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Grenzwissenschaften - Parapsychologie - Erfahrungsbericht
Erfahrungsbericht bearbeitet von Prof. Dr. rer. nat. Werner Schiebeler, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 2/2001, S. 53-58.

Spuk in einer höheren Lehranstalt in Braunschweig

Unter Spuk versteht man in der Parapsychologie Ereignisse, die eine gewisse Zeit (tagelang, wochenlang oder jahrzehntelang) mehr oder weniger regelmässig wiederkehren, sich physikalisch durch Geräusche, Gerüche, optische Eindrücke oder mechanische Bewegungen bemerkbar machen und sich nicht durch die herkömmliche Physik erklären lassen. Man spricht dann von paranormalen Erscheinungen, die entweder an eine bestimmte lebende irdische Person gebunden sind, also nur in ihrer Umgebung auftreten (sog. personengebundener Spuk), oder an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden sind (sog. ortsgebundener Spuk).
Bei dem ortsgebundenen Spuk treten als Verursacher jenseitige Wesenheiten, also verstorbenen Menschen, paranormal in Erscheinung, die sich irdischen Menschen gegenüber durch physikalische Vorgänge bemerkbar machen, um dadurch deren Aufmerksamkeit zu erregen. Es sind meist unglückliche Wesen, die durch schwerwiegende Erinnerungen oder irdische Verfehlungen noch an die Erde gebunden sind. Sie können von sich aus oft für lange Zeit nicht die Kraft aufbringen, sich dem Netz der geistigen Verstrickungen zu entwinden. Dadurch verbleiben sie in der Erdsphäre, versuchen Aufmerksamkeit zu erregen, um Hilfe zu erlangen und manchmal auch noch eine irdische Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Hin und wieder versuchen sie auch, Menschen dieser Erde zu helfen, manchmal aber auch, diesen diabolisch zu schaden.

Beispiel eines ortsgebundenen Spuks

Der folgende Bericht stammt aus der Mitte des 18ten Jahrhunderts. Bei der damaligen Begebenheit wurde ein Phantom, also die Gestalt eines Verstorbenen, von mehreren Personen wahrgenommen. Diese reagierten auf die Erscheinung ängstlich und unbedacht, beobachteten aber trotzdem die Gestalt recht genau und waren schliesslich auch bereit, deren Wunsch zu erfüllen. Es führte nämlich eine starke gefühlsmässige Bindung des Verstorbenen an sein früheres Erdenleben, eine geringfügige Schuld, diesen dazu, sich nochmals auf Erden sichtbar und bemerkbar zu machen. Allerdings war er nicht imstande zu sprechen und konnte daher sein Anliegen nur durch Gesten kundtun. Diese Begebenheit hat damals ungeheures Aufsehen erregt, zumal ein Naturwissenschaftler, ein Professor der Mathematik und Physik, die Vorgänge genau beobachtet und beschrieben hatte. Jedoch lebte man 1746 bereits in der Zeit der „Aufklärung“. Ihr führender Philosoph war Prof. Christian Wolff (Fn 1), der die philosophischen Richtungen des Rationalismus (Fn 2) und des Materialismus vertrat. Nach seiner Auffassung waren Materialisten Philosophen, die nur die Existenz von materiellen Dingen zugaben. Wolffs philosophische Lehrmeinungen wurden um 1750 an fast allen Lehrstühlen Deutschlands vertreten. In diese Entwicklung „aufgeklärter“ Geisteshaltung platzte nun ein Bericht hinein, der allen endlich überwunden geglaubten Gespenstergeschichten wieder Auftrieb geben musste. Daher unternahmen die Behörden und der zuständige Landesherr, Herzog Karl I. (Fn 3) von Braunschweig, alles, um den Bericht zu vertuschen, zu unterdrücken und als völlig unglaubwürdig hinzustellen. Schliesslich stand der gute Ruf einer neu gegründeten akademischen Einrichtung auf dem Spiel.
Es handelte sich dabei um das 1745 in der Stadt Braunschweig von Herzog Karl gegründete Collegium Carolinum, eine akademische Lehranstalt, die zwischen Gymnasium und Universität stand. An ihr wurden damals (3, S. 17) Theologie, Philosophie, Geschichte, Literaturgeschichte, Mathematik, Physik, Dicht- und Redekunst, alte und neue Sprachen, bürgerliches Recht, Zeichnen, Malerei, Musik, Fechten, Reiten, Drechseln und Glasschleifen gelehrt. Aus dem Collegium Carolinum ist über verschiedene Zwischenstufen die heutige Technische Universität Carolo-Wilhelmina in Braunschweig hervorgegangen. Die überwiegende Zahl der Studenten war zu damaliger Zeit internatsmässig in einem Kollegiengebäude untergebracht. Ihre Unterrichtung und Beaufsichtigung erfolgte durch Professoren und sogenannte Hofmeister. Letztere waren akademisch ausgebildete Lehrpersonen, meist Juristen oder Theologen, von denen verlangt wurde, dass sie auch in der grossen Welt keine Neulinge und wenigstens der französischen, wenn möglich auch der englischen Sprache, vollkommen mächtig sein sollten.

