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Religion - Christentum - Orthodoxie
Artikel von Walter Vogt (Zürich), erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 1/2004, S. 4-13.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Das Starzentum im alten heiligen Russland
Meister des Weges oder lebendige Ikonen

von Walter Vogt, CH-Zürich

Die russisch-orthodoxe Kirche kann auf ihr tausendjähriges Bestehen zurückblicken. Zu dieser Feier empfing der neue Diktator [Gorbatschow] dieses Riesenreiches die höchsten kirchlichen Würdenträger. Was ist davon zu halten? Gutgläubige sehen darin eine Versöhnung. Hierzu eine Mitteilung aus der "Stimme der Märtyrer":

"Unlängst [zu Zeiten Gorbatschows] erschien im Westen im Fernsehen eine sensationelle Übertragung aus der UdSSR. Nach 70 Jahren Verbannung der Religion aus den Medien erlaubte die UdSSR erstmals eine Übertragung eines Gottesdienstes aus der Patriarchats-Kirche in Moskau. Bilder davon erschienen in westlichen Medien. Und die Leute glaubten, nun habe ein Gesinnungswechsel stattgefunden.

Dazu eine Erklärung: TV-Sendeschluss in Moskau ist um 23 Uhr, Sendebeginn am folgenden Morgen um 6 Uhr. Folglich ist Fernsehen während der Nacht unmöglich. Das Moskauer Fernsehen telefonierte allen westlichen Reportern in Moskau und ersuchte sie, sich um drei Uhr nachts die nur gerade für sie ausgestrahlte Gottesdienstübertragung anzusehen. Dem Sowjetpublikum wurde sie vorenthalten. So legten die Sowjets den Westen herein."


Gute Russlandkenner wissen, dass sie [die russischen Führer] immer Meister der Täuschung waren. Es ist also äusserste Vorsicht und Wachsamkeit geboten. Die Worte Gorbatschows sind nicht zu überhören: "Bei der Formulierung unserer langfristigen, fundamentalen Aufgabe wird das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei vom Marxismus-Leninismus geleitet." – Marx: "Religion ist Opium für das Volk." – Lenin: "Jeder religiöse Gedanke, jede Vorstellung von einem Gott, ja schon das Liebäugeln mit einem Gott, sind eine unaussprechliche Abscheulichkeit, die schlimmste Epidemie."

Gab es überhaupt ein altes heiliges Russland? Die Anklageliteratur des 19. Jahrhunderts ergibt ein schreckliches Bild von diesem geknechteten, erniedrigten und beleidigten Volk. Erst anno 1861 erfolgte die Aufhebung der Leibeigenschaft. Das zaristische System hat alle freiheitlichen Bestrebungen immer brutal unterdrückt. Nur eine fanatische Russlandschwärmerei will dies nicht wahrhaben. Auf die Saat folgt bekanntlich die Ernte. Das furchtbare Blutbad kam mit der Revolution. Adel und Bürgertum wurden völlig vernichtet. Auch das Rückgrat der orthodoxen Kirche wurde gebrochen; vergeblich stützte sie sich auf das längst bis auf die Wurzeln morsch gewordene Zarentum. Muss man sich wundern, dass durch solche Katastrophen die "allrussische Traurigkeit" entstand? Nie darf das politische System eines Landes mit den Herzkräften seiner Bürger gleichgestellt werden.

Der einfache russische Mensch hat stets etwas vom lebendigen Evangelium bewahrt, welches im Laufe der Zeit in der traditionellen Kirche verloren ging. Es war das warme Licht, das den Gläubigen Mut und Halt in allen schwierigen Lebenslagen gab. Russland wurde zum Land der Gottsucher. Das Leben des einfachen Volkes stand unter dem ständigen Anruf des Kreuzes. Es herrschte eine Brüderlichkeit, wie man sie im Westen kaum kennt. Menschen, die wir beispielsweise Verbrecher nennen, bezeichnete man dort als "Unglückliche", und sie waren es in der Tat. Diese einfachen Leute waren fähig, alles im Voraus zu verzeihen. Gerade als die zündenden Parolen von Marx, Nietzsche, Stirner und Feuerbach die russische Intelligenz überfluteten, schien das Licht den tiefgläubigen Seelen in der Finsternis. Die Gottlosen-Propaganda erreichte sie nicht. In diesem Land entstand das Pilgertum. Um Gott zu suchen und somit das Heil zu gewinnen, musste man wandern.

