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Religion - Indien
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Walter Vogt, Zürich aus der Zeitschrift "Wegbegleiter", Sept./Okt. 1999, Nr. 5, IV. Jahrgang, S. 321 ff.)

Kunterbuntes aus Indien

Auf diesem Subkontinent gibt es unzählige Gurus, die meditierend sich in andere Bewusstseinsebenen versetzen können. Wie aber sieht es im Volk aus, das in tiefster Armut und Unwissenheit lebt?
Eine treffende Antwort gibt uns der berühmte Swami SIVANANDA. "Wir finden gegenwärtig Personen, die in orangene Priesterkleider gehüllt, Indien durchwandern und sich als Sadhus ausgeben. Sie benehmen sich auf eine Art und Weise, die die gesamte Gemeinschaft der Mönche und Yogis in Verruf bringt. Sie kennen die heiligen Schriften überhaupt nicht und ihr öffentliches Auftreten erzeugt überall Kritik und niederschmetternde Skandale, welche die authentischen Orden schädigen." Ein Polizeibericht aus den sechziger Jahren bestätigt seine harte Rüge. "Ja, Betrüger. Diese Sadhus werden immer mehr zu einer regelrechten Landplage. Die Menschen in den Dörfern sind ja so unwissend. Sie glauben alles, was ihnen einer so vorschwätzt. Da haben die Sadhus leichtes Spiel. Sie verkaufen ihren Segen und wer ihn nicht kaufen will, dem drohen sie mit ihrem Fluch. Dann zahlt jeder. Vieles erfährt die Polizei überhaupt nicht, aber Kindesentführung, betrügerische Wundertäterei, Heilung mit Todesfolge - das sind bei uns typische Sadhu-Delikte." Der Bericht fährt fort: "Es gibt selbstverständlich auch viele gute Sadhus, edle Männer von tiefer Religiosität. Sie sollen künftig ein Kennzeichen erhalten, das sie von den Betrügern unterscheidet: das Diplom einer staatlichen Sadhu-Schule. Für diese Schulen brauchen wir Lehrer. Sie sollen auf der Akademie herangebildet werden. Die amtlich kontrollierte Ausbildung, die auch Fächer der Sozialhygiene und Staatswissenschaften umfasst, wird gewiss die Spreu vom Weizen scheiden."

Heilige auf der Schulbank

Pandit NEHRU sorgte tatsächlich in den sechziger Jahren dafür. Er forderte nämlich in der Hauptversammlung des neugegründeten Allindischen Sadhu-Bundes, dass sie den Fortschritt in den Dörfern verkünden. Auf ihren Wanderungen sollen sie von der neuen Zeit berichten. Auch von besseren Anbaumethoden soll die Rede sein. Jenseitssuchende dürfen den technischen Fortschritt nicht hemmen. Wie weit diese Anordnungen im Lauf der Zeit verwirklicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. - Im Land der tausend Wunder und Abenteuer herrscht noch heute Trostlosigkeit, Überbevölkerung, Hunger, Epidemien, ständiges Elend, Ungerechtigkeit, Aberglaube und Analphabetentum.

Gandhi und die christlichen Missionare

Er war dem Christentum zugetan. Die Bergpredigt schätzte er über alles. Weshalb aber blieb er dem Glauben seiner Väter treu? Stets warf er den westlichen Missionaren vor, dass sie nur von Jesus Christus erzählen, nicht aber nach dem Geist der Bergpredigt leben. Der wahre Glaube müsse "gelebt" werden, betonte er. Viele hätten nicht der Liebe gedient. Die grosse Seele Indiens, wie sie auch genannt wird, äusserte sich einmal so:
"In Hindufamilien hat die Ankunft eines Missionars stets einen Bruch in der Familie bedeutet, der sich bei den 'Bekehrten' mit dem Wechsel des Glaubens, der Kleidung, der Sitten, der Sprache, von Essen und Trinken einstellte." Viele Missionare bildeten sich ein, dass sie in ein Land der Heiden gekommen sind, gedachten aber nicht, dass jene Gott mit der gleichen Inbrunst suchen. Auf Grund seiner ausgedehnten Religionsstudien erkannte er die krassen Gegensätze zwischen der Lehre Pauli (das heutige Staatschristentum) und der reinen jesuanischen Botschaft. Wohl deshalb blieb er dem Hinduismus treu.

