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Religion, Christentum, Leben-Jesu-Forschung

Eine kritische Analyse von Armin Risi, erschienen in der Zeitschrift 'WEGbegleiter' Nr 3/2001, S. 76-86
Anmerkungen des Erfassers stehen in [ ]-Klammern.

Verschlussache Jesus?

Über die Qumran-Rollen und angebliche Verheimlichungen

An vielen Stellen im Alten und Neuen Testament werden konkrete Merkmale genannt, die das Herannahen der „Endzeit“ anzeigen werden. Die Tatsache, dass diese Merkmale heute weltweit sichtbar werden, legt den Schluss nahe, dass sich die Beschreibungen dieser Prophezeiungen auf die heutige Zeit beziehen. Die besagte „Endzeit“ bedeutet jedoch nicht etwa einen Weltuntergang, sondern bezieht sich auf das Ende eines Zyklus, das Ende einer Epoche und ihrer Zivilisation. Dass dieser Gedanke gar nicht so fern ist, zeigt die fast schon weltweit anerkannte Erkenntnis: „So kann es nicht mehr weitergehen“.

Das Szenario der Geheimen Offenbarung

Die „Endzeit“ soll, laut besagter Quelle, in einer grossen Drangsalzeit kulminieren; während dieser Zeit werde eine grosse Weltmacht (das erste „Tier“ mit dem Namenszeichen 666) auftreten und die Menschheit mit seinen falschen Versprechungen unter ihre Herrschaft bringen; in dieser Zeit werde auch ein falscher Christus oder Messias auftreten (das zweite „Tier“), der in Zusammenarbeit mit der Macht des ersten Tieres die Menschheit mit technischen und anderen Wundern vereinnahmen werde. Die Verführung und Verblendung werde so weitreichend sein, dass die meisten Menschen diese Macht sogar begrüssen und ihr zujubeln. Dies ist jedoch nur eine mittlere Phase des Szenarios, nicht etwa der Schluss. Höhepunkt und Endpunkt der Endzeit werde vielmehr die Transformation der Erde sein: „Siehe, Ich mache alles neu.“ (Offb 21,5)

Warum wird gerade Jesus immer wieder vereinnahmt?

Nach der Kreuzigung war Jesus während vierzig Tagen, bis zur sog. „Himmelfahrt“, immer wieder bei seinen Vertrauten erschienen, um sie in weitere Geheimnisse einzuweihen. Er erschien in einem „materialisierten Lichtkörper“, wie man in der heutigen Esoterik sagen würde. Nur dank dieses Mysteriums ist es zu erklären, warum die Apostel, die bis zur Kreuzigung von Zweifeln geplagt waren und sich während des Prozesses und der Hinrichtung sogar angstvoll versteckten, plötzlich – wie verwandelt – von Jesu Grösse und Einzigartigkeit überzeugt waren und furchtlos in alle Welt hinauszogen. Ohne das direkte Erleben des Mysteriums dieser Erscheinungen und ohne die innere Ermächtigung am fünfzigsten Tag nach Ostern (Pfingsten) wären die Apostel nach der Hinrichtung und Beisetzung ihres gescheiterten Anführers untergetaucht, und die ganze Jesus-Geschichte wäre für sie höchstens eine peinliche und kurze Jugendepisode geblieben, ein Guru-Flip von zwei bis drei Jahren, als „man“ noch jung war.
Weil jedoch die Person Jesu als „Christus“ (griechische Übersetzung des hebräischen Wortes Masiha, „Messias“) eine zentrale Rolle in der Transformation der Erde und in der Entmachtung der momentan Mächtigen innehat, ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese Person von verschiedener Seite angegriffen und unglaubwürdig gemacht wird, einerseits durch Verabsolutierungen und sektiererische Vereinnahmungen, andererseits durch Profanisierung und Entspiritualisierung (= materalistische Umdeutung).
Was ersteres betrifft, so wäre das ein Thema für einen eigenen Artikel: Wie und warum Jesus von gewissen Interessenkreisen vereinnahmt wurde, um in seinem Namen Fanatismus und Absolutheitsansprüche, ja sogar Völkermorde und Feindschaft unter die Menschen zu bringen. Auch heute noch gehören agnostische „Christen“ zu den grössten Verteuflern anderer Religionen und jeglicher Esoterik, insbesondere des Wissens um die Reinkarnation.
Im vorliegenden Artikel soll es jedoch nur um letzteres gehen: die materialistische Umdeutung Jesu. In diesem Zusammenhang wird oft die Behauptung laut, Jesus sei gar kein religiöser Messias gewesen, sondern ein weltlicher, politischer „Gesalbter“ im Sinne eines Freiheitskämpfers gegen die römische Besatzungsmacht, der dann aber offensichtlich gescheitert sei. Die religiöse Verbrämung und Hochstilisierung zu einem religiösen Messias und zum „Gottessohn“ sei erst später vollzogen geworden, hauptsächlich durch eine lügenhafte Verschwörung von seiten der römischen Kirche und zuallererst von Saulus, der zum Paulus wurde. Stimmt diese Verschwörungstheorie, oder stecken andere, noch verborgenere Motive dahinter?
Tatsächlich hat Paulus Jesus nie während dessen irdischer Präsenz getroffen, sondern begegnete ihm in einer Vision des auferstandenen Lichtkörpers, ähnlich wie Jesus auch den anderen Aposteln während der vierzig Tage nach der Auferstehung mehrmals erschienen war. Dem Christenverfolger Saulus, der sich zum Paulus bekehrte, wurde in Visionen auch tiefere Hintergründe des „Menschensohnes“ Jesu offenbart: seine kosmische Identität als der erstgeborene Sohn Gottes, der als „Sohn unter den Menschen“ erschien, und seine entscheidende Rolle in der durch ihn, Jesus, initiierten Transformation der Erde. Aufgrund dieser Erfahrungen und Einblicke wies Paulus in seinen Briefen (den echten; einige wurden höchstwahrscheinlich in seinem Namen gefälscht) kompromisslos auf die einzigartige spirituelle Stellung Jesu hin und warnte auch deutlich vor den kommenden falschen Propheten und weltlichen Mächten, die mit satanischem Geist nach Weltherrschaft streben. Dies wurde Jahrzehnte später von Jesus selbst in seiner apokalyptischen Offenbarung auf Patmos bestätigt und um viele Zusatzinformationen erweitert.
Gerade die Hinweise auf die innere Identität Jesu wird von vielen modernen Theologen als spätere „Mythologisierung“ abgetan. Was in den Apostelbriefen und im Evangelium nach Johannes geschrieben stehe, sei blosse Erfindung und eine Verfälschung des „historischen“ Jesus.
Im folgenden soll diese Profanisierung Jesu an einem konkreten Beispiel aufgezeigt werden. Meine These lautet: Es handelt sich um eine typische Propaganda, die auf Bluff beruht und von geheimen Auftraggebern gefördert wurde und immer noch wird, um das Vertrauen der Menschen in Gott und die Gottesgesandten, angefangen mit Jesus, zu zerstören.