Der "Strannik" – so nennt man auf russisch den Pilger – durchwanderte endlose Steppen und Wälder bis zum Ausbruch des unseligen 1. Weltkrieges. Auf der ständigen Suche nach Gott, hoffte er, Ruhe für seine Seele zu finden. Barmherzige Leute gaben ihm ein Nachtlager und einen Bissen Brot. Gewiss, unter diesen Wanderern gab es auch unlautere und asoziale Elemente, denen das freie Nomadenleben zusagte. Der religiöse Aspekt der wahren und echten Pilger diente ihnen nur als Vorwand. Von der Obrigkeit wurden sie schärfstens verfolgt, doch selten konnte man ihrer habhaft werden. Immer fanden sie irgendwo Unterschlupf. Bei den heiligen Festtagen waren sie manchmal direkt eine Landplage.

Zu den "geistigen Wanderern" gehörte auch die Elite des russischen Geisteslebens des 19. Jahrhunderts. Ich denke hier vor allem an Tolstoi, Gorki, Gogol und Dostojewskij. Ja, auch Solowjew, der grosse Philosoph, ist in ihren Reihen zu finden. lwan Iljin: "Solche Pilgerschaften sind in religiöser Hinsicht sehr viel wert, der Alltag wird beiseite geschoben, aber nicht um leere Ferien zu begehen und sich im Nichtstun zu erholen, sondern vielmehr um die Hauptsache, dem Heiligtum zu leben, Busse zu tun, die Seele zu läutern, sich im Gebet und in der Wallfahrt zu erneuern." Unter den Pilgern gab es solche, die nie mehr sesshaft wurden; sie führten ein Leben als "Strannik". Ich glaube, dass gerade durch dieses Gottsuchertum die Rede vom "alten heiligen Russland" entstand.

Die Führungsschicht dieses Landes war alles andere als heilig. Darüber belehrt uns die Geschichte. Aber auch das schlichte Volk war weit von der Heiligkeit entfernt. Es lebte in unsäglichen Sünden. Die Trunksucht war zu einem fast unausrottbaren Laster geworden [und ist es leider bis heute geblieben]. (...) Wer Dostojewskijs Werke liest, dem erschliesst sich die russische Volksseele bis in jedes Detail. Nichts, aber auch gar nichts wird beschönigt. Alles kommt ans Tageslicht, Ekelerregendes und Grauenhaftes. Die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele kommen zum Vorschein. Der russische Mensch ist in der Lage, einen Feind oder Gegner mit bestialischem Hass umzubringen, um dann nachher die grösste Reue zu empfinden und Busse zu tun. Er erlebt unermessliches Leid. Das schnellste Pferd zur Vollkommenheit ist das Leid. Diesen Gedanken hinterliess uns der deutsche Mystiker Meister Eckart (um 1260 - 1327).

Die russischen Mönche wurden im Westen vielfach mit einem gewissen Argwohn betrachtet. Vor allem wurde das unsaubere Äussere an ihnen gerügt. In den fünfziger Jahren sah ich zum ersten Mal auf einem Kreuzfahrerschiff einen Mönch, der mir tatsächlich keinen guten Eindruck hinterliess. Alles an ihm war ungepflegt. Sein Gewand war schmutzig, die fettig-strähnigen Haare fielen ihm bis auf die Schultern. Sein Bart war verwildert. Begierig musterten seine Augen die Anwesenden. Dies soll jedoch nur eine Feststellung sein. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Stets müssen wir uns hüten, Pauschalurteile abzugeben. Nur in ganz seltenen Fällen mögen sie zutreffen. Die meisten Mönche kamen aus dem Bauernstand. Wer Mönch werden wollte, betrachtete dies als die grösste Gnade, die ihm widerfahren konnte. Er durfte somit ein Leben der Hingabe an Christus nach den drei evangelischen Räten (Armut, Keuschheit und Gehorsam) führen.

