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Religionen - Interreligiöser Dialog - Christentum / Islam

Interview von Matthias Herren ('Kirchenbote' CH-Brugg) mit Prof. Hans Küng, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 3/2005, S. 71-75.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Christentum und Islam

Der Tübinger Theologieprofessor und Präsident der "Stiftung Weltethos" Hans Küng über Verbindendes zwischen Christentum und Islam

Von Matthias Herren aus "Kirchenbote" Aargau (CH), Nr. 4 / Febr. 2005

M. H.: Herr Küng, das Christentum und der Islam haben mit Adam und Abraham nicht nur gemeinsame Wurzeln. Mit dem Glauben an den einen Gott und der Aufforderung zur Nächstenliebe vertreten die beiden Religionen auch dieselben theologischen Positionen und Werte. Warum aber haben wir heute diese grossen Auseinandersetzungen?
Hans Küng: Auch Christen sollten verstehen: Die fünf grossen welthistorischen Konfrontationen zwischen Islam und Christentum sind unter Muslimen nicht vergessen. Die muslimischen Eroberungen führten im 7. und 8. Jahrhundert zu Auseinandersetzungen mit Ost-Rom (Byzanz) und Spanien. Im 12. Jahrhundert folgten die Kreuzzüge und später dann die osmanische Expansion mit der Eroberung von Konstantinopel. Weit ins 20. Jahrhundert hinein reichte die fünfte Auseinandersetzung als Folge der Kolonialisierung, die zur Herrschaft der "christlichen Mächte" von Marokko bis Indonesien führte.

Waren das nicht militärisch-politisch-wirtschaftliche Konfrontationen?
Nur zum Teil. Für diese Kriege wurden von beiden Seiten auch theologische Motive ins Feld geführt: ob das nun der Dschihad auf muslimischer Seite war oder die Idee des Kreuzzugs bei den Christen. Bei den jüngsten Auseinandersetzungen, die sich vor allem auf das Palästina-Problem konzentrieren, sind auf allen Seiten religiöse Motivationen im Spiel. Die Religionen sind zwar nicht Ursache der neuesten Konflikte, aber religiöse Faktoren können politisch-militärischen Konflikten eine Tiefendimension verleihen, die bis zur Fanatisierung führen kann.

... was bei uns bewirkt, dass der Islam zum Feindbild stilisiert wird.
Es ist keine Frage, dass von bestimmten Kreisen, vor allem in den USA, das Feindbild "Islam" mit allen Mitteln propagiert wird. Wie man früher einen ideologischen Antikommunismus pflegte, so heute eine ideologische Islamophobie [Phobie: krankhafte Angst]. Dabei hat gerade die amerikanische Politik diese Angst und den Terrorismus gefördert: einerseits durch die einseitige Unterstützung des Staates Israel und die Verhinderung eines Palästinenserstaates, andererseits durch die Kriege gegen zwei islamische Staaten, Afghanistan und Irak.

Und nun sollen wir auf diesem Hintergrund auf das Verbindende der beiden Religionen hinweisen. Ist dies nicht leeres Gerede und weit von dem entfernt, was der Christ oder die Muslima auf der Strasse denkt und erlebt?
Immerhin dürften die meisten Muslime davon überzeugt sein, dass Juden, Christen und Muslime denselben Gott anbeten. Allerdings wissen viele Christen nicht, dass "Allah" nicht etwa einen muslimischen Sondergott bezeichnet, sondern der arabische Name für Gott ist, den auch die arabischen Christen für den christlichen Gott gebrauchen. Die meisten Muslime wissen, dass Isa (Jesus) im Koran eine höchst positive Rolle spielt, wie auch andere Gestalten der Bibel.
Umgekehrt ist vielen Christen unbekannt, dass eine ganze Reihe biblischer Erzählungen sich auch im Koran finden, so auch die Weihnachtsgeschichte. Dort freilich aus einer anderen Perspektive. Ich glaube auch, dass vielen Gläubigen beider Religionen zunehmend bewusst ist, dass es gerade auf der ethischen Ebene viele gemeinsame Werte, Normen und Standards gibt, die im "Projekt Weltethos" herausgearbeitet wurden.

Liegt denn im Verbindenden zwischen dem Islam und dem Christentum der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration?
Sicher ist, dass die derzeitige Angststimmung, in der jeder Muslim zum potentiellen Terroristen dämonisiert wird, Integration verunmöglicht. Viele Muslime fühlen sich in der Schweiz nicht als Muslime willkommen. Das wird sich kaum ändern, wenn man nicht auch deutlich das Gemeinsame herausstellt. Erfreulicherweise geschieht das schon auf vielfältige Weise, zum Beispiel im Religionsunterricht. Und wenn man den heutigen Informationsgrad vieler Schweizer mit dem vor 30 Jahren vergleicht, sieht man doch, dass die Weltgeschichte trotz aller Blockaden auch Fortschritte macht.

