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Geisteswissenschaft - Psychologie - Bewusstsein
Artikel von Dr. Beat Imhof, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 2/2004, S. 20-23.

Das karmische Unbewusste

von Dr. Beat Imhof

Die heutige Psychologie kennt drei Tiefenschichten des unbewussten Seelenlebens: Das persönliche Unbewusste entdeckte der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud (1856-1939), das familiäre Unbewusste beschrieb der ungarische Psychiater Leopold Szondi (1893-1986) und das kollektive Unbewusste erforschte der Schweizer Seelenarzt Carl Gustav Jung (1875-1961). Die erstgenannte Schicht beinhaltet alle im gegenwärtigen Leben vergessenen und verdrängten Erlebnisinhalte. Im zweiten Bereich sind die vererbten Eigenheiten und Verhaltensmuster gespeichert, die sich im jetzigen Erdendasein als Existenzmöglichkeiten auswirken können. Der dritte Seelenraum enthält die Erfahrungen der gesamten Menschheitsgeschichte, die sich im Verlauf von Jahrtausenden im Unbewussten von Völkern und Rassen angesammelt haben und in Träumen, Märchen und Symbolhandlungen ihren Niederschlag finden. Als vierte Schicht, die in der modernen Tiefenpsychologie nicht erwähnt wird, möchte ich das karmische Unbewusste hinzufügen. Sein Ort ist der feinstoffliche Astral- oder Seelenkörper, mit dem der unsterbliche Geist nach dem Ausstieg aus dem grobstofflichen Körper in der Jenseitswelt bekleidet ist.

Dieser vierten seelischen Tiefenschicht liegt jene Begebenheit zugrunde, die wir das Karma nennen. Dieses Wort wird von der Sanskritsilbe "kri" abgeleitet und als Tat und Folge der Tat übersetzt. Sprachlich ist es verwandt mit dem lateinischen "creare" für tun, schaffen, bewirken. Die Lehre vom Karma besagt, dass jedes beabsichtigte und bewusste Tun und Lassen seine Folgen nach sich zieht. Der französische Philosoph Voltaire (1694-1778) war überzeugt: "Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, aber auch für das, was wir nicht tun."

Unter den zwölf geistigen Gesetzen, die in der ganzen Schöpfung wirksam sind, ist das Gesetz des Karma für die ausgleichende Gerechtigkeit verantwortlich. Der indische Weise Radhakrishna nannte es das "Gesetz von der Erhaltung der moralischen Energie". Gemäss diesem bestimmt jeder Mensch sein jetziges Erdenschicksal durch die Summe seiner früheren Taten und Untaten, seiner Werke und seiner Unterlassungen. Wir begegnen diesem Gesetz in Spruchweisheiten wie "Was einer sät, das wird er ernten...", "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein", "Wie du mir, so ich dir" oder "Was zu dir gehört, das kommt dir zu." Es ist also das Gesetz der Gegenläufigkeit und des Ausgleichs, das auf Grund seiner eigenen Wirkkraft dafür sorgt, dass uns heimgezahlt wird, was wir anderen schuldig geblieben sind, aber auch, dass Gutes mit Gutem gelohnt und Böses mit Bösem bestraft wird. Daher ist es verständlich, dass wir in jedem nachfolgenden Erdenleben als Ernte einheimsen, was wir im vorangehenden als Saat ausgebracht haben. Der Speicher, in dem jenseits von Raum und Zeit unsere Gewinne und Verluste wie bei einem Kontoauszug aufgerechnet werden, nennen wir das karmische Unbewusste. Daher dichtete Goethe in seinem Faust II: "Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn."