Eine Lehrperson stirbt und erscheint als Phantom

Einer der Hofmeister war Melchior Dörrien (Fn 4). Er starb schon nach elfmonatiger Dienstzeit am 8. Juli 1746 am Brustfieber (heutige Krankheitsbezeichnung vermutlich Lungenentzündung). Als er nachts dem Tode nahe war, liess er seinen Freund, den Hofmeister Höfer (Fn 5), der bereits im Bett lag, zu sich rufen, um mit ihm noch etwas Dringendes zu besprechen. Doch als Höfer an das Sterbebett kam, lag Dörrien bereits im Todeskampf und war nicht mehr ansprechbar. Die folgenden Begebenheiten werden weitgehend übereinstimmend in den Werken (1; 2; 4) geschildert und beruhen auf den Aussagen und Vernehmungsprotokollen der Augenzeugen. Der Bericht in dem Werk (1), dessen Titelblatt in Bild 1 wiedergegeben wird, bedient sich noch einer sehr altertümlichen Ausdrucksweise.

[ Bild 1 Titelblatt eines Spukberichtes ]

Es folgt daher der Bericht von Heinrich Zehfuss, der 1825 bereits eine etwas neuzeitlichere Sprache verwendet. Er schreibt (4, S. 91): „Nach einiger Zeit verbreitete sich das Gerücht, dass bald dieser, bald jener den Verstorbenen im Carolino gesehen hätte. Da aber die Nachrichten nur von jungen Leuten herrührten, so fanden sie wenig Glauben, vielmehr wurde alles für ein Resultat der durch die Furcht aufgeregten Einbildungskraft ausgegeben. Endlich ereignete sich im Monat Oktober 1746 ein Vorfall, der viele bewog, der Erscheinung einen ausgezeichneteren Wert beizulegen, anstatt dass man sie vorher als ganz unwahr verworfen hatte. Es erschien nämlich der verstorbene Dörrien dem Monsieur Höfer zu der Zeit, als er seiner Gewohnheit nach, nachts zwischen 11 und 12 Uhr, im Collegio herumging, um zu sehen, ob seine Untergebenen zu Bette und alles in gehöriger Ordnung sei.
Als er an des M. Lampadius Stube kam, sah er den Verstorbenen gleich daneben sitzen, in seinem gewöhnlichen Schlafrocke, einer weissen Nachtmütze, welche er unten mit der rechten Hand hielt, so dass man nur die Hälfte seines Gesichtes, nämlich den unteren Teil vom Kinn bis zu den Augen, doch mit grösster Deutlichkeit, sehen konnte. Dieser unerwartete Anblick versetzte zwar den M. Höfer in einigen Schrecken, allein überzeugt, dass er seinem Beruf nachgehe, fasste er sich bald wieder und ging in die Stube. Nachdem er alles in Richtigkeit gefunden hatte, schloss er die Stube hinter sich zu und bemerkte den vorher gesehenen Schatten noch unbeweglich in seiner vorigen Stellung. Er fasste den Mut, dass er auf ihn losging und ihm gerade ins Gesicht leuchtete. Jetzt überfiel ihn ein solches Entsetzen, dass er kaum die Hand wieder an sich zurückziehen konnte, welche ihm von Stund an so geschwollen war, dass er etliche Monate damit zubrachte.

