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Grenzwissenschaften - Parapsychologie
(Anm.d.Erf.: Der Artikel stammt von Maria Lutz-Weitmann aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Mai / Juni 1999, Nr. 3, IV. Jahrgang, S. 185 ff.)

Unsere Nettel - Erlebnis mit einer Katze

Ich war damals etwa fünf Jahre alt, als wir unsere Nettel, eine gute treue Hauskatze, wegtun sollten, weil wir in eine neue Wohnung keine Tiere mitbringen durften. Der Hausherr meinte: Fünf Kinder und noch eine Katze, das wäre ihm zuviel. Die Katze müsse weg, da ohnehin schon zwei solche Biester im Hause seien.
Unsere liebe Mutter wusste wohl, was das für uns Kinder, insbesondere aber für mich, bedeutete. War mir doch keine Puppe so lieb wie gerade unsere Nettel. Sie schlief in meinem Puppenbettchen, war folgsam wie ein Kind und tat alles, was ich nur wollte. "Beide Händchen schön auf die Bettdecke legen", sagte ich - so wie die Mutter es von uns Kindern verlangte - und meine Nettel blieb brav so liegen, wie ich sie hingebettet hatte. Sie sass bei Tisch, ebenfalls beide Pfötchen auf die Tischkante gelegt, wie wir Kinder es tun mussten, bis die Mutter unsere Teller oder Tassen gefüllt hatte und das Tischgebet gesprochen war. Nettel hatte neben mir ihren Platz auf der Bank, und ich sorgte dafür, dass sie immer ihr frischgespültes Schüsselchen bekam.
Das Tierchen war also gewissermassen ein gleichberechtigter Mitgenosse unter uns. Wir alle liebten unsere Nettel leidenschaftlich und mussten uns ihre Liebe teilen wie eine einzige Puppe. Da gab's oft Streit, wer die Nettel heute, und wer sie erst morgen mit ins Bett nehmen durfte. Das war zwar keine hygienisch einwandfreie Gepflogenheit, aber dagegen war von Mutter nicht anzukämpfen, denn die Nettel schlich gar zu gern zu uns ins Nest, besonders winters. Wenn Mutter dann später ebenfalls schlafen ging, musste sie erst nachsuchen, in wessen Armen die Nettel wieder schnurrte, um sie uns dann sanft zu entwinden und aus dem Zimmer zu tun.
Man bedenke also, was das für einen Jammer geben musste, wenn die Nettel von uns genommen werden sollte. Mutter sagte uns wochenlang gar nichts davon, sondern fragte überall herum, in der Hoffnung, dem Tierchen ein gutes Haus ausfindig zu machen. Aber umsonst. "Ach was", hiess es, "tun Sie das Tier doch einfach weg!" Und eine Nachbarin hörte ich sagen: "Die Katze ist ja mindestens sechs Jahre alt. Ersäufen Sie sie doch drüben im Neckar! Einfach in einen Sack hinein, einen Stein drangebunden und fort damit. Aber nur ja recht weit in den Fluss hineinwerfen, wo das Wasser tief genug ist, damit so ein Biest nicht wieder herauskommt!" --
Dass gerade ich diesen Mordanschlag mit anhören musste, war ein Zufall. Ich traute meinen Ohren kaum, und das Herz wollte mir stillestehn.
"Was?!" schrie ich auf, "unsere Nettel ersäufen?! Was wollen Sie, Sie böses Weib! Sie, Sie, Schlampenweib!" - Ich stand in hellen Flammen und suchte nach den stärksten Ausdrücken in meinem noch spärlichen Wörterschatz, um meiner Empörung Luft zu machen. Meine Mutter war erst erschrocken und wollte mich besänftigen. Sie winkte der Frau heimlich ab, weil ich es doch nicht hätte erfahren sollen. Aber dann wurde sie über meine Ausfälligkeit böse, und ich bekam auch zu all meinem Elend noch eine Tracht Prügel dazu.
Von jener Stunde an aber wachte ich mit Argusaugen über meine Nettel; denn dass da etwas vorging, das wusste ich nun.
Eines Tages war es auch nimmer zu verbergen. Alles Jammern und Weinen von uns Kindern half nichts mehr. Mutter sagte zwar, sie habe eine gute Stelle gefunden, wo die Nettel es noch viel besser habe als bei uns, wo sie nur Schwarzbrotbrocken in den Malzkaffee bekomme, wie wir alle. Dort aber, wo sie jetzt hinkommt, bekäme die Nettel jeden Tag Milchbrot eingebrockt und Kuchen. "Dann will ich auch dorthin gehen!" entschied kurzerhand meine Schwester Martha. Mutter schmunzelte ein wenig, wurde aber gleich wieder ernst, denn in Wirklichkeit war das ja nur eine Notlüge, das mit der besseren Stelle. Die Nettel war ja bereits zum Tode verurteilt. Der zwölfjährige Sohn des bisherigen Hausbesitzers - ein rothaariger, sommersprossiger Junge, der ohnehin als grausam bekannt war und den ich nicht leiden mochte - hatte sich bereits anerboten, unsere Nettel am Nachmittag zu fangen und sie zu ersäufen. Von alledem wussten wir Kinder aber gar nichts, und ich dachte noch immer über die gute Koststelle nach. "Wo ist denn die?", fragte ich meine Mutter. Sie wich aber mit der Antwort aus, und das kam mir nun alles recht verdächtig vor.