Die Qumran-Schriften und die „Verschlussache“

In den Jahren 1947 bis 1956 wurden in einem hügeligen Wüstenabschnitt bei Qumran am Nordwestufer des Toten Meeres alte Originalmanuskripte gefunden, versteckt in versiegelten Höhlen, aufbewahrt in Tonkrügen. Insgesamt wurde man in elf Höhlen fündig.
Im Jahr 1991 erschien ein Buch der beiden amerikanischen Journalisten Michel Baigent und Richard Leigh mit dem Titel Verschlussache Jesus – Die Qumranrollen und die Wahrheit über das frühe Christentum. Es erschien in Deutschland (zeitgleich mit der englischen Originalausgabe!) pünktlich zur Frankfurter Buchmesse 1991. Danach wurde es mit auffälliger, ja aufdringlicher Werbetrommel publik gemacht und wurde fast zwei Jahre lange zuoberst auf den Bestseller-Listen gehalten (Kategorie „Sachbücher“). Weltweit wurde es von vielen Millionen Menschen gelesen.
Wichtig ist zu wissen, dass dieselben Autoren zuvor schon andere Bestseller veröffentlicht hatten, die sehr vielsagende Titel tragen: Der Heilige Gral und seine Erben – Ursprung und Gegenwart eines geheimen Ordens (1984) und Der Tempel und die Loge – Das geheime Erbe der Templer in der Freimaurerei (ebenfalls 1991).
Das Buch Verschlussache Jesus verspricht gemäss Titel, die „Qumranrollen und die Wahrheit über das frühe Christentum“ zu erklären. Dies wird mit zwei Thesen getan:
Diese Behauptungen wurden in der Folge von vielen Journalisten und Autoren kritiklos übernommen. Ein Beispiel hierfür sind Christopher Knight und Robert Lomas mit ihrem Buch Unter den Tempeln Jerusalems – Pharaonen, Freimaurer und die Entdeckung der geheimen Schriften Jesu. (Dieses Buch wird ebenfalls im [Buch von Armin Risi] Machtwechsel auf der Erde ausführlich behandelt.) Die beiden Autoren, die sich offen als mittelgradig eingeweihte Mitglieder der Freimaurer zu erkennen geben, liefern mit ihrem Buch ein aufschlussreiches Detail, das helfen kann, etwaige verborgene Motive zu erkennen. (Dies wird weiter unten im Artikel näher ausgeführt werden.)
Es lohnt sich also, einen kleinen Exkurs einzuschalten, um zu entdecken, wie haltbar oder fadenscheinig die besagte „Wahrheit über das frühe Christentum“ ist. Die Behauptungen, die im Buch Verschlussache Jesus als Wahrheit verkauft werden, sind bereits von vielen Philologen aus jüdischen und christlichen Kreisen analysiert und einhellig als unhaltbare Spekulation zerpflückt worden. Besonders wertvoll ist das Buch von Prof. Dr. Otto Betz und Dr. Rainer Riesner: Jesus, Qumran und der Vatikan – Klarstellungen (Herder 1993).
folgenden Zusammenfassungen der wichtigsten Argumente stützen sich auf dieses Buch.

Werden Qumran-Texte vom Vatikan verheimlicht?

In Verschlussache Jesus wird behauptet, die wichtigsten Qumran-Texte würden verheimlicht. Man fragt sich dann natürlich, woher die Autoren ihr Wissen über den (angeblichen) Inhalt dieser angeblich verheimlichten Texte haben. Die leicht nachprüfbare Geschichte der Veröffentlichung der Qumran-Texte zeigt, dass die Behauptung einer Verheimlichung aus der Luft gegriffen ist. Schon 1948, also ein Jahr nach der ersten Entdeckung, wurden erste Forschungsberichte veröffentlicht. 1951 wurden bereits erste Photographien der Texte veröffentlicht. Dabei muss man bedenken, dass die letzte Höhle mit Schriftrollen erst 1956 entdeckt wurde. Dabei kam es zu Verzögerungen aufgrund der Frage, wem die Schriften gehören, und aufgrund der unsicheren politischen Lage in Palästina nach dem soeben beendeten Zweiten Weltkrieg (z.B. Gründung des Staates Israel im Jahr 1948). Der Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem, dem ein Teil der Rollen anvertraut worden war, reiste 1948 aufgrund der politischen Lage in die USA und nahm die Rollen mit, um sie dort für teures Geld zu verkaufen.
Es wurde jedoch schnell ein internationales Forschungsteam zusammengestellt, das aus Gelehrten unterschiedlichster Richtungen bestand: christliche Gelehrte aus katholischen, protestantischen und anglikanischen Schulen, jüdische Gelehrte und auch Gelehrte mit areligiösen oder sogar atheistischen Einstellungen. Fotos der Texte wurden an verschiedenste Hochschulen in aller Welt verschickt. Die Fülle des Materials, die Vielzahl der Beteiligten, die Schwierigkeit der Manuskripte (schwer leserlich, z.T. nur noch briefmarkengrosse Fragmente mit wenigen Buchstaben), interne Meinungsverschiedenheiten und Ego-Kämpfe zwischen den Gelehrten – all diese Faktoren verursachten, dass die gesamthafte Veröffentlichung der Manuskripte nur schleppend voranging.
Dennoch muss klar festgehalten werden: „Als die englisch-amerikanische Originalausgabe des Werkes ‚Verschlussache Jesus' im September 1991 unter dem Titel The Dead Sea Scrolls Deception, d.h. ‚Der Betrug an den Schriftrollen vom Toten Meer', erschien, waren etwa 80 Prozent des Textbestandes der Qumranfunde veröffentlicht. Deshalb ist es eine grobe Irreführung der Leser, wenn im Klappentext des Buches gesagt wird: ‚75 Prozent der rund 800 in althebräisch und aramäisch abgefassten Manuskripte (werden) der Öffentlichkeit vorenthalten.'“ (Betz/Riesner, S. 24f.)
Kurz nach dem Erscheinen der Verschlussache Jesus erschien im Jahr 1992 ein Buch des Hauptinformanten von Baigent und Leigh, Prof. Robert Eisenmann, mit dem Titel Jesus und die Urchristen – Die Qumran-Rollen entschlüsselt. Im Rückentext dieses Buches schreiben Baigent und Leigh: „Diese Veröffentlichung ist von höchster Bedeutung. Endlich sind die Texte, die lange unter Verschluss gehalten wurden, jedem zugänglich ...“
Sie geben also zu, dass jetzt nichts mehr unveröffentlicht ist. Jeder kann nun lesen, welch (angeblich) sensationellen und brisanten Texte (angeblich) unter Verschluss gehalten wurden. Kaum ein Jahr ist vergangen, seit das Buch The Dead Sea Scrolls Deception veröffentlicht wurde, und schon erscheint Dr. Eisenmanns Buch mit den restlichen Texten. Perfektes Timing. Für jeden erkennbar, umfasst diese Veröffentlichung nicht jene Anzahl von Texten, wie die beiden Autoren behauptet hatten („75 Prozent der rund 800 ... Manuskripte“). Und offensichtlich war die angebliche Verheimlichung nicht so undurchdringbar, wie dieselben Autoren beschworen hatten. Sie bestätigen selbst unmissverständlich: „Endlich sind die Texte, die lange unter Verschluss gehalten wurden, jedem zugänglich ...“
Dennoch heisst es auf dem Rückentext der späteren Taschenbuchausgabe (1993) von Verschlussache Jesus immer noch: „Warum sind die meisten der sogenannten Qumranrollen bis heute nicht veröffentlicht und nicht einmal Gelehrten ausserhalb einer bestimmten Gruppe zugänglich?“ Das klingt zwar unheimlich wahr und spannend, ist aber eine blanke Lüge.