WAS IST STARZENTUM?

Das Wort "Staretz" bedeutet nichts anderes als "alter Mann" oder "Greis". An sich braucht er aber keineswegs alt an Jahren zu sein. Es ist eigentlich ein Ehrentitel. Hier ist Weisheit gemeint, die im Unterschied zum Wissen "kristallisierte Tränen" genannt wird. Der Staretz ist Mönch, er kann aber auch Priester sein. (Johannes von Kronstadt war der grösste Priester-Staretz Russlands.) Iwan Kologriwow erklärt es deutlich: "Seine Erfahrung, sein Gebet und seine Selbstverleugnung machen ihn zu dem, was er darstellt. Der Staretz zieht alle Seelen zu sich, die Gott suchen, denn in ihm herrscht Gott unumschränkt und lässt seine Gegenwart spürbar werden!"

Innerhalb des Klosters sind starzenerfahrene Mönche, die ein selbstloses und reines Leben führen. Jüngere Brüder werden von ihnen angeleitet. Ein Staretz ist ein Begnadeter und Erleuchteter. Wenn er alle Leidenschaften und Triebe völlig überwunden hat, erfährt sein ganzes Wesen die Durchgottung. Seine Seelenkräfte erstarken. Denken, Wille und Gefühl stehen in vollem Einklang mit dem Willen Gottes. Geistesgaben werden ihm geschenkt. Er ist beispielsweise imstande, Krankheiten augenblicklich zu heilen, die von den besten Ärzten seit Jahren nicht kuriert werden konnten.

Seit dem 4. Jahrhundert bildet das Starzentum ein Leitprinzip des asketischen Eiferns, ohne jedoch in den unfruchtbaren Fanatismus zu verfallen. Seine geistige Wahrnehmung wird dadurch so gefördert, dass er den Menschen bis zum tiefsten Seelengrund erschauen kann. Seine Sehergabe ist in der Lage, in den ethischen Zustand des Suchenden zu dringen. Nicht nur die Handlungen nimmt er wahr, sondern auch deren Motive. Nicht was der Mensch tut, ist wichtig, sondern wie er es tut. Nur wer das Gute um des Guten willen tut, ist ein wahrer Mensch. Noch ehe der Mensch einen Gedanken fasst, erblickt ihn der Staretz geistig.

Seit die griechisch-orthodoxe Kirche besteht, gab es solche erleuchtete Starzen. Zu den bekanntesten gehören Antonius der Grosse, Makarius von Ägypten, Johannes Klimakos vom Berg Sinai, Symeon der neue Theologe und Gregorius Palamas vom Berg Athos. In Russland erlebte das Starzentum eine besondere Blütezeit in der Optina-Einsiedelei von Sarow.

VATER SERAFIM

Anno 1825, an einem kalten Novembertag, verliess Vater Serafim seine Mönchszelle in der Einsiedelei Sarow. 15 Jahre lang hatte er sich freiwillig in einen winzigen Raum verbannt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht. Der Zulauf des Volkes war gewaltig. Sein Ruhm erscholl in allen Gouvernements des Reiches, denn er lebte nur der Busse und des Gebets. Keiner übertraf ihn in der Askese, aber die Zeit der Vorbereitung war lang, hart und entbehrungsreich. Mit Gottes Hilfe und eiserner Disziplin bestand er alle Anfechtungen. Acht Jahre waren ihm vergönnt, um als heiliger Staretz zu wirken.