Wie könnte man dies im alltäglichen Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen fruchtbar machen?
Im Alltagsleben, in der Schule und am Arbeitsplatz funktioniert das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen oft ohne Probleme. Immer häufiger laden sich zum Beispiel Christen und Muslime gegenseitig zu ihren grossen Festen ein oder schicken wenigstens Grüsse. Man muss aber auch pädagogisch arbeiten. Gerade unsere Stiftung "Weltethos Schweiz" hat erreichen können, dass in vielen Schulen unsere pädagogischen Materialien über den Islam und die anderen Religionen verwendet werden. Es freut mich, dass wir im nächsten Jahr unsere Aktivitäten auch auf die Romandie ausdehnen können.

Den Dialog in Ehren. Was dem Islam für eine offene Diskussion mit dem Christentum fehlt, ist doch die Phase der Aufklärung.
Es darf nicht vergessen werden, dass auch die katholische Kirche die Paradigmenwechsel [Paradigma: Beziehung zwischen Elementen] der Reformation und der Aufklärung zunächst nicht mitgemacht hatte und beide Paradigmenwechsel erst im 20. Jahrhundert, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, weitgehend nachvollzogen hat. Ebenso steht der Islam jetzt vor der Notwendigkeit einer religiösen Reform und einer Aufklärung. Diese muss eine historisch-kritische Interpretation des Koran, der Menschenrechte, der Toleranz und eine gewisse Trennung von Religion und Staat umfassen.

Müsste man damit eben nicht doch das Trennende der beiden Religionen betonen?
Ich ärgere mich oft darüber, dass man gerade mir immer wieder einen zu optimistischen Blick nur auf das Verbindende vorwirft. Ich habe doch wahrlich die Unterschiede zwischen Christentum und Islam wiederholt präzis, differenziert und ausführlich dargelegt! Selbst in einer Rezension eines anerkannten Islamkundlers in der NZZ wurde ein völlig einseitiges und verzerrtes Bild von meinem neuen Buch "Der Islam" dargestellt. Gemeinsamkeiten betonen heisst nicht, Unterschiede zu leugnen oder kleinzureden.

Was müssten Christen und Muslime voneinander lernen, damit eine bessere Verständigung und Integration möglich ist?
Christen können vom Islam lernen, dass Religion nicht reine Privatsache ist, sondern auch Konsequenzen haben sollte für die Stellung des Individuums in der Gesellschaft. Zugleich könnten sie lernen, dass der Glaube an den einen und einzigen Gott nicht verdunkelt werden sollte, weder durch exzessiven Heiligenkult katholischerseits noch durch eine Christologie, die Christus als "Sohn Gottes" faktisch mit Gott, dem Vater, identifiziert, der doch nach dem Neuen Testament "der Gott" schlechthin ist.

Und die Muslime?
Sie können lernen von der Botschaft Jesu. Gerade bestimmte Akzente des Ethos der Bergpredigt – das Verzeihen, die Feindesliebe, das Friedenstiften – kann die Gestalt Jesu sehr deutlich machen. Darüber hinaus aber werden Muslime auch vom Christentum lernen können, dass heute nicht mehr die Identifikation von Religion und Staat durchgehalten werden kann, die auch im Christentum lange Zeit üblich war. Man kann auch als religiöser Mensch eine säkulare Gesellschaft voll bejahen und sich in ihr engagieren. In der Türkei wird zur Zeit das interessante Experiment einer islamischen Demokratie erprobt, das – unabhängig von der Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union – alle Unterstützung verdient.



Hans Küng, 1928 in Sursee geboren, studierte an der Päpstlichen Universität in Rom Philosophie und Theologie, nahm als Experte am Zweiten Vatikanischen Konzil teil, ist katholischer Priester und emeritierter [zurückgezogener] Professor für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der "Stiftung Weltethos". Ihm wurde 1979 wegen kritischer Äusserungen gegenüber der katholischen Lehre vom Papst die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.

Weltethos: Die Frage nach Werten, welche die Menschen aller Religionen und Kulturen verbinden, geht zurück auf die Programmschrift "Projekt Weltethos" von Hans Küng. Der Tübinger Theologieprofessor entwickelte darin programmatisch [zielsetzend, richtungsweisend] die Idee, dass die Religionen der Welt nur dann einen Beitrag zum Frieden der Menschheit leisten können, wenn sie sich jetzt schon auf einen Grundkonsens [Übereinstimmung] an verbindenden Werten, unverrückbaren Massstäben und persönlichen Grundhaltungen besinnen. Die im Jahr 1995 gegründete "Stiftung Weltethos" will sich für die Förderung dieses "hohen Ziels" einsetzen. Website: www.weltethos.org


