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Grenzwissenschaften
Artikel von Walter Vogt (CH-Zürich), erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 1/2005, S. 19-23.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Der berühmte Indische Seiltrick

von Walter Vogt, CH-Zürich

Was geschieht?? – Ein Fakir erscheint auf dem Dorfplatz und macht die Bewohner mit einem geheimnisvollen Lächeln auf eine absolute Sensation aufmerksam; sie vernehmen, dass er ihnen ein einzigartiges Wunder vorführen werde. Dieser eigenartige Mann ist von einem Knaben begleitet. Vor der eigentlichen Schau unterhält er die Neugierigen mit Taschenspielertricks, die er mit den dazugehörigen Zaubersprüchen umrahmt. Nun ist die Neugierde erwacht; die Schau kann beginnen. Unter einem geheimnisvollen Gemurmel öffnet er nun einen mitgebrachten Sack, dem er ein dickes Seil entnimmt. Mit unverständlichen Worten und entsprechenden Gesten wirft er es in die Luft, wo es starr stehen bleibt. Dies ist aber erst der Anfang, denn zum Erstaunen aller verlängert sich das Seil bis in die Wolken hinein.

Auf Befehl des Meisters klettert nun der Knabe daran empor, bis er nicht mehr wahrgenommen werden kann. Seine Stimme jedoch ist in der luftigen Höhe deutlich zu vernehmen; er scheint sich dort oben wohl zu fühlen. Sein Meister fordert ihn nun ganz energisch auf, am Seil herunter zu klettern. Seinem Befehl wird jedoch nicht Folge geleistet. Voller Wut und mit einem Messer zwischen den Zähnen klettert er dem Jungen nach. Auch er ist plötzlich nicht mehr sichtbar, aber kurz darauf hören die Gaffer einen furchtbaren Schrei. Was ist passiert? Der Fakir hat die Unfolgsamkeit des Jungen gnadenlos bestraft. Aus der Luft fliegen blutige Gliedmassen auf die Erde, und zwar in folgender Reihenfolge: Arme, Beine, Rumpf und zuletzt das Haupt, das grauenhafte Züge aufweist. Die Zuschauer sind entsetzt und können die Härte des Zauberers einfach nicht verstehen. Nun klettert auch er am Seil herunter, sammelt die Gliedmassen in seinen Korb und deckt sie mit einem Tuch zu. Dazu werden wieder einige Zaubersprüche gemurmelt. Eine fast atemlose Stille herrscht. Alle sind entsetzt. Nach ein paar Minuten gibt der Meister dem Korb einen nicht gerade sanften Tritt und der Knabe steht plötzlich putzmunter und völlig unversehrt da. Ganz graziös verbeugt er sich vor den noch völlig benommenen Zuschauern. Die Schau ist vorbei.

Erklärungsversuche

Der "Hans-Dampf-in-allen-Gassen" und abenteuerlustige Felix Graf von Luckner (1881-1966) begleitete als Gehilfe eine Fakirgesellschaft auf einer Tournee in Australien. Er berichtet: "Meine Herren kletterten ausserdem an Tauen in die Luft. Das Tau hatten sie in der Hand und warfen es hoch. Dort blieb es in der Luft stehen, trotzdem kein Balken oder ähnliches da war." Mit allen Listen versuchte er, sich die Fähigkeiten der Gaukler anzueignen, doch seine Bemühungen waren umsonst. Aus begreiflichen Gründen hielten sie ihre Wissenschaft streng geheim. Die alten Meister dieser Kunst, gewohnt, von der Menge angestaunt und als sozusagen übernatürliche Wesen verehrt zu werden, verhalten sich auch ihren Angestellten gegenüber völlig unnahbar.

