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Religion - Lebenshilfe

Artikel von Beat Imhof über das richtige Beten aus der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr 1/2001, S.19+20, erschienen im Verlag Martin Weber, D-77746 Schutterwald

Was Gebet vermag

Unser Beten ist oft erfüllt von selbstsüchtigem und eigenwilligem Denken. Verläuft ein Ereignis, um das wir beten, unseren egoistischen Erwartungen gemäss, dann sind wir überzeugt, Gott habe unser Flehen erhöhrt, ist dies aber nicht der Fall, dann weisen wir die Schuld gerne dem Himmel zu. Was für ein parteiischer Gott müsste er doch sein, wenn er in einer strittigen Auseinandersetzung oder gar in einem Krieg der einen Seite helfen und die andere im Stich lassen würde! Wieviele Kämpfe wurden schon ausgefochten im sogenannten Namen Gottes? Das Himmelreich wurde jenen verheissen, die für die eigene Sache ihr Leben liessen, den Feinden aber wünschte man die ewige Verdammnis. So dachte man in den Glaubens- und Religionskriegen aller Zeiten bis zum heutigen Tag.

Probleme beim Beten

Fast alle unsere Gebete entspringen ängstlichem Furcht- und Sorgedenken. "Herr mach dies, Herr mach jenes..." ist oft genug der Grundton unseres Flehens. Hierdurch ziehen wir das Göttliche hinab und hinein in unsere allzu irdischen Belange und erwarten, dass die Himmlischen Partei ergreifen für unsere Sache. Steht dahinter nicht die Meinung: Nicht Dein Wille, sondern mein Wille geschehe?
Dies wundergläubige und eigennützige Denken durchschaute der russische Dichter Iwan Turgenjew (1818–1883) als er schrieb: "Jedes Gebet enthält eigentlich den Wunsch 'Allmächtiger hilf, dass zweimal zwei nicht mehr vier sind'."
Unser Beten ist vielfach eine Zwängerei, ein Feilschen und Markten mit Gott, als hätten wir es mit einem Krämer zu tun. "Wenn Du mir hilfst, dann bin ich bereit an Dich zu glauben." Da war der alte Philosoph Ernst Renan noch ehrlicher, als er sterbend betete: "Vater im Himmel – falls Du existierst, rette meine Seele – falls ich eine habe!"
Nicht selten handelt es sich beim Beten um eine neurotische Angstabwehr. Ich gebe zu: Beten beruhigt, nimmt uns die Furcht, macht uns zuversichtlich und hoffnungsvoll und ist daher psychohygienisch gesund; gleichzeitig ist es aber auch Ausdruck von mangelndem Gottvertrauen, das uns Jesu Worte vergessen lässt: "Euer Vater weiss, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet" (Mt 6,8). Gewiss hat der Psychiater Hoimar von Ditfurt recht, wenn er schreibt: "Je unmittelbarer der Betende auf die Erfüllung eines konkreten Wunsches abzielt, um so eher liefert er sich dem Verdacht aus, sein Gebet sei nichts als Ausdruck einer infantilen Projektion" (1).
Beim Beten binden wir uns nicht selten in abergläubischer Weise an banale Nebensächlichkeiten, die wir für wichtig halten, um uns Gehör bei den Himmlischen zu verschaffen. Hierzu ein lehrreiches Beispiel: In Indien lebte ein weiser Mann, der täglich seine Schüler zum Gebet um sich versammelte. Eines Tages lief eine junge Katze hinzu und da sie haus- und heimatlos zu sein schien, behielten die frommen Jogis sie in ihrem Ashram. Von nun an aber wurden Meister und Jünger von der Katze beim Gebet gestört, denn sie wollte mit den Meditierenden spielen, sobald sich diese zum Gebet im Lotossitz niederliessen. So beauftragte der Guru den jüngsten seiner Chelas, jeweils vor dem Gebet das verspielte Tierchen einzufangen und anzubinden für die Dauer der religiösen Übung. So geschah es auch. Als dann der Lehrer starb, behielten die Schüler diese Anordnung bei: zuerst die Katze anbinden, dann erst beten. Und als eines Tages auch die Katze starb, waren die Ashram-Bewohner nicht mehr imstande zu beten, bevor sie nicht eine neue Katze fanden, die sie vor dem Gebet anbinden konnten Es wäre heilsam, uns gelegentlich zu fragen, wie oft wir beim Beten die "Katze" anbinden.

