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Religion - Meditation
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Dr. Ing. Hermann de Witt aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Mai 1996, Nr. 3, I. Jahrgang, S. 93 ff und 105 ff.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.)

Meditation

red.- Unser verehrter Leserfreund Dr. Ing. Hermann de Witt, Autor des Buches "Die Seele, ein überweltlicher Energiekomplex" (vorgestellt in WB 1/96, s. Buchbesprechung S. 30) darf als ausgesprochener Fachmann auf dem Gebiet der Meditation gelten. Um so mehr freut es uns, vorliegenden Beitrag aus seiner Feder veröffentlichen zu dürfen, welcher eine gute Einführung in die Theorie der Meditation darstellt. Um weltanschaulicher Einseitigkeit vorzubeugen, kommt hier mit Dr. de Witt jemand zu Wort, der in dieser Hinsicht von einer etwas anderen Warte als der geistchristlichen spricht. Unkommentiert belässt die Redaktion daher jene Stellen, die Anlass zu einem Gedankenaustausch gäben, so z. B. die Ansicht des Verfassers über den Stellenwert des echten Gebets, die Notwendigkeit eines persönlichen Meisters bzw. Gurus, oder über Karma.

1. Einleitung

Liebe Freunde! Wenn wir uns fragen, was Meditation sei, so gibt es darauf viele Antworten. Das Interesse an Meditation ist zwar seit dem 2. Weltkrieg, vor allem durch die Überschwemmung mit Hatha-Yoga-Lehrern, auffällig gewachsen. Sogar einzelne kirchliche Gruppen beginnen zu meditieren. Doch wissen selbst Gebildete auf unsere Frage, was Meditation sei, nur zögernd und meist falsch zu antworten. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, überlegen wir zunächst, was Meditation nicht ist.

2. Abgrenzung: was ist Meditation nicht?

Genügt eine gute Konzentration oder scharfes Nachdenken, intensives Gebet oder weitgehende Entspannung, oder bilden diese nur Voraussetzungen der Meditation?

2. 1. Konzentration

Beginnen wir mit Konzentration, die in der Broschüre einer bekannten geistigen Institution ganz schlicht mit Meditation gleichgesetzt wurde. Diese Behauptung wurde anhand von positiven Beispielen aus dem praktischen Leben glaubhaft gemacht, man kann jedoch leicht ebenso viele negative Beispiele hinzufügen: der Metzger und Mörder, der Spekulant und Spion, die ebenfalls Konzentration nötig haben. Wenn Konzentration eine Voraussetzung für Meditation bildet, kommt es darauf an, wie und worauf wir uns konzentrieren. Im Durchschnitt hat die weisse Rasse eine gute Konzentrationsfähigkeit auf Tätigkeiten in der Aussenwelt, weil sie daran ein lebhaftes Interesse besitzt. Aus demselben Grunde ist aber ihre Fähigkeit zur Meditation im Gegensatz zu östlichen Völkern gering. Denn Konzentration bedeutet Verengung des Bewusstseins, wie das Bündel eines Scheinwerfers, und Meditation bedeutet Erweiterung des Bewusstseins, wie eine Lampe, die einen Raum erhellt.

2.2. Nachdenken

Viele Leute verstehen unter meditieren nichts als nachdenken über ein Thema. In diesem Sinne ist Meditation in der abendländischen Philosophie verwendet worden. Sollen wir deshalb das Wort "meditieren" aus unserem Sprachschatz streichen? Klares Denken, Folgerichtigkeit und Unterscheidungsvermögen bilden zwar gute Voraussetzungen der Meditation, aber auch konzentriertes Nachdenken über Gott bringt uns der Gott- oder Selbstverwirklichung keinen Schritt näher. Das klingt paradox, wird aber von jedem Strebenden mit praktischen Erfahrungen auf dem geistigen Pfade bestätigt.
Warum ist ein höheres Bewusstsein in der Meditation so schwierig zu erlangen? Weil unser Denkvermögen darauf dressiert ist, sich mit den vielen Dingen in Zeit und Raum zu beschäftigen. Diese Ausrichtung auf die irdische Welt gewinnt mit den Jahren einen so hohen Grad von Automatik, dass wir uns mit den Gedanken identifizieren. Nicht wir denken, sondern "Es" denkt uns; wir werden gedacht. Das ist die geistige Krankheit des Zivilisierten, an der die Menschheit alsbald zugrunde gehen wird, wenn sie nicht wieder lernt zu meditieren.