Am Nachmittag plötzlich hörte ich meine Nettel gellend aufschreien, und ich stürzte, selbst aufheulend, den grässlichen Tönen nach. Noch ehe mich meine Mutter zurückhalten konnte, hing ich am Halse jenes rothaarigen Gesellen, als wäre ich eine Wildkatze, die ihr Junges verteidigen müsste.
Das Drama spielte sich in der Küche ab, wo der sommersprossige Kerl eben den Sack zuband, in welchem meine Nettel um Hilfe schrie. Zusammen mit meinem eigenen Geheul hallte das dermassen durchs Haus, dass alle Mitbewohner zusammentrafen. Aber der Häscher war mit der Nettel im Sack im Nu auf und davon, so sehr ich mich auch an ihn hängte.-- Man musste mich halten und gewaltsam einsperren. Ganz von Sinnen lag ich in der Kammer, in die man mich gebracht hatte, auf dem Fussboden, schrie und schlug nach allen, die mich begütigen und trösten wollten, und konnte mich gar nimmer fassen. Meine Mutter, die nun selbst um das treue Tier weinte, konnte und wollte jetzt nicht streng zu mir sein. Man liess mich schreien und ausweinen. - Endlich war ich so erschlafft von all dem Schmerz und Schrecken, dass man mich ins Bett tragen musste, wo ich nach langem Erschöpfungsschlaf erst zum Abendbrot wieder erwachte.
So sass ich nun wieder weinend hinterm gedeckten Tisch, und unsere Mutter schnitt uns schweigend Brotbrocken in den Milchkaffee.
Das Tischgebet war heute an mir. Vor Weinen konnte ich aber fast nicht reden. Meine anderen Geschwister weinten ebenfalls. Somit beharrte Mutter mit aufmunternden Blicken darauf, dass ich mein Tischgebetchen selber sprechen müsse. So begann ich denn, mit Schluchzen unterbrochen. Aber ich konnte nicht anders, ich musste meine Nettel, deren Platz neben mir heute zum ersten Mal leer war, mit ins Gebet einflechten. "Abba, liebe Nettel! Amen", betete ich mit krampfhaft gefalteten Händchen...
Und da, was geschah? - Plötzlich, noch ehe ich aufschauen konnte, schrien alle Geschwister in weinender, jauchzender Freude zusammen: "Die Nettel!!!" -- Die Nettel war in diesem Augenblick zum Fenster hereingekommen, tropfpudelnass! - Kläglich miauend kam sie unter dem Tisch hindurch zu mir auf die Bank, an ihren Platz!
Nettel kannte genau die Zeit der Mahlzeiten, und sie musste sich beeilt haben heimzukommen, nachdem es ihr irgendwie gelungen war, dem Wasser zu entrinnen. Vielleicht hatte der Junge infolge meines Geschreis den Sack nicht fest genug zubinden können. Die Hauptsache jedoch war, dass Nettel entronnen und wieder bei uns war. Der Jubel war unaussprechlich gross! Jedes von uns hätte der Nettel am liebsten die eigene Kaffeetasse angeboten. Selbst Mutter lächelte in Tränen. Es war eine glückliche Stunde!
Dieses Erlebnis war sozusagen meine erste Gebetserhörung gewesen, und von nun an glaubte ich felsenfest, dass der liebe Gott da ist, immer und überall, bei Tag und Nacht; dass er alles sieht, hört und weiss.
Unsere Nettel aber liebten wir fortan noch inbrünstiger als zuvor. Diesen ganzen Abend sassen wir glückselig um das Tier herum und schauten zu, wie es sich putzte und leckte. Mutter hatte die Nettel mit einem trockenen Tuch durchgerieben, aber das Fell war ganz struppig und uneben geworden. Nettel kämmte sich mit der langen Zunge eifrig, und klagte uns dabei in schwätzenden Tönen ihr bestandenes Leid. Ja, ja, antwortete ihr immer wieder eines von uns Geschwistern in herzlicher Teilnahme, und das arme Tier wusste genau, dass wir es verstanden.
Jahrelang haben wir darnach unsere Nettel noch behalten dürfen. Wie Mutter das bei dem gestrengen Vermieter anstellte, dass wir das Tier nun doch mit in die neue Wohnung nehmen durften, weiss ich nicht. Tatsache aber ist, dass Nettel nachher der ausgesprochene Liebling dieses Hausherrn wurde, der sie sehr oft auf sein gichtkrankes Bein legte, was - wie er behauptet - ihm einzig und allein Linderung verschaffte wie keine Arznei. Stundenlang lag das Tier, das langsam selbst alt und behäbig geworden war, beim gichtkranken Hausherrn in seinem Sessel und schnurrte ihm ein behagliches Lied vor.
Eines Morgens aber lag unsere Nettel in meinem Puppenwagen, lang ausgestreckt und steif, mit halboffenen, verglasten Augen... Mit herzlichem Betrauern begruben wir das treue Tier, die Freude unserer Kindheit, im Garten hinterm Haus bei den Neckarwiesen. Noch lange kränzten wir das "Gräblein" mit Wiesenblumen. Auf einem von mir selbst gemalten Schild standen die Worte: "Hier ruht unsere liebe Nettel".

[ Maria Lutz-Weitmann ]


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Letzte Änderung am 11. August 2000