Ein Professor der Mathematik schaltet sich ein

Den folgenden Tag erzählte er diese sonderbare Begebenheit Herrn Oeder, Professor der Mathematik (Fn 6), der aber diese Geschichte als ein Philosoph nicht glauben wollte, sondern sie für einen Betrug oder eine Täuschung der Einbildungskraft erklärte. Um aber genauer hinter die Sache zu kommen, erbot er sich, in der bevorstehenden Nacht selbst mitzugehen, weil er hoffte, den M. Höfer zu überzeugen, dass er entweder nichts gesehen oder sich von einem Gespenste mit Fleisch und Bein habe hintergehen lassen. Beide gingen daher zwischen 11 und 12 Uhr an den gedachten Ort.
Sobald sie an die Stube kamen, rief der Professor Oeder mit einer grossen Beteuerung: ‚Da ist Dörrien leibhaftig!'. Der M. Höfer ging stillschweigend in die Stube, und bei seiner Zurückkunft sass der Schatten noch immer in seiner gewöhnlichen Stellung wie des Tags vorher. Sie sahen ihn geraume Zeit genau an. Alles an ihm war deutlich, sogar konnten sie den schwarzen Bart genau unterscheiden. Allein es hatte keiner das Herz, ihn anzureden oder anzurühren, vielmehr gingen beide überzeugungsvoll weg, dass sie den vor einiger Zeit verstorbenen Hofmeister Dörrien gesehen hätten. Die Nachricht von dieser Begebenheit breitete sich immer mehr und mehr aus, und es begaben sich viele Personen an den bestimmten Ort, um sich von der Wahrheit der Sache durch eigene Erfahrung zu überzeugen. Allein ihre Mühe war fruchtlos.
Der Professor Oeder wünschte selbst, dieses Schattenbild noch einmal zu sehen, ging mehrmals allein hin, suchte es in allen Winkeln, mit dem festen Entschluss, dasselbe anzureden. Allein auch seine Bemühung wurde durch keinen seinen Wünschen entsprechenden Ausgang belohnt. Daher er auch seine Gedanken durch die Worte ausdrückte: Ich bin dem Geiste lang genug zu Gefallen gegangen; wenn er nun noch etwas haben will, so mag er zu mir kommen. Allein was geschah? Ungefähr nach 14 Tagen, da er an nichts weniger als ein Gespenst dachte, wurde er früh zwischen drei und vier Uhr plötzlich durch eine äussere Bewegung mit Gewalt aufgeweckt. Sobald er die Augen auftat, sah er, dass dem Bette gegenüber am Schranke, der nur zwei Schritte von ihm entfernt war, ein Schattenbild befindlich war, das sich in der Kleidung des Gespenstes darstellte. Er richtete sich auf und konnte nunmehr das ganze Gesicht deutlich sehen. Starr heftete er seine Augen nach diesem Bilde, bis es nach einer Zeit von acht Minuten unsichtbar wurde.
Den folgenden Morgen, um die gleiche Zeit, wurde er wiederum geweckt und sah die nämliche Erscheinung, nur mit dem Unterschied, dass die Türe am Schrank einiges Geräusch machte, nicht anders, als wenn sich jemand daran lehnte. Diesmal blieb auch der Geist länger stehen, so dass ihn der Professor Oeder mit den Worten anredete: ‚Gehe fort böser Geist, was hast du hier zu schaffen?' Auf diese Worte erfolgten von dem Schattenbilde allerhand fürchterliche Bewegungen. Es bewegte Kopf, Hände und Füsse so, dass auch der Professor Oeder angstvoll betete: Wer Gott vertraut usw. und Gott der Vater wohn' uns bei usw …
Hierauf verschwand der Geist. Acht Tage lang genoss der bisher vom Geist Beunruhigte nunmehr Frieden und Ruhe. Allein nach Verlauf dieser Zeit liess sich abermals früh um drei Uhr die Erscheinung sehen, nur mit dem Unterschied, dass sie vom Schrank her gerade auf ihn loskam und den Kopf über ihn herbeugte, so dass er ausser Fassung im Bette aufsprang und mit Heftigkeit auf das Gespenst losschlug. Es wich auch wirklich zurück an den Schrank. Kaum aber hatte er sich niedergesetzt, so schien der Geist noch einen Angriff wagen zu wollen, weil er sich dem Professor Oeder wiederum näherte. Hier bemerkte der letztere, dass das Gespenst eine kurze Tabakpfeife im Munde hatte, die er vorher, vielleicht aus Schrecken, nicht wahrgenommen hatte.

