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Psychologie - Philosophie

Beitrag von Dr. Beat Imhof, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr 5/2001, S. 152+153.

Was ist der Mensch?

Die Frage nach dem Wesen des Menschen gehört wohl zu den Grundfragen des Menschseins. Wie sie beantworten? Seit dreissig Jahren fragte ich viele, die in meine psychologische Sprechstunde kommen: „Wer sind Sie?“ Damit erkundigte ich mich nicht nach ihrem Namen, nicht nach ihrem Beruf und ihrem Stand, sondern nach ihrem wahren Sein. Ganze Klassen von höheren Schulen habe ich befragt und sogar im Militärdienst habe ich bei den Soldaten einer Kompanie eine entsprechende Umfrage durchgeführt. Überall wollte ich vernehmen, was die Menschen glauben, das sie seien doch bei niemandem und nirgends fand ich eine befriedigende Antwort. War meine Frage zu hoch gegriffen, war sie zu lebensfremd oder beunruhigte sie gar die einfachen Gemüter? Ein junger Mann sagte es treffend: „Wenn man darüber nachdenkt, wird man ja verrückt.“
Wenn die Frage nach dem Wesen des Menschen so vielen ausgefallen, abwegig oder recht sonderbar vorkam, weil sie über deren Sinn noch gar nie nachgedacht haben, suchte ich bei jenen eine Antwort, die es doch eigentlich wissen müssten: bei den Philosophen und Theologen, bei den Dichtern und Denkern, bei den Weisen und Wissenden. Dort fand ich tatsächlich vielerlei Antworten, die sich zum Teil recht ausgiebig widersprachen. Wer hat nun recht? Etwa Schopenhauer, welcher den Menschen eine „zufällige Laune der Natur nannte“ oder J. P. Sartre, der in ihm ein „Sinnloses Zuviel“ sah? „Halb Tier - halb Mensch“ (Evers) oder „Weder Engel noch Tier“ (Pascal)? Wollen wir Christian Morgenstern beipflichten: „Von halber Höh - ein Adel, der uns passt, so lebt ich immer zwischen Tier und Gott, halb Mensch, halb Vogel, zweier Reiche Gast.“
Der Philosoph Georg Kühlewind hat das Unbehagen, an dem die meisten von uns zu leiden haben, klar ausgedrückt: „Unser zentrales Problem ist, dass wir nicht wissen, wer oder was der Mensch ist. Und da wir nicht wissen, wer der Mensch ist, wissen wir auch nicht, was für ihn gut und heilsam ist.“
Nun liegt es mir aber sehr daran, zu wissen, was für den Menschen gut und heilsam ist, Also muss ich mir meine eigenen Gedanken machen über das Wesen des Menschen und eine Art Denkmodell entwerfen, das mir erlaubt, gültige und brauchbare Antworten zu finden auf die Frage: Wer bin ich eigentlich?
Der Mensch ist ein dreifaches Wesen, bestehend aus Körper, Seele und Geist. Mit seinem stofflichen Körper, den ich mit einem Fahrzeug vergleiche, steht er in Verbindung und Berührung mit der äusseren Welt der Dinge. Mit seiner Seele, die eine Kraft oder Energie darstellt, vermag er den materiellen Körper zu beleben und zu bewegen, genau so wie eine bestimmte Energieform die nötige Kraft liefert, um ein Fahrzeug in Bewegung zu versetzen. Die Seele wäre demnach die Lebensenergie, die Betriebsenergie des belebten Körpers. „Elan vital“ nannte sie Bergson, vom „zündenden Feuer“ sprach Zarathustra. Mit dieser Seele steht der Mensch in lebhaftem Gedanken- Gefühls- und Empfindungsaustausch mit der ihn umgebenden Welt. Der Geist, der in unserem Vergleich mit dem Fahrzeug dem Fahrzeuglenker, dem Fahrer, entspricht, ist der eigentliche Wesenskern des Menschen.
Dieser erst befähigt ihn, sich seiner selbst bewusst zu werden. Seelisches Leben und Erleben ist unbewusst, geistiges Wirken und Bewirken ist bewusst. Hierin unterscheidet sich der Mensch ganz wesentlich vom Tier. Das Tier ist sich seiner Eigenart und seines Eigenwertes nicht bewusst. Deshalb hat es kein Ich-Bewusstsein. Schopenhauer meinte einmal auf seinen kleinen Dackel hinweisend: „In dem Moment, wo dieser Hund zum ersten Mal ‚Ich' sagt, ziehe ich den Hut vor ihm ab.“ Das Tier denkt zwar auch, aber es weiss nicht, dass es denkt. Auf jeden Fall kann es nicht über sich selbst nachdenken. Das tierische Denken ist auch raum- und zeitabhängig, das menschliche Denken ist frei von allen Grenzen und Schranken.
So kann der Mensch vorwärts denken und rückwärts denken, daher ist er imstande, in die Zukunft hinein Pläne zu schmieden und Vorsätze zu fassen, aber auch zur Vergangenheit gewendet ein geschichtliches Bewusstsein zu entwickeln, sich über ein gelungenes Werk zu freuen oder über ein Missgeschick Reue zu empfinden. Das Gewissen ist bestimmt eine Angelegenheit des Geistes, der ich bin. Daher kann nur der bewusst überlegende und handelnde Mensch verschuldungsfähig sein, nur er kann sittlich Gutes oder Böses tun.
