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Grenzwissenschaften - Parapsychologie
(Anm.d.Erf.: Das folgende Portrait der WB-Redaktion stammt aus der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom November 1998, Nr. 6, III. Jahrgang, S. 252 ff. Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ] - Klammern.)

EMMA HARDINGE BRITTEN (1823-1899)

ÜBERSICHT: EMMA HARDINGE BRITTEN war eine der schillerndsten Persönlichkeiten, die massgeblich für die Verbreitung des Modernen Spiritualismus verantwortlich waren. Als Medium, Rednerin, Propagandistin, Organisatorin und Publizistin wird sie auch heute noch ausserhalb des deutschsprachigen Raums als eine Art "Mutter des Spiritualismus" angesehen und geehrt. Kernstück dieses Beitrages ist die Rezension der Neuauflage ihrer Autobiographie von ALAN GAULD im Journal der Society for Psychical Research, Vol. 62, 1998.

Unter den Pionieren des Spiritualismus gab es wenige, denen von seiten eingefleischter Kritiker Anerkennung zuteil wurde. Dass EMMA HARDINGE BRITTEN dazugehört, verwundert um so mehr, als sie in ihrer Rolle als Frau zur Zeit ihres Wirkens weitaus grössere Hürden zu nehmen hatte, als dies heute der Fall wäre. Jedenfalls ist es erstaunlich, dass selbst ein E. J. DINGWALL, der dafür bekannt war, selten ein gutes Haar an Forscherkollegen aus der Parapsychologie, geschweige denn an Spiritualisten zu lassen, E. H. BRITTEN für ihre Courage, gedankliche Unabhängigkeit, Energie und Seriosität bewunderte.
1823 als EMMA FLOYD im Londoner East End geboren, nahm sie als Elfjährige die Rolle des Vaters ein, der als Schiffskapitän starb, und ernährte ihre Familie, wobei ihre musikalischen und schauspielerischen Fähigkeiten ihr zugute kamen. Eine Zeit lang arbeitete sie als Klavierlehrerin, studierte danach in Paris, kehrte nach England zurück, dachte an eine Opernkarriere und entschied sich schliesslich für die Bretter, die die Welt bedeuten: sie wurde Bühnenschauspielerin.
Vor ihrem dreizehnten Lebensjahr kam sie in Berührung mit einer Geheimgesellschaft von Okkultisten, die sie später in ihrer Autobiographie den "Orphischen Kreis" nennt. Zu diesem Kreis sollen auch der berühmte Romantiker und Politiker SIR EDWARD BULWER-LYTTON (1803-1873) und andere nationale Berühmtheiten gehört haben. Dort soll die somnambule und hellseherische Begabung der kleinen EMMA entdeckt und gefördert worden sein. Entgegen der Vermutung DINGWALL'S, sie sei dort missbraucht worden, hielt sie auch später, während ihres Eintretens für den Spiritualismus, Kontakt zu Mitgliedern dieses geheimnisvollen Kreises.
Im Laufe ihrer Bühnenkarriere verschlug es sie mit verschiedenen Theatergesellschaften zuerst nach Paris und später, in Begleitung ihrer Mutter, nach New York. Dort war es, als 1855 ihre lange Leidenschaft für den Spiritualismus begann. Von Freunden überredet, besuchte sie verschiedene New Yorker Medien, und bald überzeugte sie die Qualität der Durchgaben von deren nichtirdischem Ursprung; wiederholt wurde ihr gesagt, sie habe das Potential zu einem grossen Medium. Später (in den 1890ern) schrieb sie, dass es "damals unter den Berufsmedien weitaus stärkere und zuverlässigere gab, als es heute der Fall ist". Erstaunlich, denn die ersten wissenschaftlichen Berichte, welche die qualitative Kluft zwischen den damals untersuchten und den heutigen Medien mehr als deutlich offenbaren, erschienen nicht vor 1880.
Ihren ersten spontanen Einsatz als Medium hatte sie, als sie einer Sitzung bei einer MRS. KELLOGG beiwohnte. Diese hielt und rieb die Hände EMMAS, worauf sie plötzlich das Gefühl hatte, eine völlig andere Person zu sein: ein ehrwürdiger, alter Herr, der den Anwesenden starke Identitätsbeweise gab, wie man der verblüfften Anfängerin später berichtete. Ihre Mediumschaft entwickelte sich ständig und in allen Spielarten; ausser starke physikalische Phänomene soll sie alle Erscheinungsformen der Medialität demonstriert haben.
Als ihr Schauspielvertrag 1856 auslief, stellte ihr HORACE H. DAY, ein wohlhabender Spiritualist, zwei Räume im Hause seiner "Gesellschaft zur Verbreitung des Christlichen Spiritualismus" auf dem Broadway Nr. 553 zur Verfügung. Im gleichen Haus war ebenfalls die berühmte KATE FOX untergebracht, die 1848 mit ihren Schwestern den Hydesviller Spukfall miterlebte, welcher ja als Synonym für den Beginn des Modernen Spiritualismus steht. Dort unterrichtete E. H. BRITTEN Musik, und für einige Stunden am Tag gab sie unentgeltlich Demonstrationssitzungen, bei denen man sich von ihrer starken Medialität überzeugen konnte. Nebenbei redigierte sie MR. DAYs Zeitschrift The Christian Spiritualist und leitete einen spiritualistischen Chor, für den sie auch komponierte.