Sadhu Sundar Singh

Dieser grosse Christuszeuge verlangte von der abendländischen Kirche, dass sie nur gläubige Missionare zur Arbeit nach Indien sende. Schöne Worte und gut einstudierte Lehrsätze erreichen die indische Seele nicht. Solche, welche die Gottheit Christi leugnen, bringen anstatt geistliche Nahrung bloss Gift. Singh bemerkte ausdrücklich, dass das Lebenswasser den Indern in indischen Gefässen, d.h. in indischen Formen, dargebracht werden soll. Im Becher Europas verliere es seine Kraft. Wie dachte Singh über die Askese?
Einst kam er ins Gespräch mit einem besonders Bussfertigen, der seine Hand hoch über den Kopf hielt. Die Knochen des Armes standen so, dass er ihn nicht senken konnte. "Herr", sagte er "mit dieser Hand habe ich gestohlen und viele geschlagen; aber es kam ein Tag, da kam ein solcher Schrecken über mich, dass mein ganzes Leben bis in die Grundlagen erschüttert wurde. Ich gab meinen alten Lebenswandel gänzlich auf und beschloss, entweder diese Hand abzubauen oder, indem ich sie unbrauchbar machte, ihr die Strafe zu geben, die sie verdiente. Ich fragte meinen Guru und auf seinen Rat hin hielt ich meinen Arm dauernd über meinen Kopf, bis er schliesslich ganz vertrocknet und in dieser Haltung fest geworden war. Darauf bin ich stolz." Sundar Singh bewunderte seinen Mut, erwiderte ihm jedoch. "Statt deine Hand zu vernichten, hättest Du sie gebrauchen sollen, um anderen zu helfen. Auf diese Weise hättest du bis zu einem gewissen Grad das Leid, das du durch sie angerichtet hast, wieder gutmachen können. Wahrer Mut besteht nicht in nutzloser Zerstörung, sondern darin, dass du deine Hände gebrauchst, um anderen zu helfen. "
Ein anderer Asket sass bei heissem Wetter zwischen fünf Feuern. War das Wetter jedoch eisig, so stand er stundenlang im Wasser. Der Begleiter des Sadhu fragte ihn voller Mitleid: "Seit fünf Jahren hast du dich auf diese Weise gequält; sag mir doch, was du bei dieser Arbeit zu leben gelernt hast. Was ist dir Gutes daran erwachsen?" Seine Antwort. "Ich habe keine Hoffnung auf irgendeinen Gewinn in diesem gegenwärtigen Leben, und über die Zukunft kann ich nichts sagen. Das ist alles, was ich dir darüber sagen kann."
Achtzehn Monate lang kasteite sich ein Büsser auf einem Nagelbrett. Enorm war sein Wille, um sämtliche Begierden des Fleisches abzutöten. Unser Sadhu bemühte sich, diesem Asketen sein vergebliches Bemühen vor Augen zu führen, indem er ihm sagte: "Denn da die Nägel die Hände und Füsse eines Sündlosen durchbohrt haben um der Sünde willen, so sind wir jetzt durch sein Opfer von der Sünde und ihren Folgen erlöst." Der Büsser: "Niemals kann ich zugeben, dass Erlösung als freies Geschenk und in einem einzigen kurzen Leben erlangt werden kann."
Im Jahre 1925 begab sich der vierzigjährige Sadhu nach Tibet. Von dieser Reise kehrte er nicht mehr zurück. Es wird vermutet, dass er den Märtyrertod fand, vor dem er sich nie fürchtete. - In einem bekannten "Orden" wurde vor Jahren folgende Frage gestellt: "Ist der indische Missionar Sadhu Sundar Singh eines natürlichen Todes gestorben oder erlitt er den Märthyrertod?" Hier die medial empfangene Durchsage: "Weder noch. Er hat sich dematerialisiert; er gehörte zu den Avataren, über die ich euch schon berichtet habe. Diese geistig hochentwickelten Seelen können aus eigener Kraft den physischen Leib auflösen, d.h. verfeinstofflichen..." Durch Yogi Parahamansa Yogananda wissen wir, dass diese Möglichkeit besteht. Der Tod kann also überlistet werden. Einem solchen "Gottmenschen" bleibt also der Todeskampf erspart. Ob aber eine solche Methode unserem unsterblichen Selbst frommt, sei dahingestellt. Unzählige Indienpilger vergöttlichen geradezu solche Meister. Meines Erachtens handelt es sich hier um eine krasse Selbsterlösung. Dazu der Theologe Dr. Kurt E. KOCH: "Der Verführungsplan der Schlange im Paradies -'sein wie Gott', ist damit erfüllt."