2.3. Gebet

Ob es genügen würde, wie unsere Vorfahren täglich zu beten? Wohl kaum, da das überlieferte Gebet an erstarrte Dogmen gebunden ist. Viele Betenden glauben an einen persönlichen Schöpfergott. Die meisten Gebete finden als Selbstgespräch, als Gespräch mit Gott oder anderen überirdischen Wesenheiten statt. Dagegen ist Meditation wesentlich allgemeiner und steht auch dem Atheisten offen, der sich um die Pflege seines inneren Lebens bemüht.
Gebet und Meditation haben zwar die Wendung nach Innen gemein, aber ihre Ziele sind verschieden, was wir an der Forderung grosser christlicher Mystiker wie Meister Eckehard und Angelus Silesius erkennen: "Gehe über Gott hinaus!" Mit diesem ketzerischen Satz haben sie die dogmatischen Grenzen ihrer Kirche überschritten und das unendliche Gebiet der Meditation betreten.

2.4. Entspannung

Entspannung bildet eine der wichtigsten Voraussetzungen der Meditation. Doch genügt die leibliche Entspannung wie im bekannten "Autogenen Training" keineswegs. Sie muss durch seelische und geistige Entspannung ergänzt werden. Das ist für den faustischen Europäer, insbesondere den "chrampfenden Schwyzer", leichter gesagt als getan, da sie leben um zu arbeiten, während der mehr beschauliche Morgenländer arbeitet um zu leben.
Auch wenn der Mensch vor dem Fernsehschirm oder im Urlaub seinen Werktag vergessen hat, ist das noch kein Beweis für innere Entspannung. Dazu müsste er seine vielfältigen Interessen an Sport und Politik, Unterhaltungslektüre und Gaumenfreuden wenigstens vorübergehend aufgeben. Zerstreuung wird gross geschrieben, doch bringt sie keine echte Entspannung, sondern nur eine Verlagerung der Anspannung.

3. Was ist Meditation allgemein?

3. 1. Der Weg nach Innen

Wenn Meditation weder Konzentration noch Entspannung, weder Nachdenken noch Gebet bedeutet, was ist Meditation dann wirklich? Als Antwort möchte ich einen Buchtitel von Paul Brunton voranstellen: "Der Weg nach Innen." Hiermit wendet sich der Mensch von der Gestaltung der Aussenwelt ab, die uns zwar materiellen Überfluss, aber auch hohe Scheidungsraten und Selbstmordziffern, Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum beschert hat. Der Christ hat die Worte seines Meisters in den Wind geschlagen: "Was nützt es dir, wenn du die ganze Welt gewinnst, und Schaden leidest an deiner Seele?"
Nicht die Eroberung des Planetensystems löst die menschlichen Probleme, sondern die Erschliessung unserer eigenen Innenwelt, die bei jedem Einzelnen grössere Reichtümer bietet, als der gesamte astronomische Kosmos. Hierauf hat Swami Omkarananda immer wieder hingewiesen. im Mittelalter drückte man diesen Zusammenhang durch die Formel "Mikrokosmos analog Makrokosmos" aus. Das Kleine entspricht dem Grossen, das Individuum ist eine Abbild der Gottheit.
Der Weg nach Innen erfordert nicht nur den geistigen Rückzug aus allen weltlichen Tätigkeiten, sondern auch die Lösung unserer sozialen Bindungen an Staat und Kirche, an Beruf und Familie. Diese innere Lösung darf nicht mit äusserlicher Weltflucht verwechselt werden. Kein Kloster garantiert uns die von allen Mystikern geforderte innere Befreiung, die uns andererseits nicht von den in dieser Welt eingegangenen Verpflichtungen entbindet. Schon mancher hat sich aus falsch verstandener Askese neue Schulden aufgeladen. So bleibt die goldene Mitte eine immer neue Forderung an den wahrhaften Gottsucher.

