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Grenzwissenschaft - Parapsychologie
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Walter Vogt, Zürich aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom März/April 1999, Nr. 2, IV. Jahrgang, S. 73 ff.)

Der Böse Blick - Wahn oder Wirklichkeit?

Jakob Grimm: "Wo das Christentum eine leere Stelle gelassen hat, wucherte der Aberglaube oder Überglaube."

Schon die arkadisch-sumerische Vorzeit kennt den Begriff des "Bösen Blicks". Mit Beschwörungsformeln versuchte man, ihn und andere Übel zu bannen. Der letzte Satz lautete stets: "Geist des Himmels, beschwöre sie. Geist der Erde, beschwöre sie."
In der griechischen Sage bezichtigt man die Gorgonen, ihr Blick und Anblick würde jeden versteinern. Um 450 v. Chr. gab es in Rom Gesetze, die alle mit dem Tod bedrohten, welche mit dem Bösen Blick Schaden anrichteten. PLUTARCH weiss zu berichten, dass die Anwohner von Pontus (Fussnote 1) am Schwarzen Meer in der Lage waren, Männern und Knaben die Gesundheit zu rauben. Kein Arzt konnte ihr Dahinsiechen verhindern. Richard von WORMS erzählt, dass es im Mittelalter Frauen gab, die durch ihren Blick Gänse, Pfauen, Hühner und Ferkel bezaubern und vernichten konnten.
"Die Macht der Sünde ist gross, aber auch die Gewalt des Bösen Blickes". Dies behauptet der babylonische Talmud-Gelehrte RAB (baba mezia 107b). Gemäss seiner Überzeugung stürben 99 Menschen durch Einwirkung des Bösen Blickes, und nur einer eines natürlichen Todes! Eine Jerusalemerin schrieb in der "Zeitschrift des Deutschen Palästinavereins" u.a.: "Ihr Abendländer glaubt es zwar nicht, aber wahr ist es doch: Zwei Drittel aller Gräber sind vom Bösen Blick, und das dritte Drittel stammt von der Nachlässigkeit im Schutz gegen den Bösen Blick".
In der Parzival-Dichtung ist vom "üblen Auge" die Rede. Nach einer alten Sage soll der Böse Blick eines der Übel sein, das der Büchse der PANDORA entwich.

Wie stellte man sich Menschen mit dem Bösen Blick vor?

Vor allem waren Menschen mit zusammengewachsenen Augenbrauen gefürchtet. Auch Rothaarigen und Schielenden traute man diese Macht zu. Bucklige standen ebenfalls in Verdacht.
In den Mittelmeerländern, ganz besonders aber in Süditalien, ist niemand so sehr gefürchtet wie ein "Jetatore". Taucht ein solcher Mensch irgendwo auf, verbreitet er Furcht und Entsetzen.
Menschen, denen der Böse Blick nachgesagt wurde:
Heinrich HEINE mit seinen schielenden Augen und gefärbten Augengläsern galt als einer der gefürchtetsten Träger des "mal occhio". Dies traf auch auf den englischen Dichter Lord BYRON zu. Auch Kaiser WILHELM II, war in den Augen der Italiener ein Jetatore. Bei einem Festessen im Quirinal, das zu seinen Ehren gegeben wurde, fiel ein schwerer Kronleuchter herunter. Ein Abgeordneter und ein Staatsrat sahen sich entsetzt an: "Er hat wahrhaftig den Bösen Blick". Selbst moderne Römer sagten Pius IX. nach, dass er mit diesem gefährlichen Blick behaftet sei. In seinen letzten Amtsjahren leerten sich die Strassen, wenn er in einer Prozession mitging (in seiner Amtszeit wurde das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen).
Ganz schlimme Begebenheiten ranken sich um den französischen Opernsänger Massol. In Halévis Oper "Jetatore" sang er die grosse Flucharie mit einem geradezu dämonischen Gefühlsausbruch. Der Ruf des Bösen Blickes haftete ihm an. Schon die Generalprobe war mitreissend und grauenerregend. Als sein Blick auf eine Choristin fiel, stiess sie einen Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden. Sie erlitt ein heftiges Nervenfieber. Mehrere Monate musste sie im Krankenhaus verbringen. Bei der Erstaufführung gab es wieder ein Opfer. Als Massol nämlich mit einem teuflischen Gelächter seine Arie abschloss, fiel ein Maschinist direkt vor seine Füsse, wo er tot liegen blieb. Bei einer Wiederholung der Oper sang Massol die Arie nicht mehr nach oben, sondern direkt ins Orchester. Dem Dirigenten wurde es übel, er konnte die Oper nicht mehr zu Ende dirigieren. Schüttelfrost und ein Herzschlag machten seinem Leben ein Ende. Massol selbst war über die Wirkung seines Gesangs erschüttert.