Als Zwanzigjähriger bat er bei den Mönchen von Sarow um Aufnahme. Der Klostervorsteher übertrug seine Erziehung einem erfahrenen Mönch, der ihn in Zucht nahm. Der "handfeste Gehorsam" bestand vor allem in harter Arbeit. Serafim arbeitete als Bäcker, Schreiner und Holzschnitzer. Es gibt keinen Müssiggang, weder im Kloster noch in der Einsiedelei. Beständige Arbeit ist das beste Mittel gegen Verdrossenheit, Lethargie und Depression. Gerade dadurch wird die "Akédia" (Mönchskrankheit) bezwungen; sie ist Trägheit und Schwermut in einem. Wer sie rechtzeitig besiegt, erschlafft nie im Gebet. Um diese schleichende Krankheit schon im Keim zu ersticken, wurden die Neulinge in die alte benediktinische Regel eingeweiht, die da lautet: "Ora et labora!" (Bete und arbeite!) Schon die alten Mönchsväter der Frühzeit lebten nach diesem Grundsatz. Nach uralter Tradition galt es, das Herzensgebet "Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich Sünder" zu sprechen. Unermüdlich muss es zu jeder Tageszeit wiederholt werden. Etliche Fachleute nannten es den "christlichen Yoga". Ganz und gar nicht zu Unrecht, denn die Anrufung muss mit Herzschlag und Atmung in Einklang gebracht werden. Dazu braucht es keine Körperverrenkungen. Die ständige Anrufung geht schlussendlich ins Unterbewusstsein über. Ein Novize wird durch diese jahrelange harte Schule zum Mönch. Der alte Mensch stirbt und der neue erwacht zum Leben. Deshalb bekommt er einen neuen Namen. Nach der Mönchsweihe zog sich Serafim für 15 Jahre in die Einsamkeit einer Waldhütte zurück.

Wir können uns heute eine totale Klausur kaum mehr vorstellen. Er lebte in ungeheizter Zelle, die nachts nur vom ewigen Licht erleuchtet wurde, das sich vor der Ikone der Mutter Gottes befand. Seine Nahrung war äusserst kärglich. Tag und Nacht verbrachte er im Gebet und Lesung der Schrift. Er erlebte Visionen, die ihm oft ein Grauen einflössten. Zum Trost durfte er aber auch himmlische Schauungen erfahren, die seine Seele erquickten. Auf diese Weise reifte er zum Staretz heran. Nun durfte er sich rückhaltlos den suchenden Menschen widmen, die in ihren Seelennöten zu ihm pilgerten. Jeder wurde mit der gleichen Güte aufgenommen. Für alle hatte er Zeit. Stets wurde der Ratsuchende mit den Worten "du meine Freude" empfangen. Er verkörperte die unnachahmliche Herzlichkeit des echten Russen.

In der Einöde wurde sein Geist so stark gefestigt, dass er nun ohne Gefahr in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele blicken konnte. Igor Smolitsch: "Viele erzählten, wenn sie von ihrem Gespräch mit dem Staretz berichteten, dass seine Worte in ihrer Seele einen völligen Umschwung hervorgerufen hätten, dass sie Herz und Verstand, die gewöhnlich im Streite lagen, miteinander versöhnt und ihr ganzes Leben überhaupt in ein neues Licht getaucht hätten." Wie schon erwähnt, hatten etliche Starzen die Sehergabe erlangt, doch wirkte sie eigentlich nur, wenn sich die Verstandeskräfte nicht einmischten. Serafim: "Was mich betrifft, so betrachte ich den ersten Gedanken, der in mir aufsteigt, als einen Fingerzeig Gottes. Ohne zu wissen, was mein Gegenüber in der Seele verbirgt, glaube ich lediglich, dass Gott mir eingibt, dies oder jenes zum Heil seiner Seele zu sagen. Es kommt aber auch vor, dass ich nach dem Anhören einer vertraulichen Eröffnung es versäume, auf den Willen Gottes zu achten, und allein nach meinem Verstand entscheide. In solchen Fällen täusche ich mich immer."

