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Grenzwissenschaft - Spiritismus
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von der WB-Redaktion aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Januar 1996, Nr. 1, I. Jahrgang, S. 7 ff.)

Spiritismus und Nah-Todeserfahrung

ÜBERSICHT: Seit Mitte der Siebziger Jahre erscheinen vorrangig amerikanische Veröffentlichungen über sogenannte "Nah-Todeserfahrungen" (engl.: "Near-Death Experiences", mit "NDEs" abgekürzt), die auch im mitteleuropäischen Raum Aufsehen erregten. In esoterischen Kreisen verbreitete Jenseitsvorstellungen erfuhren von seiten klinisch tot-Gewesener eine anscheinend schlagende Bestätigung, wenn auch bis vor kurzem nur von himmeIsähnlichen, friedvollen NDEs zu hören war, was dem Konzept einer Hölle bzw. eines Purgatoriums zu widersprechen scheint. Dass es allerdings auch disharmonische und regelrecht höllische Nah-Todeserfahrungen gibt, wurde erst in den letzten Jahren entdeckt und erforscht, was spiritistischen Jenseitskonzepten nun vollends gerecht zu werden scheint.

"Nie zuvor habe ich eine solche Liebe, eine so grosse, umfassende Wärme erfahren. Nachdem ich aus meinem Körper glitt und ihn auf dem OP-Tisch liegen sah, fand ich mich plötzlich durch einen Tunnel auf ein Licht am Ende desselben zubewegen. In dieses Licht eingegangen, wurde ich eines Wesens aus Licht gewahr, das eben diese Liebe ausstrahlte. Mit ihm zusammen betrachtete ich mein Leben, das sich bis aufs kleinste Detail wie ein Film vor uns abzuspielen schien. Mit einem Mal wurde mir bewusst, worauf es im Leben wirklich ankommt, nämlich auf die Liebe zum Nächsten. Die Situationen, in denen ich gefehlt hatte, verursachten eine tiefe Reue in mir und den Wunsch zur Wiedergutmachung. Dann wurde mir gesagt, dass ich wieder zurück müsse, was mich traurig machte. Sekunden später kam ich wieder zu mir, zurück in meinem schmerzenden Körper."
Diese von mir konstruierte Nah-Todeserfahrung beinhaltet die wesentlichsten Elemente einer ausgereiften prototypischen, friedvollen Episode; weitere Merkmale können die Wahrnehmung und Konversation mit Geistwesen (Lichtwesen), verstorbenen Verwandten und/oder Freunden sein, die Enthüllung kosmischer Wahrheiten oder eine wie auch immer geartete Bewusstseinserweiterung. In der Regel hat eine solche Erfahrung tiefgreifende Veränderungen in der Denk- und Lebensweise der Betroffenen zur Folge, es gibt auch Berichte über anschliessend gesteigerte Intelligenz und sogar des Erwerbs geistiger Heilkräfte; Atheisten sind für gewöhnlich die längste Zeit solche gewesen. Der Versuch, solche Erfahrungen als sterbeerleichternde Halluzinationen bezeichnen zu wollen, steht auf äusserst schwachen Füssen. Dagegen sprechen zum einen die immer wiederkehrenden Grundmuster der Erlebnisse und die sozialtherapeutische Wirkung derselben - eine echte Halluzination hat noch aus keinem Saulus einen Paulus gemacht - und zum anderen die neurophysiologischen Korrelate, die deutliche Abweichungen zu den üblichen Wirkungen körpereigener Opiate und Halluzinogene aufzeigen. Dennoch scheinen Elemente wie der "Lebensfilm" neurologisch in uns verankert zu sein, was die elektrische Reizung des rechten Temporallappens unseres Gehirn zeigt. Das stärkste, wenn auch nicht gerade scharfsinnigste Argument gegen einen Zusammenhang von NDEs mit einem evtl. Jenseits ist die Feststellung, dass auch ein klinisch tot-Gewesener "halt noch nicht tot" war.
Hier scheint mir ein kurzer Schwenker in die ersten Tage der parapsychologischen Forschung nützlich. Die wissenschaftliche Erforschung paranormaler Phänomene setzte mit der Entstehung des modernen Spiritismus (1848) ein. Medien, durch die angebliche Verstorbene sprachen oder schrieben, wurden von angesehenen Forschern nach wissenschaftlichen Massstäben untersucht, um herauszufinden, ob es nun wirklich "Tote" waren, die sich durch die meist in Trance befindlichen Medien meldeten. Die meisten Forscher, die in der Absicht der Entlarvung Medien wie D. D. Home und andere untersuchten, wurden überzeugte Spiritisten. Trotz der erstaunlichsten Phänomene wie die der berühmten Kreuzkorrespondenzen oder dem physikalischen Mediumismus war eine streng wissenschaftliche Bestätigung der spiritistischen Hypothese jedoch nicht möglich, so wenig wie ihre Widerlegung. Die entsprechenden Forschungsergebnisse weisen für den Unvoreingenommenen jedoch unmissverständlich auf ein Überleben hin; zeitgenössische Nah-Todeserfahrungen, die für sich betrachtet streng wissenschaftlich auch nichts "beweisen", bestätigen in der Zusammenschau mit den Ergebnissen der mediumistischen Forschungsresultate letztere eindeutig. Die gewaltige Bewegung des Spiritualismus war trotz Bekämpfung durch den Dogmatismus sowohl der Kirchen als auch des Materialismus wohl nur durch zwei Weltkriege aufzuhalten.
Unter den oft banalen jenseitigen Kundgaben finden sich einige auf beachtlichem Niveau stehende und sich erstaunlich deckende Beschreibungen der anderen Welt, so z. B. das heute noch erhältliche Werk "Ein Wanderer im Lande der Geister" von Franchezzo und der "Myers-Report" (The Road to Immortality) von dem englischen Medium Geraldine Cummins.
Zurück zu den NDEs der Gegenwart. In neuerer Zeit waren es vor allem Forscher/innen wie N.E. Bush, P.M.H. Atwater, M. Rawlings und in Deutschland der Psychiater M. Schröter-Kunhardt, die darauf aufmerksam machten, dass harmonische, beglückende NDEs nur die eine Seite der Medaille darstellen. Berichte über negative NDEs gerieten in den letzten Jahren immer mehr ins Blickfeld der Forscher und jetzt auch in das der Öffentlichkeit.
N.E. Bush und B. Greyson stellten in ihrer Studie "Distressing Near-Death Experiences" eine bestimmte Kategorisierung negativer NDEs vor:
1. Erfahrungen, die sich in ihren Elementen der prototypischen, friedvollen Erfahrung zuordnen lassen, aber als erschreckend. empfunden werden.
2. Das Gefühl, in einem unendlichen, weiten Raum zu sein und die paradoxe Empfindung zu haben, gar nicht zu existieren.
3. Regelrechte höllische Szenerien, Empfindungen extremer Temperaturen, Durstgefühl, Wahrnehmung dämonischer und leichenähnlicher Gestalten, die nur dastehen und den Perzipienten anstarren oder ihn verhöhnen und körperlich misshandeln.

