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Grenzwissenschaften - Parapsychologie
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von der WB-Redaktion aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom März 1996, Nr. 2, I. Jahrgang, S. 58 ff.)

Dr. Emil Mattiesen (1875-1939)

ÜBERSICHT: Emil Mattiesen, Doktor der Philosophie und Komponist, zählt zu den bedeutendsten Forschern auf dem Gebiet der Parapsychologie. Sein dreibändiges Standardwerk Das persönliche Überleben des Todes (Erstauflage Bd. I-II 1936, Bd. III 1939) darf als Lebenswerk des Rostocker Gelehrten gelten, man versuchte zwar, es totzuschweigen, es wurde aber nie widerlegt. Mattiesens Tod ging in den Kriegswirren unter, der erste und meines Wissens einzige Nachruf auf diesen verdienten Denker erschien in Neue Wissenschaft (3. Jahrgang 1952, S. 41-45), verfasst von Dr. Rudolf Tischner. Diesen Nachruf habe ich meinem Beitrag auszugsweise als Kernstück einverleibt.

Dass Bücher ihre Schicksale haben, wiesen wir alle, und dass die wissenschaftliche Welt unglaublich ignorant sein kann, stösst nicht nur einem Laien wie mir auf, es mag taktische Gründe haben, dass die moderne Parapsychologie ihre Wurzeln leugnet und gerade in Deutschland der Eindruck erweckt wird, die animistische Hypothese habe sich rechtsgültig und unanfechtbar durchgesetzt. Nach heutigen, streng wissenschaftlichen Massstäben ist es - das gebe ich gerne zu - noch nicht möglich, das persönliche Überleben des Todes zu beweisen. Doch das Gegenteil kann auch niemand beweisen, und dazwischen bleibt nur die "kriminologische" Vorgehensweise. Zu erklären, was ein streng wissenschaftlicher Beweis ist, verlangt einen eigenen, sehr umfangreichen Beitrag. (Fussnote 1) Nur soviel sei gesagt: streng wissenschaftliches Denken hat nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun und verlangt nach toten Maschinen, nicht nach "denkenden Herzen".
Schon für sich alleine genommen hat Mattiesens Lebenswerk die überzeugendste, logischste "Durchschlagkraft", wie man sie von totem Papier eigentlich nicht erwarten dürfte. Angesichts Mattiesens Werk, zusammengenommen mit einigen anspruchsvollen Grundlagen der spiritualistischen Literatur und den Ergebnissen der modernen Sterbeforschung, kommt auch der eingefleischteste Skeptiker ins Schwitzen und wird schliesslich - wie gewohnt - die Flucht ergreifen und alle Hebel in Bewegung setzen, um die unbequemen Faktoren unter Wasser zu halten. Oder aber er wird seinen Irrtum bekennen und dann vom ehemalig eigenen Lager "Prügel" beziehen.
Es ist Rudolf Tischner hoch anzurechnen, dass er - als Animist! - der Einzige war, der das Andenken einer der so vielen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Geistesgrössen in einem ehrlichen, wenn auch kritischen Nachruf geehrt hat.