Massensuggestion

Der Engländer John Carlson brachte im Jahre 1946 etwas Licht in das Dunkel des Seiltricks. Er war Augenzeuge. Es geschahen Dinge, die mit dem kühlen Verstand einfach nicht zu erklären waren. Auch er verfiel offenbar der Hypnose, jedoch nicht der Massensuggestion. Dieser Mann lebte viele Jahre in Indien; er betrieb eifrig Sprachstudien, was ja [damals] für einen Briten höchst selten zutraf. Hindi, die Amtssprache, war ihm geläufig. Einmal sah er, wie ein Fakir seinem Helfer, einem Kind, verschiedene Körperteile abschnitt und sie einem plötzlich vorhandenen Hund zum Frasse vorwarf. Sein englischer Landsmann sah aber nichts. Wie erklärt sich dieser Vorgang? Der Sprachenkundige war also der suggestiven Massenhypnose nicht verfallen. Während der ganzen Vorstellung bemerkte er, wie das Kind friedlich auf dem Boden hockte.

Hierzu ein paar Erklärungen des Theologen Gerhard Bergmann, der oft in Indien weilte. "Die Zuschauer waren unterschiedlich in ihrer geistigen und rassischen Zusammensetzung. Trotzdem ereignete sich diese Massenhypnose mit ihrer halluzinatorischen Schau. Sie ereignete sich ohne den hypnotischen Schlaf, wie er sonst in der Regel vorliegt. Wieder stehen wir vor den Geheimnissen und Tiefen der menschlichen Geistseele. Materialistische und rationalistische Wirklichkeitsverkürzungen werden ihr wahrhaftig nicht gerecht."

Ein wichtiger Hinweis

Langjährige Missionare berichten, dass Massensuggestionen gestört, ja verhindert werden, wenn sich ein intensiver Gebetskreis bildet. (Auch magische Krankheitsbesprecher können Gebete nicht ertragen, denn ihre Kräfte werden [dadurch] blockiert.)

Nachforschungen

Bereits um 890 n.Chr. bezeichnete Shankara den Seiltrick als Illusion. Die grosse Theosophin Madame Helena Petrowna Blavatsky pflichtet ihm bei.

Mittelalterliche Gelehrte hielten den Seiltrick für ein Lügengespinst. In der viktorianischen Zeit versuchte man ihn mit der neuen Wissenschaft der Hypnose zu erklären. Laien und Wissenschaftler führten heftige Diskussionen. Im Laufe der Zeit wurden ganze Expeditionen ausgerüstet, welche in vielen Fällen ganz Indien erfolglos durchstreiften; sie bekamen ihn nie zu Gesicht. Natürlich wurden viele Aufnahmen gemacht. Als man die Bilder entwickelte, zeigten sie lediglich einen Hindu, in weiter Hose, der von einer offenbar hypnotisierten Menge umgeben war. Es liess sich keine Spur von einem aufgerichteten Seil, geschweige denn von einem auf die Spitze kletternden Jungen entdecken. – Die Königin Viktoria von England bot dem, der ihr das Geheimnis offenbarte, eine Summe von 2.000 Pfund.

Die damaligen Zauberkünstler Maskelyne und Dante erhöhten die Belohnung auf 5.000, ja sogar auf 10.000 Pfund. Aber bis zum heutigen Tag soll sich das Geld noch keiner verdient haben. Im Jahre 1902 besuchte der damalige Prince of Wales Indien. Die um seine Unterhaltung besorgten Maharadschas gaben sich die grösste Mühe, einen Fakir zu solchen Darbietungen aufzutreiben. Trotz einer Belohnung von 10.000 Pfund meldete sich keiner.