Der Geist wird nach seinen Wünschen gefragt

Dieses Betragen des Geistes und die überaus gelassene Miene, die mehr freundlich als mürrisch zu sein schien, verminderte seine Furcht und gab ihm den Mut, dass er den Geist folgendermassen anredete: ‚Haben Sie noch Schulden?' Er wusste schon im voraus, dass der Verstorbene einige Taler Schulden hinterlassen hatte, daher kam die Veranlassung dieser Frage. Bei dieser Frage wich das Gespenst einige Schritte zurück, richtete sich gerade in die Höhe, nicht anders als ob jemand etwas mit Aufmerksamkeit anhören wolle. Oeder wiederholte die Frage noch einmal, worauf der Geist mit der rechten Hand über den Mund hin und her fuhr. Der schwarze Bart, den der Professor Oeder deutlich sehen konnte, veranlasste ihn, die Frage zu tun: ‚Haben sie vielleicht noch den Barbier zu bezahlen?', worauf das Gespenst den Kopf mehrmals langsam schüttelte. Die weisse Tabakspfeife war der Veranlassungsgrund zu folgender neuen Frage: ‚Sind sie etwa noch Tabak schuldig?'. Hier wich es zurück und verschwand auf einmal.
Den Tag darauf berichtete der Professor Oeder diesen neuen Vorfall dem Hofrat Erath (Fn 7), der einer von den vier Kuratoren am Collegio Carolino war und die Schwester des Verstorbenen bei sich im Hause hatte. Dieser machte sogleich Anstalt, dass die Schuld bezahlt wurde. Diese so glücklich abgelaufene Unterredung mit dem Geist bewog den Herrn Professor Seidler (Fn 8) die nächstfolgende Nacht bei Oeder zu bleiben, weil man vermutete, der Geist würde wieder erscheinen, was auch geschah.
Früh nach fünf wachte Oeder plötzlich auf und fand seinen ungebetenen Gast nicht wie gewöhnlich an dem Schranke, sondern neben demselben an der weissen Wand. Er blieb in dieser Stellung jedoch nicht lange, sondern ging in der Kammer auf und ab, als wenn er begierig wäre zu wissen, wer ausserdem noch im Bett läge. Endlich näherte er sich dem Bette, worauf der Professor seinen Freund Seidler stiess und zu ihm sagte: ‚Sehen sie!'. Dieser ermunterte sich sogleich, sah aber weiter nichts als etwas Weisses, und den Augenblick darauf sagte Oeder: ‚Jetzt verschwindet er.' Sie sprachen eine geraume Zeit von dieser Begebenheit, und Oeder war unwillig, dass der Geist sich nicht länger aufgehalten hatte. Er fragte Seidler, ob er ihn nicht zitieren solle? Doch hierin wollte letzterer nicht einwilligen, und da der Professor Oeder weiter nichts sprach, glaubte Seidler, er wolle wieder einschlafen. Dies war er daher auch zu tun willens; allein jetzt fuhr Oeder auf einmal im Bette auf, schlug um und neben sich und rief mit einer fürchterlichen Stimme aus: ‚Du musst hier weg, du hast mich lange genug beunruhigt. Willst du noch etwas von mir haben, so sage es kurz oder gib es mir durch ein deutliches Zeichen zu verstehen, und komm nochmals wieder an diesen Ort.'
Seidler hörte dies alles mit an, allein er konnte nichts sehen. Als nun Oeder sich einigermassen beruhigt hatte, fragte Seidler nach der Ursache seines Auffahrens, wo er dann zur Antwort erhielt, dass der Geist zum zweiten Mal gekommen sei, als sie miteinander gesprochen hatten, sich erst vor das Bett gestellt, hernach sich demselben genähert und mit dem ganzen Leib darüber gelegt hätte.
Von dieser Nacht an behielt der Professor Oeder alle Nächte jemanden bei sich und brannte auch ein Nachtlicht, welches er vormals nie getan hatte. Dieses fruchtete nun so viel, dass er zwar nichts sah, aber doch fast alle Zeit, entweder nach drei oder nach fünf Uhr, mit einer ungewöhnlichen Empfindung oder vielmehr mit einem Kitzeln aufgeweckt wurde, welche Empfindung er vormals nie gehabt zu haben versicherte. Er beschrieb diese Empfindung als eine solche, die man zu haben pflegt, wenn man mit einem feinen Federwisch vom Kopf bis auf die Füsse gestrichen wird. Manchmal hörte er auch am Schrank einiges Geräusch oder ein Pochen an der Stubentür. Nach und nach unterblieb beides, so dass er glaubte, für die Zukunft seines Gastes entledigt zu sein. Daher schlief er auch wieder allein und liess kein Licht mehr brennen.
Zwei Nächte gingen auf solche Art ruhig vorüber, allein die dritte Nacht war das Gespenst um die gewöhnliche Zeit wieder da, obschon in einem merklichen Grad dunkler. Es hatte in der Hand ein neues Zeichen, mit dem es ungewöhnliche Bewegungen machte. Solches war einem Bilde ähnlich und hatte in der Mitte ein Loch, in welches der Geist zum öfteren die Hand steckte. Oeder war so beherzt, dass er sagte, er müsse sich deutlicher erklären, sonst könne er nicht erraten, was er haben wolle. Wenn ihm dies aber unmöglich sei, so möge er nähertreten. Auf beide Aufforderungen schüttelte das Gespenst den Kopf und verschwand.
Die gleichen Erscheinungen geschahen noch einigemal, sogar im Beisein eines anderen Hofmeisters am Carolino. Nach langem Nachsinnen und Forschen, was der Verstorbene wohl mit diesem Zeichen haben wolle, brachte man so viel heraus, dass er kurz vor seiner Krankheit etliche Bilder für eine magische Laterne (Fn 9) von einem Bilderhändler auf Probe genommen hatte, die aber noch nicht zurückgegeben worden waren. Man gab daher dem Eigentümer die Bilder zurück, und von der Zeit an blieb der Professor Oeder in Ruhe.“