Die angebliche Jesus- und Paulus-Verschwörung

Die Vertreter der Theorie einer vatikanischen Verschwörung behaupten, Jesus und seine Anhängerschaft seien nicht etwa gottesbewusste Weltveränderer gewesen, sondern rebellische, militante lokale Unabhängigkeitskämpfer. Jesus wird jeglicher spirituellen Dimension beraubt, schlicht und einfach deshalb, weil er diese gar nie hatte, behaupten die „Antichristen“, unter ihnen auch die laut verstärkten Sprachrohre Baigent und Leigh.
Um diese vorgefasste Meinung zu beweisen, ziehen sie die Qumran-Schriften heran und verwerfen alle bereits bekannten Texte, die im Neuen Testament veröffentlicht sind. Um ihre Argumentation durchzuführen, müssen sie mehrere Punkte etablieren:
Nachdem die bekannten Quellen der willkürlichen Interpretation preisgegeben sind, werden die einzig verfügbaren „echten“ Quellentexte herangezogen: die Qumran-Schriften. In ihrem Namen wird das neue, angeblich echte Bild von Jesus und den Urchristen gezeichnet. Damit dies möglich ist, müssen folgende Behauptungen als Wahrheit dargestellt werden:
Nachdem dieser Rahmen gespannt ist, legen Baigent und Leigh mit den eigentlichen „Enthüllungen“ los: Sie geben vor zu wissen, dass der Leiter der Essener, der in den Qumran-Texten ohne Namensangabe als „Lehrer der Gerechtigkeit“ bezeichnet wird, niemand anders als der Bruder Jesu, Jakobus, gewesen sei. Er sei Anführer der jüdischen Widerstandsbewegung gewesen, und als solcher sei er auch in Opposition zum jüdischen Hohen Rat in Jerusalem (präsidiert vom sog. Hohepriester) gestanden. In der Festung Qumran sei Jakobus sogar zum Gegenhohepriester ernannt worden. Um diese Widerstandsbewegung zu bekämpfen, habe der ohnehin schon korrupte jüdische Hohe Rat mit den Römern zusammengearbeitet: Der Anführer der Revolutionäre, Jesus, wurde hingerichtet, und ein Pseudo-Jude in römischen Diensten wurde in die Widerstandsbewegung eingeschleust: niemand anders als der berühmte Christenverfolger Saulus, der sich plötzlich bekehrte und zum feurigsten Jesus-Anhänger wurde. Er habe die Lehren Jesu verfälscht und seine Anhänger von ihrer politischen Mission abgebracht, indem er Jesus zur religiösen Kultfigur, zum langerwarteten Messias, hochstilisierte. Um Paulus zur unbezweifelten Autorität zu machen, hätten die Römer dann eine aufsehenerregende Verhaftung des Paulus inszeniert und ihn sogar hingerichtet. In Wirklichkeit sei er, der verdienstvolle römische Agent, jedoch mit geheimdienstlicher Hilfe untergetaucht und habe danach ein sattes römisches Leben genossen. Später seien dann die Evangelien und die Apostelgeschichte geschrieben worden, um all diese Wahrheiten zu vertuschen und ein neues Bild des Juden Jesus zu zeichnen. (Deshalb dürfe man den Schriften des Neuen Testaments unter keinen Umständen glauben, und deshalb sei auch verständlich, warum der Vatikan so verzweifelt alle Hebel in Gang setze, um diese „verheimlichten Wahrheiten“ weiterhin geheimzuhalten.) Das alles lesen die Autoren Baigent und Leigh aus den Qumran-Texten!!
Die wahre Enthüllung findet jedoch statt, wenn man untersucht, was in diesen alten Texten tatsächlich steht und vor allem nicht steht, und wenn man sich fragt, warum ein solches Buch von den internationalen Medien als Bestseller hochgehalten wird, selbst nachdem objektive Präsentationen den wahren Sachverhalt längst bewiesen haben, nämlich dass die Geschichte bestimmt nicht so verlaufen ist, wie in diesem Buch behauptet wird. Während die Verfälschung historischer Tatsachen, z.B. durch antijüdische Veröffentlichungen, mit Recht geahndet und im Notfall sogar verboten wird, kommt antichristlichen Geschichtslügen anscheinend nicht dasselbe Recht zu. Wer die Strategie der „erleuchteten“ Atheisten kennt, kann leicht erraten warum. Soll das Vertrauen der Menschen in Jesus im Keim erstickt werden? Sollen die Menschen das Vertrauen verlieren, dass es einen Plan Gottes für die Erleuchtung und Erhebung der Menschheit gibt? Denn bisher hatte es immer geheissen, dem Gottessohn Jesus komme in diesem Plan eine Schlüsselstellung zu. Das wird jetzt als kirchliche Verschwörung hingestellt.

