewusstsein veränderten und Lebenshilfe brachten. Sehr klar und deutlich wurde mir damals bewusst, dass ich eine falsche Sicht vom Leben hatte. Es war wie ein Erwachen zu neuem Denken, zu einer anderen Dimension des Bewusstseins. Die weiteren Jahre musste ich dann erfahren, dass ich die damals empfangenen neuen Ideen ernst zu nehmen und im Leben zu realisieren hatte. Denn jedesmal, wenn ich das tat, ging es mir besser, Ängste und psychosomatische Beschwerden liessen nach, Depressionen verschwanden, es stellten sich wieder Freude und Mut zum Leben ein. Ich will nicht behaupten, dass ich von nun an völlig innerlich frei und gesund wurde. Aber es gab Fortschritte, wenn ich ganz konsequent nach diesen neuen Einsichten lebte. Im wesentlichen waren es folgende Erkenntnisse, die mir damals im Wirrwarr meiner Gedanken und Gefühle zum Leitstern wurden. Vielleicht vermögen diese Einsichten auch anderen Menschen, die sich nach seelischer sowie körperlicher Gesundheit sehnen, ein wenig hilfreich sein.
Mir wurde damals nicht nur verstandesmässig, sondern auch vom Gefühl her gewusst [ bewusst ], dass Gott als der Christus tief in uns selbst lebt. Hier haben wir Zugang zu ihm durch Stillewerden, Meditation und Gebet.
Dieser göttliche Funke in uns ist die letzte Instanz, die eigentliche Wahrheit für jeden von uns. Und so verschieden wie die Entfernung der Sterne am Himmel ist, so verschieden ist auch der Grad der Erkenntnis sowie der Erweckung des inneren göttlichen Lichtes in jedem Menschen.
Aber allen Menschen ist gemeinsam, dass sie Kinder des ewigen Gottes sind und gleichermassen dieses Licht latent in sich tragen. Deshalb haben wir auch keinen Grund, einen Menschen nach seinen Taten oder seiner äusseren Hülle zu verurteilen. Jesus sagte das mit dem Bibelwort: "richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. " Erst wenn wir uns bemühen, die Mitmenschen in diesem Lichte als Kinder des einen Gottes zu sehen, erst dann können wir sie auch im Sinne Christi lieben.
Doch ich musste auch die zum Teil recht bittere Erfahrung machen, dass man nicht mit Gott und der Umwelt in Harmonie leben kann, wenn man mit sich selbst nicht in Harmonie ist. Anders ausgedrückt heisst das, wenn ich mich selbst nicht lieben kann, dann vermag ich weder Gott noch die Menschen zu lieben. Diese Selbstliebe möchte ich nicht als Egozentrik verstanden wissen. Selbstliebe bedeutet, sich selbst so annehmen, wie man ist, auch mit seinen Fehlern und Schwächen. Selbstliebe heisst weiterhin, seinen Körper als Tempel des Geistes zu achten, pflegen, gesund erhalten und ihm liebevolle Zuwendung angedeihen zu lassen, ohne daraus einen Götzen zu machen. Gleichzeitig sollten wir unsere Fehler erkennen und an ihrer Überwindung arbeiten, soweit das mit eigener Kraft möglich ist.
Als Wesen, die mit einem göttlichen inneren Kraftfeld ausgerüstet sind, haben wir Pflichten zu erfüllen und eigene Verantwortung zu tragen. Das ist sehr wichtig, da besonders kirchlich-dogmatisch orientierte Christen häufig dazu neigen, Gott alles tun zu lassen, Gott für alles verantwortlich zu machen und sich selbst untätig aus der Situation zu ziehen. Diese Haltung resultiert weniger aus Trägheit als vielmehr aus falsch verstanden Bibeltexten. Oftmals wurde ja auch der Mensch in der christlichen Kirche als armer sündiger Erdenwurm dargestellt, der sich vor lauter Winzigkeit gegenüber dem unendlichen allmächtigen Schöpfer gar nicht mehr zutrauen durfte, einen eigenen Schritt zu tun - aus Angst, wieder sündig zu werden. Und ein Mensch, der sich so sieht, der diesen im anderen Zusammenhang richtigen Aspekt der Bibel in jener einseitigen und losgelösten Form annimmt, der ist auch ein wirklich bedauernswerter, unselbständiger, kraft - und saftloser Tropf. Doch wenn ich mich als Kind des Allerhöchsten sehe, dann darf ich auch teilhaben an der Fülle, an der Kraft und an der Freude unseres Vaters im Himmel. Dann werde ich selbstbewusst, aufrechten Ganges, kraftvoll und gesund durchs Leben gehen aufgrund dieses neuen Bewusstseins. Gott lässt mir aber auch einen grossen Freiraum, ich soll selbst handeln, selbst entscheiden und keine Marionette sein.