Zur ersten Kategorie gehören möglicherweise solche Erlebnisse, bei denen Elemente wie der Lebensfilm - wohl abhängig vom Inhalt - eine Belastung darstellen, was an die in so gut wie jedem Jenseitsbericht unglücklicher Jenseitiger beschriebenen Verfolgungen durch Lebensbilder- oder Szenen erinnert. Immerhin wird die Reue über eine versäumte Gelegenheit zur Weiterentwicklung oder ein Verstoss gegen das Liebesgebot von jenseitigen Kommunikatoren als belastend oder schmerzhaft bezeichnet. Die wichtigste Übereinstimmung zwischen NDEs und nachtodlichen Berichten ist vor den auf die Elemente wie Tunnel, Verlassen des Körpers, Licht usw. bezogenen überhaupt die Feststellung, dass das Jenseits die eigentliche Heimat der menschlichen Seele sei und moralische Gesetze (Nächstenliebe) dort die physikalischen sozusagen ablösen. Die unter 2. angeführten, bedrückenden und die unter 3. angeführten, voll ausgereiften höllischen Erfahrungsinhalte sind bis ins Detail mit medial erhaltenen Berichten identisch.
Genau wie die meisten der betreffenden Jenseitigen erkennen viele Betroffene mit höllischen Erfahrungen, dass sie durch entsprechende "Kurskorrektur" (Charakterveredelung) ein solches nachtodliches Schicksal vermeiden können; also auch hier kann man unter Umständen von einer sozialtherapeutischen Wirkung sprechen. Übrigens berichten viele negativ-Nah-Todeserlebende darüber, dass, sobald sie in ihrer Verzweiflung beteten, sich die Umgebung veränderte und sich die anfangs negative Erfahrung in eine positive umwandelte. So berichtet von einem materialistisch ausgerichteten Professor, der bei einem Herzstillstand eine höllische NDE hatte. Plötzlich war er in Gesellschaft einiger schäbigen Gestalten, die ihn auslachten und ihn zwangen, mit ihm zu gehen. Als er sich weigerte, misshandelten sie ihn. Als er so auf dem schmutzigen Boden lag, hörte er eine Stimme aus seinem Innern, die ihn aufforderte, zu beten. Verblüfft erwiderte er, noch nie gebetet zu haben, da er nie an Gott geglaubt hatte. Nochmals forderte diese innere Stimme (Schutzgeist?) ihn auf zu beten. Der Mann überwand seinen Stolz und in seiner Verzweiflung rief er zu Gott um Hilfe. Die Gestalten wurden jetzt wütend und drohten ihm, damit aufzuhören, andernfalls würden sie ihm "richtig weh tun"! Doch er betete weiter, die Gestalten verschwanden und es wurde hell um ihn. Dann kam er wieder zu Bewusstsein. Der Mann ist heute Priester.
Es ist ein Unterschied, ob man einen solchen Bericht, liest oder den Menschen, der so etwas erlebt hat, darüber reden sieht (in der ZDF-Sendung "Ich habe die Hölle gesehen", 22.02.94).
Sowohl die Ergebnisse der vergleichenden, medialen Jenseitsforschung als auch die Grundaussagen klinisch tot-Gewesener bestätigen das von der meist materialistisch ausgerichteten Psychologie erarbeitete Menschenbild: was unser Menschsein ausmacht und unser Wohlbefinden bestimmt, ist unsere freie Wesensentwicklung und unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen; Egoismus war noch nie gesund, weder seelisch, noch körperlich (Psychosomatik).
Eines sollte klar sein, besonders in Hinsicht auf den Sterbeprozess: die momentane Verfassung während des Sterbens ist ausschlaggebend für die Art des jenseitigen "Empfangskomitees"; ein noch so grosser "Sünder" wird von Lichtwesen empfangen, wenn er aufrichtig um Gottes Hilfe bittet; eine Kurskorrektur ist jederzeit möglich.
Hier finden wir wohl eine der für uns wertvollsten und tröstlichsten Übereinstimmungen von NDEs und spiritistischen Jenseitskonzepten. Richtig verstanden, müssen auch die schrecklichsten Höllenvisionen niemanden ängstigen; mag es eine Hölle (als Ort und/oder Bewusstseinszustand) geben, sie ist nicht ewig!