Dubiose Motivationen in der Qumran-Forschung

Anfangs der fünfziger Jahre wurde eine internationale Gruppe von biblischen Sprachforschern zusammengestellt, um die Qumranrollen zu entziffern und zu übersetzen. Diese Gruppe bestand, wie bereits erwähnt, aus christlichen und jüdischen Gelehrten und auch aus Gelehrten ohne religiösen oder sogar atheistischen Einstellungen. Zur letzten Kategorie gehörte unverhohlen Dr. John Allegro. Für die Autoren der Verschlussache Jesus waren John Allegros Arbeiten und Ansichten richtungsweisend. In Wirklichkeit war gerade dieser Dr. Allegro aufgrund seiner eigenmächtigen und unkooperativen Handlung mit verantwortlich gewesen, dass die Herausgabe der Qumran-Schriftstücke zusätzlich erschwert worden war.
Näheres über den ideologischen Hintergrund von Dr. Allegro erfährt man im bereits erwähnten Buch der freimaurerischen Autoren Knight und Lomas. Ihm widmeten sie nämlich ihr Buch! Damit verraten sie, dass Allegro ebenfalls ein Mitglied dieser Gesellschaft war, denn sie hätten ihr Buch, das die Freimaurergeschichte beschreibt, bestimmt nicht willkürlich jemandem gewidmet, der kein Logenbruder war. Der Widmungstext klingt dementsprechend vieldeutig: „Für John Marco Allegro – einen Mann, der seiner Zeit um zwanzig Jahre voraus war.“ Warum war er seiner Zeit voraus? Und warum gerade zwanzig Jahre?
Ob die Autoren Knight und Lomas sowie John Allegro repräsentativ für die Gesamtheit der Freimaurer sind, ist fraglich, denn aus diesen Kreisen sind unterschiedlichste Ansichten über Jesus und die Evangelien bekannt, die in vielen Fällen weit von der materialistisch-politischen Jesus-Darstellung der genannten Autoren entfernt sind. Es soll hier also nicht etwa eine allgemeine Freimaurer-Verschwörungstheorie propagiert werden. Auch die Freimaurer, genauso wie die Kirchen, Theologen usw., haben keine einheitliche Ansicht über Jesus, die es offensichtlich gar nicht geben kann.
Dennoch zeigt die Spurensuche, dass bei der Veröffentlichung der Qumran-Schriften durchaus heimliche Interessen mitspielten, und nicht bloss die vatikanischen, wie so laut behauptet wurde.

Desinformation durch bestimmte Personen

Dr. Allegro, der zum ursprünglichen internationalen Forschungsteam gehörte, war der erste, der an die Öffentlichkeit ging, um als Qumran-Experte zu verkünden, diese neuentdeckten Schriften würden die Kirche erschüttern und das bisherige Bild Jesu in Frage stellen. Dies verkündete er bereits 1956 in Radiovorträgen in England, zu einer Zeit, als die Ausgrabungen immer noch im Gang waren. 1955 hatte er in einem Brief an den Anglikaner Dr. John Strugnell, den damaligen Leiter des internationalen Teams, geschrieben: „An Ihrer Stelle würde ich mir des theologischen Jobs wegen keine grauen Haare wachsen lassen. Wenn ich meine Arbeit abgeschlossen habe, wird es ohnehin keine Kirche mehr geben, in der Sie unterkommen könnten.“ (zitiert in Baigent/Leigh, S. 72) Dies sei natürlich nur humorvoll gemeint gewesen, kommentieren Baigent und Leigh.
Dr. Allegro war anscheinend beauftragt, die Qumrantexte dahingehend zu interpretieren, um sowohl die Kirche als auch den Glauben an Jesus zu unterminieren.
Im Jahr 1957 startete Allegro auf eigene Faust eine Abenteuer-Expedition nach Israel, um die in der Qumran-Kupferrolle aufgeführten Schätze zu finden. Er schrieb sogar ein Theaterstück, das 1966 uraufgeführt wurde und in dem er frei erfunden darstellt, wie der Vatikan die heiklen Stellen aus den Qumran-Schriften unterdrücke. Schlüsselsatz: „Man unterdrückt die Worte Jesu ...“ Als ob die Qumran-Schriften Jesus-Worte enthalten würden!
Im Jahr 1968 publizierte Allegro eigenmächtig und schnell die ihm anvertrauten Texte, um die Qumran-Diskussion anzuheizen. Da diese Edition jedoch nachlässig vorgenommen worden war, enthielt sie viele Fehler, wofür er aus Fachkreisen heftige und sachlich begründete Kritik erntete.
Der weitere Verlauf von Dr. Allegros Leben war tragisch. Er verfiel dem Alkohol und anderen Drogen. Im Jahr 1970 veröffentlichte er das Buch The Sacred Mushroom and the Cross (wörtlich: „Der heilige Pilz und das Kreuz“), in dem er die Ansicht vertritt, die Entstehung des Jesus-Glaubens habe viel mit Drogenkonsum zu tun, denn dies sei die einzige Erklärung für die mystischen Erlebnisse, die viele Jesus-Nachfolger gehabt hätten. 1971 erschien dieses Buch auch auf Deutsch: Der Geheimkult des heiligen Pilzes – Rauschgift als Ursprung unserer Religion. Durch Artikel im deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel wurden Allegros atheistischen Ideen einem breiten Publikum bekanntgemacht.* [*“Christus als Pilz“ in: Der Spiegel, 29.6.1970; „Philologischer Pilz“, ebd. 26.4.1971]
Einen letzten Beitrag zur Entmythifizierung des „mythischen“ Jesus lieferte Dr. Allegro in seinem 1979 erschienenen Buch The Dead Sea Scrolls and the Christian Myth (wörtlich: „Die Schriftrollen vom Toten Meer und der christliche Mythos“).
Neben Dr. Allegro hat – seit den siebziger Jahren – insbesondere Prof. Robert H. Eisenmann von der California State University (und Allegro-Sympathisant) die Theorie vertreten, die Qumranrollen seien Schriften des Urchristentums. Von ihm stammt die Theorie, die Urchristen seien unter der Führung von Jesus und Jakobus Teil einer jüdischen Widerstandsbewegung gegen Rom gewesen. Diese Theorie und auch Prof. Eisenmanns Argumente wurden von den Journalisten Baigent und Leigh aufgegriffen und populärwissenschaftlich aufbereitet, wobei die grossen Verlage sie mit vereinten Kräften unterstützten und förderten.
Prof. Eisenmann hat ein Buch mit Auszügen aus den Originaltexten veröffentlicht, denn mittlerweile sind die Qumran-Schriften soweit, wie es möglich ist, entziffert und übersetzt und in ihrer gesamten Fülle öffentlich zugänglich. Man darf annehmen, dass Prof. Eisenmann in diesem (bereits erwähnten) Buch die wichtigsten Textstellen dem breiten Publikum vorführt. Der Titel verkündet: Jesus und die Urchristen – Die Qumran-Rollen entschlüsselt. Der Buchtitel allein suggeriert schon, die Qumran-Rollen würden direkt etwas über Jesus und die Urchristen aussagen.