Erstaunliches wird über ihn erzählt. Eine Fürstin kam zu ihm, um seinen Segen zu empfangen. Sie hatte einen Bruder, der an einem Feldzug im Kaukasus teilnahm. Sein Schicksal war ungewiss. Der Staretz: "Du darfst nicht traurig sein, in jeder Familie gibt es Trauer!" Drei Monate später traf die Todesnachricht ein. Zur Zeit des politischen Aufstandes kam ein Kompaniechef zu ihm, um den Segen für seine Mannschaft entgegenzunehmen. Der Heilige erfüllte die Bitte und verkündete plötzlich, dass keiner von seinen Leuten sterben werde. Alle Soldaten machten sogar den Sturm auf Warschau mit, doch alle kehrten gesund in ihre Garnison zurück. Eine Frau erzählte eine Geschichte aus ihrer Kindheit. Sie war damals etwa zwölf Jahre alt. Aus grossem Mitleid gab sie einem armen Mann einen halben Rubel. Als sie in seine Zelle trat, sagte er ihr: "Das ist gut, Exzellenz, dass du dem Armen einen halben Rubel gabst." Ihre Mutter war damals über diese Worte sehr verwundert, besonders über die Anrede. Das Mädchen heiratete später einen General. Einmal brachte man einen Schwerkranken in seine Zelle. Er sagte zu ihm: "Du meine Freude, bete, und ich werde auch für dich beten, aber sieh zu, dass du still liegst und dich nicht umwendest." Die Neugierde des Besuchers war gross; er konnte seinem Verlangen nicht widerstehen. Als er sich umkehrte, bemerkte er, dass der Staretz in der Luft schwebte.

Zwei Schwestern kamen nach Sarow. Die eine brachte ein paar kleine Geschenke mit, die andere aber kam mit leeren Händen. Sie bat deshalb ihre Schwester, ihr etwas davon abzugeben. Serafim wusste alles, denn er ermahnte sie folgendermassen: "Wenn du mir später wieder einmal etwas bringen willst, dann bringe mir von deinem Eigenen." Als er die Verwirrung der Frau bemerkte, fuhr er fort: "Du hast doch auf deinem Gut viele Bienenstöcke, vielleicht lässt du mir aus dem Wachs eine Kerze machen und bringst sie mir dann als Gabe."

Vor seinem Tod, er wurde 72 Jahre alt, sprach er: "Wenn ich gestorben bin, kommt zu meinem kleinen Grab! Kommt nur, wenn ihr Zeit habt, und je öfter, desto besser. Alles, was euch auf der Seele lastet, wenn es euch nicht gut geht oder ihr etwas habt, das euch betrübt – kommt zu mir und bringt euren Kummer mit an mein kleines Grab. Fallt zur Erde nieder und erzählt mir alles wie einem Lebenden und ich werde euch hören, und dann wird euer Kummer schnell verflogen und ganz vorüber sein! Für euch lebe ich noch und werde ewiglich leben." Der ungläubige moderne Mensch mag über diese Abschiedsworte lächeln. Dem Gläubigen aber sind sie ein wahrer Trost. Die Erinnerung an diesen grossen Heiligen ist noch heute in der Untergrundkirche lebendig. Seine Gebeine wurden nach der Revolution in einen Kasten verpackt und nach Moskau geschafft, um dort im Gottlosenmuseum als Relikt eines überwundenen Aberglaubens ausgestellt zu werden.

VATER JOHANNES VON KRONSTADT

Johannes Sergiew – das ist sein ursprünglicher Name – wurde schon zu seinen Lebzeiten als der Staretz Russlands bezeichnet. Auch er stammt aus dem einfachen Volk wie andere Starzen, die ebenfalls im Land hohes Ansehen genossen. Sein Geburtsjahr ist 1829. Der Dorfpsalmist ist sein Vater. Überall herrscht Armut. Als Zehnjähriger besucht er die Volksschule, dann kommt er als Stipendiat an das theologische Seminar nach Archangelsk. An der Akademie zu St. Petersburg wird er als Priester ausgebildet. Das ist skizzenhaft sein äusserer Lebensgang.