WB-Redaktion


Quellen
Atwater, P.M.H., Is there a Hell? Surprising Observations About the Near-Death Experience. Journal of Near-Death Studies, 10(3) Spring 1992, Human Sciences Press, Inc., S. 149-161.
Busch, O., Von Stufe zu Stufe. 1964 (EA 1911), Gesellschaft für Geistforschung, Zürich.
Cummings, G., The Road to Immortality. 1933, London.
Franchezzo, Ein Wanderer im Lande der Geister. Turm-Verlag Bietigheim/Württ., 4. Auflage o.J.
Greyson, B./Bush, NE., Distressing Near-Death Experiences. Psychiatrie, Vol. 55, February 1992, S. 95-110.
Mattiesen, E., Das persönliche Überleben des Todes. I-III, 1936-39, de Gruyter, Berlin
Schröter-Kunhardt, M., Mögliche neurophysiologische Korrelate des NDE. In Adolf Dittrich (Hrsg.) Welten des Bewusstseins. Verl. für Wiss. und Bildung, Berlin, S.57-75.
Vay, A., Die Sphären zwischen Erde und Sonne. 1890, Verlag von Karl Siegismund, Berlin.
ZDF-Sendung: Ich habe die Hölle gesehen. 22.04.1994.


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Letzte Änderung am 11. Februar 2005