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Naturwissenschaften - Physik

Eine variable Konstante?

Artikel vom Dezember 1999 aus dem Internet-Angebot des Wissenschaftsmagazins "Spektrum der Wissenschaft"

Wie konstant sind physikalische Konstanten?

Diese scheinbar paradoxe Fragestellung könnte für moderne Theorien durchaus von Bedeutung sein - allerdings wohl erst, wenn man in kosmologischen Zeiträumen denkt. Ein australisch-britisches Forschungsteam hat sich jetzt der Frage nach der Variabilität der Feinstrukturkonstante angenommen, die als aussichtsreichster Kandidat zumindest für eine ungefähre Abschätzung möglicher zeitlicher Schwankungen angesehen wird. Dass sich die Forscher dabei auf durchaus schwankendem Boden befinden, liegt jedoch an den unvermeidlichen Fehlern, die sich bei den diffizilen Messungen einschleichen können. Ihr Untersuchungsobjekt: die Spektrallinien von Quasaren, mit denen ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte von 'Alpha' eröffnet wurde.
Die Diskussion über mögliche Schwankungen von Naturkonstanten wurde in den dreissiger Jahren von Paul Adrien Maurice Dirac (1902-1984) und Arthur Stanley Eddington (1882-1944) in Gang gebracht. Nachdem feststand, dass die elektrische Kraft zwischen Proton und Elektron und ihrer gegenseitigen Anziehung durch die Schwerkraft im Verhältnis 1 zu 1039 standen, ergaben sich noch weitere ähnliche Verhältnisse - etwa das zwischen den Radien des Universum und eines Protons. Auch hier ergab sich nach ersten Abschätzungen ein Verhältnis von 1 zu 1039. Dirac wollte dabei nicht an einen Zufall glauben. Er vermutete, dass bei der Ausdehnung des Universums sich nicht nur das Grössenverhältnis Proton-Universum, sondern damit auch das Verhältnis zwischen elektrischer Kraft und Schwerkraft verändern müsste. Die Folge dieses "Gesetzes der grossen Zahlen" wäre eine Abnahme der Gravitationskonstante mit der Ausdehnung des Universums. Bislang konnte eine solche Änderung nicht experimentell nachgewiesen werden. Aktuelle Abschätzungen sind nur in der Lage, eine mögliche Veränderung auf etwa zehn Prozent seit dem Urknall einzugrenzen.

Eine kurze Geschichte der Feinstrukturkonstante

Auch bei der sogenannten Feinstrukturkonstante wurde nach möglichen Schwankungen gesucht. Seit ihrer Einführung durch Arnold Sommerfeld (1868-1951) im Jahre 1916 hat sich zumindest die Sicht auf diese kurz als Alpha bezeichnete dimensionslose Konstante geändert. Sommerfeld hatte in der Bohrschen Theorie des Wasserstoffatoms elliptische Umlaufbahnen für das Elektron um den Atomkern eingeführt. Die Grösse Alpha, die dem Verhältnis v/c zwischen der Geschwindigkeit des Elektrons in der ersten Bohr-Bahn und der Lichtgeschwindigkeit c entsprach, trat ganz natürlich in Sommerfelds Berechnungen auf und bestimmte die Aufspaltung oder auch Feinstruktur der Wasserstoff-Spektrallinien. Daher rührt der Name "Feinstrukturkonstante" für die dimensionslose Gruppierung der Naturkonstanten Lichtgeschwindigkeit, Plancksches Wirkungsquantum und Elementarladung. Ihr Zahlenwert entspricht etwa 1/137.
Heutzutage wird Alpha als Kopplungskonstante für die elektromagnetische Kraft angesehen und ist vergleichbar denjenigen der anderen drei fundamentalen Kräfte oder Wechselwirkungen: Gravitation, schwache und starke Wechselwirkung. Auch in der Quantenelektrodynamik (QED), der relativistischen Theorie der Wechselwirkung von geladenen Teilchen und Licht, spielt die Feinstrukturkonstante eine Rolle. Hier kommt sie durch die Wechselwirkung zwischen geladenen Teilchen und sogenannten virtuellen Photonen ins Spiel. Diese können bei ausreichender Energie wiederum virtuelle Elektronen-Positronen-Paare entstehen lassen, die ihrerseits mit den "realen" geladenen Teilchen in Wechselwirkung treten. Die genaue Messung der Feinstrukturkonstante bedient sich magnetischer Anomalien des Elektrons oder neuerdings des sogenannten Quanten-Hall-Effekts.