3.2. Erkenne dich selbst

Die uralte Forderung nach Selbsterkenntnis lässt sich besser in der Welt als in einer Einsiedelei erfüllen, wenn uns die Umwelt als Spiegel unseres eigenen Wesens dient. Sind wir z. B. schlecht gelaunt aufgestanden, mögen sich allerhand Missgeschicke beim Frühstück, auf der Fahrt zur Arbeitsstelle und an der Schreibmaschine ereignen. Hat es einen Sinn, sich darüber zu ärgern und zu schimpfen? Da hilft nur eines, besser aufpassen und sich weniger von seinen Stimmungen treiben zu lassen.
Noch deutlicher als die sogenannten toten Dinge lassen Familienangehörige und Freunde, Kollegen und Vorgesetzte, Kunden und Lieferanten durch ihr Verhalten - wie in einem Spiegel - das erkennen, was in unserem Innern vorgeht. Kommen wir anderen freundlich entgegen, so werden die meisten auch freundlich antworten. Bei Missverständnissen und Reibereien haben wir ebenfalls die Schuld auf unserer Seite zu suchen. Ob wir Recht oder Unrecht haben, ist nicht so wichtig als unter allen Umständen die Ruhe zu bewahren. Rechthaberei ist schon deshalb unsinnig, weil alles Schicksal, das uns heute trifft, von uns in früheren Verkörperungen verursacht wurde.
Unsere Mitmenschen dienen uns insofern als Spiegelbild unseres Inneren, als uns all das bei anderen auffällt, was wir selbst in uns haben, und wozu wir auch fähig sind. Mag es sich dabei um Kleidung und Bewegung, Mimik und Sprache oder Verhalten in Beruf und Ehe, um Fähigkeiten und Charaktereigenschaften anderer Personen handeln. Wenn uns jemand aufregt, eine Zeitungs- oder Radiomeldung intensiv beschäftigt, wenn nicht bewältigte Erlebnisse aus der Vergangenheit immer wieder auftauchen und sich wie ein Karussell in unserem Kopf drehen, liefert das wertvolle Hinweise auf unser verborgenes Wesen. Man könnte von Resonanzstellen in unserer Seele sprechen, was der Resonanz eines Geigenkastens auf bestimmte Klänge entspricht.
Hiermit sind wir beim Gleichnis Christi, "Acker voller Steine, Disteln und Dornen," angelangt, den jeder für sich selbst roden und reinigen muss.. Das ist eine langwierige und mühsame Arbeit, aber das einzige Unternehmen in dieser und in jener Welt, das ewige Früchte trägt und weder Rost noch Motten fressen. Nebenbei die einzige Methode, um die menschliche Umwelt zu verbessern, was Technik und Organisation nicht zustande bringen können. Die eigene Wandlung zu Licht und Liebe, Friede und Freude wirkt sich, wenn auch nicht immer sofort spürbar, auf unsere Mitmenschen aus; sie kommen uns freundlicher und rücksichtsvoller als vorher entgegen.
Durch Abtragen des Schuttberges, den wir im Laufe der Verkörperungen durch unser ichbetontes Verhalten aufgehäuft haben, lernen wir in der Meditation immer tiefere Schichten unseres Wesens kennen. Mit der Zeit verstehen wir, dass all die guten und bösen Eigenschaften anderer auch in uns selbst verborgen sind, oder mindestens gewesen sind. Damit geht der Meditierende über die Psychologie hinaus und nähert sich den mystischen Stufen.

3.3. Achtsamkeit

Bei der skizzierten Arbeit, am rauhen Sein wie die Freimaurer sagen, gewinnen wir nicht nur Selbsterkenntnis, sondern auch Achtsamkeit, das heisst einen hohen Grad von Wachheit. Fragt man eine Durchschnittsperson, wann sie besonders wach sei, wird sie wahrscheinlich antworten: "Wenn ich scharf nachdenke". Das ist die höchste Stufe der Wachheit, die vom modernen Menschen erlangt wird. Bei näherer Untersuchung bedeutet das Identifikation mit den Gedanken, was Descartes in die klassische Form brachte: "cogito ergo sum" - Ich denke, also bin ich. Auf dieser Ebene spielen sich Naturwissenschaft und Technik, Wirtschaft und Politik, Philosophie und Theologie ab, ja sogar Psychologie und Psychotherapie kommen nur ausnahmsweise darüber hinaus.
Der achtsame, klar bewusste Mensch hat nicht nur im Alltag einen Vorsprung vor seinen Zeitgenossen, er besitzt auch den Schlüssel zur "endgültigen Befreiung". Deshalb seien einige Hilfen zur Gewinnung dieser seltenen und kostbaren Gabe erwähnt.
Um im Fluss der Gefühle und Gedanken einen festen Standpunkt einzunehmen, ist es gut, sich auf etwas Positives zu konzentrieren. Das mag ein persönliches oder allgemeines Mantram wie OM sein, auch das Bild eines Heiligen und des eigenen Gurus eignet sich vorzüglich dazu. - Unter Buddhisten ist eine andere Methode geläufig, rein passive Beobachtung des Atems. Dabei besteht aber am Anfang die Schwierigkeit, dass man unwillkürlich den Atem beeinflusst, was unbedingt zu vermeiden ist
Das ist leichter gesagt als getan. Der Anfänger sollte Augenblicke nutzen, wo er sich in einer neutralen Stimmung befindet und von keinen starken Trieben und Interessen besetzt ist. Im Laufe einer jahrelangen, beharrlichen Übung, die sich allmählich auch auf den Alltag ausdehnen lässt, gewinnt der Strebende immer leichter den Standpunkt des stillen Beobachters. Das meinte Christus mit den Worten: "Wachet und betet". Psychologisch könnte man sagen: Objektivierung des eigenen Wesens.
Das Ergebnis einer extremen Ausbildung und Anwendung des Intellekts, dieses eingebauten "Minicomputers", liegt als Trümmerhaufen vor uns. Auf dieser Ebene des Denkens gibt es keinen Ausweg, wohl aber in der Meditation auf einer höheren Ebene. Um über die Schranken des Tagesbewusstseins hinauszukommen, müssen wir lernen, nicht nur unseren Körper durch Yoga-Übungen zu beherrschen, sondern auch Abstand zu gewinnen von unseren Gefühlen und Gedanken, genauso wie wir Abstand von anderen Personen haben.