Nikodemus-Christen

Wie ich erfuhr, soll es unter ihnen Hunderttausende geben, die in ganz Indien, ja sogar in Nachbarländern beheimatet sind. Nur wenige befinden sich jedoch in einer geschlossenen Organisation. Obwohl sie Nikodemus-Christen sind, ist ihr Vorbild der Apostel Thomas. (Die katholische Kirche akzeptierte von jeher Thomas als den Apostel Indiens.) Unter ihnen gibt es zwei Klassen: "Swami" (Herren, Gebieter, Lehrer) und "Sysia" (Schüler). Die Erstgenannten leben als zölibatäre Asketen und tragen das gelbe Gewand, das in Indien höchste Achtung geniesst. Eigentliche Kastenunterschiede gibt es bei ihnen nicht. Alle erkennen sich jedoch an dem Beinamen "Nand", was selig bedeutet. Ihre Zusammenkünfte finden in Gebetshäusern statt, die oft den Hindutempeln gleichen. In ihnen aber gibt es weder Bilder noch Altäre. Bibellesung und Gottesdienste werden in der Sanskritsprache abgehalten. Dieser Umstand weist darauf hin, dass viele Anhänger den gebildeten Bevölkerungsschichten angehören. Sehr oft fand Sundar Singh bei ihnen Unterkunft und Verpflegung, wenn er von der Bevölkerung vertrieben oder gar verfolgt wurde.

Christliche Sanyasi

Bei ihnen gibt es keine Klassenunterteilung; sie bedienen sich aber auch des Namens "Nand". Zudem wird kein offenes Bekenntnis abgelegt. Die Taufe wird als Furcht vor Verfolgung vermieden. Ein solcher Prediger sagte einmal zu einem amerikanischen Missionar: "Wir sind nicht als Christen bekannt, aber Christus kennt uns und wir kennen ihn. Wenn die Zeit erfüllt ist, wird uns ganz Indien kennenlernen." Diese Worte erfüllten sich nicht. Ein hochgelehrter Hindu sagte es treffend: "In dem Namen Christi verkörpert sich alles, was Indien hasste, denn er wurde in eine Linie gestellt mit dem englischen Weltreich und den ausländischen Herrschern."

Hindu-Sanyasi

Dieser Begriff sagt aus, dass es sich um "heimatlose Bettler" handelt. Solche Menschen verlassen um der Frömmigkeit willen Familie, Besitz und Heimat. Sie ziehen sich in die Wälder zurück, um der Welt völlig zu entsagen. Seitens der Regierung aber werden sie vielfach als Parasiten der Gesellschaft eingestuft, weil sie keine "nützliche Arbeit" verrichten.