Das "Oklo-Phänomen"

Eine erste Möglichkeit, die Variation der Feinstrukturkonstanten zu untersuchen, bot ein "natürlicher Reaktor" im afrikanischen Staat Gabon. Oklo ist der Name einer Uran-Lagerstätte, aus der Frankreich den grössten Teil des Urans für sein Kernenergieprogramm erhält. Als das dortige Uran untersucht wurde, stellte sich heraus, dass der Anteil an Uran 235 mit 0,711 Prozent etwas geringer war als in gewöhnlichem Uran (0,72 Prozent) - so als ob es bereits in einem unbekannten Reaktor verwendet wurde. Darauf deuteten ausserdem Spuren einiger Spaltprodukte hin. Dieser Befund war zunächst rätselhaft, da es normalerweise nicht möglich ist, die Kettenraktion ohne einen Moderator wie Graphit oder Schweres Wasser in Gang zu bringen. Beides war in Oklo jedoch nicht vorhanden. Die Ursache für das Phänomen liegt darin begründet, dass die Halbwertszeit von Uran 235 mit 0,713 Milliarden Jahren wesentlich kürzer ist als die des Isotops Uran 238 (4,51 Milliarden Jahren). Seit der Enstehung der Erde ist demzufolge ein grösserer Anteil des Uran 235 zerfallen als vom Uran 238. Dies bedeutet wiederum, dass der relative Anteil von Uran 235 in der Vergangenheit grösser gewesen sein muss. Vor etwa 1,8 Milliarden Jahren lag dieser Anteil bei etwa 3 Prozent - genug um auch mit leichtem Wasser eine Kettenreaktion zu ermöglichen. Anhand der Isotopen-Zusammensetzung der entstandenen Spaltprodukte, lassen sich mögliche Unterschiede der Kernreaktionen im Vergleich zu heutigen Abläufen detailiert untersuchen - und somit auch Schwankungen der Naturkonstanten. Für die Feinstrukturkonstante ergab sich dabei eine obere Abschätzung für eine Änderung von etwa O,9*10-7 bis 1,2*10-7 - bezogen auf einen Zeitraum, der dem Alter des Universums entspricht.

Quasarlicht und galaktische Wolken

Eine Arbeitsgruppe um John K. Webb von der University of New South Wales in Sydney und John D. Barrow von der Sussex University hat nun eine neue Technik angewendet, um den möglichen Schwankungen der Feinstrukturkonstante auf die Spur zu kommen. Sie gingen davon aus, dass die Spektren von extrem weit entfernten Quasaren nicht nur einen Blick in die Frühzeit des Universums erlauben, sondern auch als Nachweis zeitlicher Änderungen von Alpha geeignet sind. Da die Aufspaltung gewisser Spektrallinien proportional zu Alpha2 ist, muss man dafür nur die Aufspaltungen bestimmter Spektrallinienpaare (genauer: Dublettlinien von alkaliartigen Ionen mit einem äusseren Elektron) in Abhängigkeit von der gemessenen Rotverschiebung der Quasare untersuchen. Die dunklen Spektrallinien entstehen bei der Absorption des Quasarlichtes durch Wolken galaktischen Gases .
Diese Methode wurde bereits 1956 bei Untersuchungen intergalaktischen Gases angewendet, lieferte jedoch keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Ausgehend von diesen Überlegungen bedienten sich Webb und seine Kollegen einer neuen Variante der beschriebenen Technik und verglichen die absorbierten Wellenlängen von Magnesium und Eisen in den selben galaktischen Wolken. Wie sie in den Physical Review Letters vom 1. Februar 1999 (Abstract 1, Abstract 2) zeigen konnten, besitzt dieses Verfahren eine wesentlich grössere Empfindlichkeit als die Alkali-Dublett-Methode. Ihre Messungen liefern einen Wert von 1,1 bis 1,9*10-5 abhängig von den Rotverschiebungen der betrachteten Quasare.
Die Ergebnisse werfen jedoch nach wie vor einige Probleme auf. Das grösste sind wohl die vielen möglichen systematischen Fehlerquellen bei den Messungen sein, die von Webb und seinen Kollegen in grosser Ausführlichkeit diskutiert werden. Diese dürften weitere Experimente unumgänglich machen. Weiterhin ist fraglich, welcher physikalischer Effekt für eine bestimmte Änderung der Feinstrukturkonstante verantwortlich sein könnte. Zwar lassen Theorien, mit denen versucht wird, die Gravitation mit den anderen Wechselwirkungen zu vereinigen, eine Schwankung von Alpha erwarten. Eine quantitative Beschränkung für diese existiert jedoch nicht. Zum Beispiel wäre auch eine nichtlineare oder periodische Änderung der Feinstrukturkonstante denkbar. Auf jeden Fall wären die Folgen von grundsätzlicher Bedeutung für die Physik.
Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit der Energiedichte des Vakuums, das nicht völlig leer, sondern voller virtueller Teilchen ist. "Wenn die Energiedichte des Vakuums in der Vergangenheit grösser war, würde die Lichtgeschwindigkeit ebenfalls leicht verschieden sein", sagt Christopher Churchill von der Pennsylvania State University, der ebenfalls an den Messungen beteiligt war. "Eine Änderung der Feinstrukturkonstante könnte die Rate ändern, mit der Sterne ihren Brennstoff verbrauchen und so die gesamte Entwicklung der Sterne beeinflussen."


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"