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Naturgeister - Erlebnisbericht
Beitrag von Johanna Frauenholz, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 1/2004, S. 19-21.

Rübezahl lachte schadenfroh

Ein Erlebnis mit dem Berggeist des Riesengebirges

von Johanna Frauenholz

Naturgeister und Elementarseelen waren seit jeher allen Völkern bekannt. Sie zu leugnen, blieb der neuzeitlichen Dekadenz vorbehalten. Noch um 1900 herum galt der Johannistag als Tag der Naturgeister. – Für die Tatsächlichkeit des folgenden Erlebnisses bürgt die Verfasserin.

Schnee lag flimmernd und flockig auf Baum und Strauch. Ich wollte über die Sprungschanze nach der Zackelfallbaude wandern, und als ich, den Bahnhof Josephinenhütte hinter mir lassend, die Strasse nach der Gebert-Baude überquert hatte, holte ich ein Ehepaar ein, das mich nach dem Weg fragte. Es waren Breslauer, ein Grosskaufmann mit seiner Gattin, Wintergäste, keine Sportler, "Nur-Fussgänger" gleich mir.

Als wir den Waldweg betraten, lag die winterliche Decke unberührt vor uns. Keine Fussspur, keine Rodel- und Skifährte weit und breit. Es war ganz natürlich, dass der Märchenwald uns in seinen Zauber einbezog. Kein Wunder, dass wir auf die alten Griechen zu sprechen kamen, von den Driaden und Nymphen, Sylphen und Panen sprachen, und dass wir unsere so völlig entgleiste Zeit bedauerten, in der die Menschen bei ihrer materiellen Einstellung in Gefahr waren, selber zu Stein und Eis und Holz zu werden.

"Ja", fragte der Kaufmann, "haben Sie denn hier im Riesengebirge nicht auch einen Geist, den Rübezahl? Und lebt er denn noch, und ist er ein böser oder ein guter Geist?" Seine Frau ergänzte: "Haben Sie ihn denn schon gesehen?"
"Den Geist der Berge erlebe ich in jeder stillen Stunde, die ich in dieser wunderbaren Natur verbringe", antwortete ich. "Und der beste Geist wird schliesslich einmal böse, wenn man ihn nur mit seinem Spitznamen ruft."

"Spitznamen?" fragten beide erstaunt, "Ja wieso denn?" Nun erzählte ich jene Sage, wie der hohe Berggeist zu dem Namen Rübezahl gekommen war. "Wie ist denn der richtige Name?" fragten beide gleichzeitig. "Dominus Johannes", sagte ich. "Johannes heisst 'Gott ist gnädig', und wenn nomen omen ist, so wissen Sie nun, dass es ein guter Geist ist. All die kleinen Boshaftigkeiten den Menschenkindern gegenüber entstammen gewiss seinem Humor, denn letzten Endes ist er ja ein Schlesier." Wir lachten. "Ach", meinte der Herr, wenn er doch mir mal einen Schabernack spielen wollte, da möchte ich gern an ihn glauben." Da hörten wir ein lautes Manneslachen neben uns! Erschrocken fuhren wir auf. Wo kam denn das her? Weit und breit kein Mensch! Und es klang doch ganz nahe! "Das war Rübezahl", behauptete ich einfach. "Und gleich wird er dir den Schabernack spielen", fügte seine Frau hinzu. Da riss an seinem linken Schuh plötzlich das Schnürband, unten, wo man es einzufädeln beginnt!

Ein Landsknechtsfluch entglitt den Lippen des Betroffenen. Wieder hörten wir das Lachen, ganz nahe, als wäre der Lacher neben uns. Diesmal klang es ein wenig schadenfroh. Wieder stutzten wir und suchten vergebens einen menschlichen Urheber weit und breit. Die Schneise, die nunmehr rechts von uns lag, wies nicht eine Fussstapfe auf. Aber aus dieser Richtung her hatte es gelacht.

Nun gab der Kaufmann Stock und Handschuhe seiner Frau und benutzte einen Baumstumpf, um den Schuh in Ordnung zu bringen. "Geht nur weiter, dass ihr keine kalten Füsse bekommt", meinte er, und wir gingen voran. Seine Frau sagte: "Es hat ihn, weiss Gott, an der schwächsten Stelle getroffen. Auf's Schuhwerk hält er genau. Gestern erst hat er die neuen Senkel eingezogen, und dass er jetzt mit einem Knoten gehen muss, das wird ihm für heute die Laune verderben."

Da hörten wir wieder, diesmal hinter uns, das gleiche belustigte Gelächter. Wir fuhren herum. Auch der Mann hatte erschrocken den Kopf gehoben und starrte hoch. "Ja, nun sag mir einer...!" rief er uns ganz entsetzt zu, wandte sich aber kopfschüttelnd wieder seiner mühseligen Arbeit zu, trug er doch jene Schnürstiefel, die bis hoch über die Wade reichen. "Na, glaubst du jetzt an Rübezahl?" fragte ihn seine Frau, als wir bald darauf weitergingen. "Ach, Papperlapapp", knurrte er missgestimmt, "wenn mir das andere auch noch reisst, dann möchte ich's glauben." Kaum gesagt, zerplatzte tatsächlich der Schnürsenkel des anderen Schuhes, genau an der gleichen Stelle, und das Lachen klang ganz dicht dabei! Ehe wir uns von der neuen Überraschung recht gesammelt hatten, klang es wieder, aber ferner, so, als stünde der Lacher mitten in der Schneise. Und nach Sekunden noch einmal fern, ganz fern, als schwebe er über den Wipfeln der Tannen hoch da droben. Wir Frauen, eher bereit, den Dingen, die aus der Sphäre des Jenseitigen kommen, Einlass in unser Inneres zu gewähren, sahen uns verständnisinnig an. Der Mann beäugte kopfschüttelnd sein neues Ungemach und fädelte, diesmal ohne Fluch, geduldig auf und wieder zu.

Den Rest des Weges bis zur Baude legten wir schweigend zurück, jeder spann seinen eigenen Faden um das eigenartige Geschehen. Auch auf dem Heimwege kam kein rechtes Gespräch mehr zustande. Als wir uns bei Oechsner am Kapellenberge trennten, drückten wir uns inniger die Hand, als Fremde es sonst tun. Und fast gleichzeitig sagten wir: "Ein unvergessliches Erlebnis!" Wo mögen sie sein, meine Weggenossen von damals? Liegen sie unter Breslaus Trümmern? Sind sie geflüchtet? Werden sie am Ende gar diese kleine Geschichte lesen und sich der Begegnung erinnern und mir einen Gruss schicken? –


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"