4. Vorbereitungen zur Meditation

4. 1. Einplanung in den Tagesablauf

Wie alle Unternehmungen, die sich über längere Zeit erstrecken, bedarf auch die Meditation sorgfältiger Vorbereitungen. Bevor wir uns im Einzelnen mit leiblichen, seelischen und geistigen Vorbereitungen und Bedingungen beschäftigen, fragt sich, wie plane ich meine Meditation am besten in den Tagesablauf ein? Alle Meditationslehrer empfehlen regelmässig zu meditieren. Sehr gut eignet sich der Morgen und der Abend, wenn unsere Aktivität gering ist. Der Meditierende muss darauf achten, genügend wach zu sein, was morgens durch Hatha-Yoga oder andere Gymnastik und Atemübungen in frischer Luft unterstützt wird.
Wer wegen überfülltem Magen, Alkoholgenuss und Medikamentenmissbrauch schlecht geschlafen hat, wird morgens natürlich nur langsam wach, schafft also ungünstige Voraussetzungen zum Meditieren. Wie bei der Entspannung gelingt die Meditation besser vor einer Mahlzeit als danach. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heisst es in einem Sprichwort. Meditation verlangt jedoch eine Lockerung des Bewusstseins vom Leibe.

4.2. Leibliche Vorbereitungen und Bedingungen

Es ist keineswegs nötig, sich in einem der traditionellen Asanas, einem für Europäer mehr oder weniger schwierigen Sitz, niederzulassen, doch sollen wir uns um eine gerade, aufrichtige [aufrechte] Wirbelsäule bemühen, was sich sehr bewährt hat. Andererseits muss der Sitz einigermassen bequem sein, sonst wird unsere Meditation alsbald durch lästige Körperempfindungen gestört. Eine zu bequeme Haltung würde uns zum Schlafen verleiten, weshalb die liegende Stellung allenfalls für Kranke in Frage kommt.
In ermüdetem Zustand sollte der Anfänger nicht versuchen zu meditieren. Eine kurze und gute Meditation ist besser als lange Zeit unruhig mit umherschweifenden Gedanken sitzen zu bleiben. Der Anfänger wird häufig mit Schläfrigkeit zu kämpfen haben. Breche lieber die Meditation ab, als dabei einzuschlafen. Dagegen überwindet der Fortgeschrittene sowohl leibliche wie seelisch-geistige Ermüdung alsbald durch höhere Stufen der Meditation. Deshalb benötigt er weniger Schlaf als der Durchschnittsmensch. Der Yogi kommt mit wenigen Stunden täglich aus.
Wir benötigen für die Meditation einen Ort, wo wir möglichst ungestört sind. Wenn die Angehörigen kein Verständnis für die Meditation aufbringen, mag diese Forderung schwierig zu erfüllen sein. Vielleicht befindet sich in der Nähe eine Kirche, wo man sich in eine stille Ecke zurückziehen kann. Es mag hilfreich sein, die Alltagskleidung für die Meditation zu wechseln, gemäss dem Sprichwort: "Den alten Adam ablegen". Man braucht jedoch keinen Sonntagsstaat, sondern ein sauberes, schlichtes und bequemes Gewand erfüllt diesen Zweck durchaus.
Wer über ein eigenes Zimmer verfügt und Geschmack daran findet, baut sich in einer Ecke einen kleinen Altar auf, zündet eine Kerze und Räucherstäbchen an. Hier hat das Bild des Meisters oder Meditationslehrers Platz, zu dem man ein Vertrauensverhältnis besitzt. Das alles sollte ganz unkonventionell ausgestaltet werden. Nur wenige Mystiker sind so nüchtern veranlagt, dass sie auf dieses rituelle Beiwerk gerne verzichten und wie die wahren Nachfolger des Buddha den Weg ins Absolute direkt zu gehen vermögen.

