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Religion - Christentum - Wunder
Artikel von Walter Vogt (CH-Zürich), erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 1/2005, S. 31-33.

Das Wandeln Christi auf dem Wasser

von Walter Vogt, CH-Zürich

"Das Wunder geschieht nicht im Widerspruch zur Natur,
sondern im Widerspruch zu dem,
was uns von der Natur bekannt ist."
Augustinus

"Wer nicht an Wunder glaubt,
ist kein Realist."
Ben Gurion

Die Evangelisten Matthäus und Johannes berichten über diese seltsame Begebenheit. Unverbildete und ganz fromme Seelen sahen in ihr stets ein echtes Wunder. Diese Anschauung blieb zum Teil noch bis ins Mittelalter lebendig. Dafür sorgte auch der Klerus mit seiner Macht, doch das Wehen des neuen Zeitalters begann sich durchzusetzen. Die an sich zum Teil nötige Aufklärung war zuerst antikirchlich, dann antichristlich und schliesslich antireligiös. Selbst namhafte Persönlichkeiten der protestantischen Theologie gerieten in diesen Sog. Etliche sahen im Wandeln auf dem Wasser lediglich ein symbolhaftes Geschehen, andere wiederum deuteten es als eine fromme Legende. Im 18. Jahrhundert war man vielfach der Überzeugung, dass Jesus auf einem den Jüngern unsichtbaren schwimmenden Balken gestanden hätte. Ich denke jetzt an den berühmten protestantischen Theologen David Friedrich Strauss, der mit seinem Werk "Das Leben Jesu" die Gläubigen enorm verunsicherte. Die unheilvolle moderne und skeptische Bibelkritik nahm ihren Anfang. Die Wissenschaftler wollten auch nicht zurückstehen; sie bemühten sich, alle sogenannten Wunder auf natürliche Weise zu erklären.

Dr. Rudolf Steiner äusserst sich in seiner Schrift "Das Christentum als mystische Tatsache" wie folgt: "Und die Wunder: Sie bieten der mystischen Erklärung nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie sollen die physische Gesetzmässigkeit der Welt durchbrechen. Das tun sie nur so lange, als man sie für Vorgänge hält, die sich im Physischen, im Vergänglichen so zugetragen haben sollen, dass sie die gewöhnliche Sinneswahrnehmung hätte ohne weiteres durchschauen können. Sind sie aber Erlebnisse, die nur auf einer höheren, auf der geistigen Daseinsstufe durchschaut werden können, dann ist es von ihnen selbstverständlich, dass sie nicht aus den Gesetzen der physischen Naturordnung begriffen werden können."

Lic. E. Bock ("Christengemeinschaft") gibt greifbare Erklärungen in seinen "Betrachtungen". Er unterscheidet drei Gedankengänge:

a) Imagination - Es ist das Bilderleben.
  Die Jünger erblicken eine Gestalt.
b) Inspiration - Das Hörerleben beruhigt sie.
  Christus spricht zu ihnen.*
c) Intuition - Das Wesenhafte tut sich kund.
  Der Meister steigt in ihr Boot.

Es handelt sich demzufolge um eine Dreistufenfolge, wie sie auch in andern Evangelienpartien auftritt. Die Zeitangabe spielt gerade hier eine wichtige Rolle. Das Jüngererlebnis findet zwischen der Abend- und Morgendämmerung statt. Bekanntlich löst sich das seelisch-geistige Gefüge des Menschen im Schlaf aus seinem physischen Körper. Es vollzieht sich also ein Schwellenübergang, der uns beim Erwachen nicht mehr gegenwärtig ist. Die Jünger erhielten somit im leibbefreiten Zustand Belehrungen, die sie wohl im Wachzustand kaum begriffen hätten.

Dr. Pinchas Lapide, der jüdische Religionswissenschaftler, ist überzeugt, dass Jesu Seewandeln für die Jünger nichts anderes als eine optische Täuschung war. Später wurde sie nach der Übersetzung ins Griechische durch ein sprachliches Missverständnis zum Wunder verherrlicht. Er bezieht sich auch auf das griechische Altertum, in welchem ja oft die Rede von Göttersöhnen ist, die in der Lage waren, auf dem Wasser zu schreiten. Lukian von Samosata weiss von einem Fabelvolk im hohen Norden zu berichten, das auf dem Wasser gehen konnte.

Einst kam ein Yogi zu Buddha. Er berichtete dem Erhabenen, dass es ihm nach 25jähriger Kasteiung gelungen sei, trockenen Fusses einen Fluss zu überschreiten. Dieser grosse Büsser glaubte wohl insgeheim von seinem grossen Meister ein Lob einheimsen zu können. Dieser sagte ihm aber, dass er seine kostbare Zeit vergeudet habe. Ein Fährmann hätte ihn für ein geringes Entgelt ans andere Ufer rudern können.

Von einigen christlichen Heiligen wird berichtet, dass sie mit einer solchen "Gabe" begnadet waren.

Aus dem alten heiligen Russland erzählt Leo Tolstoi eine kleine Geschichte, die den Namen "Die drei Greise" trägt. Sie waren völlig ungebildet, liefen aber über das Wasser, um den hohen Würdenträger der orthodoxen Kirche um Wiederholung des Gebetes zu bitten. In ihrer Einfalt hatten sie es vergessen.

Das Wassertreten ist im katholischen Münsterland gar nichts Aussergewöhnliches. Irgendwie hängt es mit der "Spökenkiekerei" zusammen. Die Gabe des Wasserlaufens besass u.a. die weltbekannte westfälische Dichterin Anette von Droste-Hülshoff.

Was ein starker Glaube vermag

Rudolf Passian erwähnt in seinem Werk "Neues Licht auf alte Wunder" eine recht kuriose Begebenheit, die sich 1908 im damaligen österreichischen Kriegshafen Pola ereignete. Eine Witwe übergab ihr Kleinkind einer befreundeten Frau zur Obhut, welche sich bereits auf dem Schiff befand. Als die Mutter wieder am Kai erschien, schwamm der Tender schon etliche Meter vom Ufer entfernt. Ohne auf die Warnungen und Schreie der Umstehenden zu achten, stieg sie zum Meer hinab und begann auf dem Wasser dem Schiff entgegen zu schreiten. Ihr Kopf war zum Himmel gerichtet und sie wirkte wie eine Verklärte. Auf ihr Wagnis befragt, erwiderte sie: "Der himmlische Vater wird doch so einem kleinen Erdenwurm nicht die Mutter entziehen, und mit diesem festen Glauben stieg ich auf das Wasser." An diesem Beispiel bewahrheitet sich die grosse Macht des Glaubens. Was glaubensstarke Menschen auf dieser Ebene vermögen, vollzog Christus in der Welt des Geistes.


* Ein alter Reiteroffizier berichtet: "Auch bei den Tieren ist es so. Wenn z.B. ein Pferd einen Menschen sieht, scheucht es leicht ängstlich hoch; hört es dann den Menschen sprechen, beruhigt es sich, weil es den Menschen erkennt. Und froh beruhigt wird es, wenn es dann die Hand fühlt, die es streichelt."


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"