Priester Johannes geht eigene Wege. Er verbindet seinen Schulungsweg mit dem Dienst am Nächsten. Aus Herzenserfahrung weiss er, dass Wissen ohne Liebe nichts taugt und dass Hochmut vor dem Fall kommt. In dieser Hinsicht beherzigt er die Lehre Pauli. Vater Johannes kennt die Not der Menschen aus seiner armen Kindheit. 25 Jahre lang betreut er neben seinem Kirchendienst die Ausgestossenen und Beladenen. Arbeiterheime und Ausbildungsstätten werden ins Leben gerufen. Witwen und Waisen finden in Häusern Aufnahme. Schulen werden errichtet. Synode, Behörden und Einsichtige horchen auf. Alle fühlen instinktiv, dass sie es hier mit einem Begnadeten zu tun haben, der selbstlos hilft.

Seine Werke geschehen ohne jeden Hintergedanken auf himmlische Belohnung. Wo nimmt Vater Johannes die Mittel dazu? Tausende von Reichen schicken grosse Gaben. Täglich bringt die Post durchschnittlich zweihundert Geldsummen. Millionenbeträge gehen durch seine Hände. Immer weiss er, wo sie am nötigsten sind. Er selbst lebt in fast ärmlichen, ja primitiven Verhältnissen. Seine Gesundheit ist ihm Gottesgabe. Als Dank arbeitet er dafür bis zu zwanzig Stunden am Tag. Vater Johannes versucht ständig ein "Leben in Gott" zu führen. Sein Tagebuch verrät, wie schwer sein innerer Kampf ist. Er kennt die schrecklichen Mächte der Finsternis, die ihm oft arg zusetzen. Hart ringt er um seine Läuterung. Nur zu gut kennt er die niedere Natur, die in jedem Menschen steckt. Das Herzensgebet ist ihm dabei die beste Hilfe.

Durch seine Bemühungen erlangt er schliesslich Gnadengaben, die er nun am Dienst zum Nächsten verteilt. Mittels seiner Gebete werden Kranke gesund. In die Ferne wirken sie mit gleicher Kraft. Die Betrübten und Bekümmerten erlangen neuen Lebensmut. Trinker werden gerettet, Irre wieder normal. Von diesem Gottesmann gehen Kräfte aus, denen sich keiner entziehen kann. Täglich erreichen ihn Telegramme von überall her. Sein Briefwechsel ist kaum übersehbar. Keine Bitte schlägt er ab. Wo er aber genarrt wird, kann er streng sein. Viele bereuten ihr Spiel mit ihm. Das Verzeihenkönnen war aber seine Stärke. Nur zu gut wusste er, wie stark und unheimlich die Widersacherkräfte am Werk sind. Einmal kam eine stattliche Dame zu ihm, um einen grossen Geldbetrag als Geschenk zu hinterlegen. Anstatt sich überschwänglich für diese Gabe zu bedanken, betrachtete er sie vorwurfsvoll. Er wollte unbedingt wissen, wie diese Summe erworben wurde. Es war Geld für Dirnendienste. Um ein völlig reines Leben zu führen, bat er seine junge Frau, ihm nur als Schwester anzugehören. Erst nach langem Zögern war sie dazu bereit, ja sie dachte zuerst an Scheidung. Später wurde sie seine engste Vertraute und innigste Mitarbeiterin. Dem heiligen Mann wurden auch die Augen für die uns unsichtbare Welt geöffnet.

Eines Tages begegnete er mit der Äbtissin Thaissia einem Trauerzug. Vater Johannes erblasst und spricht: "Furchtbar ist der Tod der Säufer". Er erblickte nämlich Teufel, die über das Verderben der Trinkerseele frohlockten. (Und bei uns liest man oft auf Grabsteinen die Worte "Ewige Ruhe".) Johannes genoss das Vertrauen des Zaren. Er erkannte die von Gott eingesetzte Obrigkeit, sah aber auch ihre Mängel. Im Gegensatz zu den Mönchen, aus denen normalerweise die Starzen hervorgingen, wirkte er inmitten des Volkes, das ihn ständig umringte.

