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Zeitdokument

Beitrag eines Freundes von Armin Risi, erschienen in der Zeitschrift 'Wegbegleiter' Nr. 4/2001, S. 141-143.

Ein Brief aus Indien

(ar) Ein Freund, den ich seit meiner Klosterzeit kenne, hat sich anfangs Jahr still verabschiedet und reiste für unbestimmte Zeit allein nach Indien, um dort fernab von Stress, Hektik und äusserem Leistungsdruck erneut eine spirituelle Ruhe zur Verinnerlichung zu finden – nicht nur zehn Minuten am Tag oder bei einem schnellen Tischgebet, sondern gesamthaft als Lebensweise. Dies zu tun ist kein Dogma, aber tut gut! Sich das Leben so einrichten, dass man mehrere Monate lang "nichts" zu tun hat ... Wenn keine äussere Geschäftigkeit und Ablenkung vorhanden ist, was bleibt dann? Was weiss man mit sich selbst anzufangen? Welche inneren Reichtümer hat man?
Nun habe ich von meinem Freund, der anonym bleiben will, einen Brief bekommen, der sehr prägnante und zum Teil sogar herausfordernde Gedanken enthält. Dieser Brief gibt auch Einblick in die geistigen Erfahrungen dieses jungen Mannes, eines Eremiten, der sich selbst immer wieder neuen Herausforderungen stellt.


Zur Zeit lebe ich in Südindien, wo ich ein kleines Häuschen inmitten eines neu angelegten Waldes gemietet habe. Täglich helfe ich etwa für drei Stunden den Wald von den wuchernden Dornenbüschen zu befreien, damit die darin lebenden Kühe ungehindert fressen können. Eine für diese Jahreszeit ganz schön schweisstreibende Arbeit. Aber ich bin sehr dankbar für diese Arbeit. Es fühlt sich an, wie wenn ich mein eigenes Herz allmählich von den Dornen jahrealter Schlingpflanzen befreien würde. So verbringe ich im Moment eine Zeit, in der ich mich, langsam aber sicher, wieder auf mein Inneres einstimme kann ...
Manchmal schreibe ich auch spontan Texte zu verschiedenen Themen. Nein, stimmt nicht. Eigentlich schreibe ich seit langem mehr oder weniger regelmässig in meinem Tagebuch. Ich sitze dann einfach hin, sinne über das nach, was mich den Tag hindurch am meisten beschäftigt hat, gebe diesem ein Titel und schreibe einfach drauflos - völlig ungezwungen und ohne irgendwelche Grammatik zu beachten. Auch ohne die Absicht, es je wieder zu lesen. Die Regel dabei ist, dass ich nie die Worte "ich" und "mein" benutzen darf, und dass ich kaum einmal länger als eine halbe Stunde schreibe. Schon früher habe ich dies kleine Hobby gepflegt, bin aber während mehrerer Jahre ganz davon abgekommen.
Vor kurzem habe ich ausnahmsweise einen etwas längeren Text geschrieben. Über ein Thema, dass dich vielleicht interessieren könnte. Daher habe ich gedacht, dass ich diesen Text einfach einmal schicke. Vielleicht ist der eine oder andere Punkt dabei, der bei Dir vielleicht weiterführende Gedanken auslöst.