Am Sonntag, den 5. Juli 1857, gab sie ihren ersten grossen, öffentlichen Trance-Vortrag, der zu einem ausserordentlichen Erfolg wurde. Und so waren die Weichen wieder einmal umgestellt: E. H. BRITTEN ging wieder auf Wanderschaft. Während der nächsten acht Jahre bereiste sie die gesamten Vereinigte Staaten und Kanada, wo sie gewaltige Menschenmassen anzog und sie zur erfolgreichsten Trance-Rednerin aller Zeiten wurde. Wohin auch immer man sie einlud, sie kam; auch nach fernen und gefährlichen Orten. Weder Kälte, Hitze noch Wegelagerer oder wie einmal ein Mob von Fundamentalisten, vor der ihr Gastgeber sie nur mit einer Pistole und einer Keule retten konnte, vermochten den Eifer EMMAS zu bremsen. Auf Prestige gab sie nichts, als Idealistin sprach sie zur feinen Gesellschaft ebenso wie in Gefängnissen und oft tröstete sie Verbrecher am Abend ihrer Hinrichtung. Während des Bürgerkriegs opferte sie viel von ihrer Zeit der Beschaffung von Mitteln für medizinische Hilfe. Die innere Angst, von der sie oft sprach, machte sich nie deutlich bemerkbar.
Nach 1865 pendelte EMMA oft zwischen England und den USA; in dieser Zeit heiratete sie WILLIAM BRITTEN, schrieb ihr berühmtes Werk Modern American Spiritualism und kam in Verbindung mit der Theosophischen Gesellschaft, ohne aber ihre spiritualistische Überzeugung zu verlieren. Zwischen 1878 und 1879 bereiste sie zusammen mit ihrem Mann die Sandwich-Inseln, Australien und Neuseeland, wo sie so oft und erfolgreich sprach wie gewohnt.
Endlich, im Jahre 1881, liessen sich die BRITTENS in England nieder, nachdem sie nochmals die Vereinigten Staaten besucht hatten. EMMA überlebte ihren Mann und gründete die beiden Zeitschriften The Unseen Universe (Das unsichtbare Universum) und Two Worlds (Zwei Welten); letztere Zeitschrift ist heute noch in England erhältlich, wenn auch freilich der Zahn der Zeit das Niveau dieser Publikation erheblich angenagt hat. Ihr Kompendium Nineteenth Century Miracles (Wunder des 19. Jahrhunderts) stellt einen weiteren Höhepunkt ihres Schaffens dar; in diesem für Historiker einzigartigen Werk wird die Geschichte des Spiritualismus bis 1884 in Deutschland, Frankreich, Australien, Neuseeland, Mexiko, Südamerika, Indien, Holland, Belgien, Russland, Skandinavien, Spanien, der Schweiz, Italien, Österreich, der Türkei und Grossbritannien abgedeckt. Zusammen mit Modern American Spiritualism bildet es eine unbezahlbare Sammlung heute kaum mehr zugänglicher Quellen: Zeitungsartikel und seltene Pamphlete, die der eifrigste Detektiv heute nicht mehr auftreiben könnte. Diese Quellen sammelte sie auf ihren Reisen, auf denen sie die grossen Köpfe des Spiritualismus persönlich kennengelernt und sämtliche Zentren, über die sie berichtet, besuchte und einige davon sogar gründete. Aufschluss erhält man nicht nur über die quantitative Verbreitung der Bewegung, besonders auch über die sozialen und religiösen Umstände, die dem Spiritualismus in jenen Zeiten entgegenstanden, ihn aber nicht aufhalten konnte.
Für den Parapsychologen, der sich weniger historisch begeistern lässt und mehr nach harten Fakten Ausschau hält, haben die Bücher E. H. BRITTENS weniger zu bieten. Und doch findet auch er einige Passagen, die für ihn von Interesse sein dürften. So berichtet EMMA von einer frühen Sitzung mit einem ihr damals völlig unbekannten Medium namens ADA FOYE, durch die angeblich EMMAS verstorbener Bruder schrieb, der wie sein Vater auf hoher See den Tod fand. Er schrieb als Identitätsbeweis, er sei mit einem Schiff "HMS, der Ausdruck für ein zänkisches Mädchen" untergegangen. Für EMMA war dieser seltsame Satz völlig klar: das Schiff, auf dem ihr Bruder in den Tod ging, hiess HMS Vixen (Füchsin - Im Englischen bezeichnet man mit Füchsin eine zickige Dame). Auf die Frage, warum er denn in solchen Rätseln spreche, antwortete der tote Bruder: "Ich benutzte diese Worte nur, um die Namens-Bedeutung des Schiffes zu verdeutlichen... denn in späteren Jahren soll niemand sagen, dass meine Antwort nur Gedankenlesen war." Das war im Jahre 1855, als es noch überhaupt keine Anstrengungen gab, die spiritistischen Phänomene auf Telepathie oder Hellsehen zu reduzieren. Das geschah erst gut 30 Jahre später, als F. W. H. MYERS den Begriff Telepathie überhaupt in die junge Parapsychologie einführte und man hinreichend Beweise für die Existenz der Aussersinnlichen Wahrnehmung fand und damit alles zu erklären suchte.
Ein Jahr nach ihrem Tode wurde nach EMMA HARDINGE BRITTENS Vorstellungen in Manchester eine Medienschule gegründet. Fast hundert Jahre danach bleibt die Frau, die den Spiritualismus von den USA nach England importierte, ein wichtiger Bestandteil der Bewegung im englischsprachigen Raum. In den Gesangsbüchern der Kirchen und Zentren Englands und der Vereinigten Staaten etc. finden sich heute noch die sieben Prinzipien des Spiritualismus, die EMMA HARDINGE BRITTEN einst, vielleicht auf einer ihrer 26 teils gefährlich stürmischen Schiffsreisen, formulierte:

