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Geisteswissenschaft - Philosophie
(Anm.d.Erf.: Der Artikel von Pfarrer Josef Fink, Graz stammt aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Juli/Aug. 1999, Nr. 4, IV. Jahrgang, S. 231 ff)

Die ununterbrochene Nachricht: Geist

red. - Der folgende etwas gekürzte Beitrag des Grazer Pfarrers stammt vom Mai 1986, ist aber in seiner Grundaussage aktueller denn je.

Ich wundere mich täglich, wie wenig das Weltbild der heutigen Physik ernstgenommen wird. Wenn ich lese, was mir der "Zeitgeist" verkauft, wenn ich sehe und höre, was mir journalistische Besserwisser alltäglich zumuten, so wähne ich mich ins vorige Jahrhundert verbannt, da der Pathologe und Politiker Rudolf VIRCHOW Leichen zerschnetzelte, um den Beweis gegen eine mögliche Seele zu erbringen. Der arme Mann! Wer heute seine "Reden über Leben und Kranksein" liest, kann sich homerischen Gelächters nicht enthalten! Ganze Welten und Weltgebäude sind seit jenem 22. September 1858 zusammengestürzt, da er als "Führer der Fortschrittspartei" in Karlsruhe seine mechanistische Auffassung des Lebens Naturforschern und Ärzten vortrug.
Ganze Welten scheinbar gesicherter Erkenntnisse sind seither zusammengekracht. Vor einhundert Jahren noch bildeten Zeit und Materie das Fundament aller Wissenschaft; sie galten als das Sicherste überhaupt: exakt messbar, wiegbar, berechenbar.
Heute steht die Physik - und das schon seit mindestens 60 Jahren - vor dem Trümmerhaufen dessen, was Zeit und Materie einmal gewesen sind. Seit EINSTEIN - seit der speziellen (1905), dann der allgemeinen (1916) Relativitätstheorie, wissen wir um den illusorischen Charakter der Zeit.
Und die Materie, das Festeste alles Festen, hat sich primär als Leere erwiesen. So sehr leer, dass man, wollte man bloss das Volumen eines einzigen Atoms mit Kernen füllen, eine Billiarde Atomkerne bräuchte! Materie ist primär Leere. Oder, wie vor einem halben Jahrhundert Max PLANCK formulierte: "Materie an sich gibt es nicht ... Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist."

Der Geist.

Alles, was heute aus den Labors der Wissenschaftler kommt, müsste eigentlich eine tiefe Veränderung des Alltags bewirken; eine unbändige Heiterkeit, einen tiefen Respekt vor den grossen Lehren der Religionen, eine tiefe Ehrfurcht vor allem Lebendigen. Eine unendliche Zärtlichkeit müsste aufbrechen, nähme man die sogenannten exakten Wissenschaften ernst. Alle nicht spirituell gebildeten Lehrer müssten arbeitslos werden, alle bekümmerten Agnostiker (Fussnote 1) müssten noch trauriger werden vor der "ununterbrochenen Nachricht" vom Geist, wie RILKE es nannte.
Die Geistfeindlichkeit, die aus dem vorigen Jahrhundert datiert, (da ein Künstler wie Gustave COURBET sagen konnte, er "habe Zeit seines Lebens keinen Engel gemalt, weil er keinen gesehen habe"), müsste endlich zu Grabe getragen sein. Denn Wassily KANDINSKY hatte recht, als er "Über das Geistige in der Kunst" schrieb: "Die Welt klingt. Sie ist ein Kosmos der geistig wirkenden Wesen!" Und Tübingens würdigster Alttestamentler Friedolin STIER hat recht mit seinen Worten:

"Zu laut, ihr klugen Bengel,
habt ihr gelacht der Engel!
Nun man von 'Intelligenzen' raunt,
der aufgeklärte Dummkopf staunt!"

Die Physiker sollten wissen, dass sie an einer Tür stehen, die von der anderen Seite seit je von den Mystikern geöffnet wird. "Marx an die Uni?' Dass ich mich nicht totlache! Der Mystiker Jakob BOEHME, verfolgt und gelästert, wusste schon Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, dass Geist und Materie ein "unus mundus", eine untrennbare Einheit ist (nicht: sind).
Ich hoffe, dass die Zeit kommt, da Universitätslehrer offen bekennen, dass alle ihre Wissenschaft nur Wissen von den "Sachen" schafft, dass menschliches Denken aber nach dem Sinn des Ganzen forscht. Dass sie - selbst endlich wieder von einer ordentlichen "universitas" des Denkens geformt - zugeben, dass all ihr Monopol auf "Geist", all ihre unfehlbare Autorität, ihre alleinige Kompetenz, angesichts des Geistigen der Welt Spreu ist. Spreu!
Es ist Zeit, dem Denken das Denken nach Sinn zuzumuten.

"Heutzutage herrscht weitgehend Übereinstimmung, die auf der Strasse der Physik beinahe an Einstimmigkeit grenzt: dass der Strom des Wissens einer nicht-mechanischen Realität entgegenfliesst. Das Universum beginnt mehr einem mächtigen Gedanken als einer Maschine zu gleichen. Der Geist scheint nicht länger mehr ein zufälliger Eindringling in den Bereich der Materie zu sein. Wir beginnen zu mutmassen, dass wir ihn eher als Schöpfer und Lenker der Materie begrüssen sollten... " (Sir James H. JEANS)

Pfarrer Josef Fink, Graz


Fussnote 1: Der Agnostizismus als philosophische Lehre leugnet die Erkennbarkeit übersinnlicher Dinge (Metaphysik), insonderheit Gottes.


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Letzte Änderung am 18. April 2000