Abwehr und geheime Spruchweisheit

Seit jeher glaubte man, sich mit Amuletten schützen zu können. Auf ihnen befindet sich meistens ein Auge als Gegenblick. Auch Gesten spielen eine grosse Rolle. Der Daumen wird zwischen Mittel- und Zeigefinger gesteckt (Fussnote 2) . Das Tragen eines goldenen Reifs um den Hals soll ebenfalls helfen. Empfohlen wird auch Salz, das man in der Kleidung trägt. Auch ein dreimaliges Reiben der Schläfe soll ein erprobtes Mittel sein. Ein Talmudist: "Derjenige, welcher hineingeht in eine Stadt und fürchtet sich vor einem bösen Auge, der nehme den Daumen seiner rechten Hand in seine linke Hand und den Daumen seiner linken Hand in seine rechte Hand und sage folgendes: "Ich, N.N., Sohn des N.N., stamme ab von dem Samen Josephs, welchen nicht beherrschen kann ein böses Auge". Ein anderer Talmudist lehrt: "Wenn er aber sich fürchtet vor seinem eigenen bösen Auge, so sehe er auf seinen linken Nasenflügel." Gewisse Sprüche des Korans dienen vorzugsweise gegen Bösen Blick und Behexung. Im vorderen Orient und auch in Abessinien tragen Kinder und Erwachsene Tag und Nacht einen kleinen Beutel um den Hals, der einen Bibelvers enthält. In Südengland braucht man gegen ihn den Brief des ABGARUS, König von Edessa. (Fussnote 3)
Die Bewohner von Pakistan hängen um den Hals ihrer Kinder gegen gleiche Übel kleine Steintafeln, in welche in Form eines magischen Quadrats das Wort "Kalima" eingraviert ist. Es ist das Bekenntnis zum Islam oder beinhaltet die Namen Fatma, Hassan oder Hussein. Bei den Buddhisten ist die Lektüre gewisser Stellen der heiligen Bücher vorgeschrieben; sie werden hauptsächlich in der Zeremonie "Pirit" zitiert. Die japanischen Amulette enthalten oft nichts weiter als den Namen Gottes.