Die Inhalte des karmischen Unbewussten sind uns für gewöhnlich nicht bewusst, weil die "Herren des Karma" bei der Neugeburt eines Kindes den Schleier des Vergessens über dessen Gesicht werfen oder weil der "Engel des Vergessens" das Neugeborene auf den Mund küsst (1), damit es nicht durch Erinnerungen an seine früheren Leben belastet wird. Der Mensch gleicht einem Schauspieler, der sich in seiner jüngsten Rolle nicht an frühere Auftritte erinnern soll, sondern sich auf der Bühne des Lebens ganz auf seinen jetzigen Part zu konzentrieren hat

Freilich kann es gelegentlich geschehen, dass uns ein Einblick in die jenseitige Datenbank, die wir "Akasha-Chronik" nennen, gewährt wird. Aus diesem karmischen Archiv stammen jene Erinnerungsstücke, denen wir in spontanen Rückerinnerungen und gezielten Rückführungen begegnen, aber auch in Träumen und Visionen, die auf frühere Existenzen hinweisen. Auch schicksalsbestimmende Programmierungen, wie sie sich in der Berufswahl und in der Partnerwahl sowie in angeborenen Krankheiten und Gebrechen auswirken können, lassen sich aus karmischen Erinnerungsspuren verstehen. Es ist auch keineswegs zufällig, dass ein Kind in eine ganz bestimmte Familie hineingeboren wird, die sein zukünftiges Leben durch das mitgegebene biologische Erbe beeinflusst. Cornelia Brunner, eine Schülerin von C.G. Jung schreibt: "Wir haben Grund zu der Annahme, dass sich Linien der Ahnen und der früheren Inkarnationen kreuzen, da man in Familien hineinverkörpert wird, mit denen man früheres Karma zu erfüllen oder zu erlösen hat." (2) Derartige karmische Verflechtungen lassen sich manchmal über mehrere Generationen verfolgen, so dass man den Eindruck bekommt, der Mensch sei mit einem bestimmten Auftrag behaftet, so dass er nun fortzusetzen oder zu vollenden hat, was seine Ahnen und Vorfahren unerledigt gelassen haben.

Indem wir diese Zusammenhänge begreifen und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen, verstehen wie Goethes Einsicht:

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiss Rechenschaft zu geben,
Bleibt im Dunkeln unerfahren,
Mag er von Tag zu Tage leben.

Wie aus dem karmischen Unbewussten früheste Erinnerungen ins Bewusstsein drängen können, schildert der Schriftsteller Baron Alexander von Bernus, der 1970 im Stift Neuburg in Donamünster nahe Donauwörth starb, in seinem tiefsinnigen Gedicht "Zusammenhänge" (3):

Ich weiss von aufgetanen Tagen
und vom unausgesprochnen Ziel
Geheimnisvolles viel zu sagen
und von der Vorzeit weiss ich viel.

Ich sah die schattenhaften Mysten
gesangsweis um die Tempel gehen,
ich weiss, wo die verborgnen frühsten
noch unverlöschten Lampen stehn.

Ich hob aus nie erreichten Schächten
den Bergkristall mit meinem Ton,
und beschwor in den zwölf heilgen Nächten
die Wesenheiten, die uns bedrohn.

Ich spürte mit der Wünschelrute
die Schätze auf aus dunklem Grund,
und meine Stimme lag im Blute
und wurde Brot in jedem Mund.

Ich schaute in den Stein der Weisen,
ich selbst von jeder Schwere frei,
und verschwieg die Kunst wie Eisen
in lauteres Gold zu wandeln sei.

Ich lebte in tausend Leben
jeder noch so verfemten Liebe nach,
und wenn ich heute tönend rede
so bin ich's nicht allein, der sprach.

Und jede Saite, die ich rühre
schlug ich schon einmal an vorlang,
und in vergessnen Sängen spüre
ich meinen eigenen Gesang.

Und sind mir auch Gestalt und Namen
entfallen derer, die ich war,
so ahn' ich doch, woher sie kamen
aus dem, was ich an mir erfahr.

Was mir gehört ist mein Vermächtnis
und aus dem heut' noch halben Schein
wird dem nächsten Leib Gedächtnis
an jedes vorgewesne Sein.



Literaturhinweise:

(1) Cabobianco, Flavio M.: Ich komme aus der Sonne. Ch. Falk Verlag, Seeon 1994, S, 8 - 9.

(2) Brunner, Cornelia: Mein Weg zur Individuation. Rothenhäusler Verlag, Stäfa 1996, S.119.

(3) Von Bernus, Alexander: Unsterblichkeit und Wiederkehr. Verlag Hans Carl, Nürnberg 1975, S. 23 - 24.


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"