4.3. Seelische Vorbereitung

Wir kommen zu den seelischen Bedingungen und Vorbereitungen. Wer missmutig an die bevorstehende Meditation denkt, braucht gar nicht erst anzufangen. Betrachte es niemals als Pflichtübung, sondern freue dich auf die fünf bis zwanzig Minuten, in denen du dich in die Tiefen deines Wesens versenken darfst. Vertraue darauf, dass sich bei stetiger Übung alsbald positive Auswirkungen zeigen werden, aber erwarte niemals bestimmte Erfolge in einer bestimmten Frist. Lass dich wie ein Kind überraschen, gemäss dem Christuswort: "So ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr das Himmelreich nicht erlangen."

4.4. Geistige Vorbereitungen

Zu den geistigen Vorbereitungen gehört, dass wir bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Meditation alle Sorgen aus Beruf und Familie ablegen. Vermeide Aufregungen und Diskussionen. Anstatt in der Zeitung zu blättern, lese erbauliche Lektüre. Wenn es dir möglich ist, schalte eine beruhigende Musik in geringer Lautstärke ein.
Nach einiger Übung gelingt diese geistige Vorbereitung auf die Meditation sogar in der überfüllten Strassenbahn. Man muss nur die Aufmerksamkeit von Aussen nach Innen lenken, wobei aber Gedanken an die geleistete Arbeit und Pläne für morgen zur Aussenwelt gehören.
Wie Swami Omkarananda in seinen Vorträgen oft betont hat, gibt es sehr viele Meditationsmethoden. Da es für den Anfänger fast unmöglich ist, auf Anhieb die für ihn beste Methode zu finden, sollte er anpassungsfähig bleiben und sorgfältig seine körperlichen, seelischen und geistigen Reaktionen auf die zunächst gewählte Methode beobachten. Ein Meditationslehrer vermag natürlich zu sagen, welche Methode für den Einzelnen geeignet ist, und er wird sie später je nach den Fortschritten des Schülers durch andere Methoden ergänzen.

4.5. Lehrer-Schüler-Verhältnis

Noch viel wichtiger als in der weltlichen Schule ist das Vertrauen des Schülers zum Meditationslehrer. Das sie umschlingende Band der Sympathie ermöglicht es dem Meister, mehr durch sein Beispiel, seine Ausstrahlung und telepathisch auf den Schüler zu wirken als durch Wissensübermittlung. Sehr aufschlussreich ist in dieser Beziehung die "Autobiographie eines Yogi" von Yogananda. Aber wie viele Sucher wandern jahrelang von einem Meister zum anderen, probieren mancherlei Lehrsysteme und gelangen doch nicht ans Ziel.
Ob es besser ist, allein oder in einer Gruppe zu meditieren, hängt vom Einzelnen ab. Im Durchschnitt vermag der Anfänger leichter in einer Gruppe zu meditieren. Wer den ruhenden Pol in sich selbst gefunden hat, kann ebensogut alleine oder in einer störenden Umgebung meditieren.
 