Erklärungsversuche

Der wohl grösste Dogmatiker der katholischen Kirche, Thomas von AQUIN, äusserte sich u.a. so: "Wenn eine Seele heftig zur Schlechtigkeit erregt ist, wie es manchmal bei alten Weibern der Fall ist, dann wird der Blick giftig und schädlich, namentlich gegenüber Knaben, die einen zarten Körper haben und deshalb für solche Eindrücke besonders empfänglich sind. Möglich ist auch, dass dieses mit Erlaubnis Gottes oder auch durch einen geheimen Pakt durch die Bosheit der Dämonen geschieht, mit denen die alten Hexen einen Vertrag geschlossen haben." - In Markus 7, 22 wird das "Schalksauge" gleichgesetzt mit Dieberei, Geiz, List, Unzucht, Gotteslästerung, Hoffart und Unvernunft.
Abt Alois WIESINGER: "Letzerer (der Böse Blick) zum Beispiel besteht in der Tatsache, dass gewisse Personen, ohne es zu wissen und zu wollen, alles zerstören, was sie bewundernd ansehen... In manchen Gegenden muss man daher, wenn man im Stall die Kühe besichtigt, ausspucken, um ja keine Bewunderung zum Ausdruck zu bringen; man darf nichts "verreden" oder muss, wenn man lobend über die Gesundheit eines Menschen spricht, das Wort "unberufen" einfügen, damit es ihm nicht schadet. Vielleicht liegt die Erklärung im folgenden: Es regen sich im Unterbewusstsein Neidgedanken, die, weil sie an den rein geistigen Kräften teilnehmen, fähig sind zu zerstören. Die Spukgeschichten ereignen sich auch immer in der Nähe einer abnorm veranlagten Person, deren losgelöste Geisteskräfte unsinnige Taten vollführen." (Fussnote 4)
Eine natürliche Erklärung, gibt Alphons Maria RATHGEBER: "Wer von uns hätte noch nicht erlebt, wie ein gehässiger, boshafter, scheeler Blick die Seele in Unruhe und Aufregung versetzen kann! Auch ungewöhnliche Erscheinungen an Menschen- und Tieraugen, z.B. der phosphoreszierende funkelnde Blick mancher Tiere, wie der Katzen, Wiesel, Marder, Schlangen ("Basiliskenblick"), hat wohl dazu geführt, im Auge einen Sitz der Seele zu suchen und zu glauben, die Seele könne unter gewissen Umständen ihren Sitz verlassen und auf die Aussenwelt einwirken."
Als Franz Anton MESMER die Lehre vom "tierischen Magnetismus" begründete, führte man den Bösen Blick auf die seelische Willenseinwirkung einer Person auf die andere zurück. In unserer modernen und hastigen Zeit versucht man, dieses Phänomen mit der Suggestionstheorie zu erklären. Der Placebo-Effekt ist in therapeutischen Kreisen schon lange ein Begriff. Neuerdings spricht man von einem "Nocebo-Effekt", mit dem viele magische Phänomene scheinbar gelöst werden können. Folgende Frage steht aber offen: Ist der Böse Blick reiner Aberglaube, dem nichts Tatsächliches zugrunde liegt? Das "gemeine Volk" ist oft ein sehr guter Beobachter. Erlag es einer fatalen Täuschung oder ahnt es mehr, als uns die gelehrtesten Abhandlungen weismachen?

[ Walter Vogt, Zürich ]


Fussnote 1: Also ward Pilatus zu dem bösen Volk gesandt, das seine Richter tötete, und wusste wohl, zu wem er geschickt, und dass das Todesurteil über ihm schwebte. Er bedachte mit Schweigen, wie er sein Leben rette, und legte an mit Gaben und mit Drohen, mit Gewalt und mit List, dass er das böse Volk überbösete, bis er es gänzlich unter sich zwang. Davon,..dass er das wilde Volk zähmte, ward Pilatus Pontius genannt von Pontus, dem Namen der Insel (nach Jakobus de Voragine).
Fussnote 2: In Brasilien "Figa" (Handfeige) genannt (Am.d.Red.)
Fussnote 3: Dem grossen Kirchenschriftsteller EUSEBIUS von Cassarea (263-339) verdanken wir die Geschichte vom Briefwechsel Jesu mit Abgarus, der sehr krank war.
Fussnote 4: Dr. Alois Wiesinger, Abt des Zisterzienserklosters Schlierbach (Oberösterreich), gest. 3.1.1955, war animistisch ausgerichteter Parapsychologe. Sein Werk "Okkulte Phänomene im Lichte der Theologie" erschien 1948 in Graz, 2. Aufl. 1952 (Anm. d. Red.).


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Letzte Änderung am 9. August 2000