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Geisteswissenschaft - Religion
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Martin Weber aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Januar 1997, Nr. 1, II. Jahrgang, S. 12 ff.
Der Artikel ist leicht gekürzt. Die Stellen sind mit ... gekennzeichnet. Ausgelassen wurde Stellen, die ich als unwichtig erachtet habe.)

Die Sache mit dem Tod

Liebe Freunde, sicher geht es Ihnen wie mir: wenn der Bekanntenkreis den Schwerpunkt des persönlichen Interesses erfährt, so wird man gleich zum Spezialisten gekürt. Nun wissen meine Bekannten (zumindest die guten, denn allen erzählt man ja schliesslich nicht gleich alles, und auf keinen Fall will ich zum Missionar werden), dass mein Interesse sich, ganz grob gesagt, irgendwie um die Todesfrage dreht.
Und so drückte mir kürzlich eine Frau ein Heft in die Hand und sagte: "Da schau mal, Du beschäftigst Dich doch dauernd mit dem Tod. Vielleicht spricht Dich der Inhalt an". Es handelte sich um ein Heft mit dem Namen "Neue Gespräche" ... Das Heft wird sechsmal im Jahr herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung und hatte diesmal den Untertitel "und plötzlich bist Du allein". Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis bestätigte meine Vermutung, dass sich die Beiträge wohl weniger mit dem Tod selbst, dafür eher mit der Trauerarbeit, mit den Hinterbliebenen auseinandersetzt, und auch mit der Sterbebegleitung, dass aber die Frage nach dem "Wo ist denn eigentlich der Gestorbene?" nicht gestellt wird - für mich ein Phänomen, das immer wieder zu beobachten ist. Und so stellte ich mir die Frage, warum diese Frage ausgeklammert wird, wo doch deren Lösung die allergrösste Hilfe für den Hinterbliebenen sein sollte? Jedenfalls scheint die Trauer nicht so drückend zu sein, wenn Klarheit über den Tod an sich herrscht. Bei Fernsehreportagen wird immer wieder bestätigt, dass die Überbringung der definitiven Todesnachricht von bislang Vermissten, z.B. aus dem 2. Weltkrieg an hinterbliebene Soldatenfrauen, zwar noch einmal Tränen fliessen lässt, aber dann zieht doch wirklicher Friede ein.
Ist es nicht ähnlich, wenn heranwachsende Kinder ihren Eltern sagen müssen oder wenigstens sollen, wohin sie abends gehen? Und fühlen wir uns nicht schon auf Erden besser, wenn wir wissen, wo unsere Lieben sich befinden, auch wenn wir nicht hin können? Z. B. wohnen wir in Deutschland, die Kinder haben aber in Amerika geheiratet? Da sind nur ganz wenige Besuche möglich, wenn überhaupt. Und doch haben wir ein beruhigendes Gefühl, weil wir eben wissen, wo sie sind.
Warum, frage ich mich also, klärt man nicht das Todesrätsel? Noch besser ist ja, dass es im Grunde gar kein Todesrätsel gibt. Bislang ist mir noch niemand begegnet, der in der Tat ernsthaft suchte und nicht irgendwann auf die Lösung stiess, dass nämlich im Tod einfach die Seinsebene gewechselt wird. Das erdrückende Material der 100jährigen parapsychologischen Forschung, aber auch die vielen Erfahrungsbeweise der unter uns lebenden Menschen, ja, eigentlich sogar der gesunde Menschenverstand lassen daran kaum Zweifel. Deshalb verstehe ich ganz und gar nicht, wieso gerade "Theologen" eine Ganz-Tod-Theorie (mit dem Tod ist alles aus) überhaupt diskutieren. Hier fehlt wohl eher die Bereitschaft, unvoreingenommen zu forschen. Wichtiger scheint, dass die eigene Vorstellung mit Gewalt bestätigt wird. Ganz leicht geht so etwas durch "wissenschaftliche Ignoranz" - sehr vorbildliches Verhalten, nicht wahr?
Damit komme ich zurück zum Heft "Neue Gespräche". Auf Seite 4 werden eine Witwe und ein Witwer über die Zeit des Sterbens ihrer Ehepartner befragt. Die Antworten sind sehr ehrlich, denn das mit dem Tod eines Geliebten verbundene Leiden wird spürbar durch die Zeilen hindurch. Auf die Frage, ob der Glaube an die Auferstehung Hilfe und Stütze in einer solchen Zeit war, antwortet die Witwe, dass sie an das Leben nach dem Tod glaube, und auch daran, dass sie ihren Mann wiedersehen werde. "Er ist, denke ich, in guten Händen", sagt sie, und "ich denke, dass man dort, wo er ist, ohne Kummer und Sorgen sein darf." Punkt und aus.