Der Bluff mit den Qumran-Schriften

Wer sich die Mühe macht, die Originaltexte zu lesen und für sich sprechen zu lassen (unabhängig von den wortreichen Interpretationen von Allegro und Eisenmann), ist schnell einmal enttäuscht, falls man sensationelle Enthüllungen erwartet hat. Tatsache ist, dass all diese Schriften nur für die Altertumsforscher und Philologen interessant, für den Laien jedoch völlig langweilig sind. Da steht nirgendwo etwas von Jesus, Jakobus oder Paulus. Das meiste sind altjüdische Texte mit Tempelriten, Reinheitsbestimmungen, Ordensregeln oder dann, schon interessanter, Texte von Propheten wie z.B. Jesaja, die aber bereits aus dem Alten Testament bekannt sind, und zwar viel ausführlicher. Die umstrittenen Textfragmente, auf denen der ganze Rummel um die „Verschlussache“ und die angebliche Verheimlichung von „Jesus-Worten“ aufgebauscht wurde, nennen keine Namen und beziehen sich auf interne Zwiste zwischen der mönchischen Essenergruppe und den Jerusalem-Hohepriestern im 1. Jahrhundert vor Christus.
Esoterisch etwas gehaltvoller sind die Fragmente des Buches Henoch, die Kupferrolle (mit einem Inventar von Schatzverstecken innerhalb und ausserhalb Jerusalems bis in die Gegend von Damaskus) sowie die fragmentarische „Kriegsrolle“ mit einer Erwähnung des endzeitlichen Kampfes zwischen den „Söhnen des Lichts“ und den „Söhnen der Finsternis“. Diese Texte sind allesamt nur kurz und sehr bruchstückhaft, und die meisten waren schon längst zugänglich, als das Buch Verschlussache Jesus auf den Markt kam! John Allegro hatte ja schon 1956 darüber referiert.
Man kann dem Vatikan viel vorwerfen, ganz bestimmt auch Verschwörungen, Verheimlichungen und Verfälschungen, aber im Zusammenhang mit Qumran scheint dieses hochgepeitschte „Schlagen eines toten Pferdes“ geradezu verdächtig zu sein.
Das Ziel, das mit bestechenden Mitteln erreicht wurde, ist durch diese erfolgreiche Offensive offensichtlich geworden: Es geht darum, das Vertrauen in Jesus und in die Evangelien zu vernichten.
Die Behauptungen von Baigent, Leigh, Eisenmann und Allegro bedeuten im Klartext nichts geringeres, als den Wahrheitsgehalt der Evangelien, die im Neuen Testament enthalten sind, gesamtheitlich zu leugnen und zu verwerfen – was die erklärte Absicht hinter all diesen Bestrebungen ist. „Wer wissen will, was im Jahrhundert vor und nach Christi Geburt in Palästina wirklich geschah, sollte nicht die Evangelien lesen, sondern die Qumran-Rollen“, verkündet Prof. Eisenmann auf dem Umschlag seines Buches Jesus und die Urchristen. Warum soll man nicht die Evangelien lesen? Warum wird nicht einfach gesagt, man solle zusätzlich zu den Evangelien auch die Qumran-Rollen lesen? Das wäre die einzig wissenschaftlich haltbare Formulierung gewesen, vor allem wenn man weiss, wie unsensationell und alttestamentarisch diese Rollen sind. Sie sagen nichts über die Geschehnisse aus, die in den Evangelien beschrieben werden, da sie (möglicherweise bis auf wenige Ausnahmen) vor dieser Zeit entstanden sind.
Am Schluss des Buches Verschlussache Jesus danken die Autoren unter anderem einem Herrn Rod Collins, von dem sie tatkräftig unterstützt worden seien, denn er sei „ein Banker, wie ihn sich jeder Autor nur wünschen kann“. An dieser Stelle können sich auch die sachlichen Akademiker Prof. Betz und Dr. Riesner nicht zurückhalten, folgende vielsagende Andeutung zu machen: „Es wäre aufschlussreich, einmal dem eigentlichen Interesse nachzugehen, das der Unterstützung eines Buches wie ‚Verschlussache Jesus' zugrunde liegt ...“ (Betz/Riesner, S. 35)
Tausende von Fachleuten aus aller Welt, aus christlichen, jüdischen, russischen und anderen Instituten, die man allesamt nur durch eine unglaubliche Verschwörung gleichschalten könnte, bezeichnen die spekulativen Szenarien der Verschlussache Jesus und verwandter Bücher einhellig als absurd, unhaltbar und an den Haaren herbeigezogen.
Zu welchen Interessengruppen diese Autoren auch immer gehörten, ihre Theorie ist längst widerlegt. „Die Qumran-Texte, so suggerieren die beiden Amerikaner, heben das Christentum aus den Angeln. Deshalb hat der Vatikan ein weltweites Komplott angezettelt, hält die Texte unter Verschluss, hat sie zum Teil bereits vernichtet. – Das Ganze ist eine abenteuerliche und inzwischen klar widerlegte Konstruktion“, schrieb die gar nicht kirchennahe Schweizer Zeitung Die Weltwoche im Mai 1999.
Dennoch konnten dieses Buch und diese Ansichten vielen Millionen von Menschen als Wahrheit aufgetischt werden.

Was steht in den Qumran-Rollen wirklich?

