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Psychologie - Lebenshilfe

Beitrag von Dr. Beat Imhof, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr 3/2001, S. 91-93

Zur inneren Ruhe kommen

Wer seine Ruhe haben will, der findet sie letzten Endes nur in sich. Wer zur inneren Stille gelangen will, der muss den Weg nach innen antreten; er muss in sich gehen und sich auf die Suche machen nach seinem wahren Selbst. Das ist freilich nicht so einfach. C.G.Jung meinte einmal: „Es ist leichter zum Mars vorzudringen als zu sich selbst“. Mit diesem Weg nach innen sei nicht eine feige Weltflucht gemeint, sondern das mindestens zeitweilige Sich-Besinnen, das Besinnlichwerden und das sich Zurückziehen von der äusseren Welt. Selbst wenn dies auch nur für Minuten möglich ist, verschafft es innere Ruhe. In dieser Verinnerlichung gelangt der unruhige, gehetzte und geplagte Mensch zur Ein-Sicht in sein eigenes Wesen, er lernt erkennen, was wichtig und wesentlich ist und erahnt in diesen Augenblicken der Besinnung seine eigentliche Bestimmung, um die allein es sich lohnt dazusein und sich anzustrengen. Einer der Hauptgründe für unsere Sorgen und Schwierigkeiten, für unsere Ängste und enttäuschten Hoffnungen ist unsere Selbst-Vergessenheit. Wir haben vergessen, wer wir eigentlich sind. Würden wir uns darauf wieder besinnen, wäre so manches einfacher in unserem Leben.
Heutzutage kommen die meisten Menschen ob ihrer geschäftigen Betriebsamkeit kaum je dazu, stille zu werden und zur inneren Ruhe zu gelangen. Sie bewegen sich in turbulenter Geschäftigkeit, kommen sich vor wie ein Rad oder Rädchen im grossen Getriebe der Welt, sie lassen sich ständig antreiben und treiben andere an und kommen nicht dazu einmal anzuhalten und sich zu fragen: Wohin renne ich eigentlich? Nach was' jage ich denn die ganze Zeit?
Im Grunde genommen sind wir uns alle einig: wir wünschen uns ein geruhsames Leben, wir möchten einmal unsere Ruhe haben .... aber jetzt noch nicht. Später dann, zuerst muss noch dies erreicht und jenes erzielt sein': das Auto, die Eigentumswohnung, das Haus in den Bergen, die Aktienmehrheit, der Chef-Posten... Alles, damit man später einmal seine Ruhe hat. Wer weiss, ob dieses Später jemals kommt. Und falls es kommt, ob man sich seiner noch erfreuen kann.
Die unaufhörliche Hast und Hetze so manch gestresster moderner Menschen gleicht dem Toben eines Tornado oder wilden Taifuns. Wenige wissen wohl, dass im Zentrum eines solchen Wirbelsturms vollkommene Ruhe herrscht, während an seinen äussersten Rändern wütende Gewalt tobt, die Verderben und Zerstörung bringt.
So ist es auch mit den Menschen, wenn sie in ihrer äusseren Betriebsamkeit und Geschäftigkeit ruhelos hasten und hetzen und sich fortreissen lassen in pausenlosem Stress. Liessen sie sich genügen und gingen sie still in sich, fänden sie Ruhe in der Mitte ihres Wesens. „Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie anderswo zu suchen“, meinte Rochefoucauld.
Auf dem Weg autosuggestiver Übungen können wir ohne grossen Aufwand an uns selber das wohltuende Zur-Ruhe-kommen erfahren. Ich möchte hierzu zwei kleine Übungen vorschlagen, die ein jeder zu jeder Zeit an einem ruhigen Ort anwenden kann

Übung I

Legen Sie sich flach mit dem Rücken auf den Boden, Arme und Beine leicht vom Körper abgespreizt. Atmen Sie ganz ruhig und entspannt. Schliessen Sie die Augen und dunkeln Sie diese mit einem Tuch ab. Schützen Sie sich wenn nötig mit Ohropax vor den Geräuschen der Aussenwelt, wenden Sie dann Ihre volle Aufmerksamkeit nach innen und sagen Sie sich in Gedanken immer wieder: „Ich bin ganz ruhig und entspannt. Die Welt meiner Gefühle und Gedanken gleicht einem wellenlosen Wasser, das ruhig und still dahin fliesst .... In mir ist Friede, in mir ist vollkommene Ruhe ... Ich bin ganz ruhig und entspannt .... Nach kurzer Zeit fühlen Sie tatsächlich wie eine beglückende Ruhe Sie umfängt und durchströmt. Bei richtiger und genügender Entspannung schlafen Sie sogar für einige Minuten ein und erwachen hernach wunderbar gelöst, ausgeruht und erholt, als hätten Sie soeben einen stundenlangen Schlaf hinter sich.