So kann das Tier zwar gutmütig sein, aber nicht gütig. Es kann friedlich sein, aber nicht friedfertig, es kann böse werden, aber nicht boshaft sein. Ebenso kann das Tier zwar Schuldgefühle empfinden, es kennt aber kein Schuldbewusstsein. Auch ist ihm ein Zeitgefühl eigen, aber nicht ein Zeitbewusstsein. Es kann zwar produktiv tätig sein, aber nicht kreativ. Deshalb finden wir bei ihm kein Werkzeugdenken und es ist nicht imstande, Naturkräfte wie Feuer und Wasser in seinen Dienst zu nehmen. Es fehlt ihm die hierzu nötige phantasievolle gedankliche Vorstellungskraft. Aus diesem Grunde kann es nicht ein bestimmtes Geschehen nur in Gedanken planend vorwegnehmen. Vielmehr handelt das Tier instinktiv nach angeborenen Verhaltensmustern. Es kann auch nicht geistige Werte erkennen, vermag diese daher auch nicht zu bejahen oder zu verneinen und ist somit auch nicht fähig zu hassen und zu lieben.
Goethe hat den Unterschied zwischen Mensch und Tier wunderbar in folgenden Worten dargestellt: „Allein nur der Mensch vermag das Unmögliche; er unterscheidet, wählet und richtet; er kann dem Augenblick Dauer verleihen. Nur er kann das Gute lohnen, das Böse bestrafen, heilen und retten, alles Irrende, Schweifende nützlich verbinden.“
Nun bin ich ein geistiges Wesen, denn ich bin geistig tätig. Demnach wirkt in mir und aus mir eine geistige Kraft, die bewusst und intelligent tätig sein kann. Diese Fähigkeit haftet notwendigerweise einem Wesen an, das selbst geistiger Natur ist. Demnach bin ich ein Geistwesen. Dies bleibt stets dasselbe, unabhängig vom Alter und Zustand des Körpers, der ohnehin nur solange regsam sein kann, als die ihm zur Verfügung stehende seelische Lebensenergie ausreicht. Dann verlässt der Geist seine irdische Behausung und zieht weiter wie ein Wanderer, bis er ein neues Obdach findet, das ihm gemäss seiner Entwicklungsreife zukommt.
Zum Wesen des Geistigen gehört es, dass es nicht teilbar und nicht zusammengesetzt ist. Daher ist es auch nicht auf dem Wege der jahrmillionenlangen Erdentwicklung aus der Materie entstanden, wie die Evolutionstheorie behauptet, denn es ist nicht an die Materie gebunden, auch nicht an das Erbgut meiner Eltern und Vorfahren. Das Geistige in mir kommt aus einem geistigen Bereich und dieser bestand schon vor jeder materiellen Schöpfung.
In der mehr als zweitausendjährigen indischen Bhagavad-gita heisst es:
„Nie wurde der Geist geboren. Nie wird er aufhören zu sein. Nie gab es eine Zeit, in der er nicht war. Ende und Anfang sind Träume. Frei von Geburt und Tod und Verwandlung bleibt der Geist. Körper haben ein Ende, so sagt man, aber das, was dem Körper innewohnt, ist ewig.“
Der Geist ist also das, was die Theologen Seele oder Geistseele nennen, das Ewige und Unsterbliche in mir. Wenn dem nun so ist, und ich kann mir mit dem besten Willen keine einleuchtendere Vorstellung vom Wesen des Menschen machen, dann ist das Geistige in mir, mein höheres Ich, die entscheidende Instanz und der verantwortliche Lenker meines Geschicks und meines Schicksals. Damit ist der Mensch, dank seiner Geistigkeit, auch fähig, sein Schicksal bewusst wahrzunehmen, dieses anzunehmen oder zu verändern, sich ihm entschlossen entgegenzustellen oder sich ihm, wissend um seine erlösende Kraft, willig zu fügen.
Kommen wir nochmals auf unser Denkmodell zurück: Körper-Seele-Geist verhalten sich im Menschenleben zu einander wie Fahrzeug-Betriebsenergie-Fahrzeuglenker. Es lässt sich in allen Lebenslagen gut anwenden. Wenn jemand mit seinem Auto irgendwo Land- und Blechschaden anrichtet, wer ist dann daran schuld - das Fahrzeug, die Betriebsenergie oder der Fahrzeuglenker? Doch gewiss letzterer. So ist es auch beim Menschen. Nicht der Körper und nicht die Seele sind das verursachende Prinzip, sondern der Geist. An ihm liegt es, wie es Körper und Seele ergehen, ob sie gesund oder krank sind. Der Geist selber kann niemals krank sein, er allein aber ist verantwortlich für alle Leiden und Krankheiten. So gesehen gibt es keine „Geisteskrankheit“ und keine „Geistesschwäche“. Was da krank oder schwach ist, ist die Seele. Deshalb nennt man in der Psychiatrie die Geisteskrankheit richtigerweise „Psychose“, das heisst „Seelenkrankheit“ und die Geistesschwäche sollte eigentlich „Seelenschwäche“ genannt werden. Die Seele ist hier in ihren Tätigkeiten behindert, zum Beispiel weil das körperliche Gehirn geschädigt ist. Will der Fahrer mit seinem Fahrzeug unbehelligt ans Ziel gelangen, muss er sein Fahrzeug kennen, es richtig und ohne zu strapazieren in Dienst nehmen. Er muss ihm die nötige Pflege und Wartung angedeihen lassen. Genau so soll auch der menschliche Geist mit seinem Körper umgehen, der ihm für dieses Erdenleben zur Verfügung gestellt wurde. Jedes Vernachlässigen oder Überfordern desselben setzt die Fahrleistung und die Lebensdauer des Fahrzeuges herab. Der Fahrer wird auch stets den richtigen Betriebsstoff einfüllen und sich hüten vor unnötigen Extratouren, die ihn nur von seiner vorgeschriebenen Fahrtrichtung abbringen und Energie verbrauchen, mit der er doch sorgfältig umgehen sollte, damit sie ihm bis zum nächsten Etappenziel ausreicht. Nicht anders ist es mit unserer Lebensenergie, die wir Seele nennen. Auch diese ist begrenzt und sollte durch vernünftige Ernährung, rechte Atmung und notwendige Ruhepausen neu aufgetankt werden.