Aus dem indischen Tagebuch

Der Weltverbesserer

Erstaunlich, je mehr der Mensch die Welt und somit auch seine Umstände verbessern will, umso grösser ist auch der Schaden, der am Gesamtgefüge der Natur entstehen kann. Der Mensch scheint von der Idee, alles verbessern zu müssen, wie besessen. Er sieht aber nicht, dass gerade diese Idee eine Projektion ins Äussere ist und dass die Seele sich dabei von sich selbst entfremdet.
Je stärker die Projektion, umso intensiver ist auch die Selbstentfremdung und das Dilemma der dadurch in der Welt entstehenden Disharmonien. Schon alleine die Idee, ein Weltverbesserer zu sein, ist in sich selbst illusorisch und bringt unweigerlich Unheil hervor. Sie ist der wahren Natur der Seele völlig fremd. Es ist die Anmassung einer Seele, die nicht versteht, dass sie "nur" ein Teil des Ganzen ist und niemals aufs Ganze einwirken kann, sondern von Ihm, von Gott, bestimmt werden sollte. "Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe."
Würde die Seele diese Wahrheit zulassen, würde sie in erster Linie gar keine Mängel verursachen, welche sie dann im Nachhinein künstlich zu korrigieren bräuchte. Dadurch könnte das Ganze durch den Menschen hindurch wirken. Der Mensch würde nicht mehr mit eigenwilligen Ideen, was nun Gut oder Schlecht sein solle, dieser höheren Fügung im Wege stehen. Denn erst wenn man versteht, dass man selbst nichts tun kann, kann man erst wirklich etwas tun. Doch diese Wahrheit widerstrebt einem vom Ego beherrschten Menschen. Solch ein Mensch empfindet die Worte “nicht mein, sondern Dein Wille geschehe" als entmündigend und als eine Aufhebung seiner Selbstständigkeit und Freiheit. Der Gedanke, nicht mehr selber die Dinge unter Kontrolle zu haben, erscheint ihm bedrohlich. Das Ego kann sich nicht vorstellen, nicht mehr selber bestimmen zu können, wer es sein will und was es machen soll.
All diese Befürchtungen wären auch wahr, wenn es nicht auch tatsächlich eine göttliche Ordnung geben würde. Eine Höchste Intelligenz, die schon für alles gesorgt und gedacht hat; eine Macht, die bereits alles unter Kontrolle hat, eine Güte, die nur darauf wartet, dass die individuelle Seele sich ihr wieder anschliesst, um so wieder an ihrer perfekten Harmonie teilnehmen zu können.
Es ist also unsere atheistische Einstellung, die uns vor einer bereits vollkommenen Welt disqualifiziert und uns in den Wahn, alles verbessern zu müssen, verbannt. Es ist der Grössenwahn einer kleinen Seele, welche die Existenz Gottes nicht wahrhaben will, um dadurch selber Gott spielen zu können. Und wenn dann solche Seelen von Gott sprechen, meinen sie im Grunde genommen nur sich selbst damit.
So gibt es eine Vielzahl von Gurus und Büchern, die den Menschen über die unendlichen Potentiale ihrer Seelen erzählen und ihnen vom Spiel ohne Grenzen künden, so dass sich jedes Ego äusserst geschmeichelt fühlt. Kein Wunder, dass solche Propheten in unserer so sehr von “Ich bestimme, und mein Wille geschehe" dominierten Gesellschaft erwartungsvoll aufgenommen werden. Was die Menschen nicht alles noch im Namen dieser Gottesvorstellungen verbessern bzw. manipulieren werden! Ein ganzer Kult von selbsternannten Göttern wird noch die gesamte Erde in ein nicht wieder erkennbares Kunstwerk verbessern, um als "erleuchtete" Schöpfer dieser Welt sich selber ihre Göttlichkeit beweisen zu können.
Dieser Wahn der Machbarkeit von solch vermeintlichen Göttern ist die Macht der atheistischen Mentalität. Wer dieser Macht verfällt, wird unbewusst zum Instrument einer gewaltigen Beschäftigungstherapie, bis hin zur Erkenntnis, dass all dieses Getue niemals die schon betreffende Ordnung Gottes übertreffen, ja ihr nicht einmal im entferntesten nahe kommen kann. Daher sollte man diese Mentalität des Weltverbesserers zu durchschauen und zu überwinden lernen. Für einen wahren Adepten der Transzendenz geht es nicht darum, irgend etwas verbessern zu müssen. Es geht ihm vielmehr um die Bewusstwerdung, wie alles schon der höheren Macht und vollkommenen Kontrolle der Höchsten Persönlichkeit Gottes untersteht. Daher ist er nicht von irgendwelchen Weltverbesserungsideen besessen, sondern ist vielmehr von diesem Gottesbewusstsein erfüllt.
Solch einem Gottgeweihten geht es nicht um sein eigenes Wirken. Er möchte sich lediglich wieder der Präsenz Gottes und Seiner grenzenlose Güte, Weisheit und Seinem göttlichem Willen anschliessen. Der Gottgeweihte ist nicht auf die Handlung fixiert, sondern vielmehr auf die Verbindung seiner Seele mit Gott. Jegliche mentale Projektion weicht einer von Herzen gelebten Devotion. Die Möglichkeit, tatsächlich “nicht mein, sondern Dein Wille geschehe" erleben zu können, wird zur vollkommenen Erfüllung einer so wieder mit Gott verbundenen Seele.
Ganz im Gegenteil zu dem steht die von der atheistischen Mentalität eingenommene Seele. Diese weicht dem Willen Gottes geschickt aus, indem sie ihre Erfüllung hauptsächlich durch die Sensation ihres eigenen Wirkens, ihrer eigenen Weltverbesserung, im Namen Gottes zu finden versucht. Es geht ihr nicht wirklich um die Verbundenheit mit Gott, sondern um die Handhabung von physischen und mentalen Kräften, durch die sie ihre eigene Existenz zu erleben und zu bestätigen versucht. Dabei verwendet sie gerne den Namen Gottes (In God we trust) oder den der Wissenschaft oder einer sonstigen Weltverbesserer-Moral. Ansonsten wäre die Anmassung ihrer Eigenwilligkeit zu offensichtlich – sowohl sich selbst wie auch anderen gegenüber.
Äusserlich gesehen mag der Unterschied zwischen diesen beiden grundlegend verschiedenen Seelen kaum noch wahrnehmbar sein. Daher kann man sowohl den Gottgeweihten als auch den zu Gott Ernannten oft unter dem gleichen Banner Gottes, von Spiritualität und von Institutionen von Weltverbesseren, antreffen. Äusserlich mag der Unterschied nur noch hauchdünn erscheinen. So dünn, dass einem schon fast die Worte fehlen, um es überhaupt noch beschreiben zu können – denn der Eine wirkt, wobei der Andere bewirkt. Doch innerlich mag dieser Unterschied – im wahrsten Sinne des Wortes – ganze Welten ausmachen.