Die Texte, die in den Qumran-Höhlen gefunden wurden, haben viele Entsprechungen im Alten Testament. Die Namen, die in diesen Qumran-Schriften erwähnt werden, gehören allesamt zu Personen des zweiten und ersten Jahrhunderts vor Christus, und die historischen Ereignisse, die aus den Fragmenten herausgelesen werden konnten, passen genau auf bekannte Ereignisse aus ebenjener Zeit vor Christus. Auf der Grundlage der Qumran-Rollen wurde von den genannten Personen zwar eine gewaltige Seifenblase von Spekulationen um Jesus, Jakobus und Paulus in die Luft gesetzt, doch werden diese Namen in den Rollen nicht ein einziges Mal erwähnt, auch der Name von Johannes dem Täufer nicht und ebensowenig der Name des Herodes, obwohl Prof. Eisenmann behauptet, es gebe deutliche „antiherodianische“ Züge in den Qumran-Texten. Warum diese Namen nicht erwähnt werden (im Gegensatz zu vielen anderen Namen, die deutlich genannt sind), ist leicht zu erkennen: weil diese Texte aus einer früheren Zeit stammen! Die Qumran-Rollen sagen nichts über Jesus, Jakobus und Paulus aus. Damit erweist sich die „Wahrheit über das frühe Christentum“ im Buch Verschlussache Jesus als Unwahrheit, möglicherweise sogar als bewusste Verfälschung, denn die Widerlegungen sind wahrhaftig nicht schwierig zu finden und längst zugänglich ...
Die Jesus-Paulus-Spekulationen beruhen auf wenigen Textfragmenten. Alle anderen geben diesbezüglich überhaupt nichts her, genauso wie diese wenigen Textfragmente auch, denn sie beschreiben eben nicht Jesus und Paulus.
In den fraglichen Fragmenten wird ein „Lehrer der Gerechtigkeit“ erwähnt, der im Konflikt mit einem „gottlosen Lehrer“ steht. Die Textfragmente enthalten genau diese Begriffe, jedoch keine Namen. Praktisch alle Philologen und Qumran-Experten sind sich einig, dass sich diese Texte auf die Gründung des Essenerordens beziehen. Diese hatte stattgefunden, als in Jerusalem der umstrittene König und Hohepriester Jonatan (152-143 v. Chr.) an der Macht war. Der Gründer der essenischen Gemeinschaft wurde „Lehrer der Gerechtigkeit“ genannt, ebenso seine Nachfolger. Diese Gründung und Abspaltung führte zu einem offenen Konflikt mit dem Priesterkönig Jonatan. Dieser nahm jedoch ein unrühmliches Ende, was für die Essener eine symbolische Bedeutung hatte: Gott hatte ihren Gegner, den „gottlosen Priester“, drastisch bestraft.
Die Textstelle, auf die sich auch die gesamte Jesus-Paulus-Spekulation beruft, stammt aus der vierten Höhle und trägt die Katalognummer 4QMMT. Darin heisst es in bezug auf Psalm 37: „Der Gottlose sucht den Gerechten zu töten“. Dieser Qumran-Text erklärt, mit dem Gottlosen sei der gottlose Priester aus Jerusalem gemeint, „der ihn [den Lehrer der Gerechtigkeit] zu töten trachtete wegen (des Briefes) und des Gesetzes, das er [der Lehrer der Gerechtigkeit] ihm [dem gottlosen Priester] gesandt hatte. ... Aber Gott vergalt es ihm, indem er ihn [den gottlosen Priester] in die Hände der gewalttätigen Heiden gab, um das Gericht an ihm zu vollziehen.“
Tatsächlich fiel der „Gottlose“, der Hohepriester Jonatan, in die Hände von gewalttätigen Gegnern: Er wurde von den Syrern in eine Falle gelockt und umgebracht. Diese historische Tatsache wird auch im Alten Testament (1. Makkabäer 12.39-53) beschrieben und entspricht genau den Umständen, die im genannten Qumran-Fragment erwähnt werden.
Die beiden erwähnten Dokumente – der Brief und das Gesetz –, die der Lehrer der Gerechtigkeit aus Qumran an den Hohepriester in Jerusalem gesandt hatte und die diesen erzürnten, weil der neue Qumran-Lehrer ihm darin Vorschriften machen wollte, sind ebenfalls aufgefunden worden, und zwar in derselben Höhle, der Höhle Nr. 4. Das eine Dokument ist der sogenannte „Brief des Lehrers der Gerechtigkeit“, ein längeres, unvollständiges, da in mehrere Fragmente zerfallenes Schreiben. Der Absender, dessen Namen auf den Fragmenten nicht erscheint, wird mit dem „Lehrer der Gerechtigkeit“, d.h. mit dem Leiter der Qumran-Gemeinde, gleichgesetzt. Dieser Brief wendet sich in der Wir-Form an den Empfänger, nämlich die Priesterschaft im Jerusalemer Tempel. Der Lehrer mahnt die Jerusalem-Priester zur strikten Einhaltung der Reinheits- und Selektionsvorschriften. Insbesondere mahnt er, der Zutritt zum Tempel sei „nur den Israeliten, und zwar den rituell reinen und leiblich intakten Menschen gestattet: Fremde, Moabiter und Ammoniter, aber auch Behinderte wie Blinde, Taube oder Invalide seien fernzuhalten“. Auch wird in diesem Brief gesagt: „Wir haben uns von der Masse des Volkes getrennt“ – warum? Weil sie, die Qumran-Bewohner, sich für reiner und besser hielten als die Jerusalem-Priester!
Das „Gesetz“, das den „Gottlosen“ erzürnte, ist die acht Meter lange sogenannte „Tempelrolle“, die zahlreiche Vorschriften und Bestimmungen mit ähnlich rigoroser und rassistischer Schärfe enthält.

Lebten in Qumran Essener?

Genau gegen dieses arrogante Elite-Bewusstsein wandte sich Jesus, der dieselbe Haltung auch bei den Pharisäern und Schriftgelehrten brandmarkte, nur mit dem Unterschied, dass bei diesen die Erhabenheit weitgehend auf Arroganz beruhte, wohingegen die Essener tatsächlich streng asketisch und elitär lebten.
Diesen „Lehrer der Gerechtigkeit“ mit Johannes, Jesus oder Jakobus gleichzusetzen ist also absurd, denn Jesus verurteilte ebengerade dieses elitäre Kastenbewusstsein und wäre auch nie Mitglied eine solchen religiös-rassistischen Splittergruppe geworden. Allerdings wissen wir nicht, wie weit diese Schriften repräsentativ für die Qumran-Gruppe und die Essener im allgemeinen sind. „ ... dass Essener in Qumran wohnten, sei eine haltlose Behauptung ... Qumran und die Rollen hätten nichts miteinander zu tun. Die Schriften seien Teile von Jerusalemer Bibliotheken, die im Jüdischen Krieg in der Region vor den Römern versteckt wurden“, so lauten denn auch neueste Forschungsergebnisse, wie der Focus 14/1999 verlauten liess. Dies zeige sich auch daran, dass die ca. 870 gefundenen Texte rund 500 verschiedenen Schreibern zuzuordnen seien. Von einer einheitlichen Qumran-Schreibschule, ganz zu schweigen von einer „Schreibfabrik“, wie einige Forscher bisher meinten, also keine Spur.
Eine andere These lautet, dass es neben den exoterischen Gemeinschaften auch esoterische und mystische Essener-Gruppen gab, die nichts mit Tempelstreitigkeiten und äusserlichen Rassenregeln zu tun hatten.