5. Hauptbewusstseinszustände

5. 1. Leib-Seele-Geist

Die klassische Einteilung des Menschen in Leib, Seele, Geist, wurde in der modernen Wissenschaft durch die Faktoren Materie, Energie, Information ergänzt. Dabei entspricht unser Leib der trägen Materie, unsere Seele den verschiedenen Energieformen und unser Geist der Information. Dieser Begriff geht weit über das hinaus, was uns durch die Massenmedien, Post und Telefon erreicht, und bildet die Grundlage der Kybernetik.
Wir wissen, dass der Mensch nur dann gesund ist, wenn er sich auf allen drei Ebenen: Leib, Seele und Geist harmonisch entwickelt. Die uralte Weisheit vom Körper als Ausdruck der Seele wurde 1970 von Elmar Green und Mitarbeitern als psycho-physisches Prinzip neu formuliert. Es bedeutet, dass jedem leiblichen Zustand eindeutig ein Bewusstseinszustand entspricht und umgekehrt.
Das Bewusstsein ist uns unmittelbar durch den Weg nach Innen zugänglich, während die leiblichen Vorgänge durch Messinstrumente verfolgt werden können. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Forschungsrichtungen im Sinne der DLZ-Wissenschaftssynthese wird seit einigen Jahren von der MERU (Maharishi European Research University) in Weggis betrieben. Als besonders aufschlussreich hat sich das Studium der elektrischen Gehirnpotentiale (EEG) erwiesen. Frequenz, Amplitude und Phase ihrer Schwingungen sind eindeutig dem Bewusstseinszustand der Person zugeordnet. Deshalb seien die drei klassischen Zustände: Tiefschlaf, Traum und Tagesbewusstsein, skizziert und durch den vierten Hauptbewusstseinszustand als Ergebnis der Meditation ergänzt.

5.2. Tiefschlaf und Traum

Im Tiefschlaf, der in der Dreiteilung des Menschen dem Körper entspricht, arbeiten nur die vegetativen, das heisst pflanzenhaften Vorgänge ohne Bewusstsein. Da keinerlei Störungen der leiblichen und feinstofflichen Vorgänge stattfinden, gewährt der traumlose Tiefschlaf einen hohen Grad der Erholung.
Im Traum äussert sich unsere Seele am deutlichsten, wobei das Unbewusste der Psychologen bewusst wird. Auch dann, wenn wir uns nach dem Aufwachen an keinen Traum mehr erinnern können, haben wir sehr wahrscheinlich geträumt. Träumen scheint für unsere seelische Gesundheit notwendig zu sein, wie Versuche mit systematischer Traumunterbrechung gezeigt haben.
Nicht nur nachts, sondern auch am Tage gestalten sich unsere Wünsche und Befürchtungen, unser Planen und Erinnern unwillkürlich zu Bildern, was man "Tagträumen" nennt. Wegen dieser phantastischen Gestaltungskraft zieht Swami Omkarananda den Traum häufig als Analogie für höhere Bewusstseinszustände heran, die unabhängig von Raum und Zeit sind. Unser Intellekt ist wenig zum Verständnis seelischer Vorgänge wie im Traum geeignet, aber mit Hilfe von Analogien können wir die Bedeutung von Träumen erschliessen. Das gilt auch für die Vorstellungswelt unserer Kinder und die aus der Seelenwelt stammenden Märchen!

5.3. Tagesbewusstsein

Mit Rücksicht auf die Gesamtheit menschlicher Bewusstseinsmöglichkeiten ähnelt das, was man Wachzustand nennt, nur einer schillernden Seifenblase. Dieses Tagesbewusstsein ist an den Körper mit seinen groben Sinnesorganen gebunden, deren Meldungen durch unseren Intellekt verarbeitet werden. Er ist bei der weissen Rasse ein derartig hochgezüchtetes Werkzeug, dass die Fähigkeit zur Meditation weitgehend verloren ging.
Der Intellekt entspricht dem Weg nach Aussen, auch wenn er sich medizinischen Forschungen oder der Welt der Atome widmet. Dieser Intellekt ist bis heute mit dem Geist, als dritten Faktor des Menschen, verwechselt worden. Von daher stammt das Missverständnis, nachdenken sei bereits Meditation. Das, was der Intellekt an grossartigen Bildern durch Wissenschaft und Technik in Raum und Zeit verwirklicht, ist doch nur ein armseliges Abbild der geistigen Welten.