Liebe Freunde, diese Frau bewundere ich. Mir würde das nicht genügen. Aber sagt nicht schon Jesus, dass die selig sind, die glauben ohne zu sehen (= wissen)? Oder passt diese Auslegung hier nicht? Manchmal wünschte ich, dass ich nicht soviel "herumhirnen" müsste, wie eine Bekannte mich einmal tadelte. Aber da ist ja noch der Witwer. Was sagt er auf die Frage?
Nun, er hadert noch heute, Jahre nach dem Tod seiner jungen Frau. Er klagt Gott an, dass dieser ein gemeinsames Leben von ihm und seiner Frau nicht gewollt habe, dass Gottes Wille gegen sie beide sei. Zitat: "Wenn das Deine (Gottes) Liebe ist, dann pfeifen wir drauf." Und weiter: "Wir zeigen Dir, was Liebe ist." Man kann die Not förmlich hören, in der sich die beiden befanden. Gespürt habe er die totale Verlassenheit und kein Getragensein irgendeiner Art. Dennoch glaube er, dass er einen Auftrag (!) von Gott habe, den er noch suchen müsse. Und dass der Geist (!) seiner Frau weiterlebe, dass er ausserdem schon öfters das Gefühl der Nähe zu ihr gehabt habe. Bezeichnend ist die Aussage, wonach er "bis heute nicht mit seinem Gott im Reinen" ist.
Liebe Freunde, ist das nicht furchtbar traurig? ich war erschüttert, als der Artikel zu Ende war. Natürlich lebt Deine Frau weiter, wollte ich dem unglücklichen Menschen zurufen, Du spürst es doch genau. Wie soll sie sich denn bemerkbar machen, wenn Du ihr keine Chance gibst? Vertraue doch und öffne Dich für sie, vielleicht kannst Du sie ja noch anders wahrnehmen, konkreter als je zuvor. Und lass Dich nicht beirren, wenn man über Dich lacht, weil Du mit ihr hörbar sprichst, wenn neunmalkluge Psychologen oder sonstige Brotgelehrte, die schon mit 25 Jahren alles wussten und den Rest ihres Lebens Worthülsen produzieren, vor geistigem Fortschritt aber immer rechtzeitig die Augen verschliessen, Dir erzählen wollen, das sei alles irgendwie aus Deinem sagenhaften Unterbewusstsein. Dein Herz spricht doch in klaren Worten. Frag doch die Neinsager, warum es denn nicht so sein soll wie Du es spürst? Welchen Beweis sie Dir dafür geben können? Denn nicht Du musst das Weiterleben Deiner Geliebten beweisen, nein; sie sollen Dir beweisen, dass es nicht so ist. Und vor allem, mein Freund, schau doch, ob Jene glücklich oder zufrieden sind; wenn sie alles so sehr menschlich und logisch erklären können, müssten sie ja ihren Frieden gefunden haben, oder? Für mich selbst jedenfalls gibt es heute keinen Zweifel mehr daran, dass der Mensch den irdischen Tod überdauert, oder besser, dass für die Erdenzeit ein Fahrzeug zur Verfügung steht, das nach Ablauf der Zeit verlassen wird. So jedenfalls sagt es Dr. Beat Imhof, und ich finde, er beschreibt damit die Situation sehr treffend.
Die zweite Sache jedoch, das Hadern mit Gott, empfinde ich persönlich als noch viel trauriger. Ich frage mich da, wo haben eigentlich all die Engelwesen mit ihrer ganzen Hierarchie, wo haben da Jesus, Maria, die "Gottgesandten", die Armen Seelen, die Dämonen, wo haben all die noch Platz, wenn Gott persönlich an jedem subjektiv empfundenen Unglück schuld sein soll? Muss man denn nicht ehrlicherweise auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen? Auch ich glaube fest an einen ganz realen Vatergott, auch ich wende mich an ihn im Gebet, lehne mich an ihn an auf der Suche nach Trost und Güte; aber ist es nicht ein bisschen vermessen, so gar keinen Abstand, ja, überhaupt keine gesunde Distanz mehr zu einem als unendlich und allwissend angenommenen Gott aufrechtzuerhalten? Der Gott, der all das zustande gebracht hat, was wir nachts am Himmel nur als Abglanz wahrnehmen, und wenn nicht höchstpersönlich, dann doch durch in der Tat göttliche Gesetze entstehen liess? Wozu unsere Vorstellungskraft ja gar nicht ausreicht? Und so kindliche, um nicht zu sagen kindische Anklagen zu erheben? Mir kommt das, man möge mir verzeihen, doch recht anmassend vor. Der kleine Mensch, ein Staubkorn im Universum, zieht also Gott zur Rechenschaft dafür, dass er im Moment etwas nicht versteht. Als ob Gott sonst nichts zu tun hätte und gerade ein etwas mächtigerer Mensch als Du und ich wäre, vor allem aber mit der nötigen (menschlichen) Härte. Deshalb muss nämlich der Mensch leiden, weil es Gott so will, oder was?