[ Anm.d.Erf.: Die Website von "Schweizer Reformierter Pfarrverein", bei dem der Kirchenbote erscheint, lautet: www.pfarrverein.ch. ]



Begegnung von Papst Benedikt XVI. mit Professor Hans Küng

Pressecommuniqué, Città del Vaticano, 26. September 2005

Am Samstag, den 24. September 2005, fand in freundschaftlicher Atmosphäre ein Gespräch zwischen Papst Benedikt XVI. und Professor Hans Küng (Tübingen) statt. (...) Professor Küng stellte heraus, dass es bei dem Projekt Weltethos keineswegs um eine abstrakte intellektuelle Konstruktion gehe. Es werden vielmehr die moralischen Werte ins Licht gesetzt, in denen die grossen Religionen der Welt bei allen Unterschieden konvergieren und die sich von ihrer überzeugenden Sinnhaftigkeit her auch der säkularen Vernunft als gültige Massstäbe zeigen können. Der Papst würdigte positiv das Bemühen von Professor Küng, im Dialog der Religionen wie in der Begegnung mit der säkularen Vernunft zu einer erneuerten Anerkennung der wesentlichen moralischen Werte der Menschheit beizutragen. Er stellte heraus, dass der Einsatz für ein erneuertes Bewusstsein der das menschliche Leben tragenden Werte auch ein wesentliches Anliegen seines Pontifikates darstellt.

Ebenso bekräftigte der Papst seine Zustimmung zu dem Mühen von Professor Küng, den Dialog zwischen Glaube und Naturwissenschaft neu zu beleben und die Gottesfrage dem naturwissenschaftlichen Denken gegenüber in ihrer Vernünftigkeit und Notwendigkeit zur Geltung zu bringen. Professor Küng seinerseits drückte seine Zustimmung zu dem Mühen des Papstes um den Dialog der Religionen wie um die Begegnung mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen der modernen Welt aus.



(Red.: Muslime werden oft pauschal als Islamisten, der Islam als an sich gewalttätige Religion bezeichnet. Dass es auch fortschrittliche MuslimInnen gibt, die sich vermehrt zu Wort melden, zeigt z.B. in der Schweiz das "Forum für einen fortschrittlichen Islam", präsidiert von Saïda Keller-Messahli, (siehe Website: www.forum-islam.ch). Zitate von S. K.-M.: „Wir möchten zeigen, dass Menschenrechte und Islam keineswegs Gegensätze sind, wie das hüben und drüben immer wieder unterstellt wird. Wir möchten eine Diskussion lancieren, welche die Offenheit und Beweglichkeit islamischen Denkens und islamischer Kultur darstellt. (...) Die bestehenden islamischen Organisationen reden ganz selbstverständlich im Namen der 350'000 Muslime in der Schweiz. Dagegen wehren wir uns, denn die Mehrheit dieser Muslime wird nicht von diesen Organisationen repräsentiert. Unser Ziel ist es, jene Menschen zu erreichen, die an einem kritischen, undogmatischen und weltoffenen Umgang mit dem Islam interessiert sind. (...) Heute werden viele Debatten im Islam unter säkularen [weltlichen] Gesichtspunkten geführt. Nur nimmt man es hier selten zur Kenntnis, und von den orthodoxen Kräften wird diese Diskussion ignoriert. Nicht die Muslime in Europa müssen sich reformieren, sondern im ganzen Islam müssen wir die reformerischen Kräfte unterstützen. (...) Der militante Islam ist ein Ausdruck der Konfrontation, welche sowohl von orthodoxen muslimischen Kreisen wie auch von alten nationalistischen Seilschaften herbeigeführt wird. (...) Was man mit Integration bezeichnet, kann nur gelingen, wenn vorgängig die Verschiedenheit wirklich akzeptiert ist. Das gilt für beide Seiten. Die Muslime müssen also die kulturellen, sozialen und politischen Grundregeln der Schweiz akzeptieren und respektieren. Toleranz ist dort gefragt, wo mir etwas nicht in den Kram passt. Sie erfordert eine gewisse Selbstüberwindung, sich mit anderen Sitten und Gepflogenheiten vertraut zu machen. (...) Man muss aufhören, diesen Gegensatz "islamische Welt versus christliche Welt" zu festigen. Notwendig wäre ein ernsthaftes Interesse an den Auseinandersetzungen in der islamischen Welt selbst. Hier geht es nämlich darum, welches islamische Denken sich in nächster Zeit durchsetzen wird: ein säkulares oder ein orthodoxes. Solange der Westen tyrannische Regime und die unmenschliche Unterjochung z.B. der Palästinenser stützt, ist er auf Seiten der reaktionären Kräfte.“

Der Konflikt wird m. E. von den weltweit wirkenden negativen Kräften dazu benutzt, die Religionen gegeneinander auszuspielen. – T.F.)


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"