Dr. Beat Imhof


Anmerkung des Erfassers:
Grundsätzlich stimme ich Dr. Beat Imhof bei der Bewertung der (geistigen) Fähigkeiten von Tieren zu. Ergänzend lässt sich sagen, dass die Fähigkeiten der Seele, d.h. das Seelenprinzip, beim Tier oft sehr hoch entwickelt ist (eine Art von hoher unter-ichhafter Denkfähigkeit). Dieses voll entwickelte Seelenleben hat mehr Fähigkeiten, als wir gemeinhin annehmen. Das muss auch so sein, denn nur in ein hoch entwickeltes Seelenleben mit hoch entwickelter Stofflichkeit kann Gott den geistigen Funken zu einem (neuen) Geistwesen legen. Die Fähigkeiten der Materie (dem Stoff), sich zu wandeln, entwicklungsfähig zu sein, ist ebenfalls erstaunlich. Es muss uns also nicht verwundern, wenn wir beim Tier mit hoch entwickeltem Seelenleben ungewöhnliche, uns fast "geistig" anmutende Fähigkeiten finden. So hat man durchaus ein rudimentäres Werkzeugdenken bei Tieren festgestellt, Ansätze eines Ich-Bewusstseins, hoch entwickelte Kommunikationsfähigkeiten (u.a. telepathische), komplexe Sozialstrukturen, Sinn für Schönheit und Harmonie, für Töne und Farben (rudimentäres Kunstverständnis?) usw. Auch wage ich zu behaupten, dass Tiere mit hoch entwickeltem Seelenleben oft "höher" entwickelt scheinen, als tief gesunkene Menschen, deren Seelenleben stark zerrüttet und deren Geist verdüstert ist. Nur wenige Tierarten töten "zum Spass" oder "vergnügen" sich an Grausamkeiten gegenüber Mitgeschöpfen. Übrigens ist Kooperation zu allseitigem Nutzen bei Tieren und Pflanzen häufiger anzutreffen als man gemeinhin denkt. Der "grausame Überlebenskampf" (Fressen und gefressen werden), den wir im Naturgeschehen zu sehen meinen (d.h. so stark betonen), ist wohl nur ein Vorwand, um unseren "Sozial-Darwinismus" zu begründen, um unsere Rücksichtslosigkeiten gegenüber allen Geschöpfen zu bemänteln. Raubbau an der Natur, Umweltzerstörung und -verschmutzung, Technologiewahn, Missbrauch der Schöpfungskraft (z.B. Sex zum Vergnügen und danach Abtreibung), Schlachthöfe, Tierversuchs-Labore, Genmanipulation, Kriege, Superwaffen (Atombombe), Folter, geistige und wirtschaftliche Unterdrückung, körperliche und seelische Gewalt, sexuelle Ausbeutung, Massenmord, Gehirnwäsche, Manipulation, gemeine Lüge, Süchte aller Art, Hochmut, Überheblichkeit, Atheismus, ... das alles sind "Erfindungen" geistiger Wesen im Dies- und Jenseits. Da lobe ich mir das hoch entwickelte Seelenleben von Tieren. Ihr Beispiel könnte uns viel lehren. Das scheint auch der Grund zu sein, warum viele Menschen besser mit Haustieren auskommen, als mit ihren Mitmenschen. Kurz: Tiere sind hochsteigende Seele-Stoff-Wesenheiten, wir hingegen "gefallene" Geist-Seele-Stoff-Wesenheiten. Also kein Grund für Hochmut gegenüber Tieren (den ich Herrn Imhof auch nicht unterstelle).


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"