Antwort

von Armin Risi

Dein Text über den "Weltverbesserer" macht mich nachdenklich; will doch jeder in einem Sinn ein Weltverbesserer sein. Aber wie Du das letzte Mal geschrieben hast: "Wir sind nicht da, um die Welt zu verändern, sondern die Welt ist da, um uns zu verändern."
Aber wenn wir uns selbst verändern, verändern wir auch die Welt, zumindest die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Obwohl äusserlich immer noch dieselbe "Realität" vorhanden ist (Kali-yuga-Zivilisation, Technik-Rausch, Konsumismus, usw.), wird die Realität, in der WIR leben, anders. So verstehe ich einen der Kernsätze der wahren Esoterik, den man jedoch sehr leicht falsch verstehen könnte. "You create your own reality." "Du schaffst deine eigene Realität."
Dies wird nicht als Ego-Schmeichelei gesagt, sondern als Hinweis auf das Prinzip, das ich vorhin skizziert habe. Mit unserem freien Willen können wir wählen, ob wir dem Willen Gottes entsprechen oder widersprechen wollen. Dies ist keine "Aufhebung seiner Selbstständigkeit und Freiheit", wie der ego-identifizierte Mensch meinen könnte, sondern die Vollkommenheit der selbst-bewussten Seele, die sich der absoluten Verantwortung der eigenen Handlungen sowie des höchsten Zieles bewusst ist.
Hier sehe ich die Gemeinsamkeit aller göttlichen Offenbarungen und aller Lichtwesen in den höheren Welten, die in ihrem eigenen Sein erleben, welche Voll-Macht man als universales Wesen bekommt, wenn man nicht auf eigene Faust nach Macht strebt, sondern sich vom Absoluten, von Gott, abhängig macht.
Du schreibst: "Ein ganzer Kult von selbsternannten Göttern wird noch die gesamte Erde in ein nicht wiedererkennbares Kunstwerk verbessern, um als erleuchtete Schöpfer dieser Welt, sich selber ihre Göttlichkeit beweisen zu können." Ja, damit scheinst Du recht zu haben. Das "Tier" wird viele Wunder vollbringen – vor allem TECHNISCHE Wunder, wie wir heute wissen.
Was Du schreibst, ist sehr aufrüttelnd und fordert mich auf zu fragen, wo ich selbst noch einen Knoten in der Leitung habe und eigene Ego-Verblendungen nicht erkenne.


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"