Er lebte wirklich das Ideal eines Hohepriesters. Seine Kraft schöpfte er aus der täglichen Messe und wenn er predigte, boten die Kirchen nie Platz für alle. Ohne das Herzensgebet, berichtet er, hätte er nie die ihm von Gott gestellten Aufgaben lösen können. Er wurde der Prophet-Charismatiker Russlands. Vater Johannes war der grosse Beter dieses Landes und Gott erhörte ihn. Eine Pressestimme zu seinem Heimgang: "Sein Wort sollte den Menschen verbleiben und das zerstreute, erschütterte Russenvolk zu der einzigen Rettung, zu einem Leben in Christus führen."

RASPUTIN, DER "TEUFELSMÖNCH"

Wer sich im Westen mit der Starzenkunde befasste, die übrigens heute noch fast unerforscht ist, stiess auf den Namen Rasputin. Er war weder Staretz noch Mönch. Zudem stand er der Sekte der Chlysti nahe, deren Riten und Handlungen grosses Ärgernis hervorrief. Rasputin lehrte, dass der Mensch sündigen müsse, um dessentwillen er Reue bekunden und Busse tun könne. Seine Anhängerschaft nahm ständig zu. Stets war er von Mädchen und Frauen umringt, die seinem hypnotischen Blick überall folgten. Die Heilige Synode konnte nicht umhin, sich mit diesem sibirischen Bauern zu befassen. Er soll Wunder vollbracht und Kranke durch Gebet geheilt haben. Sicher war vieles übertrieben, doch er besass übernatürliche Kräfte. Zu seinen Gunsten muss gesagt werden, dass er nie Geld für diese Handlungen forderte, denn auch er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und wusste um die Nöte der Ärmsten. Viele Priester priesen ihn als einen Heiligen, doch später wurden etliche seine erbittertsten Feinde. Der Mönchspriester Iliodor versuchte sogar, ihn umbringen zu lassen. Durch geschickte Beziehungen fand Rasputin Einlass am Zarenhof. Dort wimmelte es nur so von Wahrsagern, Zeichendeutern und Geistersehern, denn das Kaiserpaar war dem Spiritismus und allem Okkulten sehr zugetan. Mit dem Auftreten des französischen Traumaturgen "Maitre Philippe" begann die Kette jener seltsamen Seancen, wo Staatsaktionen mit Zauberformeln kombiniert wurden.

Serafim verkündete ein Jahrhundert vorher, dass dem Zaren, der am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts regiere, Schreckliches widerfahren würde. Er sah das kommende Unheil voraus. Der Zar, der zum Aberglauben neigte, lebte ständig in grosser Angst. Man muss seine Biographie kennen, bevor ein vernichtendes Urteil gesprochen werden kann. Seine Furcht vor Bedrohungen wurde noch dadurch bestärkt, dass er am Tage des grossen Dulders Hiob zur Welt kam. Nomen ist bekanntlich Omen. Rasputin hatte die seltene Gabe, das Blut sowohl aus der Nähe als auch aus der Ferne zu stillen. So rettete er das Leben des jungen Zarewitsch. Die Ärzte standen damals der Bluterkrankheit ziemlich hilflos gegenüber. Aus grossem Dank für diese edle Tat gewann er immer mehr Einfluss am Zarenhof. Von vielen Fürsten und Grossfürsten wurde er beneidet. Auch von Politikern und Militärs. Der Ring schloss sich, zum grossen Entsetzen des Kaiserpaares. Ihr Günstling und Vertrauter wurde im Jahre 1916 durch Fürst Jussupoff ermordet. Sein Ende war grauenhaft.


OSTERN

AUFERSTEHUNG, Siegesruf,
jährlich neue Hoffnung schuf.
Wahrheit, hell wie Osterlicht,
unterliegt der Lüge nicht.

Seid Gefährten, unverzagt,
bald ein neuer Morgen tagt.
Gläubig wird auch unser Herz
siegen über Leid und Schmerz.

Horcht, wie es im Innern singt,
wenn verheissungsvoll erklingt
Glockenklang nach Ost und West:
OSTERN, Auferstehungsfest!

(Gefangenschaftsgedicht von R. Passian)


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"