Übung II

Wenn uns fortwährend unerwünschte Gedanken bedrängen und bedrohen und uns nicht zur Ruhe kommen lassen, so dass wir mit dem Schüler in Goethes Faust ausrufen möchten: „Mir wird von alle dem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum“, so können wir gerade dieses Vorstellungsbild beibehalten und daran unsere nächste Ruhe-Übung knüpfen:
Denken Sie sich Ihr Bewusstsein sei wie ein ständig sich kreisendes Wasserrad, dass mit jeder Drehung immer wieder neue Gedanken aus dem nie versiegenden Strom der Ideen schöpft, so dass diese Gedankenflut uns manchmal förmlich überschwemmt mit Einfällen, unliebsamen Erinnerungen und mit beunruhigenden Einbildungen. Nun stellen Sie sich möglichst bildhaft vor, nachdem Sie sich zuvor in eine gelöste innere Entspannung gebracht haben, dieses Gedankenrad drehe sich nun immer langsamer. Entsprechend verlangsamt sich auch Ihr Gedankenfluss. Schliesslich bringen Sie das gedankenschöpfende Rad Ihres Bewusstseins ganz zum Stillstand und erleben zugleich, wie auch das Einströmen neuer Gedanken allmählich ganz versiegt. Jetzt ist vollkommene Ruhe in Ihrem Bewusstsein und Sie versinken in einen wunderbaren gedankenlosen Zustand des inneren Friedens, wo keine Fragen, keine Wünsche, keine Zweifel und keine Befürchtungen mehr auftauchen. Vollkommene Gedankenstille umfängt Sie. Seien Sie bitte nicht entmutigt, wenn Ihnen diese Übung nicht schon beim ersten Versuch gelingen will.
In diesem Zustand der inneren Gedankenleere können wir nun einen einzigen erhabenen Gedanken hervorrufen und in ruhend festhalten zur langen Betrachtung in höchster Konzentration, zum Beispiel die Frage: „Wer bin ich eigentlich?, Woher komme ich?, Wohin gehe ich?, Was ist der Sinn meines Daseins?“ Dieses ruhige Beschauen eines einzigen Gedankens ist es, was wir Meditation nennen.
Diese beiden einfachen Übungen sind Beispiele, wie man den „Weg nach innen“ beschreiten kann. Von diesem Weg sagt Paul Brunton in seinem gleichnamigen Buch, er führe „zu einem dauernden Frieden, dessen Bereiche uns erschlossen werden, wenn wir mit zielsicherem starken Streben tiefer und tiefer in unser Inneres eindringen. Ein stiller Friede wird allmählich unser inneres Sein durchdringen, eine seltsame heilige Ruhe uns erfüllen. Ein Gefühl der Glückseligkeit wird uns erkennen lassen, dass wir das Reich des wahren Ich gefunden haben... Langsam werden die Eindrücke unserer unmittelbaren Umgebung verblassen; die Welt mit ihren Freuden und Sorgen entschwindet Schritt für Schritt unserem Blickfeld. Wenn sich unser Bewusstsein von dem Lärm der Zeit befreit hat und in diesen Augenblicken der Ruhe seine wahre Heimat wiederfindet, dann wird es im tiefsten Frieden erstrahlen. Sind wir zum inneren Mittelpunkt unseres Bewusstseins vorgedrungen, dann habe wir einen Zustand erreicht, in dem die Gedanken von selbst stille stehen und zunächst scheinbar nichts in uns geblieben ist, nichts als das glückselige Bewusstsein des Seins.“ (Der Weg nach innen, Barth-Verlag, Bern 1978).
Wer diesen Weg geht, der wird sich nicht mehr beirren und verwirren lassen von all den äusseren Dingen in der Welt der vergänglichen Erscheinungen, nicht wird er sich betören lassen durch die trügerischen Wahrnehmungen seiner Sinne. Er weiss, dass dies alles letzten Endes nur Schein- und Trugbilder sind, dass allein das Wissen um die eigene wahre geistige Herkunft und Bestimmung ihn erfüllen und beglücken kann und ihn in eine gesicherte Stille führt, in der er ruht wie ein Schiff, das unbehelligt ob der stürmischen See in der sicheren Verankerung des heimatlichen Hafens liegt.
So haben wir es also selber in der Hand, ob wir zur inneren Ruhe kommen wollen. Dies Unterfangen erscheint am Anfang wohl „verrückt“, abwegig und sonderlingshaft. Wer nicht den Mut hat unbekümmert ob der gängigen Alltagsmeinung seinen Weg zu gehen, der gelangt freilich nie zum stillen Ufer der Ruhe.

Dr. Beat Imhof


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"