Auf Empfang gehen

Richtig beten heisst, auf Empfang gehen, nicht auf Sendung. Vermeiden wir es, Befehle, Weisungen und Erwartungen mit Hilfe eines himmlischen Adressbuches nach oben zu senden. Seien wir statt dessen empfänglich für Hilfen und Hinweise von oben, die wir in Stunden der Stille als innere Stimme vernehmen können. Dies setzt aber voraus, dass wir unsere Seele auftun wie einen Blütenkelch, damit sie den himmlischen Tau auffängt. Dies meinte Buddha, als er in seiner Blumenpredigt auf dem Geierberg lediglich eine Blüte hochhielt vor dem versammelten Volk und kein einziges Wort sprach. Die Kräfte des Himmels sind immer schon da und bereit, uns jederzeit zu helfen. Solange wir uns aber ängstlich einengen und kleinmütig abkapseln, kann uns keiner der vierzehn Nothelfer wirklich zu Hilfe kommen, weil wir diese ja gar nicht zulassen. Für so manchen gilt Goethes Vorwurf: "Die Geisterwelt ist nicht verschlossen. Dein Herz ist zu, dein Sinn ist tot." Statt uns unter einem Schutz- und Abwehrschild zu verstecken, sollten wir besser diesen umdrehen und als Parabolantenne benutzen, damit er uns jene geistigen Energien zuleitet, die im kosmischen Überraum auf Abruf warten. In seiner "Entschleierten Mystik" bestätigt Johannes Zeisel: "Gebete verändern weder die Natur, noch die Schöpfung überhaupt. Sie können nur uns selbst verändern. Sie greifen nicht in Naturgesetze ein, sondern sind Regulatoren unserer Seele. Hier sind sie wirksam." (2).
Unser Gebet soll also nicht den Himmel erstürmen, sondern die Tiefen unserer eigenen Seele erschliessen und dort jene helfenden Kräfte wecken, die unser Leben verändern können. Gebete enthalten häufig positive Wunschvorstellungen, die tatsächlich in unserem Unbewussten Energien freisetzen können, deren Wirken uns wie ein Wunder erscheinen mag. Grosse Wandlungen und rettende Hilfeleistungen vollziehen sich gar nicht so selten als innerseelische Prozesse, wenn sie unseren wahren Wesenskern erfassen. Diese "Kernspaltung", wie Johannes Zeisel sie nannte, "ist jedoch nicht mit dem wohlartikulierten Gebet des sonntäglichen Kirchenbesuches zu erreichen, sondern erfordert stärkste seelische Energien, wie sie nur in Ausnahmefällen unseres Lebens frei werden. In Todesangst, Verzweiflung und völligem Sichfallenlassen werden die Kräfte wach, die dem Himmel 'Gewalt antun'. Es sind Ausnahmezustände des Bewusstseins – höchste Euphorie oder tiefste Verzweiflung – die das Leib-Seele-Gefüge erschüttern müssen, wenn uns Kräfte zufliessen sollen, über die wir sonst nicht verfügen" (3). Hier bewahrheitet sich das Volkssprichwort: Wenn die Not am grössten, ist Gottes Hilfe am nächsten.
Es mag ein Mensch noch so innig für ein bestimmtes Anliegen beten, solange er nicht zu einem inneren geistigen Erwachen und Wandel kommt, nützt ihm sein frommes Getue wenig. Er gleicht jenem, der zuhause im eigenen Keller auf seinem Hometrainer täglich 20 oder 30 Kilometer trampt und doch nicht vom Fleck kommt. Auch Prinz Siddharta, der spätere Buddha, wollte nach indischer Yoga-Art durch strenge Mantras, Tantras, Yantras und Mamudras zur Wahrheit gelangen. Erst als er nach jahrelangem Bemühen und Üben sein Erfolgsstreben aufgab und sich, losgelöst von allen egoistischen Absichten, in Goa unter den Boddhi-Baum setze, da kam unerwartet die grosse Erleuchtung über ihn. Nochmals sei Johannes Zeisel angeführt: "Alle Gebete, deren Ursache unsere Wünsche sind – und seien es selbst die edelsten und heiligsten – führen letztlich nicht zu Gott, sie führen zu uns zurück. Erst recht dann, wenn sie erfüllt werden. In ihrem Mittelpunkt steht ja nicht Gott, sondern die Wunscherfüllung des eigenen Ichs". Daher finde ich das Gebet des Niklaus von Flüe so wunderbar und richtig: "Herr, nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir ....".

