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Lebenshilfe

Symbolgeschichten von Dr. Beat Imhof, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 4/2006, S. 29+66.

Der Gottsucher

Ein Schüler bat seinen Weisheitslehrer, er möge ihm das Geheimnis Gottes erklären, denn in allen heiligen Schriften, die er studiert habe, hätte er keine gültige Antwort gefunden. Der Meister ging auf diese Bitte nicht ein. Er forderte den jungen Mann auf: „Nimm dort drüben den Weidenkorb und hol mir damit Wasser aus dem Brunnen!“
Der Schüler befolgte die Weisung, obwohl sie ihm recht seltsam vorkam. So trug er das Wasser herbei, das fortwährend aus dem durchlässigen Korb herausfloss. Nach einer Weile fragte der Schüler nach dem Sinn dieses unsinnigen Bemühens.
Da wies der Meister auf den Korb und belehrte den Jüngling: „Viele Male hast du versucht, mit dem Korb Wasser herbeizutragen, doch jedesmal ist es dir misslungen. Dennoch ist der Korb, der vorher unbeachtet und verschmutzt im Hof herumlag, durch deine Arbeit sauber und wie neu geworden. So ist es auch mit deinem Geist. Er wird zwar das Geheimnis Gottes nie erfassen, aber er wird durch den steten Versuch rein und klar.“

Vor dem Höllentor

Die Hölle war total überfüllt und noch immer standen Wartende vor dem grossen schwarzen Tor. Schliesslich kam ein Teufel heraus und wollte die Leute fortschicken. „Bei uns ist nur noch ein einziger Platz frei“, sagte er, „den bekommt der grösste Sünder unter euch.“
Da fingen die Umstehenden an, ihre Schandtaten und Bosheiten aufzuzählen, doch nichts schien dem Teufel schlimm und schrecklich genug, um den noch freien Platz in der Hölle zu vergeben.
Da stand ein Mann etwas abseits, der ihm nicht sonderlich sündhaft vorkam. Vermutlich hatte er sich hierher verirrt. Diesen sprach der Höllische an: „Was hast du an Schlechtigkeiten vorzuweisen?“ „Nichts“, sagte jener, der noch vor kurzem auf Erden lebte. „Ich war eigentlich ein guter Mensch und habe niemandem etwas zuleide getan. Wohl sah ich viel Böses auf der Welt, doch ich hielt mich stets fern davon. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen ungerecht behandelten, aber ich mischte mich nicht ein. Wenn ich dazu kam, wo zwei sich stritten, hielt ich mich heraus. Mit hungernden Bettlern wollte ich lieber nichts zu tun haben, denn dieses Gesindel kann zudringlich werden. Begegnete ich einem Krüppel, mied ich ihn, und einen Verunfallten liess ich liegen, sonst bekommt man nur Scherereien.“
„Bei alledem hast du nichts unternommen, hast nicht eingegriffen?“, fragte noch einmal der Teufel. „Nein, gewiss nicht!“, rechtfertigte sich der vermeintliche Unschuldsengel.
„Deine Unterlassungssünden sind ja weit schlimmer als die Schwachheitssünden der anderen“, ereiferte sich der Gehörnte, öffnete das Höllentor und verwies ihn auf den letzten freien Platz in der Unterwelt.

Beat Imhof, aus "Wahrheit und Weisheit", Rothus Verlag, 2000, 3-9521908-0-2


(Red.: Und wenn er es inzwischen nicht eingesehen hat, dann befindet er sich immer noch in dieser Sphäre und grübelt darüber nach, warum seine Unterlassungssünden so schlimm sein sollen. – T.F.)


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"