I. Die Vaterschaft Gottes
II. Die Geschwisterschaft der Menschen
III. Gemeinschaft der Geister und der Dienst der Engel
IV. Die fortwährende Existenz der menschlichen Seele
V. Persönliche Verantwortung
VI. Jenseitiger Ausgleich und Vergeltung für alle auf Erden begangenen guten und schlechten Taten
VII. Ewiger Fortschritt, offen für jede menschliche Seele

EMMA äusserte in ihrem bereits erwähnten historischen Kompendium grosse Anerkennung und Hoffnung gegenüber dem Spiritualismus in Deutschland, ähnlich wie ANDREW JACKSON DAVIS, der sich gegenüber einem bekannten deutschen Spiritualisten, GEORG VON LANGSDORFF, dahingehend äusserte, der Spiritualismus werde einst von Deutschland aus die Anerkennung erringen, die ihm zustünde. Die Wahrheit sieht heute freilich anders aus.

WB-Redaktion


Literatur:
BONIN, WERNER F.: Lexikon der Parapsychologie, 1. Auflage, Scherz Verlag, Bern und München 1976.
BRITTEN, EMMA HARDINGE: Nineteenth Century Miracles, or Spirits and their Work in every Country of the Earth. A complete Historical Compendium. New York 1884. Reprint Edition by Arno Press, New York 1976.
GAULD, ALAN: Rezension Autobiography of E. H. Britten in: Journal of the Society for Psychical Research, Vol. 62, Nr. 851, S. 365
TISCHNER, RUDOLF: Geschichte der Parapsychologie. Verlagsanstalt Walter Pustet, Tittmoning 1960.
WILKINSON, MARGARET (Hrsg.): Autobiography of Emma Hardinge Britten. SNU Publications, Stansted 1996.


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Letzte Änderung am 11. Februar 2005