Verzeihung, liebe Freunde, aber das ist Altes Testament pur. Ein solcher Gott widerspricht dem von Jesus nahegebrachten Gott in fast jeder Beziehung (sehr aufschlussreich ist hierzu das Buch "Neues Licht auf alte Wunder" von R. Passian). Das klingt zwar hart, aber meist fängt der Mensch ja erst nach tiefem Leid an, sich mit diesem Gott auseinanderzusetzen (auch hierin scheint übrigens ein tieferes Gesetz zu stecken). Und dann kommen eben solche Anklagen gegen Gott dabei heraus. Tatsächlich jedoch, so meine ich, klagt jener Witwer aber gar nicht Gott an, sondern die Tatsache, dass es Dinge gibt, die er nicht versteht, und die ihm auch niemand erklärt. Wie hilfreich wäre hier eine klare Vorstellung des vielumrätselten Jenseits; wie schön, wenn man sich darüber im klaren ist, dass der irdische Abschied ja nur ein kurzer ist. Es gibt so viele Hinweise auf diese "Behauptung", dass ich mit Überzeugung von einer Tatsache sprechen möchte. Warum will sich diese Tatsache aber nicht durchsetzen, da sie doch so tröstlich ist?
Hier muss ich passen, liebe Freunde, denn eigentlich kann auch ich hier nur bruchstückhaft Erklärungen anbieten. Immer nur den Materialismus verantwortlich zu machen, ist mir selbst zu wenig. Auch die ständige Anklage gegen die Kirche, die es gezielt falsch lehre oder sich nicht aus Dogmen lösen könne (es geht fast immer um die katholische Kirche), finde ich nicht ausreichend. Nein; aber oftmals spüre ich eine seltsame Furcht im Gegenüber, wenn ich im Gespräch solche Dinge wie eine persönliche Schicksalsgestaltung über das Grab hinaus als Theorie andenke, und zwar durch unser Verhalten zu Lebzeiten. Eine unbestimmte Angst scheint andere dann zu ergreifen, eine gewisse Besorgnis, ein regelrechtes Erschrecken. Warum wohl? Wer braucht denn Angst zu haben vor einem Jenseits, in dem ausser Gerechtigkeit noch die liebevolle Solidarität aller guten Geister, und auch die Barmherzigkeit Gottes, die sich z. B. in seinen Gnadengesetzen ausdrückt, obwaltet? Niemand ist ja endgültig verdammt, alle, alle können zu ihrem Ursprung zurück. Nur wollen müssen sie selbst (ich kann nicht glauben, dass ein paar Seminare für teures Geld genügen, um "gerettet" zu werden, von wem auch immer). Wovor haben also meine Gesprächspartner Angst, Unwohlsein? Mir fällt da nur eine Antwort ein: Sie könnten in der Tat Angst vor der Tatsache haben, dass die kleinen Gemeinheiten, die schnellen Lügen, die falschen Zeugnisse, die schlechten Gedanken, die bösen Wünsche, die Vorteile auf Kosten anderer, dass all das nach dem Tod plötzlich gar nicht vergessen ist, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Und Angst davor, eine radikale Kehrtwendung hin zum Guten vollziehen zu müssen, was oft heisst, vieles von dem aufgeben zu müssen, was man sich bisher so mühsam erkämpft hatte, vom Beruf bis zum Ansehen bei anderen. Und davor müssen wohl tatsächlich viele Menschen Angst haben. ... (Man lese hierzu Franchezzo, "Ein Wanderer im Lande der Geister".)
Am Ende bleibt festzuhalten, dass man besser heute als morgen über die Kernfragen des Lebens nachdenkt, über das Woher, Wohin und Wozu. Der Erdentod nimmt hier eine Schlüsselstellung ein; ist erst Klarheit über den Tod erzielt, ergibt sich vieles von selbst, wenn auch nicht alles. Ein jeder muss dabei die ihm gemässe Klarheit finden, in Abhängigkeit seiner Erkenntnisfähigkeit. Wohl dem, der so voller Vertrauen ist, wie die Witwe am Anfang dieses Artikels - vielleicht sind es die, von denen gesagt wird: Selig die Armen im Geiste, denn ihrer wird das Himmelreich sein.

Martin Weber


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Letzte Änderung am 26. März 2000