Bericht an den Herzog Karl

Diese Ereignisse bildeten damals das Tagesgespräch am Collegium Carolinum und in Braunschweig, zumal Oeder auch den herzoglichen Hof, den evangelischen Probst und Professoren in Göttingen darüber unterrichtete. Die Studenten fürchteten sich tagsüber und des nachts und wollten nicht mehr alleine im Bett schlafen. Das hatte Vernehmungen des Professors Oeder und des Hofmeisters Höfer durch den Kammerregistrator Andreä und den Hof- und Kammerrat Zinke zur Folge. Letzterer bedrängte Oeder, die Angelegenheit möglichst geheim zu halten und seinen Hörern in der Vorlesung alle Gespensterfurcht (3, S. 139) zu nehmen. Sämtliche Hofmeister wurden angewiesen, den Studenten die ganze Angelegenheit als leere Einbildung oder Betrug vorzustellen und sie am Beisammensein und Zusammenschlafen zu hindern. Ein Student, der für seine nächtlichen Streiche bekannt war, wurde besonders überwacht, und dem Studenten, der die erste Meldung über das Erscheinen des verstorbenen Hofmeisters gemacht hatte, versuchte man das Ganze als Einbildung auszureden.
Am 9. Januar 1747 erstatteten drei Kuratoren des Carolinum dem Herzog Karl mit einem Memorial Bericht über die bisherigen Untersuchungen. Dieser fügte dem Schriftstück bei Rücksendung eigenhändig den Auftrag bei: „Es sei ferner möglichst dahin zu sehen, dass den Leuten die falsche Einbildung benommen und der Betrug, welcher ohne Zweifel dahinterstecke, entdeckt werde.“ Die darauf einsetzenden Verhöre und Einschüchterungsversuche wurden in den Akten festgehalten und in der „Geschichte des Collegii Carolini“ 1812 auszugsweise wiedergegeben (3). Prof. Oeder und die anderen Augenzeugen blieben jedoch bei ihren Aussagen, und ein studentischer Schabernack konnte nicht nachgewiesen werden. Amtlicherseits blieb man aber dabei, dass Betrug im Spiel gewesen sei (3, S. 144).

