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Erlebnisberichte

Beitrag von Dr. G. Reissenberger, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 3/2004, S. 51+52.

Ungarn – Sommer 2004

Ein Erlebnisbericht von Dr. G. Reissenberger, Florida

Budapest liegt schon seit Stunden hinter uns. Sonor schnurrt der PS-starke Dieselmotor, wir fahren auf der Südostautobahn durch die ungarische Tiefebene. Seltsam leer erscheint uns diese Autobahn; so wenig Verkehr sind wir nicht gewöhnt.

Hans sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz unseres 3,5-Tonners. Das Wohnmobil ist erst ein knappes Jahr alt – es ist die Erfüllung meines letzten Campertraumes. In allen Einzelheiten entspricht es unserer langjährigen Erfahrung mit Reisemobilen – es scheint perfekt zu sein!

Die Sonne hat sich hinter einer schwarzen Wolkenwand versteckt, als wolle sie nicht sehen, was auf uns wartet. Es beginnt zu nieseln, dann setzt Regen ein. Nicht stark, aber doch so, dass die Scheibenwischer Arbeit haben. Dann das Ende der Autobahn: in einer grossen Schleife geht sie über in eine Bundesstrasse. Noch etwa 60 km bis nach Szeged, einer grossen Bezirkshauptstadt. Die Strasse vor uns ist frei, aber der Gegenverkehr ist erstaunlich dicht – vor allem der entgegenkommende Schwerlastverkehr spritzt ganze Wasserfontänen auf unsere Strassenseite. Auch auf unserer Fahrbahn ziehen sich zwei wassergefüllte Spurrillen, so weit das Auge reicht. Ich drossele unsere Geschwindigkeit auf etwa 70 Stundenkilometer, denn unser Mobil tanzt durch die Spurrillen und es muss ständig gegengelenkt werden. Ich bin froh, dass wir kein Fahrzeug vor uns haben und somit nicht ständig besprüht werden und auch gute Sicht nach vorne haben. Auch hinter uns ist alles frei – wir sind die Einzigen auf unserer Fahrbahn.

Inge hat sich auf der Längsbank ausgestreckt – sie will solch trauriges Wetter nicht sehen. Und dann eine leichte Linkskrümmung der Strasse – vor uns ist alles frei soweit das Auge auf dem folgenden schnurgeraden Strassenabschnitt reicht. Nur der extrem dichte Gegenverkehr wirft Wasser aus den Spurrillen auf unsere Strassenseite. Alle fahren mit Abblendlicht. Der Regen hat aufgehört, aber die dunklen Wolken sorgen für Dämmerlicht.

Plötzlich löst sich aus der langen Kette entgegenkommender Fahrzeuge – etwa 200 Meter vor uns – ein Licht und schwenkt auf unsere Fahrbahn ein. "Ist der wahnsinnig?" sage ich zu Hans, der wie erstarrt neben mir sitzt. Und dann geht alles blitzschnell. Der aus seiner Reihe Ausgescherte kommt rasend schnell auf uns zu, hat keine Möglichkeit, sich wieder in seine Reihe einzuordnen und...

Eine seltsame Ruhe ist in mir. Ich sehe noch, wie der Entgegenkommende seine Vorderräder voll nach links, also zum Strassengraben auf meiner linken Seite eingeschlagen hat und augenscheinlich voll bremst, aber ohne Wirkung – Aquaplaning lässt ihn geradeaus weiterschlittern, direkt auf uns zu. Dann – was ist das? Unser Reisemobil schwenkt sanft nach rechts aus auf den etwa 1 Meter breiten Grünstreifen, kippt nach rechts in den Strassengraben, schwankt nochmals nach links und kommt mitten im Graben aufrecht zu stehen...

Leichenblass sieht Hans mich an. Dann die Frage: "Ich sah dem sicheren Tod schon ins Auge. Wie hast Du das nur gemacht?" Dankbar dachte ich: das war ich doch gar nicht selbst – das war wieder einmal mein Schutzengel...


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"