Die Qumran-Texte stammen nicht aus Jesu Zeit, sondern sind älter

Dass die besagten Qumran-Texte nichts mit Jesus zu tun haben, geht noch deutlicher aus jenem Qumran-Schriftstück hervor, das von Eisenmann immer wieder angeführt wird als angebliches Beispiel dafür, dass es Qumran-Texte gebe, die sich auf die Urchristen bezögen: „ ... der gottlose Priester, der den Lehrer der Gerechtigkeit verfolgte, um ihn zu verschlingen in dem Zorn seines Grimms. Am Ort seines Exils und zur Zeit des Festes der Ruhe des Versöhnungstages erschien er bei ihnen, um sie zu verschlingen und um sie zu Fall zu bringen am Tage des Fastens, dem Sabbat ihrer Ruhe.“
Die Interpretation der Experten besagt, dass der illegitime Hohepriester Jonatan von den Essenern als der „gottlose Priester“ bezeichnet wurde. Dieser hat auch tatsächlich den „Lehrer der Gerechtigkeit“ in seinem Exil in Damaskus aufgesucht, um ihn der Gesetzesübertretung zu überführen und womöglich sogar umzubringen. Dieser Vorfall geschah genau am Versöhnungstag, der ein Fastentag ist. (Dies führte dann zur bereits erwähnten „Vergeltung durch Gott“, indem der Hohepriester Jonatan den Syrern in die Hände fiel und von ihnen im Jahr 143 v. Chr. umgebracht wurde.)
Eisenmann, der beweisen will, dass sich diese Stelle auf die Zeit der Urchristen bezieht und dass mit dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ Jakobus gemeint ist, interpretiert diese Stelle anders: Der „Gottlose Priester“ sei der Hohepriester Ananus (Hannas II.), der Jakobus und andere Urchristen in Jerusalem zu Tode steinigen liess. Auch Ananus wurde später von den „Heiden“ umgebracht, jedoch von den Römern in den Kriegswirren um Jerusalem 68 n.Chr., im selben Jahr, in dem auch die Qumran-Festung zerstört wurde! Die Tonkrüge wurden aber mit den bereits verfassten Schriften spätestens im Jahr 68 beim Heranrücken der Römer versteckt. Der zeitliche Ablauf kann nicht stimmen, ebensowenig die Interpretation, denn aus der Originalstelle geht hervor, dass es dem Gottlosen Priester nicht gelungen ist, den Lehrer der Gerechtigkeit umzubringen. Ananus konnte Jakobus jedoch töten lassen.
Eisenmann versucht diese Widersprüche mit übersetzungstechnischen Wortspielereien aus dem Weg zu räumen. Das Urteil der Fachkräfte lautet deshalb zurecht: „Der ‚Historiker' Eisenmann macht sich einer petitio principii, der Erschleichung des gewünschten Resultats durch falsche Übersetzung schuldig, die er kaltblütig als feinere Bedeutung und bessere Konstruktion deklariert: Wiederum wird der Text nach der [vorgefassten] Theorie gebogen!“ (Betz/Riesner, S. 99)

Die messianische Prophezeiung von Qumran

Für weiteren Rummel sorgte Prof. Eisenmann (in den Fussstapfen von Dr. Allegro), als er 1991 verkündete, in den Qumran-Schriften gäbe es eine Stelle, die den gewaltsamen Tod des Messias bezeuge. Dies zeige, dass eine direkte Beziehung zwischen den Essenern und den Urchristen bestand, eben weil Jakobus der essenische Lehrer der Gerechtigkeit gewesen sei. Ähnliches hatte bereits Dr. Allegro in seinen Vorträgen 1956 verkündet: In den Qumran-Schriften würden die Kreuzigung des Lehrers, die Abnahme des Leichnams vom Kreuz und die Totenwache beschrieben.
All diese Behauptungen stützen sich auf folgendes Qumran-Fragment, das sich (als Kommentarschrift) auf das bekannte Jesaja-Kapitel 11 bezieht: „der Spross Davids ... und töten [wird?] Fürst der Gemeinde sie ... und durch Wunden ... und es befiehlt ein Priester ... die Erschlagenen der Kittim ...“
Das ist alles! Die Kreuzigung wird in den unvollständigen, zweideutigen Satz „und töten [wird?] Fürst der Gemeinde sie“ hineininterpretiert. Die grammatikalische Lage erlaubt beide Interpretationen: „Sie töten den Fürsten der Gemeinde“ oder „Der Fürst der Gemeinde wird sie töten.“
Allegro und Eisenmann glauben, in der ersten Variante einen Hinweis auf den Kreuztod Jesu zu finden, denn „Fürst der Gemeinde“ ist ein Ausdruck für den erwarteten Messias. Doch die andere Variante („Der Fürst der Gemeinde wird sie töten.“) ist genauso möglich und entspricht erst noch der Referenzstelle in Jesaja 11: „Sein Urteilsspruch tötet die Schuldigen“ (Jes. 11,4)!
Diese Stelle ist keine urchristliche Parallelstelle, sondern eine messianische Prophezeiung des siegreichen Messias, wie ihn der Prophet Jesaja in jenem Buch voraussagt, das im Alten Testament zu finden ist. Es ist symptomatisch, wie diese eine Textstelle verwendet wurde, um vorgefasste Meinungen zu verkünden, was in den Massenmedien natürlich immer ohne die Anführung des Originaltextes geschah, denn diese fragmentarischen Textstellen hätten niemanden beeindruckt und schon gar nicht überzeugt.
Der Hinweis auf Jesaja 11 zeigt auch, wie absurd die Annahme ist, eine militante Bewegung hätte nach der Hinrichtung Jesu weiterhin geglaubt, Jesus sei der Messias gewesen, und hätte dann auch noch wegen Jesus langjährige Streitigkeiten durchgeführt, so wie Baigent & Leigh dies in bezug auf Jakobus und Paulus behaupten. Nein, sie hätten diesen hingerichteten „König der Juden“ schnell vergessen und als falschen Propheten fallengelassen. Jesus hätte über seinen Tod hinaus überhaupt keine Wirkung gehabt, und Paulus hätte ins Leere gepredigt, falls er unter diesen Umständen überhaupt ein Jesus-Anhänger geworden wäre.
Doch Jesus blieb trotz der Kreuzigung und der nachfolgenden politischen Wirren eine Person von zentraler Bedeutung, weshalb er unmöglich ein politischer Aktivist gewesen sein kann – denn als solcher wäre er ein völliger Versager gewesen.