Früher glaubte ich immer, ich müsste nur beten und glauben sowie mich völlig Christus überlassen, damit alles in meinem Leben funktioniert. Das war ein Kardinalfehler und fundamentaler Irrtum. Es kann funktionieren, aber garantiert nur dann, wenn die Dinge, die ich im Gebet verändern will, mir nach Gottes Ansicht und Willen auch zur Weiterentwicklung dienen. Und meine Gebete werden bestimmt nicht erhört, wenn das, worum ich bitte, von mir selbst erledigt oder erreicht werden kann und soll. Ich bin Gottes Kind. Aber als solches habe ich meine Hausaufgaben des Lebens selbst zu machen und kann sie mir nicht durch noch so intensive Gebete von meinem Vater machen lassen. Er könnte das, jedoch er tut es nicht, weil er mir damit nicht helfen würde. Ich würde dann nichts lernen in der Schule des Lebens und wiederum sitzenbleiben. Aus moderner esoterischer Sicht könnte das heissen, ich habe mein Klassenziel (Lebensziel) nicht erreicht und muss noch einmal die Lebensschule Erde in einer weiteren Inkarnation besuchen. Das war eine sehr wesentliche Erkenntnis für mich. Und immer, wenn ich mit Vertrauen auf meine innere Kraft wieder mutig dem Leben entgegen trat, errang ich auch Siege. Die neurotischen Beschwerden liessen nach, ich wurde freier und gesünder. Das Flehen zu dem Gott über den Sternen und das untätige Warten auf die Hilfe brachten mich nur immer stärker in eine infantile (kindhafte) Haltung, die verstärkend auf die neurotischen und psychosomatischen Störungen wirkte. Das bestätigt auch die heutige Psychotherapie. Erst die Erkenntnis, dass ich als Kind Gottes meine mir vom Vater im Himmel verliehenen Kräfte entwickeln und anwenden muss, brachte die Hilfe. Diese Aufgabe konnte der universelle Geist nicht für mich übernehmen, das musste ich schon selbst tun. Und mit jedem Sieg, den wir dabei über die kleinlichen, zaghaften und feigen Gedanken sowie Zweifel unseres Ego erringen, wachsen wir heraus aus der eigenen Begrenztheit. Ja, wir werden eines Tages emporsteigen zu jener inneren Majestät, Freiheit und Kraft, wie ich sie beim Betrachten des Sternenhimmels an diesem stürmischen Novemberabend so wunderbar empfand.
Sicher stehe ich erst am Anfang dieses Entwicklungsweges, bin noch unsicher und stolpere oft. Dann heisst es, sich wieder aufraffen, nicht rückwärts schauen und mutig vorangehen. Und je freier wir dabei innerlich werden, desto schöner sehen wir die uns umgebende äussere Welt.
Zum Schluss noch ein guter Rat für den Weg. Auf unserer Wanderung sollten wir nicht nur nach oben, nach den Sternen schauen. Der Blick auf unsere Mutter Erde ist genau so wichtig. Wichtig, damit mir die Schönheiten am Wegesrand sehen und wichtig, um die Stolpersteine auf der Strasse zu erkennen.
Wenn wir das im richtigen Masse tun, dann werden wir abends gerne Rast machen, in Dankbarkeit zu den Sternen schauen und unser Inneres mit den liebenden Kräften des Universums verbinden.

Werner Sch., L.


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Letzte Änderung am 25. Juli 2000