Emil Mattiesen
Auszüge aus einem Nachruf von Dr. Rudolf Tischner

Als Mattiesen seine Augen für ewig schloss, wurde Europa schon vom "totalen" Krieg durchtobt; alle Welt schaute auf das Ringen, und die bürgerliche Welt trat in den Hintergrund. Erst später verbreitete sich die Nachricht von seinem Tode, und es gab damals keine Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen, zumal im Dritten Reich sein Arbeitsgebiet verfemt war. Es scheint mir nun eine Ehrenpflicht zu sein, Mattiesen eine seiner Bedeutung entsprechende Würdigung zuteil werden zu lassen, wobei ich mich, was die äusseren Tatsachen angeht, auf Aufzeichnungen von Verwandten und Freunden von ihm stützen kann, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden. ...Mattiesen besass eine bemerkenswerte Doppelbegabung; er hat sowohl auf dem Gebiet der Philosophie, d. h. der Parapsychologie, als auch auf dem der Musik Hervorragendes geleistet. Er ist Balte, geboren in Dorpat als Sohn des Ratsherrn Emil Mattiesen. Ein Grossvater von ihm war der Herbartianer Ludwig Strümpell, der als Professor der Philosophie in Dorpat und Leipzig lehrte. Mattiesen bezog 1892 die Universität in Dorpat, genoss das dortige heitere Studentenleben und war bekannt wegen seiner lustigen Streiche. 1893 ging er jedoch nach Leipzig und schloss sein Studium schon 1896 mit einer Arbeit aber John Locke und Berkeley ab. Nun setzte er sich das Ziel, den Erdball zu durchstreifen, um überall seine Studien zu machen. Da der Mutter das zu brotlos vorkam und sie ihm die Unterstützung versagte, liess er sich auf einem Hamburger Schiff anheuern als Leichtmatrose; aber schon in Singapur, seinem ersten Ziel, liess er das Schiff im Stich, um die Sprachen Asiens und seine Religionen kennen zu lernen. Jahrelang durchstreifte er Sumatra, Java, Borneo, Kaschmir, Tibet und Japan und studierte die Religionen, vielfach auch seine Kenntnis Gesprächen mit Eingeborenen verdankend. In den USA arbeitete er weiter und setzte seine Studien von 1904-1908 in England (Cambridge und London) fort. Wann Mattiesen der Parapsychologie nähergetreten ist, ist mir unbekannt. Hat er von Anfang an den Plan gehabt, ausgehend von der Parapsychologie, sich mit den ostasiatischen Religionen zu beschäftigen und auf diese Weise tiefere Einblicke in Religionspsychologie und -philosophie zu tun? Oder hat er erst nach Kenntnis von Ostasien in USA und England diesen Weg beschritten? Darüber ist nichts zu sagen.
Seit 1918 wieder in Deutschland wohnend, lernt er dort seine erste Frau kennen, die ihn dazu anregte, sich geflissentlicher der Musik zu widmen, die er bisher sozusagen nur aus dem Stegreif betrieben hatte. In den nun folgenden Jahren sind dann siebzehn Hefte seiner Lieder und Balladen bei Peters erschienen. Von Hugo Wolf ausgehend, hat er selbst bald eigene Töne gefunden und insbesondere auf dem Gebiete der Ballade durchaus Selbständiges und Persönliches geleistet. - Wie mir ein Freund erzählte, arbeitete er im Sommer als Komponist, während er in den Wintermonaten sich überwiegend der Parapsychologie widmete.
Zuerst in Berlin wohnend, zog er sich 1915 in die Stille nach Rostock zurück, wo er in dem abseitigen Vorort Gehlsdorf lebte, nur für einige Jahre im Umkreis von München weilend. 1934 verlor er seine erste Frau, der er in den Liederheften "Vom Schmerz" und "Überwindungen" ein Denkmal setzte. Später wurde ihm noch das Glück einer zweiten Ehe zuteil. Kurz nachdem er das zweite grosse Werk zu Ende gebracht hatte, erlag er am 25. September 1939 einer bösartigen Leukämie.
Sein erstes Werk "Der jenseitige Mensch, eine Einführung in die Metapsychologie der mystischen Erfahrung" - schon 1914 in erster Niederschrift abgeschlossen -, erschien erst 1925 (Bln. Lpzg.). In den nächsten Jahren veröffentlichte er dann in Zeitschriften zahlreiche Arbeiten, die zum grössten Teil als Vorarbeiten zu seinem zweiten grossen Werk aufzufassen sind, dem dreibändigen Werk "Das persönliche Überleben des Todes" (2 Bde. 1936, 3. Bd. 1939).
... Auf Grund seines Studiums der Religionen des Ostens war er zu der Überzeugung gelangt, dass die Religionswissenschaften mit dem üblichen Psychologismus und Naturalismus dem Thema nicht gerecht werden könnten. Zu tieferem Verständnis hielt er eine Kenntnis und Beachtung der Parapsychologie für notwendig. ...Mit feinem psychologischen Verständnis setzt er auf Grund seiner umfassenden Kenntnis des Schrifttums die automatischen Offenbarungen religiöser Natur mit den Mitteilungen der Medien in Beziehung. Bei der Analyse kommt er zu der Ansicht, dass viele Fälle darauf hinweisen, dass es "Seelenreisen" (Exkursionen) gibt, wobei dann das Problem des Astralleibes und der Objektivität der Erscheinungen (Phantoms) nahe liegt. ...Ausführlich beschäftigt sich M. mit den Trancemedien wie Frau Piper und Fr. Leonard, hierbei vielfach sich weniger mit dem einzelnen Inhalt beschäftigend, als mit der Form der Darbietung, oder, wie er meist sagt, mit dem Transdrama und den verschiedenen, daran beteiligten "Personen": dem Medium selbst, dem Vermittler (Fussnote 2) (oder "Spielleiter") und dem Mitteiler (Kommunikator). Diese Szenen hatten soviel Natürlichkeit, dass sie auf selbständige Persönlichkeiten hinweisen, während sie als Spaltpersönlichkeiten des Mediums schwer verständlich seien.
...In seinem zweiten Werk hat er seine Gedanken dann darauf zugespitzt, noch näher und im Einzelnen die spiritistische Deutung zu beweisen. ... Er hat hier auf noch breiterer Grundlage und mit einer ausserordentlich grossen Kenntnis des gesamten Schrifttums, besonders auch des angelsächsischen, alle in Betracht kommenden Punkte scharfsinnig und tiefgründig bearbeitet. Von animistischer Seite hat man öfters gesagt, die Behauptungen des Spiritismus zu beweisen sei unmöglich. ...Das sieht auf dem Papier ganz logisch aus, wird aber doch dem oft sehr verwickelten Tatbestand schwerlich gerecht, und man muss Mattiesen recht geben, dass die spiritistische Deutung vielfach die einfacherer und in gewissem Sinne "natürlichere" ist.
... Mattiesen liefert mit seinem Werk einen sehr beachtlichen Induktionsbeweis zugunsten der spiritistischen Deutung, der neben dem Animismus und der Lehre vom Weltbewusstsein durchaus besteht. Es stellt seit Myers berühmtem Buch "Human Personality", das 1903 erschien, was Umfang des Stoffes und seine geistige Bewältigung angeht, die bedeutendste Leistung der Parapsychologie dar, die noch auf lange Zeit die Geister beschäftigen wird.