Die Schriften von Nag-Hammadi

Im Jahr 1945, kurz vor der Entdeckung der ersten Qumran-Rollen, wurden nahe der nordägyptischen Stadt Nag-Hammadi mehrere Tonkrüge mit uralten Schriften gefunden. Diese stammten tatsächlich aus der urchristlichen Zeit und enthielten lange verschollene Evangelien und Dokumente über Jesus, insbesondere das mittlerweile berühmte Thomas-Evangelium. Als 1977 alle Nag-Hammadi-Schriften in gedruckter Form vorlagen (mit Faksimile und Transkription), waren es insgesamt sechsundvierzig Bände.
Während die Qumran-Rollen aus der Zeit vor Jesu Erscheinen stammen, sind die Nag-Hammadi-Schriften unbestreitbar urchristliche Schriften, denn Jesus wird vielfach namentlich erwähnt und wörtlich zitiert. Wenn also irgendwelche neuentdeckte Schriften für den Vatikan hätten gefährlich werden können, dann wären es die Nag-Hammadi-Schriften gewesen, denn immerhin enthielten sie apokryphe Evangelien und Jesus-Worte. Doch die Herausgabe dieser Schriften wurde nicht verhindert, ebensowenig wie die der Qumran-Rollen. Auch wurden durch sie die bereits bekannten Evangelientexte nicht widerlegt oder als Fälschung entlarvt, sondern in ihren Kernaussagen bestätigt und ergänzt, in gewisser Hinsicht aber auch korrigiert (vor allem was vorherrschende dogmatische Interpretationen betrifft). Dies wird von Baigent, Leigh & Co., wie nicht anders zu erwarten, geflissentlich unterschlagen.
Die neuentdeckten Nag-Hammadi-Texte wie auch die biblischen Evangelien widerlegen die bestsellerischen Jesus-Paulus-Spekulationen. Ebenso widerlegen sie aber auch die christlichen Verabsolutierungen von Jesus und der Bibel, denn sie zeigen, dass Jesus nicht auf biblische Schriften und kirchliche Dogmen beschränkt werden sollte.

(In der nächsten Wegbegleiter-Ausgabe folgt hierzu ein Artikel, in dem gezeigt wird, wie die mystischen Hinweise auf Jesu innere Identität frappierende Parallelen zu den vedischen Gottesoffenbarungen aufweisen und durch diese in vieler Hinsicht erhellt werden können.)

[ Armin Risi ]


Pressemitteilungen

„ ...Michael Baigent und Richard Leigh. Mit ihrer mehr als 800.000 mal verkauften Verschlussache Jesus packten sie das deutschsprachige Publikum, wie es Sachbüchern selten gelingt. Bei ihnen sind die Qumran-Bewohner identisch mit der christlichen Urgemeinde. Der Apostel Paulus arbeitete in Wahrheit als Agent im Dienste der Römer und vollzieht bei Damaskus nur eine Scheinkonversion zum Christentum. Was die Urchristen betrifft, so waren sie militante, gewaltbereite Fanatiker. Christliche Gewaltfreiheit ist eine spätere, auf Paulus zurückgehende Verfälschung der ursprünglichen christlichen Botschaft...
Das Ganze ist eine abenteuerliche und inzwischen klar widerlegte Konstruktion.“
Aus: Die Weltwoche, „Qumran - Der Jahrtausendfund muss ein zweites Mal entdeckt werden “, Mai 1999

„ 'Sensationelle' Forschungen belegen: Bei den Fundstätten der Schriftrollen lag kein Kloster, sondern eine blühende Oase – und das Zuhause von Frauen...
Auf dem Hauptfriedhof von Qumran, so belegen neue Funde, sind auch Frauen begraben. Bodenproben ergaben darüber hinaus: die Qumran-Siedler lebten in einer grünen Oase von dem Ertrag ihrer Dattelpalmen.
...dass die Essener in Qumran wohnten, sei eine haltlose Behauptung, erklärte Jürgen Zangenberg, Neutestamentler und Palästina-Ausgräber von der Bergischen Universität Wuppertal ... Der Anbau von Datteln ... die Gewinnung von Balsam und Asphalt sowie der Transportweg Totes Meer verschafften den Bewohnern Wohlstand.
Zangenberg: 'Wer sich dorthin zurückzog, musste es schwer haben, Ruhe zu finden.' “
Aus: Focus 14/99, S. 172 ff


Verwendete Literatur

Otto Betz / Rainer Riesner: Jesus, Qumran und der Vatikan - Klarstellungen, Herder 1993
Alexander Schick: Faszination Qumran, CLV 1998


Bilder

[ Der Artikel beinhaltet mehrere Bilder, die aus Platzgründen hier nicht wiedergegeben sind. Die Bildunterschriften lauten: ]

Bild 1: Das Tal von Qumran mit dem Felsengebirge im Hintergrund. In diesem Bildausschnitt sind die Eingänge zu den Höhlen Nr. 4, 5 und 6 zu sehen.

Bild 2: Bischof Athanasius Yeshue Samuel kaufte 1947 vier der sieben Schriftrollen für umgerechnet rund 1000 DM. Sechs Jahre später verkaufte er sie dem Staat Israel für 250.000 Dollar (heutiger Kurswert rund 1 Million DM). Hier hält er die grosse, fast 7,5 Meter lange Jesaja-Rolle.
(Aus: A. Schick, Faszination Qumran, S. 12)

Bild 3: Anzeige von Bischof Athanasius im Wall Street Journal, 1. Juni 1954: „Die vier Schriftrollen vom Toten Meer – Zu verkaufen: Bibelmanuskripte, die aus der Zeit um mindestens 200 v. Chr. stammen. Dies wäre ein ideales Geschenk an eine Schule oder religiöse Institution... “

Bild 4: Im Spätjahr 1997 [21. Oktober 1997 - 10. Januar 1998 im Manchester Museum] wurde die berühmte Kupferrolle aus Qumran kurz in Europa ausgestellt, und zwar in Manchester, wo sie vierzig Jahre zuvor geöffnet worden war. Heute befindet sich die Rolle im archäologischen Museum von Amman.

Bild 5: Die Qumran-Rollen werden heute in Jerusalem aufbewahrt und ausgestellt. Das Museum hat die Form eines Tonkrugdeckels und birgt in sich einen atom[bomben]sicheren Bunker. Die weisse Farbe des Museums stellt die „Söhne des Lichts“ dar und der schwarze Stein (im Vordergrund) die „Söhne der Finsternis“.

Bild 6: Der Ausstellungsort der Schriften aus dem Qumran-Versteck, auf dem Gelände des Israel-Museums in Jerusalem aus der Vogelperspektive. Im Hintergrund (mit Schattenwurf) der schwarze Stein der „Söhne der Finsternis“.

[ Bild 5 und 6 stammen aus: A. Schick, Faszination Qumran, S. 42/43 ]


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"Letzte Änderung dieser Seite am 10. Juni 2014"