Das Urteil eines Theologen

Eine andere Leseart brachte der Theologe Prof. Harenberg (Fn 10) in Umlauf. Da er vermutlich Scheu davor hatte, gegen einen Hochschulkollegen offen Stellung zu beziehen, veröffentlichte er seine Schrift (2) 1748 unter dem Pseudonym „Adeisidaimone“. In ihr berichtet er zunächst neutral die Geschehnisse, fast wortgleich mit dem hier wiedergegebenen Bericht. In einem nachfolgenden Abschnitt mit dem Titel „Einige Erinnerungen und Bedenklichkeiten über die wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig“ bringt er dann seine eigene Beurteilung und Verurteilung. Er zweifelt ganz einfach die Zeugen Höfer, Oeder und Seidler an und unterstellt ihnen Leichtgläubigkeit und Einbildung. Er macht sich über die anfängliche Furcht von Prof. Oeder und dem Hofmeister Höfer lustig und schreibt dazu (2, S. 22):
„Hier treffen wir also zween Philosophen an, die da gestehen, dass sie kein Herz gehabt, oder, dass sie im Affect der Furcht und des Schreckens gestanden, folglich, dass ihr Gemüth in einem solchen Zustande gewesen, da man nicht vermögend ist, das Wahre von dem Falschen oder den Schein und Betrug von dem Wesen der Sachen recht zu unterscheiden. Und dennoch wollen sie mit völliger Gewissheit, den Verstorbenen sogar mit seinem schwarzen Barte gesehen zu haben, hinweggegangen seyn. Wer einmal erschrocken und in solche Furcht gesetzet ist, lässet es bey einer Erscheinung nicht bewenden. Seine Imagination wird alsdenn von Tage zu Tage immer fruchtbarer. So ist es Herrn Prof. Oedern ergangen, denn er fängt hierauf an, Privaterscheinungen in seiner Schlafkammer zu haben, und zwar allezeit frühe zwischen 3 und 6 Uhren.“
Harenberg beanstandet weiter, dass bei dem einen nächtlichen Ereignis mit Prof. Seidler zusammen nur Oeder das Gespenst gesehen haben will, nicht aber Seidler. Er schliesst daraus, dass Oeder krank gewesen sei und schreibt (2, S. 33): „Weis man nicht, dass in Fiebern auch bey offenen Augen den Kranken allerley Gestalten recht sichtbar zu seyn scheinen? Allein es heisst ferner, Herr Prof. Oeder sey nicht krank, sondern gesund gewesen. Kann nicht bisweilen ein Vorbothe einer Krankheit schon im Blute stecken, ehe sie noch völlig ausbricht? Kann nicht auch Schrecken, Furcht und eine starke Phantasie eine Art von Krankheit im Gemüthe wirken?“
So einfach ist also die Erklärung. Harenberg, der offensichtlich schon stark von der Aufklärung ergriffen ist, sorgt sich weiterhin sehr um den Ruf des neuen Collegiums, wie es auch der Herzog und die Hochschulleitung taten und schreibt: „Es wäre schade, wenn eine so schöne Stiftung durch solche herumschleichenden Gespensterhistorien, die sich auch ohne den Druck sattsam ausbreiten, in übeln Ruf kommen sollte. Von alten Klöstern, die voll finstrer Winkel sind und ehemals zu vielen Werken der Finsternis gedienet haben, ist man solche Erzählungen wohl gewohnt; aber von einem neuen Gebäude solche Geschichte in die Welt zu bringen, das ist für alle Urheber solcher Nachrichten unverantwortlich. Die öffentliche Bekanntmachung aber, einzig und allein, kann eine genaue obrigkeitliche Untersuchung veranlassen und dem vortrefflichen Carolino seine gekränkte Ehre wieder herstellen. Denn sobald der Betrug ans Licht kömmt, und wo möglich, bestraft wird, so ist die Sache gehoben. Die Gespenster werden sodann dieser löblichen Anstalt nichts mehr schaden; und selbst dem Muthwillen wird auf eine gute Weile die Lust vergehen, solchen Possen ferner zu spielen.“