Sai Baba

Dieser Meister ist umstritten. Die einen verehren ihn als Gott, andere dagegen sehen ihn geradezu als Schwindler und Scharlatan. Eine seiner Aussagen ist jedoch äusserst bemerkenswert. Einem deutschen Priester, der in seinem Ashram weilte, sagte er: "Warum kommen Sie nach Indien? Sie haben ja Jesus Christus. "

Ein Hinweis für gottsuchende Indienpilger

"Unfassbar, dass der Westen auf der Suche nach geistlicher Einsicht nach Indien blickt. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass der Hinduismus mit seinen fatalistischen Lehren von Karma und Reinkarnation die Wurzel von Indiens Problemen ist. Welche masslose Blindheit, östlichen Mystizismus als wahre Erleuchtung anzusehen. Der traurige Zustand Indiens ist ein beredtes Zeugnis dieser Finsternis." (Rabindranath R. Maharaj, Verfasser des Buches "Der Tod eines Guru")

Hindu-Extremismus

Der Hinduismus kennt weder Gründer noch Dogmen. Alles ist Religion und alles hat in ihr Platz. Es handelt sich um einen religiösen Synkretismus. Jedem das Seine. Der hinduistische Heilige RAMAKRlSHNA (1834 -1886) sprach die Worte: "Meine Stärke ist die Vielseitigkeit." Unter Hindus gibt es in der Tat Theisten, Deisten, Monotheisten, Polytheisten, ja sogar Atheisten. Für Westler geradezu verlockend...
Im Februar 1999 verbündeten sich fanatische Hindus gegen die Christen; sie propagierten ein neues Schlagwort: "Zwangsbekehrungen durch die Kirche". In einer Sondersitzung der Vishwa-Hindu Parishad (VHP oder Welt-Hindu-Föderation), wurde eine Resolution verabschiedet, in der ein strenges Gesetz gefordert wird, durch das die Aktivitäten der christlichen Gemeinden verboten und der Fluss von ausländischen Geldern an diese verhindert werden soll. Sie fordert auch die Regierung auf, ein "Weissbuch" über christliche "antiindische Verschwörungen" zu veröffentlichen. Es ist das Ziel der VHP, die Wählerschaft zu polarisieren, Misstrauen zu säen und die sekulären Hindus davon zu überzeugen, dass die christliche Kirche eine "westliche Verschwörung" ist, die Indien zu einem christlichen Land machen will. (In Indien gibt es circa 2,5% Christen.). Die Tagespresse kommentierte dieses Geschehen mit ein paar kurzen Zeilen. Selbst religiöse Blätter massen dieser Intoleranz keine grosse Bedeutung bei. Wo war das "Weltgewissen"?

Singh gehörte dem Sikhismus an. Es handelt sich um eine Reformreligion, die um 1500 von Nânak (Guru) gegründet wurde. Ihr Ziel ist die Vereinigung zwischen Hindus und Mohammedanern. Heute gibt es schätzungsweise mehr als 10 Millionen Sikhs. Alle tragen den Beinamen "Singh", was Löwe bedeutet. Zu den religiösen Pflichten eines Sikhs gehören das zweimal täglich auszuübende rituelle Bad und die Lesung des "Granth". Ein wirklich frommer Sikh muss immer bemüht sein, folgende Tugenden zu üben: Demut und Gehorsam, Treue und Wahrhaftigkeit, Gebefreudigkeit und Gastfreundschaft, williges Dulden von Unrecht und vor allem Vergebungsbereitschaft. Eheliche Treue, elterliche Fürsorge sowie kindliche Liebe und Pietät sind für einen Sikh selbstverständlich. Rein äusserlich sind sie am Turban zu erkennen.
Die Sikhs standen stets in Opposition zur jeweiligen Regierung. Am 6.6.1984 stürmten Spezialeinheiten der indischen Armee den "Goldenen Tempel" in Amritsar. Jarmail Singh BHINDRANWALE, ihr militanter Führer, fiel in diesem Kampf. Fazit: über 200 Regierungstreue starben, mehr als 1000 Sikhs wurden getötet. Fünf Monate später wurde Indira GANDHI von Sikh-Leibwächtern ermordet.

Walter Vogt, Zürich

Anm. d.Red.: Der Verfasser unternahm Studienreisen nach Indien.


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Letzte Änderung am 16. April 2000