(Rudolf Tischner)

Man sollte beim Lesen der von mir ausgewählten Stellen dieses Nachrufs meinen, Tischner sei unbedingter Anhänger Mattiesens und selbst ein Vertreter der spiritistischen Hypothese gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Tischner (verst. 1961) war schon zu Mattiesens Lebzeiten ein Skeptiker und jenem auch als solcher bekannt. Neben den von mir aufgeführten, bejahenden Stellungnahmen Tischners übt er im vollständigen Nachruf auch scharfe Kritik, die seine hier zugegebenermassen einseitig zitierte Zustimmung eigentlich wieder neutralisiert. Doch würde der vollständige Nachruf die Funktion eines solchen mit seinen wissenschaftlichen Diskussionen überschreiten und somit wohl viele Leser überfordern. Es ehrt den Animisten Tischner, seinem ehemaligen Gegner trotzdem soviel aufrichtige Anerkennung zu zollen.
Mattiesens Werke sind heute noch im renommierten de Gruyter-Verlag erhältlich. Als wissenschaftlichste Grundlage unserer Weltanschauung lohnt sich ein Studium von "Das persönliche Überleben" über alle Massen und wird, so hoffe und glaube ich, eines Tages mit den Werken u.a. du Prels den öffentlichen Rang einnehmen, der ihm gebührt.

WB-Redaktion


Fussnote 1: Prof. Dr. Schiebeler erläuterte dieses Problem sehr prägnant in seinem hervorragenden Beitrag. (Wegbegleiter März 1996, Nr. 2, I. Jahrgang, S. 51 ff und WB Januar 1996, Nr. 1, S. 17 ff)
Fussnote 2: auch: "Kontrolle" oder "Kontrollgeist", der bei vielen Medien während der Trance das einzige inkorporierte Geistwesen bleibt, aber die Äusserungen "aussenstehender" Jenseitiger (hier: "Kommunikatoren") durch das Medium an den Sitzungsteilnehmer vermittelt.



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Letzte Änderung am 11. Februar 2005