5.4. Höhere Bewusstseinszustände

Die erwähnten Forschungen über den Zusammenhang zwischen leiblichen Vorgängen und Bewusstseinszustand haben bewiesen, dass man durch Meditation im engeren Sinne einen vierten Hauptbewusstseinszustand erreicht, der mit Tiefschlaf, Traum und Tagesbewusstsein nichts gemein hat. Swami Omkarananda spricht treffend vom "Hintergrundbewusstsein". Es entspricht der weissen Kinoleinwand, auf welche das Tagesbewusstsein die Dinge dieser Welt projiziert. Das Hintergrund- oder Überbewusstsein entspricht auch der Stille, die man in der Stadt sogar nachts vergebens sucht.
Der Durchschnittsmensch hat sich so sehr an den weltlichen Betrieb gewöhnt, dass er der Forderung nach Weltüberwindung verständnislos gegenübersteht. Doch fürchtet er sich zu Unrecht vor dem Nichts, das in der Meditation vielleicht auf ihn lauert. Alle Mystiker versichern uns, dass die Fülle höherer Bewusstseinszustände unvergleichlich herrlicher als die Erlebnisse unserer fünf Sinne ist.
Die über die Denkebene hinausgehende stille Meditation wird auch "transzendental" genannt, was unter der Abkürzung TM durch Maharishi Mahesh Yogi bekannt wurde. "Transzendental" heisst einfach über die Bedingungen dieser Sinnenwelt hinausgehend. Der Buddha unterscheidet vier Grade des reinen oder Überbewusstseins, die mit Schauung oder Vertiefung übersetzt werden. Bereits die unterste dieser Stufen erfüllt nicht nur den Geist, sondern auch den Körper des Meditierenden mit einer solchen Seligkeit, dass die Mystiker vom Tempel Gottes sprechen.
Diese Erfahrung, die dem erwähnten psycho-physischen Prinzip entspricht, überfällt den Meditierenden so unerwartet, dass er geneigt ist, sie der Gnade Gottes zuzuschreiben. Doch geschieht hier nichts Übernatürliches im Sinne einer Gesetzlosigkeit, sondern jeder Meditierende, der den Weg der inneren Reinigung folgerichtig beschreitet, erlangt gesetzmässig den vierten Hauptbewusstseinszustand, gleichgültig ob er Atheist, Moslem, Christ oder Buddhist ist. Sie alle treten ein in das unendliche Reich des Geistes, nachdem sie die Zwangsjacke des Intellekts, mit seiner Ich-Illusion, zerrissen und alle dogmatischen Bindungen aufgelöst haben.
Über die Stufen der Reinigung hat Swami Omkarananda ausführlich gesprochen und geschrieben. Man darf sie nicht verwechseln mit falscher Askese, die in Ost und West furchtbare Exzesse gefeiert hat. Bemühen wir uns täglich um den Weg der Mitte, vermeiden wir die Extreme und arbeiten beharrlich an unserer inneren Wandlung, dem fernen Ziel entgegen, so werden wir schon bald mehr Ruhe, Friede, Freude und Harmonie verspüren. Die Schatten weichen und der Geist wird klarer. In Laufe der Jahre gewinnen wir die unerschütterliche Gewissheit, dass unser Reich nicht von dieser Welt ist.

6. Ziele der Meditation

6. 1. Auf der persönlichen Ebene

Damit haben wir schon einige Ziele der Meditation kennengelernt. Auf persönlicher Ebene handelt es sich vor allem um den Abbau von Stress, die am weitesten verbreitete Krankheit und Ursache vieler anderer Leiden. Stress hängt nicht nur von äusseren Beanspruchungen, sondern auch von inneren Bedingungen ab. Weil wir uns und die weltlichen Dinge zu wichtig nehmen, weil wir falsch und zu heftig reagieren, daher entsteht Stress. Damit ist ein dauernder Energieverzehr verbunden, der in Müdigkeit und vorzeitigen Alterserscheinungen zum Ausdruck kommt und den modernen Menschen zum Medikamentenmissbrauch verführt.
Eine durchgreifende Besserung dieses Zustandes ist durch Entspannungstherapie nur selten möglich, weil die seelisch-geistigen Ursachen nicht beseitigt werden: Neid und Eifersucht, Ehrgeiz und Intoleranz, Neugierde und Abwechslungsbedürfnis, Macht und Besitzstreben, übertriebener Sinnesgenuss. Erst wenn wir ein höheres Ziel haben, sind wir bereit, den eigenen Stall auszumisten, die notwendige Vorbedingung für Meditation. Umgekehrt gelingt die Entspannung immer besser und dehnt sich vom leiblichen auf den seelischen und geistigen Bereich aus. So werden Verkrampfung und Stress für immer aufgelöst.