Ein "natürlicher" Erklärungsversuch

Es wird vermutet, dass das Geheimnis im Seil selbst liegt. Sind es Gelenke aus Metall oder Knochen, die den Strang steif halten? Ist der Boy ein gewiegter Balancekünstler, der das Publikum zu täuschen vermag? Aus welchen Gründen wohl ist der "Meister" stets von Sekundanten umringt? Sie dienen einfach der Ablenkung. Aus verständlichen Gründen wird die Schau zwischen der Abenddämmerung und der Nacht durchgeführt. Die Gaffer sitzen im Kreis von Laternen, die ein geisterhaftes Licht verbreiten; sie bemerken aber nicht, dass ein Seil in die Luft geschleudert wurde. Mit grosser Präzision wird es an einen unsichtbaren Draht gehängt. Durch einen versteckten Komplizen wird ein weiterer Draht über den Haltedraht geworfen. Das Seil hat nun den nötigen Halt. Um das Publikum abzulenken, murmelt der Meister Zaubersprüche oder unterhält es mit abenteuerlichen Geschichten und natürlich auch mit banalen Tricks, die jedoch immer wieder bestaunt werden. Somit ist eine Zauberatmosphäre geschaffen. Inzwischen ist es Nacht geworden. Der Fakir gibt nun dem Knaben den Befehl, am Strang hochzuklettern. Mit Leichtigkeit windet er sich daran hoch und verschwindet aus dem Blickfeld der Zuschauer. Als dieser auf den Ruf seines Meisters nicht unverzüglich herunterkommt, klettert ihm dieser wutschnaubend nach. Zwischen seinen Zähnen blitzt ein grosses Messer. Plötzlich sieht das entsetzte Publikum, wie die Glieder des Jungen nach und nach auf den Boden fallen. Der Fakir gleitet am Seil herunter. Jammernd sammeln seine Gehilfen die Überreste des Knaben. Effektiv handelt es sich aber um die Glieder eines Tieres, und der Junge ist, in die Gewänder des Fakirs geschnallt, mit ihm herabgekommen. Einige Zauberworte und der kleine Helfer steht völlig heil wieder da. Balancekunst und Hypnose.

Ganz unbestritten sind die Fakire Meister der Massensuggestion. Auf keinen Fall wird sich ein echter Yogi auf diese Ebene begeben. Es ist auch unter seine Würde, Kunststücke gegen Geld vorzuführen.

(Zwischen den beiden Weltkriegen reiste der berühmte deutsche Hypnotiseur SABRENNO von Stadt zu Stadt. Er war in der Lage, den Seiltrick bei höchst sensiblen und fast medial begabten Personen auf der Bühne vorzuführen.)

Wie verhält sich die Regierung zu den Gauklern und Fakiren? Ihr Urteil ist vernichtend, ja sie werden geradezu als Parasiten der Gesellschaft eingestuft, weil sie keine "nützliche Arbeit" leisten. Man schätzt die Zahl dieser Schmarotzer auf sechs Millionen. Wie werden die Sadhus eingestuft? Der verehrte Regierungschef Pandit Nehru forderte in der Hauptversammlung des neugegründeten Allindischen Sadhu-Bundes, dass sämtliche Mitglieder den Fortschritt in den Dörfern zu verkünden haben.

Auf ihren Wanderungen sollen sie von der neuen Zeit berichten; selbst von besseren Anbaumethoden soll die Rede sein. Jenseitssuchende dürfen den technischen Fortschritt nicht hemmen. Der grösste Sadhu, der aus diesem geheimnisvollen Land kam, war zweifelsohne SUNDAR SINGH, ein Apostel des Ostens und des Westens.

Ich war zweimal in Indien. Niemand konnte mir etwas Konkretes über den Seiltrick berichten. Offenbar wird er heute nicht mehr vorgeführt. In den vorigen Jahrhunderten war er die absolute Sensation Indiens.


Fussnoten

Gaukler:
Veraltete Bezeichnung für Taschenspieler, Zauberkünstler, Jahrmarktschreier usw.

Fakir:
Arabisch faqir = arm. Damit sind islamische Asketen gemeint (Derwische), die eine Verinnerlichung des religiösen Lebens anstreben. Fakire heissen aber auch die indischen Asketen und Bettler, die sich der Selbstkasteiung hingeben; sie beherrschen die Kunst der Selbst- und Massensuggestion.

Sadhu:
Weiser und umherziehender Asket im Hinduismus.

Yoga:
Sanskr. = Anspannung. Es handelt sich um Konzentrationsübungen, die durch geistige Beherrschung des Körpers verborgene Kräfte freimachen und die Erlösung des Yogi vorbereiten bzw. herbeiführen will.

Indischer Seiltrick
Indischer Seiltrick


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"