Eine amtliche Untersuchung erbrachte keinen Schuldigen

Eine obrigkeitliche Untersuchung erfolgte zwar, jedoch wurden keine Schuldigen gefunden und konnten daher auch nicht bestraft werden. Aber wie durfte man hoffen, Schuldige zu finden, wenn es sich doch nur um Fieber- und Schreckphantasien von Prof. Oeder handelte?
Die ganze Angelegenheit schlief schliesslich dadurch ein, dass der verstorbene Hofmeister Dörrien nach Erfüllung seiner Wünsche nicht mehr erschien. Es wuchs also Gras über die Geschichte. Doch lassen die damaligen Berichte erkennen, wie hilflos man dem Geschehen gegenüberstand. Das betrifft sowohl die Zeugen, die mit ihren Sinnen etwas Seltsames wahrnahmen und darauf furchtsam reagierten, weil es für sie völlig ungewöhnlich war.
Es betrifft aber auch die Behörde, die unter dem Zwang stand, etwas wegerklären zu müssen, was auf keinen Fall wahr sein durfte. Parapsychologische Vorkenntnisse hatte ja niemand. So konnte auch keiner wissen, dass bei nachlassender Erscheinungsfähigkeit des Verstorbenen es keineswegs unglaubwürdig oder aussergewöhnlich ist, wenn nur Prof. Oeder die Gestalt „sah“, nicht aber sein neben ihm liegender Freund Seidler. Oeder hat sie nur noch „hellsichtig“ oder paranormal wahrgenommen, Seidler aber nicht, weil bei ihm diese Fähigkeit nicht genügend angelegt war.
Nach den vorliegenden ausführlichen Berichten ist es völlig ausgeschlossen, dass alles nur auf vorsätzlicher Täuschung von Spassvögeln beruht haben könnte. Durch alle Zeiten hindurch haben sich ähnliche Vorgänge in Schlössern, Klöstern, Internaten, Kasernen und Krankenhäusern in vergleichbarer Weise ereignet. Sie sind Indizien dafür, dass es sich um wirkliche Naturvorgänge mit einer jenseitigen Ursache handelte, dass also verstorbene Menschen die eigentlichen Urheber sind.

Werner Schiebeler


Fussnoten

(1) Christian Freiherr v. Wolff, 1679-1754, Prof. für Philosophie in Halle und Marburg
(2) Rationalismus = philosophische Denkrichtung, die sagt, dass Erkenntnis auf folgerichtigem Denken, Verstand und Vernunft beruht
(3) Regierungszeit von 1735-1780
(4) Melchior Carl Dörrien, geb. 2.5.1721, gest. 8.7.1746, Studium der Rechte in Göttingen, danach Sachwalter in Hildesheim, ab August 1745 Hofmeister in Braunschweig
(5) Johann Gottfried Höfer, 1719-1796, Studium der Theologie, 1746 Hofmeister am Carolinum, später Oberaufseher der herzoglichen Museen und zuletzt Kanonikus und Dechant des Cyriakstiftes
(6) Johann Ludewig Oeder, 1722-1776, Studium der Philosophie, Mathematik und Physik in Göttingen, 1745-1765 ordentl. Prof. für Mathematik und Physik am Collegium Carolinum, ab 1765 herzoglicher Kammerrath
(7) Anton Ulrich v. Erath, 1709-1773, fürstlich Quedlinburgischer Hofrat, einer der ersten Kuratoren des Collegium Carolinum, später Nassauischer Justiz- und Regierungsrat
(8) Johann Wilhelm Seidler, geb. 1718, 1747 a. o. Prof. und ab 1749 ordentlicher Professor für Philosophie und lateinische Schriftsteller am Carolinum, nach 1760 Oberkonsistorialrat in Weimar
(9) Gemeint ist eine sogenannte „Laterna Magika“, ein einfaches optisches Bildwerfergerät, ein Vorläufer der heutigen Dia-Projektoren
(10) Johann Christoph Harenberg, 1696-1774, Studium der Theologie, ab 1720 Pfarrer im Herzogtum Braunschweig, 1735-1756 Generalschulinspektor im Herzogtum Wolfenbüttel, 1745 Probst des Klosters St. Lorenz bei Schöningen und zugleich ordentl. Professor am Collegium Carolinum



Literaturangaben

(1) O. Verf.: „Sammlung einiger Nachrichten von dem gegen Ende des 1746 Jahres auf dem Braunschweigischen Carolino vielmals erschienenen Gespenste eines daselbst verstorbenen Hofmeisters“, Bauchische Buchdruckerey, Leipzig o.J. (etwa 1748)

(2) Adeisidaimone: „Wahrhafte Geschichte von Erscheinung eines Verstorbenen in Braunschweig, nebst denen von diesem Gespenste gesammelten Nachrichten“, Braunschweig 1748

(3) Eschenburg, J. J.: „Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini in Braunschweig“, Verlag Friederich Nikolai, Berlin u. Stettin 1812

(4) Zehfuss, Heinrich: „Die Herren von Rodenstein nebst der Sage von den Wandergeistern auf Schnellerts und Rodenstein“, Darmstadt 1825



Bilder

Bild 1: Titelblatt eines Spukberichtes

Titelblatt eines Spukberichtes


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"