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Religion - Philosophie

Artikel von Walter Vogt (Zürich), erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 3/2003, S. 58+59.
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Die Goldene Regel

von Walter Vogt, Zürich

Bereits in der Antike war von ihr die Rede. Als man Thales von Milet (Naturphilosoph um 624 od. 640 - 546 v. Chr.) nach der gerechtesten Lebensführung fragte, antwortete er: "Wenn wir selber nicht tun, was wir anderen übel nehmen." Pittakos, Tyrann und Gesetzgeber in Mytilene (um 650-580 v. Chr.), stellte folgende Regel auf: "Was du am Nächsten tadelst, das tue dir selber nicht." Der Rhetoriker Isokrates (436-338 v. Chr.) äusserte sich wie folgt: "Geht so miteinander um, wie ihr wünscht, dass ich mit euch umgehe." Im indischen Nationalepos finden wir folgende Maxime: "Was euch selber verhasst ist, das tut auch keinem andern an." Seneca, Erzieher Neros (4. v. Chr. - 65 n. Chr.), formulierte: "Liebesdienste soll man so erweisen, wie man sie selber empfangen möchte." In den Tagen Herodes des Grossen stellte ein Heide dem berühmten Hillel, dem Alten, folgende Frage: "Nimm mich in die Judenschaft unter der Bedingung auf, dass du mir die ganze Thora beibringst, solange ich auf einem Bein stehen kann." Da antwortete ihm der weise und im ganzen Volk hochgeachtete und geliebte Rabbi: "Was dir selber unlieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht an. Das ist die ganze Thoralehre, alles andere ist nur Erläuterung. Gehe hin und lerne." Philo von Alexandrien, jüd. hellenist. Philosoph (um 25 v. Chr. - ca 50 n. Chr.) bekannte: "Was man selber nicht leiden mag, das soll man auch nicht tun."

Die regula negativa mahnt, indem sie sagt: "Mische dich nicht in die Angelegenheiten deines Nächsten ein." An sich handelt es sich doch um eine "kleine Tugend". Man hat sich nichts vorzuwerfen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter soll dies veranschaulichen. Zwei Kleriker gingen an einem misshandelten Menschen vorbei. Sie mögen in Eile gewesen sein, um ihren Dienst am Tempel fristgerecht zu erfüllen. Vielleicht zwang sie das Gesetz, diesen Weg zu gehen. Böses taten sie nicht. Keine Strafe wartete auf sie. Die Alleinschuldigen waren die Räuber.

Auch die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Der Reiche tat dem Armen nichts zu Leide; er krümmte ihm kein Haar und er hetzte seine Hunde nicht auf ihn. Der protestantische Theologe Ethelbert Stauffer schrieb dazu diesen Satz: "Die regula negativa ist der Deckmantel für die grossen Unterlassungssünden in dieser Welt."

Hillel verkündet noch die regula negativa. Jesus dagegen lehrt uns die regula positiva." Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tuet ihr ihnen auch." Hierzu noch einmal Ethelbert Stauffer: "Die regula positiva ist das dynamische Prinzip der neuen Menschlichkeit, die Jesus verkündet."

Die goldene Regel in den grossen Religionen dieser Welt

Konfuzianismus
Füge keinem andern etwas zu, was du nicht möchtest, dass er es dir zufügt.

Buddhismus
Auf fünffache Weise soll das Haupt einer Sippe seiner Familie und seinen Freunden beispielhaft vorangehen: durch Grosszügigkeit, Höflichkeit und Mildherzigkeit, indem er sie so behandelt und indem er so gut ist, wie sein Wort es ist.

Hinduismus
Tue andern nichts an, was, wenn es dir geschehen sollte, dir Schmerzen bereiten würde.

Islam
Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht das für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.

Sikh
Wie du dich selbst schätzest, so schätze auch andere. Dann sollst du teilhaben am Himmel.

Jainismus
In Glück und Leid, in Freude und Kummer sollten wir alle Geschöpfe so behandeln, wie wir uns selbst behandeln.

Zarathustra
Nur jenes Wesen ist gut, was nicht einem andern das zufügt, was für sein eigenes Selbst nicht gut ist.

Taoismus
Betrachte den Vorteil deines Nächsten als deinen eigenen Vorteil und betrachte den Verlust deines Nächsten als deinen eigenen Verlust.


[ Anm.d.Erf.: Der Volksmund sagt: "Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg' auch keinem andern zu!"
und Christus sagt: "Du sollst Gott lieben und Deinen Nächsten (so) wie (auch) Dich selbst." ]


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"