Das wahre Gebet

Im wahren Gebet wird also das eigene Wollen und Wünschen des bewussten Ichs aufgegeben. Ist man mit sich selber so weit, kann man nicht mehr für etwas Bestimmtes beten. Man lässt geschehen im guten Vertrauen, dass alles gut wird für den, der das Gute will. Kürzlich las ich das tiefsinnige Bekenntnis eines wahren Beters: "Da Du alles schon weisst, Herr, mag ich nicht mehr beten. Tief atme ich ein – lang atme ich aus – Und siehe, Du lächelst." In seinen letzten Lebensjahren bekannte Paramahansa Yogananda: "Ich habe aufgehört, für etwas zu beten". Damit steht dieser indische Weise ganz in der Nachfolge Meister Eckharts (1260-1328), des grössten mystischen Denkers des Mittelalters, der die Ansicht vertrat: "Wer um dieses oder jenes bittet, der bittet um Übles und in übler Weise .... Besser wäre es, wenn unser ganzes Leben ein Gebet wäre." Dieses absichtlose Beten war auch dem Pfarrer und Dichter Eduard Mörike nicht fremd: "Herr schicke was du willt, / ein Liebes oder ein Leides. / Ich bin zufrieden, dass beides / aus deinen Händen quillt."
Schliesslich sollten wir uns bewusst werden, dass Gebet uns zu einer positiven Lebenseinstellung führt, denn beten heisst auch dankend denken. Der deutsche Geistheiler John (Günther E. Schwarz) berichtet in seinen Lebensbüchern, wie zahlreiche Menschen dadurch geheilt wurden, dass sie ihm ihre Krankheiten und Leiden beschrieben, aber keinesfalls es unterlassen durften, am Ende des Briefes Gott zu danken für ihre Heilung etwa mit der Formel: "Ich danke Dir, Gott, dass ich jetzt gesund bin und dass alles gut ist" (4). Die positive Vorstellung von der eigenen Gesundung hat diese Kranken geheilt, der Glaube an die Heilungsmöglichkeit hat ihnen geholfen. Wir sind es also immer selbst, die wir durch falsches Denken unser Unheil, durch richtiges Denken aber unser Heil bewirken. Es hängt nicht von den göttlichen Himmelsmächten ab, ob uns geholfen wird, es hängt von uns ab, ob wir die für uns richtige Hilfe zulassen. Wir brauchen nicht Gottes Hilfe erflehen, denn er hilft immer. Wir brauchen nicht Gottes Güte erbitten, denn er ist der Allgütige. Wir brauchen nicht um sein Erbarmen beten, denn er ist der Allerbarmer. Wir brauchen nicht Gottes Gerechtigkeit zu fordern, denn er ist der Allgerechte. Wir brauchen nicht Gottes Verzeihen zu erbeten, denn er verzeiht immer. Was wir aber unter uns zustande bringen sollten, wäre dies, dass wir selber allen Wesen gegenüber hilfsbereit, gütig, erbarmend, gerecht und verzeihend sind. Das wäre wahrhaft positives Denken und Leben in schönster Vollendung und zugleich das gottgefälligste Gebet!

Beat Imhof


Literaturangaben
(1) Von Ditfurt, H., Wir sind nicht nur von dieser Welt. Hamburg 1981, S. 339.
(2-3) Zeisel, J., Entschleierte Mystik. Freiburg 1984, S.160-165.
(4) Schwarz, G., Geistige Selbstheilung. Krün/Obb. 1970.



Anmerkung der Redaktion zum Autor:
Beat Imhof, geboren 1929 in Grengiols, CH-Wallis, besuchte in Brig das humanistische Gymnasium. An der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü. erwarb er das Diplom für Heilpädagogik (1954), das Diplom für angewandte Psychologie (1955) und das Doktorat in Philosophie (1958). Weitere Studienaufenthalte führten ihn nach Zürich, Luxemburg, Amsterdam. Zwei Jahre lang arbeitete er als Psychologe am Institut für Heilpädagogik in Luzern. Während mehr als drei Jahrzehnten war er Leiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Zug. Nebenberuflich wirkte er als Dozent für Pädagogik und Psychologie an zwei sozialpädagogischen Schulen und an drei Krankenschwesternschulen. Als regelmässiger Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften verfasste er im Verlauf von 40 Jahren zahlreiche Beiträge zu psychologischen Themen. Seine rege Vortragstätigkeit im In- und Ausland sowie seine Arbeit als Berufs- und Lebensberater, die er noch heute (2000) ausübt, brachten ihm eine reiche Erfahrung im Umgang mit ratsuchenden Menschen, die er durch seine Buchreihe im Rothus Verlag in Solothurn einer zahlreichen interessierten Leserschaft weitergibt.
(Die Angaben stammen vom Rothus Verlag)


Bücher von Dr. Beat Imhof, erschienen im Rothus-Verlag, CH-Solothurn:

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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"