6.2. Auf sozialer Ebene

Es ist klar, dass sich diese innere Wandlung positiv auf unsere sozialen Beziehungen auswirkt. Die Reibungsflächen vermindern sich, wir lassen andere eher gelten und sehen leichter über ihre Schwächen hinweg, womit sich das Spiegelungsprinzip bestätigt. Wir können uns auch besser in die Lage anderer versetzen, und deshalb ihre besonderen Probleme verstehen. Das sind Grundlagen echter Nächstenliebe.
Wegen unserer seelischen Wandlung und des geordneten Gedankenlebens, das harmonischer als früher auf unsere Umgebung ausstrahlt, werden wir zum Anziehungspunkt leidender Mitmenschen. Sie spüren, dass der verborgene Funke in uns zur Flamme entfacht wurde. In diesem Stadium, wo der Lichtsucher zum Lichtträger wird, sind zwei Gefahren zu beachten. Wir sollten zwar unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, aber wir dürfen auch die Perlen nicht vor die Säue werfen. Also das Unterscheidungsvermögen weiter auszubilden, bescheiden im Hintergrund bleiben und geduldig warten, bis die Zeit für uns und die anderen reif geworden ist.

6.3. Integration höheren Bewusstseins

Wir haben an einigen Beispielen gesehen, wie sich die innere Wandlung des Meditierenden positiv auf sein ganzes Leben auswirkt. Darüber hinaus kann er sich bemühen, das in der Meditation gewonnene höhere Bewusstsein in den Alltag zu integrieren. Wenn der Strebende gelernt hat, das reine Bewusstsein unter den günstigen Bedingungen der Meditation jederzeit zu verwirklichen, wird ihm das vielleicht unerwartet auch unter Alltagsbedingungen widerfahren: auf einem Spaziergang allein in der Natur, bei der Küchenarbeit, in der Fabrik oder im Konferenzsaal. Diese Ausdehnung des vierten Hauptbewusstseinzustandes gelingt am leichtesten bei allen Routinearbeiten, an denen der Durchschnittsmensch ohne Meditation zugrunde geht.
Swami Omkarananda hat oft die Forderung erhoben, den Alltag zu heiligen, was sich am einfachsten mit einem Mantra verwirklichen lässt, an das man sich inmitten von Ablenkungen gleichsam anklammert. Andererseits wird das Hintergrundbewusstsein erst dann erreicht, wenn das Mantra schweigt.

6.4. Befreiung von karmischem Zwang

Das Letzte und höchste Ziel der Meditation besteht in der Befreiung vom Zwang zur Wiedergeburt. In den Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind wir durch die drei Wurzeln allen Unheils: Begehrlichkeit, Gehässigkeit, Unwissen und Verblendung geraten. Auf dem Weg nach Innen erkennen wir unsere tieferen Wesensschichten, wo wir die selben Fehler und Schwächen finden, die uns bei anderen auffallen.
Durch die stufenweise Auflösung egozentrischer Motive gewinnen wir höhere Grade der Achtsamkeit, die sich von den Minuten der Meditation schliesslich auf den ganzen Alltag ausdehnt. Wir suchen die Schuld an unserem persönlichen Schicksal immer weniger bei anderen und lernen das Karmagesetz praktisch kennen. In dem Grade, wie wir uns von niederen Trieben befreien, verkürzt sich die Spanne zwischen Saat und Ernte, die vorher vielleicht Jahrtausende betrug, auf Jahre, Monate und sogar Tage.
Auch die Kettung an äussere Umstände und andere Personen, was für die Menschheit das Hauptmotiv zur Wiedergeburt bildet, löst sich beim Meditierenden auf. Liebe und Hass überdauern den Tod. Schuldgefühle und mangelnde Pflichterfüllung, wie es Krishna nach der Bhagavad-Gita Arjuna auf dem Schlachtfeld des Lebens erklärt hat. "Der Pfad der Mitte", den der Buddha gelehrt und gelebt hat, zwischen den Extremen Sinnengenuss und Abtötung des Fleisches, führt über alle irdischen und himmlischen Welten hinaus.
Auf dieser Stufe mag die von allen karmischen Lasten befreite Seele den wahrhaft freiwilligen Entschluss fassen, sich wiederzuverkörpern, um den in der Tiefe gefesselten und den im Nebel umherirrenden Wesen zu Licht und Freiheit zu verhelfen. Das lässt sich leider nicht durch einen einzigen Akt des Gottessohnes verwirklichen, wie die christlichen Theologen uns weismachen wollen, sondern immer wieder müssen im Laufe der Jahrmillionen die Träger des Lichtes hier erscheinen.

Dr. Ing. Hermann de Witt


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Letzte Änderung am 10. Mai 2000